Der Schriftsteller und Moderator Georges Husen schildert dem Psychologen Dr. Laurent, warum er seinen Nachbarn getötet hat. Husen ist davon überzeugt, dass alle Geschehnisse auf der Welt miteinander verbunden sind und sich beeinflussen. Die sprichwörtliche umgefallene Sackkarre in China hat eben langfristig doch Einfluss auf das Geschehen in Luxemburg. Und so auch auf jene Verschwörung von Politik und Medien gegen die zeitgenössische Kunst, die in der Lombardi-Affäre gipfelt, bei der ein Museumsdirektor in einem Interview die Contenance verliert und schließlich von seinem Posten zurücktritt, die auch Husen seinen Job kostet und die ihn schließlich dazu zwingt, zu töten.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Hannah Bethke seufzt ein wenig nach der Lektüre von Guy Helmingers neuem Episodenroman. Bei aller Fantasie und durchaus vielen spannenden Figuren kann sie das Buch in Gänze dann doch nicht überzeugen. Um die "Lombardi-Affäre" des Titel geht es kaum, nicht alle Fäden des Romans werden verknüpft und so manche Figur bleibt farblos, meint die enttäuschte Kritikerin. Dennoch macht ihr die ein oder andere so bewegende wie "fesselnde" Episode Lust auf Helmingers nächstes Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2021Wir sind immer schon Literatur
Guy Helmingers Roman "Die Lombardi-Affäre"
Eines wird man dem Autor nicht vorwerfen können: Mangel an Fantasie. Es braucht nur ein Stichwort, ein Thema, einen Ort, und Guy Helminger, 1963 im luxemburgischen Esch/Alzette geboren, erfindet eine ausschweifende Geschichte nach der anderen. Jedes Ereignis löst in ihm eine weitere Assoziation aus, alles, was kommt, hat nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft, in die der allwissende Erzähler immer mal wieder hineingucken kann, und selbst der letzte narrative Winkel enthält noch weitere Abzweigungen für unbekannte Erzählstränge.
Zu jeder Figur - und es gibt in Helmingers kurzem Roman sehr viele Figuren - fällt ihm also eine neue Geschichte ein, und ob sie glaubwürdig ist oder nicht, ob sie in der Gegenwart spielt oder Jahrhunderte zurückliegt, ja ob sie überhaupt irgendeinen tieferen Sinn hat, ist bei diesem enormen Erzähldrang zweitrangig. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei der Lektüre seines Episodenromans, der scheinbar unverbundene Personen wie durch Zufall über große Umwege wieder zueinanderführt.
Es geht um Mord, den Mörder und einen Psychiater, der jenen nach seiner Tat befragt. Der Mörder wird sofort gefasst und ist der Icherzähler, ein erfolgloser Schriftsteller, verblühter Journalist aus Luxemburg und ausgesprochen redselig. Den Psychiater versieht Helminger durchgehend mit dem Titel "Dr.", als bedürfte es hier einer sozialen Distinktion.
Der Mörder hat seinen Nachbarn umgebracht, weil der ihm auf die Nerven geht. So ungefähr muss es gewesen sein, wenn man die ausschweifenden Reden des offenbar reichlich neurotischen Journalisten richtig deutet. Doch um seine Tat geht es eigentlich nur im Hintergrund. Sie ist vielmehr Ausdruck seiner festen Überzeugung, dass alles mit allem verbunden wäre, jede Handlung Folge und Ursache zugleich, jede Begegnung ein Mosaikstein im geordneten Chaos des Ganzen. Folgerichtig kann es mit einem solchen Blick auf die Welt nichts Unwichtiges geben. Alles hat Bedeutung. Für den Roman hat das fatale Konsequenzen, weil er sich in Gestalt des Icherzählers diese Weltsicht zu eigen macht. Wenn der Psychiater in seinem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, die Welt des Mörders sei überkomplex, weil er "zwischen Nebensächlichem und Hauptursachen nicht unterscheide", so gilt das auch für den Charakter der gesamten Erzählung.
Helmingers Idee ist gar nicht schlecht. Doch er verliert sich oft in Nebenhandlungen, die mitunter so fein verästelt sind, dass man beim Lesen den Überblick verliert. Zwar gelingen ihm auch sehr berührende und fesselnde Episoden wie jene vom traurigen Schicksal der Chinesin Zhang Jiu Mei, die an einen brutalen Mann gerät. Aber seine Erfindungen enthalten auch manchen Blödsinn wie die Figur einer Techno-DJane, die plötzlich die Lebensgefährtin des Icherzählers sein soll. Nichts daran ist glaubwürdig, die Beziehung ist nicht stringent konstruiert, die Erzählung stark überzeichnet und unlogisch.
Auch der Titel des Romans erschließt sich nicht, denn um die "Lombardi-Affäre" - ein hochgeschaukeltes Medienereignis im Fernsehen - geht es nur am Rande. Dadurch verpasst der Roman, der im Druckbild und Einband ausgesprochen schön aufgemacht ist, eine weitere Gelegenheit, die Fäden wieder zusammenzuziehen. Das ist schade um die Figur des Icherzählers, die scharf konturiert ist und noch in ihren zwanghaften Monologen überaus interessant. Demgegenüber bleibt die Figur des Psychiaters im Ansatz stecken; seine zurückhaltende Art, die der Journalist ein ums andere Mal durchschaut, macht durchaus neugierig, insgesamt aber bleibt sein Charakter zu blass.
Kurzweilig ist die Lektüre dennoch - und sei es nur, weil der Icherzähler sich selbst zum Gegenstand des Erzählens macht. Wir könnten uns selbst nicht außerhalb von Sprache denken, sagt er zu dem Psychiater: "Wir wären immer schon Literatur." Und was folgt aus dieser Erkenntnis? Mindestens ein nächstes Buch.
HANNAH BETHKE
Guy Helminger: "Die Lombardi-Affäre". Roman.
Capybarabooks, Mersch 2020. 135 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Guy Helmingers Roman "Die Lombardi-Affäre"
Eines wird man dem Autor nicht vorwerfen können: Mangel an Fantasie. Es braucht nur ein Stichwort, ein Thema, einen Ort, und Guy Helminger, 1963 im luxemburgischen Esch/Alzette geboren, erfindet eine ausschweifende Geschichte nach der anderen. Jedes Ereignis löst in ihm eine weitere Assoziation aus, alles, was kommt, hat nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft, in die der allwissende Erzähler immer mal wieder hineingucken kann, und selbst der letzte narrative Winkel enthält noch weitere Abzweigungen für unbekannte Erzählstränge.
Zu jeder Figur - und es gibt in Helmingers kurzem Roman sehr viele Figuren - fällt ihm also eine neue Geschichte ein, und ob sie glaubwürdig ist oder nicht, ob sie in der Gegenwart spielt oder Jahrhunderte zurückliegt, ja ob sie überhaupt irgendeinen tieferen Sinn hat, ist bei diesem enormen Erzähldrang zweitrangig. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei der Lektüre seines Episodenromans, der scheinbar unverbundene Personen wie durch Zufall über große Umwege wieder zueinanderführt.
Es geht um Mord, den Mörder und einen Psychiater, der jenen nach seiner Tat befragt. Der Mörder wird sofort gefasst und ist der Icherzähler, ein erfolgloser Schriftsteller, verblühter Journalist aus Luxemburg und ausgesprochen redselig. Den Psychiater versieht Helminger durchgehend mit dem Titel "Dr.", als bedürfte es hier einer sozialen Distinktion.
Der Mörder hat seinen Nachbarn umgebracht, weil der ihm auf die Nerven geht. So ungefähr muss es gewesen sein, wenn man die ausschweifenden Reden des offenbar reichlich neurotischen Journalisten richtig deutet. Doch um seine Tat geht es eigentlich nur im Hintergrund. Sie ist vielmehr Ausdruck seiner festen Überzeugung, dass alles mit allem verbunden wäre, jede Handlung Folge und Ursache zugleich, jede Begegnung ein Mosaikstein im geordneten Chaos des Ganzen. Folgerichtig kann es mit einem solchen Blick auf die Welt nichts Unwichtiges geben. Alles hat Bedeutung. Für den Roman hat das fatale Konsequenzen, weil er sich in Gestalt des Icherzählers diese Weltsicht zu eigen macht. Wenn der Psychiater in seinem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, die Welt des Mörders sei überkomplex, weil er "zwischen Nebensächlichem und Hauptursachen nicht unterscheide", so gilt das auch für den Charakter der gesamten Erzählung.
Helmingers Idee ist gar nicht schlecht. Doch er verliert sich oft in Nebenhandlungen, die mitunter so fein verästelt sind, dass man beim Lesen den Überblick verliert. Zwar gelingen ihm auch sehr berührende und fesselnde Episoden wie jene vom traurigen Schicksal der Chinesin Zhang Jiu Mei, die an einen brutalen Mann gerät. Aber seine Erfindungen enthalten auch manchen Blödsinn wie die Figur einer Techno-DJane, die plötzlich die Lebensgefährtin des Icherzählers sein soll. Nichts daran ist glaubwürdig, die Beziehung ist nicht stringent konstruiert, die Erzählung stark überzeichnet und unlogisch.
Auch der Titel des Romans erschließt sich nicht, denn um die "Lombardi-Affäre" - ein hochgeschaukeltes Medienereignis im Fernsehen - geht es nur am Rande. Dadurch verpasst der Roman, der im Druckbild und Einband ausgesprochen schön aufgemacht ist, eine weitere Gelegenheit, die Fäden wieder zusammenzuziehen. Das ist schade um die Figur des Icherzählers, die scharf konturiert ist und noch in ihren zwanghaften Monologen überaus interessant. Demgegenüber bleibt die Figur des Psychiaters im Ansatz stecken; seine zurückhaltende Art, die der Journalist ein ums andere Mal durchschaut, macht durchaus neugierig, insgesamt aber bleibt sein Charakter zu blass.
Kurzweilig ist die Lektüre dennoch - und sei es nur, weil der Icherzähler sich selbst zum Gegenstand des Erzählens macht. Wir könnten uns selbst nicht außerhalb von Sprache denken, sagt er zu dem Psychiater: "Wir wären immer schon Literatur." Und was folgt aus dieser Erkenntnis? Mindestens ein nächstes Buch.
HANNAH BETHKE
Guy Helminger: "Die Lombardi-Affäre". Roman.
Capybarabooks, Mersch 2020. 135 S., geb., 17,95 [Euro].
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