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Ob Atomausstieg, Bündnis für Arbeit oder Außen- und Sicherheitspolitik: Worüber entscheidet das vom Volk gewählte Parlament eigentlich wirklich? Der Deutsche Bundestag bewegt sich zwischen der Notwendigkeit von Mehrheitsentscheidungen, Fraktionszwang und immer komplexeren globalen Zusammenhängen, die auch Bundestagsabgeordnete nicht mehr ganz durchschauen. Ganz bewusst betreibt die Bundesregierung seit Jahren eine Art Outsourcing parlamentarischer Entscheidungen, und das Parlament ist zu schwach, um sich dagegen zu wehren - egal, welche Farbkombination heute oder morgen das Regierungszepter in…mehr

Produktbeschreibung
Ob Atomausstieg, Bündnis für Arbeit oder Außen- und Sicherheitspolitik: Worüber entscheidet das vom Volk gewählte Parlament eigentlich wirklich?
Der Deutsche Bundestag bewegt sich zwischen der Notwendigkeit von Mehrheitsentscheidungen, Fraktionszwang und immer komplexeren globalen Zusammenhängen, die auch Bundestagsabgeordnete nicht mehr ganz durchschauen. Ganz bewusst betreibt die Bundesregierung seit Jahren eine Art Outsourcing parlamentarischer Entscheidungen, und das Parlament ist zu schwach, um sich dagegen zu wehren - egal, welche Farbkombination heute oder morgen das Regierungszepter in der Hand hält.
Und zu allem Überfluss machen Lobbyisten - die demokratisch nicht legitimiert sind - sehr erfolgreich Politik in den Hinterzimmern Berlins.
Aus der Perspektive der jungen Generation analysiert und kritisiert der Bundestagsabgeordnete Christian Simmert (Jahrgang 1972) diese politische Praxis. Er beschreibt zudem erstmals, wie es in der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zur Vertrauensfrage und damit zur rot-grünen Regierungskrise im November 2001 kam.
Simmerts Plädoyer: Der Parlamentarismus muss selbstbewusster, politische Prozesse müssen demokratischer und transparenter werden. Sein Ziel: Eine stärkere Trennung von Lobbyismus und Politik, eine neue politische Streitkultur, die erstarrte politische Rituale ersetzt und eine direktere Demokratie ermöglicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2002

Alles Lobby oder was?
Grünen-Hinterbänkler Christian Simmert rechnet zum Abschied auf und ab

Christian Simmert: Die Lobby regiert das Land. Argon Verlag, Berlin 2002. 269 Seiten, 19,90 Euro.

Von hinten betrachtet, sieht manches ganz anders aus, als es vorn herum scheint. Die Hinterbänkler des Deutschen Bundestages können davon ein Lied singen. Doch in der Regel singen sie nicht, sondern wahren Fraktionsdisziplin. Obwohl ohne sie im politischen Geschäft nichts liefe, spielen diese braven Parlamentssoldaten in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Das ändert sich allerdings schlagartig, wenn einer von ihnen aus der Rolle fällt. Christian Simmert hat das erlebt und seine Erfahrungen zu einem Buch verarbeitet.

Jetzt kann er sich jede Offenheit leisten, weil er dem Bundestag den Rücken kehrt und nicht wieder in seiner Partei um Amt und Mandat ringen mußte. Simmert schaffte 1998 im Alter von fünfundzwanzig Jahren den Durchmarsch von der nordrhein-westfälischen Landespolitik in den Bundestag. Sein Erfolgsgeheimnis: Vor dem entscheidenden Landesparteitag zimmerte er sich aus seinem "Netzwerk privater und politischer Freunde" eine "Lobby in eigener Sache" zusammen. Es gelang ihm, wie er sarkastisch bekennt, "möglichst geräuschlos mein Netzwerk in Stellung zu bringen. Ich allein wäre nicht in der Lage gewesen, mich in den Bundestag zu hieven. Ohne Lobbying ging nichts."

Kaum in Bonn angekommen, lernte der junge Abgeordnete, daß dies auch für die Arbeit im Bundestag gilt. Simmert schildert in seinem Buch einen wahren Kosmos der Interessengruppen, die fortlaufend um das Parlament und unter den Abgeordneten ihre Kreise ziehen. Als erstes lernte er, wie die Regierungslobby in seiner Fraktion für das korrekte Abstimmungsverhalten sorgte. Nach und nach traf er dann auf all die anderen, an deren Tätigkeit er heftigen Anstoß nimmt: die Wirtschaftslobby, die Waffenlobby, die Lobbyisten der Verbände, die Zigarettenlobby und die Atomlobby.

Auf der Gegenseite spinnen die Antiatomlobby, die Non-profit-Lobby oder die Ökolobby ihre Netzwerke. Simmert selbst schlug sich auf die Seite der Antikriegslobby. Deren Stunde im Licht der Fernsehkameras schlug nach dem 11. September 2001, als mehrere Abgeordnete der Grünen ankündigten, einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan nicht zuzustimmen. Gerhard Schröder verband daraufhin die Entscheidung über den Afghanistaneinsatz mit der Vertrauensfrage. Für Simmert war das eine "absurde Erpressung des Parlaments". Doch nicht das Parlament, sondern die pazifistische Gruppe um Christian Ströbele, die der Bundeswehrentsendung ablehnend gegenüberstand, brachte Schröder mit der Vertrauensfrage in die Gewissenszwickmühle.

Die Antikriegslobby beschränkte sich am 16. November 2001 auf vier symbolische Gegenstimmen, um die Kanzlermehrheit zu sichern. Simmert selbst erhielt zwei Tage vor der Abstimmung einen Anruf des Bundestagspräsidenten. Er wolle doch nicht etwa mit einem "Nein Verantwortung für einen Regierungssturz tragen", hielt Thierse dem Abgeordneten vor. Simmert reagierte fassungslos. "Wie konnte der Bundestagspräsident versuchen, auf eine Gewissensentscheidung frei gewählter Abgeordneter Einfluß zu nehmen?" Von vorn betrachtet, sieht das freilich andersherum aus. Der Bundestagspräsident wollte dem Hinterbänkler vermutlich nur in bester Absicht seinen Rat und die helfende Hand anbieten. Denn Wolfgang Thierse ist schließlich ein pflichtbewußter Mann.

JOCHEN STAADT

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