fünfhundert jahre,ein halbes jahrtausend, das war in unseren tagen ein gehöriger batzen zeit!»
Die Helden dieser Geschichten sind eigensinnige Gestalten. Wir finden sie in vollautomatischen Cocktailbars, in zweckentfremdeten Fabriken und längst eingemotteten Gesamtschulen, auf dem Teufelsberg in Berlin und in einem Keller in Shanghai: Sie sind die Werktätigen und Abenteurer einer Zeit, die unlängst erst unsere Zukunft war.
Niemand sonst macht das und kann das, was Georg Klein betreibt: Schatzsuche, Science-Fiction, Mythen und Märchen in eine gedrechselte, witzige, betörend melodische Sprache zu gießen.»
Ina Hartwig, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Georg Klein ist ein Glücksfall.»
Tilmann Lahme, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Die Helden dieser Geschichten sind eigensinnige Gestalten. Wir finden sie in vollautomatischen Cocktailbars, in zweckentfremdeten Fabriken und längst eingemotteten Gesamtschulen, auf dem Teufelsberg in Berlin und in einem Keller in Shanghai: Sie sind die Werktätigen und Abenteurer einer Zeit, die unlängst erst unsere Zukunft war.
Niemand sonst macht das und kann das, was Georg Klein betreibt: Schatzsuche, Science-Fiction, Mythen und Märchen in eine gedrechselte, witzige, betörend melodische Sprache zu gießen.»
Ina Hartwig, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Georg Klein ist ein Glücksfall.»
Tilmann Lahme, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
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Georg Klein ist einer der wenigen großen Sprachkünstler der deutschen Gegenwart. Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2010Auf unheimlichen Pfaden, nächtens
Verspielt, raffiniert: Georg Kleins Erzählungen werden von Teufeln, Zwergen und Thomas Gottschalk bevölkert
Kein leichter Fall, der des Schriftstellers Georg Klein. Er reizt. Die einen zu Lobeshymnen, die anderen zu Widerspruch. Das Verrätselte, das Kunstvolle seiner Sprache, der Ton, den jede seiner Figuren, vom Handwerker bis zum Professor, anstimmt (was andere Autoren als "Authentizität" anstreben, interessiert Klein überhaupt nicht), der sorgsame Aufbau seiner Geschichten, in denen dem Leser wie an einem Tropf Informationen nur dosiert, nach und nach zukommen, das alles ist den einen große Literatur. Andere erkennen nur "Kunsthandwerk", mit ihren Worten: Literaturliteratur, l'art pour l'art, Stilblütengestöber, Bedeutungshuberei, brillante Spannungslosigkeit. Man muss sich gewissermaßen entscheiden, für oder gegen Georg Klein. "Einer der seltenen wirklich originellen Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur" - oder doch ein Fall von maßloser "Überschätzung"?
Der neue Erzählband Georg Kleins, der, ein halbes Jahr nach seinem "Roman unserer Kindheit", mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, nun erschienen ist, bietet beiden Lagern neues Material. Im Bild gesprochen: Wer in eine Erzählung von Georg Klein gerät, geht nicht an einem heiteren Tag durch eine sonnendurchflutete Allee, sondern schleicht nachts auf einem unheimlichen Pfad, wachsam und leicht verstört, um sich blickend, ob nicht im Dunkel etwas Unbekanntes, Bedrohliches lauert. Oft genug ist hinterher, wenn die dunkle Gasse überwunden ist, unklar, ob da wirklich etwas und wenn ja, was es war - oder ob die von Angst und Schauderlust angeregte Phantasie nicht für kurze Zeit die Oberhand über die Beschränkung ins wissenschaftlich Anerkannte gewonnen hat. Das kann man mögen - oder eben nicht. Georg Klein ist also schon deshalb ein Glücksfall, weil er zum Nachdenken über die Frage anregt, was wir unter guter Literatur verstehen. Unterschiedliches, offenkundig.
In ferne, fremde und oft zukünftige Welten führen die zweiundzwanzig Erzählungen in "Die Logik der Süße", die in zwei Abschnitte, "Futur Eins" und "Futur Zwei" betitelt, unterteilt sind. Eine Naturkatastrophe lässt in "Die Pferde der Kinder" eine kleine Gruppe von pensionierten Lehrern und eine Handvoll Kinder allein in einer zerstörten Welt zurück. Während sich die Vertreter der "Altwelt" in läppische Haarspaltereien verbeißen, entwickeln die kostbaren Kinder, Zukunft und Alterssicherung der Greise, eigene Pläne, in denen für die Alten kein Platz ist. Ein Agent sucht in der Titelgeschichte in einer fernen Zeit, in der Sibirien eine der Metropolen der Welt aufweist, einen magisch bedeutenden Gegenstand, der, im Schutt der Geschichte verborgen, von einer ältlichen Ballerina bewacht wird. Auf eine Art Vampirjagd gehen in "Europa erleuchtet" ein seltsames Gespann von Mann und Affe. Schließlich ziehen sie gegen die Verführungskunst des Gejagten den Kürzeren.
Kleins Welten tragen märchenhafte, schauderhafte Züge, seine Neigung zur schwarzen Romantik kommt zum Zuge. Aus der Zukunft geht mancher Blick zurück auf unsere heutige Gegenwart, wird gelächelt über die "zu jener Zeit" verbreitete Sitte, mit einem Mobiltelefon zu kommunizieren oder dem Internet einen zentralen Platz im Leben einzuräumen. Überhaupt Kulturkritik: Ein Teufel tritt auf und bedient sich der Stimme Thomas Gottschalks; eine Fernseherzählung lässt schon vom Titel her ihren Gehalt erahnen: "Die durch die Hölle gehen"; und ein Dichter, der sich selbst für einen Scharlatan hält, wird in Schanghai entführt - er selbst und die Leser bleiben im Unklaren darüber, ob es sich nicht nur um eine besonders absurde Form von Aktionskunst handelt.
Eindeutigkeit ist Georg Kleins Sache nicht. Er setzt nicht auf die Pointe, den Schlusseffekt, den leichten Zugang. Rätsel über Rätsel stellen sich seinen Lesern entgegen - und niemand wollte wohl behaupten, sie allesamt lösen zu können. Erinnert sei an Kleins Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im Sommer 2000, als Denis Scheck das Urteil der Jury über Kleins Text, einen Auszug aus dem Roman "Barbar Rosa", so zusammenfasste: Er sei froh, dass die Kollegen auch nicht mehr als er selbst verstanden hätten. Den Hauptpreis erhielt Klein gleichwohl.
Verspielt, humorvoll, raffiniert schlagen seine Erzählungen auch in diesem Buch Haken, gelegentlich so viele, dass der Leser zurückbleibt und warten muss, bis eine neue, luftigere Geschichte sie zurück an Bord holt, etwa jene "Zwergenanekdote", in der ein berühmter Professor nach einer Operation zu verbluten droht, aber von einem komischen Geschöpf, dem debilen Jodi, gerettet wird. Der Clou: Sigmund Freud, um ihn handelt es sich, verdankt sein Weiterleben und wir verdanken viele seiner Werke einem sabbernden, kindlich-unheimlichen Zwerg, der den Abgründen der menschlichen Seele entsprungen zu sein scheint.
Ein Höhepunkt: "Beim letzten Märchen". Ein Abrissunternehmer namens Joschka, im bürgerlichen Sinne eine verunglückte Figur, mehrfach daran gescheitert, eine Lehre zu beenden, jemand, der nur im Destruktiven erfolgreich sein kann, durch und durch unsentimental und pragmatisch orientiert, erhält den Auftrag, in einem Wald einen Märchenpark abzureißen, ausgerechnet an Weihnachten. Bei der Begehung des Ortes findet er nicht nur die alten Märchenfiguren vor, in denen er lediglich das minderwertige Material ("primitive Armierung") und das Abgestorbene ("lepröser Schund") zu erkennen vermag, sondern trifft auf eine Frau, blond, rätselhaft, schwanger. Jemand, der gegen den Abriss protestieren will? Oder doch das personifizierte Märchenhafte, das sich nicht mit Abrissbirne und Unimog vertreiben lassen wird - das überhaupt ja das Neue, Ungeborene in sich trägt und damit seinen Märchenplatz in der Welt vital verteidigt, schon gar gegen die aufs rein Nützliche orientierte Geist- und Phantasielosigkeit, die "Untiefe des praktischen Wissens", wie es einmal heißt? Das Ende dieser wunderschönen, leichtfüßigen und bei aller Kunstfertigkeit unangestrengten Erzählung schwebt leuchtend in der Luft: Von einem "glorreichen Fieberschub geschüttelt", beschließt Joschka, das Eindringen des Phantastischen in seine Welt zuzulassen. Wen Ton und Art des Erzählens nicht in die Flucht schlagen, wer sich einlässt auf Georg Kleins rätselhafte Welten, wer bereit ist, Durststrecken zu überstehen, Geschichten, in denen sich das Raffinement trotzig vor Bedeutung und Sinn stellt - der empfindet, was unser schlichter Vergangenheitsabräumer "Beim letzten Märchen" mit einem Mal empfindet: eine "große keusche Lust".
TILMANN LAHME
Georg Klein: "Die Logik der Süße". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 240 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verspielt, raffiniert: Georg Kleins Erzählungen werden von Teufeln, Zwergen und Thomas Gottschalk bevölkert
Kein leichter Fall, der des Schriftstellers Georg Klein. Er reizt. Die einen zu Lobeshymnen, die anderen zu Widerspruch. Das Verrätselte, das Kunstvolle seiner Sprache, der Ton, den jede seiner Figuren, vom Handwerker bis zum Professor, anstimmt (was andere Autoren als "Authentizität" anstreben, interessiert Klein überhaupt nicht), der sorgsame Aufbau seiner Geschichten, in denen dem Leser wie an einem Tropf Informationen nur dosiert, nach und nach zukommen, das alles ist den einen große Literatur. Andere erkennen nur "Kunsthandwerk", mit ihren Worten: Literaturliteratur, l'art pour l'art, Stilblütengestöber, Bedeutungshuberei, brillante Spannungslosigkeit. Man muss sich gewissermaßen entscheiden, für oder gegen Georg Klein. "Einer der seltenen wirklich originellen Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur" - oder doch ein Fall von maßloser "Überschätzung"?
Der neue Erzählband Georg Kleins, der, ein halbes Jahr nach seinem "Roman unserer Kindheit", mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, nun erschienen ist, bietet beiden Lagern neues Material. Im Bild gesprochen: Wer in eine Erzählung von Georg Klein gerät, geht nicht an einem heiteren Tag durch eine sonnendurchflutete Allee, sondern schleicht nachts auf einem unheimlichen Pfad, wachsam und leicht verstört, um sich blickend, ob nicht im Dunkel etwas Unbekanntes, Bedrohliches lauert. Oft genug ist hinterher, wenn die dunkle Gasse überwunden ist, unklar, ob da wirklich etwas und wenn ja, was es war - oder ob die von Angst und Schauderlust angeregte Phantasie nicht für kurze Zeit die Oberhand über die Beschränkung ins wissenschaftlich Anerkannte gewonnen hat. Das kann man mögen - oder eben nicht. Georg Klein ist also schon deshalb ein Glücksfall, weil er zum Nachdenken über die Frage anregt, was wir unter guter Literatur verstehen. Unterschiedliches, offenkundig.
In ferne, fremde und oft zukünftige Welten führen die zweiundzwanzig Erzählungen in "Die Logik der Süße", die in zwei Abschnitte, "Futur Eins" und "Futur Zwei" betitelt, unterteilt sind. Eine Naturkatastrophe lässt in "Die Pferde der Kinder" eine kleine Gruppe von pensionierten Lehrern und eine Handvoll Kinder allein in einer zerstörten Welt zurück. Während sich die Vertreter der "Altwelt" in läppische Haarspaltereien verbeißen, entwickeln die kostbaren Kinder, Zukunft und Alterssicherung der Greise, eigene Pläne, in denen für die Alten kein Platz ist. Ein Agent sucht in der Titelgeschichte in einer fernen Zeit, in der Sibirien eine der Metropolen der Welt aufweist, einen magisch bedeutenden Gegenstand, der, im Schutt der Geschichte verborgen, von einer ältlichen Ballerina bewacht wird. Auf eine Art Vampirjagd gehen in "Europa erleuchtet" ein seltsames Gespann von Mann und Affe. Schließlich ziehen sie gegen die Verführungskunst des Gejagten den Kürzeren.
Kleins Welten tragen märchenhafte, schauderhafte Züge, seine Neigung zur schwarzen Romantik kommt zum Zuge. Aus der Zukunft geht mancher Blick zurück auf unsere heutige Gegenwart, wird gelächelt über die "zu jener Zeit" verbreitete Sitte, mit einem Mobiltelefon zu kommunizieren oder dem Internet einen zentralen Platz im Leben einzuräumen. Überhaupt Kulturkritik: Ein Teufel tritt auf und bedient sich der Stimme Thomas Gottschalks; eine Fernseherzählung lässt schon vom Titel her ihren Gehalt erahnen: "Die durch die Hölle gehen"; und ein Dichter, der sich selbst für einen Scharlatan hält, wird in Schanghai entführt - er selbst und die Leser bleiben im Unklaren darüber, ob es sich nicht nur um eine besonders absurde Form von Aktionskunst handelt.
Eindeutigkeit ist Georg Kleins Sache nicht. Er setzt nicht auf die Pointe, den Schlusseffekt, den leichten Zugang. Rätsel über Rätsel stellen sich seinen Lesern entgegen - und niemand wollte wohl behaupten, sie allesamt lösen zu können. Erinnert sei an Kleins Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im Sommer 2000, als Denis Scheck das Urteil der Jury über Kleins Text, einen Auszug aus dem Roman "Barbar Rosa", so zusammenfasste: Er sei froh, dass die Kollegen auch nicht mehr als er selbst verstanden hätten. Den Hauptpreis erhielt Klein gleichwohl.
Verspielt, humorvoll, raffiniert schlagen seine Erzählungen auch in diesem Buch Haken, gelegentlich so viele, dass der Leser zurückbleibt und warten muss, bis eine neue, luftigere Geschichte sie zurück an Bord holt, etwa jene "Zwergenanekdote", in der ein berühmter Professor nach einer Operation zu verbluten droht, aber von einem komischen Geschöpf, dem debilen Jodi, gerettet wird. Der Clou: Sigmund Freud, um ihn handelt es sich, verdankt sein Weiterleben und wir verdanken viele seiner Werke einem sabbernden, kindlich-unheimlichen Zwerg, der den Abgründen der menschlichen Seele entsprungen zu sein scheint.
Ein Höhepunkt: "Beim letzten Märchen". Ein Abrissunternehmer namens Joschka, im bürgerlichen Sinne eine verunglückte Figur, mehrfach daran gescheitert, eine Lehre zu beenden, jemand, der nur im Destruktiven erfolgreich sein kann, durch und durch unsentimental und pragmatisch orientiert, erhält den Auftrag, in einem Wald einen Märchenpark abzureißen, ausgerechnet an Weihnachten. Bei der Begehung des Ortes findet er nicht nur die alten Märchenfiguren vor, in denen er lediglich das minderwertige Material ("primitive Armierung") und das Abgestorbene ("lepröser Schund") zu erkennen vermag, sondern trifft auf eine Frau, blond, rätselhaft, schwanger. Jemand, der gegen den Abriss protestieren will? Oder doch das personifizierte Märchenhafte, das sich nicht mit Abrissbirne und Unimog vertreiben lassen wird - das überhaupt ja das Neue, Ungeborene in sich trägt und damit seinen Märchenplatz in der Welt vital verteidigt, schon gar gegen die aufs rein Nützliche orientierte Geist- und Phantasielosigkeit, die "Untiefe des praktischen Wissens", wie es einmal heißt? Das Ende dieser wunderschönen, leichtfüßigen und bei aller Kunstfertigkeit unangestrengten Erzählung schwebt leuchtend in der Luft: Von einem "glorreichen Fieberschub geschüttelt", beschließt Joschka, das Eindringen des Phantastischen in seine Welt zuzulassen. Wen Ton und Art des Erzählens nicht in die Flucht schlagen, wer sich einlässt auf Georg Kleins rätselhafte Welten, wer bereit ist, Durststrecken zu überstehen, Geschichten, in denen sich das Raffinement trotzig vor Bedeutung und Sinn stellt - der empfindet, was unser schlichter Vergangenheitsabräumer "Beim letzten Märchen" mit einem Mal empfindet: eine "große keusche Lust".
TILMANN LAHME
Georg Klein: "Die Logik der Süße". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 240 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010Aufzeichnungen eines Jägers
Aus der Werkstatt eines Satanisten der Sprachartistik: Georg Klein verteidigt
in seinen Erzählungen die „Logik der Süße“ gegen die Gegenwart Von Ina Hartwig
Zu klaustrophobischen Räumen fühlt Georg Klein sich magisch hingezogen, ohne dabei, das ist der Trick, an Klaustrophobie zu leiden. Noch in der schrecklichsten Gefangenschaft, noch in der ausweglosesten Situation, gibt sich die Erzählerstimme cool und unerschüttert, ja, und von einer Sprachartistik beseelt, die uns ohnehin in andere Sphären saugt – die einer Literatur nämlich, die sehr selbstbewusst das Niedrige mit dem Hohen, den Trash mit der Mythologie bis zum Schwindel zu vermischen versteht.
Fulminant hat Georg Kleins „Roman unserer Kindheit“ erst in diesem Frühjahr all dies eingelöst, eine von wildschaurigen Kinderphantasien überwucherte Geschichte aus der jungen Bundesrepublik, für die der Autor hochverdient mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Verlag und Autor mögen sich unter der Aureole preisbedingter Aufmerksamkeit gesagt haben, der Zeitpunkt sei günstig, einen Band mit Erzählungen gleich nachzulegen. Gesagt, getan. Und so erscheint nun „Die Logik der Süße“ mit insgesamt 18 Texten, die, von einer Ausnahme abgesehen, unveröffentlicht in der sogenannten Schublade lagen.
Sollte man eine Gebrauchsanweisung geben, dann die: Langsam lesen, Pausen einlegen! Die Bilder müssen sich entfalten können, und ihnen steht eben nicht die Strecke eines Romans zur Verfügung. Der Leser dieser Storys muss unbedingt bereit sein, in die Höhle des eigenen Kopfes zu kriechen; denn mit den Schlüsselreizen psychologischer Einfühlung geizt der eigenwillige Autor systematisch. Ebensowenig werden Liebhaber des Schlüpfrigen auf ihre Kosten kommen. Von geradezu mönchischer Keuschheit scheint Georg Kleins Verhältnis zum eigenen Craze zu sein, dem er sich freilich um so besessener hingibt. „Ich bin ein Genie der Hingabe“, heißt es denn auch in der titelgebenden Erzählung „Die Logik der Süße“, „einer, dem das Vermögen verliehen ist, der Welt sein Herz zu öffnen“.
Logisch jedoch ist nichts in diesem Prosastück, schon gar nicht die Süße. Und die Schokolade, die dem Erzähler – der nach Russland auf einen skurrilen, gefährlichen Beutezug geschickt wird – im Munde schmilzt, kann man nur, erschlafft vom Rätselraten, ein literarisches Leitmotiv nennen, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Ein Mann, in einer vagen Zukunft lebend, erzählt davon, wie er ein bestimmtes „Objekt der Begierde“ für seinen deutschen Auftraggeber in Russland besorgt. Das hat mit einem russischen Dichter zu tun, der in Baden-Baden starb und in St. Petersburg beerdigt wurde; mit Krieg, Frieden und einer neuen Weltordnung; mit einer Ballerina, die als Untote auf jenem heißgesuchten Schatz buchstäblich sitzt, bewacht von halstuchbewehrten Schäferhunden – ein Gemälde von köstlichem Kitsch.
Und schließlich geht es um einen Pakt: Das gesuchte Objekt wird dem hingebungsvollen Dieb und abenteuerlichen Finder überreicht, doch muss er dafür 500 Jahre seines Lebens hergeben, „das war in unseren Tagen ein gehöriger Batzen Zeit“, konstatiert er trocken. Die „sibirische Dienstzeit“ leistet er ab in der Kantine des Theaters von Nowosibirsk, wo er in der Schlussszene wieder Schokoladiges naschen darf. Das ist Irrsinn, allerdings ein ziemlich genialer in seiner Mischung aus Literaturgeschichte, Geschichtskolportage, Agententhriller, Schatzsuche, Detektivgeschichte und Politsatire.
Ähnlich verrückt und opak, vielleicht sogar noch schöner, noch spannender, geht es zu in der Geschichte „Europa erleuchtet“. Wieder findet eine aberwitzige Jagd statt, nach etwas Lebendem diesmal, einem seit langem gesuchten Feind. Die Jäger sind ein höchst merkwürdiges Duo, der „Meister“ und der Erzähler, von dem man lange nicht weiß, ob es sich um einen Affen oder einen Gnom handelt. Fest steht nur, dass wieder einmal die säugetierübliche Lebenszeit kühn überschritten wird. Man rechnet in Jahrhunderten, mindestens.
In Prag haben die beiden sich gefunden, „wo Europas Gemüt seit tausend Jahren zu lächeln versteht“, und dort beziehen die geheimnisvollen Vagabunden jetzt Quartier bei einer ebenso geheimnisvollen Masseuse. Jetzt? Sei’s drum: Der Showdown ereignet sich im alten Casino der Stadt zwischen Einarmigen Banditen. Dort hält „er“ sich versteckt. Doch statt dass der enttarnte Feind getötet wird, reitet Georg Klein den Bildungstiger: So rührend wie abwegig erkennen sich plötzlich zwei Brüder in Christo, Kyrill und Method, die, von frischem Blut genährt, als ledrige Sprachvampire weiterlebten, seit sie „im Auftrag des Kaisers zu Konstantinopel auszogen, um den wilden Stämmen des Balkans in ihren schaurig-kruden Halbsprachen zu Gottes Wort zu verhelfen“. Mit wem der Mönchszwerg flieht? Lesen Sie bitte selbst!
Es ist keine Neuigkeit, dass dieser Autor mit der überlieferten Historie teuflisch gern Schindluder treibt. In der Zukunft des Georg Klein, ausgestattet mit Latex, Schaumgummi und allerhand Apparaten, mit Showmastern, Sekten und Agenten, gibt die Alte Welt ihr Stelldichein als charmante, abgewrackte Lady; und die „Neuwelt“ ist längst über das hinweggerollt, was wir Gegenwart zu nennen pflegen. Jene Gegenwart, die hier nur noch als Ordnungsprinzip auf sich aufmerksam macht, indem die 18 Erzählungen je zur Hälfte dem „Futur eins“ (es wird sein) und dem „Futur zwei“ (es wird gewesen sein) zugeschlagen werden. Ansonsten hält sich der Autor lieber heraus aus der „monumentalen Gegenwart“ seiner Leser, die er als „stolze Eurasier“ und „Insassen eines wahrhaft gewaltigen Reiches“ adressiert.
Niemand sonst macht das und kann das, was Georg Klein betreibt: Schatzsuche, Satanismus, Phantasie, Science-Fiction, Kulte und Mythen, Märchen und Geschichtsmüll in eine gedrechselte, witzige, melodisch betörend sichere Sprache zu gießen. An diesen Erzählungen von unterschiedlicher Suggestivkraft lässt sich deutlich ablesen, dass jene Intensität erarbeitet werden muss. Hier und da verpasst eine Passage, und sei es knapp, den notwendigen Kleinschen Konzentrationsgrad. Dann ahnt man, wie gewaltig der Weg gewesen sein mag zu einem so formidablen Buch wie dem „Roman unserer Kindheit“. Insofern ist der Werkstattcharakter dieser Erzählungen ihr vielleicht interessantester Aspekt.
Georg Klein
Die Logik der Süße
Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010. 238 Seiten, 19,50 Euro.
500 Jahre des eigenen Lebens?
„Das war in unseren Tagen
ein gehöriger Batzen Zeit.“
Schatzsuche und Sci-Fi,
Mythos und Märchen – das
kann keiner so wie Georg Klein
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Aus der Werkstatt eines Satanisten der Sprachartistik: Georg Klein verteidigt
in seinen Erzählungen die „Logik der Süße“ gegen die Gegenwart Von Ina Hartwig
Zu klaustrophobischen Räumen fühlt Georg Klein sich magisch hingezogen, ohne dabei, das ist der Trick, an Klaustrophobie zu leiden. Noch in der schrecklichsten Gefangenschaft, noch in der ausweglosesten Situation, gibt sich die Erzählerstimme cool und unerschüttert, ja, und von einer Sprachartistik beseelt, die uns ohnehin in andere Sphären saugt – die einer Literatur nämlich, die sehr selbstbewusst das Niedrige mit dem Hohen, den Trash mit der Mythologie bis zum Schwindel zu vermischen versteht.
Fulminant hat Georg Kleins „Roman unserer Kindheit“ erst in diesem Frühjahr all dies eingelöst, eine von wildschaurigen Kinderphantasien überwucherte Geschichte aus der jungen Bundesrepublik, für die der Autor hochverdient mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Verlag und Autor mögen sich unter der Aureole preisbedingter Aufmerksamkeit gesagt haben, der Zeitpunkt sei günstig, einen Band mit Erzählungen gleich nachzulegen. Gesagt, getan. Und so erscheint nun „Die Logik der Süße“ mit insgesamt 18 Texten, die, von einer Ausnahme abgesehen, unveröffentlicht in der sogenannten Schublade lagen.
Sollte man eine Gebrauchsanweisung geben, dann die: Langsam lesen, Pausen einlegen! Die Bilder müssen sich entfalten können, und ihnen steht eben nicht die Strecke eines Romans zur Verfügung. Der Leser dieser Storys muss unbedingt bereit sein, in die Höhle des eigenen Kopfes zu kriechen; denn mit den Schlüsselreizen psychologischer Einfühlung geizt der eigenwillige Autor systematisch. Ebensowenig werden Liebhaber des Schlüpfrigen auf ihre Kosten kommen. Von geradezu mönchischer Keuschheit scheint Georg Kleins Verhältnis zum eigenen Craze zu sein, dem er sich freilich um so besessener hingibt. „Ich bin ein Genie der Hingabe“, heißt es denn auch in der titelgebenden Erzählung „Die Logik der Süße“, „einer, dem das Vermögen verliehen ist, der Welt sein Herz zu öffnen“.
Logisch jedoch ist nichts in diesem Prosastück, schon gar nicht die Süße. Und die Schokolade, die dem Erzähler – der nach Russland auf einen skurrilen, gefährlichen Beutezug geschickt wird – im Munde schmilzt, kann man nur, erschlafft vom Rätselraten, ein literarisches Leitmotiv nennen, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Ein Mann, in einer vagen Zukunft lebend, erzählt davon, wie er ein bestimmtes „Objekt der Begierde“ für seinen deutschen Auftraggeber in Russland besorgt. Das hat mit einem russischen Dichter zu tun, der in Baden-Baden starb und in St. Petersburg beerdigt wurde; mit Krieg, Frieden und einer neuen Weltordnung; mit einer Ballerina, die als Untote auf jenem heißgesuchten Schatz buchstäblich sitzt, bewacht von halstuchbewehrten Schäferhunden – ein Gemälde von köstlichem Kitsch.
Und schließlich geht es um einen Pakt: Das gesuchte Objekt wird dem hingebungsvollen Dieb und abenteuerlichen Finder überreicht, doch muss er dafür 500 Jahre seines Lebens hergeben, „das war in unseren Tagen ein gehöriger Batzen Zeit“, konstatiert er trocken. Die „sibirische Dienstzeit“ leistet er ab in der Kantine des Theaters von Nowosibirsk, wo er in der Schlussszene wieder Schokoladiges naschen darf. Das ist Irrsinn, allerdings ein ziemlich genialer in seiner Mischung aus Literaturgeschichte, Geschichtskolportage, Agententhriller, Schatzsuche, Detektivgeschichte und Politsatire.
Ähnlich verrückt und opak, vielleicht sogar noch schöner, noch spannender, geht es zu in der Geschichte „Europa erleuchtet“. Wieder findet eine aberwitzige Jagd statt, nach etwas Lebendem diesmal, einem seit langem gesuchten Feind. Die Jäger sind ein höchst merkwürdiges Duo, der „Meister“ und der Erzähler, von dem man lange nicht weiß, ob es sich um einen Affen oder einen Gnom handelt. Fest steht nur, dass wieder einmal die säugetierübliche Lebenszeit kühn überschritten wird. Man rechnet in Jahrhunderten, mindestens.
In Prag haben die beiden sich gefunden, „wo Europas Gemüt seit tausend Jahren zu lächeln versteht“, und dort beziehen die geheimnisvollen Vagabunden jetzt Quartier bei einer ebenso geheimnisvollen Masseuse. Jetzt? Sei’s drum: Der Showdown ereignet sich im alten Casino der Stadt zwischen Einarmigen Banditen. Dort hält „er“ sich versteckt. Doch statt dass der enttarnte Feind getötet wird, reitet Georg Klein den Bildungstiger: So rührend wie abwegig erkennen sich plötzlich zwei Brüder in Christo, Kyrill und Method, die, von frischem Blut genährt, als ledrige Sprachvampire weiterlebten, seit sie „im Auftrag des Kaisers zu Konstantinopel auszogen, um den wilden Stämmen des Balkans in ihren schaurig-kruden Halbsprachen zu Gottes Wort zu verhelfen“. Mit wem der Mönchszwerg flieht? Lesen Sie bitte selbst!
Es ist keine Neuigkeit, dass dieser Autor mit der überlieferten Historie teuflisch gern Schindluder treibt. In der Zukunft des Georg Klein, ausgestattet mit Latex, Schaumgummi und allerhand Apparaten, mit Showmastern, Sekten und Agenten, gibt die Alte Welt ihr Stelldichein als charmante, abgewrackte Lady; und die „Neuwelt“ ist längst über das hinweggerollt, was wir Gegenwart zu nennen pflegen. Jene Gegenwart, die hier nur noch als Ordnungsprinzip auf sich aufmerksam macht, indem die 18 Erzählungen je zur Hälfte dem „Futur eins“ (es wird sein) und dem „Futur zwei“ (es wird gewesen sein) zugeschlagen werden. Ansonsten hält sich der Autor lieber heraus aus der „monumentalen Gegenwart“ seiner Leser, die er als „stolze Eurasier“ und „Insassen eines wahrhaft gewaltigen Reiches“ adressiert.
Niemand sonst macht das und kann das, was Georg Klein betreibt: Schatzsuche, Satanismus, Phantasie, Science-Fiction, Kulte und Mythen, Märchen und Geschichtsmüll in eine gedrechselte, witzige, melodisch betörend sichere Sprache zu gießen. An diesen Erzählungen von unterschiedlicher Suggestivkraft lässt sich deutlich ablesen, dass jene Intensität erarbeitet werden muss. Hier und da verpasst eine Passage, und sei es knapp, den notwendigen Kleinschen Konzentrationsgrad. Dann ahnt man, wie gewaltig der Weg gewesen sein mag zu einem so formidablen Buch wie dem „Roman unserer Kindheit“. Insofern ist der Werkstattcharakter dieser Erzählungen ihr vielleicht interessantester Aspekt.
Georg Klein
Die Logik der Süße
Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010. 238 Seiten, 19,50 Euro.
500 Jahre des eigenen Lebens?
„Das war in unseren Tagen
ein gehöriger Batzen Zeit.“
Schatzsuche und Sci-Fi,
Mythos und Märchen – das
kann keiner so wie Georg Klein
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Georg Kleins neuer Erzählband hat Roman Bucheli verstört und begeistert. Fasziniert preist der Rezensent die originellen Erzählerfiguren und die meisterlich, dabei nur skizzenhaft gezeichneten postapokalyptischen Szenarien, mit der der Autor Raum- und Zeitgefüge kippen lässt. Es sind gerade Lakonie und ein offenes Ende, das für Bucheli die geheimnisvolle Aura dieser Texte bewahrt und mitunter meint er auch, ein geradezu maliziöses Vergnügen auf der Seite des Autors bei seinen Vexierspielen mit der Orientierungslosigkeit seiner Leser zu verspüren. Großartige Metaphern für die "brüchige Existenz" und die "Unbehaustheit" des Menschen stellen die Geschichten für den Rezensenten dar, der insbesondere Kleins Kunst, in wenigen Strichen das Raum-Zeit-Gefüge aufzulösen, bewundert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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