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Der Roman erzählt die Geschichte der Maudi Latuhr, geboren 1970 im rheintalischen Städtchen Jacobsroth. Wer ist dieses Mädchen? Ein Engel? Oder ist sie eine Luftgängerin, ein Mensch also, der nur auf sein Herz hört, der niemandem auf der Welt gehorcht, sondern tut was er will? Maudi erweist sich als geheimnisvolles Wesen, das die Menschen anrührt und Sehnsucht in ihnen entfacht. Nach "Schlafes Bruder" ist dies der zweite Roman des Robert Schneider. Er stellt sich den großen philosophischen Fragen der Gegenwart und setzt gleichzeitig mit seinen beeindruckenden Landschaftsbeschreibungen seiner rheintalischen Heimat ein Denkmal.…mehr

Produktbeschreibung
Der Roman erzählt die Geschichte der Maudi Latuhr, geboren 1970 im rheintalischen Städtchen Jacobsroth. Wer ist dieses Mädchen? Ein Engel? Oder ist sie eine Luftgängerin, ein Mensch also, der nur auf sein Herz hört, der niemandem auf der Welt gehorcht, sondern tut was er will? Maudi erweist sich als geheimnisvolles Wesen, das die Menschen anrührt und Sehnsucht in ihnen entfacht. Nach "Schlafes Bruder" ist dies der zweite Roman des Robert Schneider. Er stellt sich den großen philosophischen Fragen der Gegenwart und setzt gleichzeitig mit seinen beeindruckenden Landschaftsbeschreibungen seiner rheintalischen Heimat ein Denkmal.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.1998

Schafes Schwester
"Die Luftgängerin" - Robert Schneider lauscht der Stimme des Herzens · Von Hubert Spiegel

Dieser Roman ist eine Verlustanzeige. Auf der ersten Seite begegnen wir einem Mann, der seine Tränen verloren hat. Sein Sohn hat seine Heimat verloren, die innere, versteht sich, ein anderer vermißt seinen Herzschlag. Die Familie Latuhr beklagt den Verlust ihrer Textilfabrik, später auch ihres Heims, der "Roten Villa", dem prächtigsten Haus von Jacobsroth. Den Rhombachs, einer anderen Textilfabrikantensippe, ergeht es nicht besser. Maudi Latuhr, der "Luftgängerin" des Titels, ist sogar ihre geschlechtliche Identität abhanden gekommen; sie ist ein Mann im Körper einer Frau.

Am schlimmsten jedoch hat es den Autor selbst getroffen. Originalität und Erfindungsgabe, Sprachkraft und Bilderreichtum, das Gefühl für Rhythmus und Musikalität, für Tempo und Nuancierung der hochstilisierten Sprache, jene Tugenden also, die Robert Schneiders hochgerühmten Erstling "Schlafes Bruder" auszeichneten - alles futsch.

Die Geschichte des Ambros Bauermeister aus dem graubündischen Landquart, mit deren erstem Teil Robert Schneider seinen neuen Roman beginnen läßt, ist so schlecht erzählt, so unfertig, so gespickt mit schiefen Bildern, falschen Tönen, plumpen Wendungen und Formulierungen von unfreiwilliger Komik, daß man es kaum glauben mag: da ist Kleidung "unbedacht", die "apfelgroßen Brüste" einer jungen Kellnerin füllen sich mit "Zorn" und reifen "plötzlich", in einem Zugabteil sitzen "drei rauchende, in Gesichtszügen und glatt gescheiteltem Haar völlig gleichlautende Italiener" und dergleichen mehr.

Man kann nicht glauben, daß dieses Buch durch die Hand eines Lektors gegangen ist, er müßte denn blind oder stumm gewesen sein. Es soll jedoch Fälle geben, in denen auch ein Lektorat, das alle Sinne noch beisammen hat, nichts auszurichten vermag. In einer nachgestellten Notiz gesteht Robert Schneider freimütig, daß er allen Ratschlägen von Freunden sein Ohr verschloß, weil er "taub sein mußte, mich selbst zu hören".

So mag man sich den Dichter vorstellen: mit verstopften Ohren am heimischen Schreibtisch sitzend, den Blick ab und an auf die "schneebereiften, fünfgeschossigen Tannen" von Meschach lenkend, denen das Buch gewidmet ist, nur der inneren Stimme lauschend, die sich nicht gerade wortkarg zeigt. Auf 350 Seiten erzählt Robert Schneider die Lebensgeschichte der Maudi Latuhr, des "letzten Herzmenschen von Jacobsroth", einer merkwürdigen Heiligen, deren "einzige Aufgabe es sein sollte, in denen, welchen sie begegnete, die Sehnsucht wachzuhalten". Und weil dies keine leichte Aufgabe ist, stattet Robert Schneider seine Heldin mit verblüffenden Fähigkeiten aus und verhilft ihrzu übersinnlichen Erlebnissen. Maudi kann fliegen, zumindest erscheint es ihr so, ihr Blick läßt Erwachsene erbeben, und gelegentlich nimmt sie die Gestalt einer Riesin an, deren bloßer Anblick den Betrachter durch die Lüfte wirbelt.

Die Fähigkeiten ihres Vaters, jenes Ambros Bauermeister, in dem Robert Schneider sich eigenen Worten zufolge selbst porträtiert hat, sind etwas bescheidener ausgefallen. Ambros, erfolgloser Student der Kunstgeschichte und ein "Luftgänger" wie seine Tochter Maudi, also jemand, der niemandem gehorcht und nie Angst hat, "vor allem nicht vor sich selbst", dieser Ambros zeigt einen entschiedenen Hang zum pflanzenhaften Dämmerzustand: "Er wollte nichts. Er dachte nichts. Er atmete und war."

Für Robert Schneider ist dies der Zustand der Unschuld und des vollkommenen Glücks, in den unweigerlich gerät, wer nur seinem Herzen lauscht und sich auf die Suche macht nach seinem "Engel", der ihm vom Schicksal vorherbestimmten "Zwillingsseele", der verlorenen Hälfte. Wer dieses platonische Programm verfolgt, ist schon auf bestem Wege zum "Herzmenschentum", dem Schneider sich und sein ambitioniertes Projekt verschrieben hat: eine rheintalische Romantrilogie über die unbedingte Liebe, die die Grenzen dieser Welt aufhebt und in die Bezirke des Mystischen führt.

Sind diese Gefilde jedoch erreicht, stehen Schneiders Figuren unschlüssig herum und treten verlegen von einem Fuß auf den anderen. Die meiste Zeit ergeht es ihnen dann wie dem armen Ambros Bauermeister, als er zum Zeugen einer Vision seiner Tochter Maudi wird: "In dem kleinen Mann mit der John-Lennon-Brille wurde es auf einmal still. Er vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. Er hörte bloß Brummen. Das einförmige, hohle Brummen des Starkstroms in den Masten." So tönt noch in die schönste Epiphanie die Kakophonie der Zivilisation.

Das ist kein Zufall, denn "Die Luftgängerin" will mehr sein als eine sentimentalische Liebesgeschichte. In seinem zweiten Roman greift Schneider nach dem großen Rheintal-Epos, das über zwei Generationen hinweg eine kleine schweizerische Provinzwelt entwirft und ausschmückt. Schneider säuselt im Handke-Tonfall, bemüht ein ums andere Mal Stifters "Bunte Steine", giftet wie Botho Strauß gegen die moderne Welt und ihre mediokren Bewohner und entwickelt einen magischen Rheintal-Realismus zwischen García Márquez und Ludwig Ganghofer. Maudi Latuhr trägt unverkennbar Züge von Remedios der Schönen aus "Hundert Jahre Einsamkeit", aber wenn sie den Mund aufmacht, klingt sie wie die herzensgute Mali aus "Schloß Hubertus": "Durch die kleine weiße Stube ging auf leisen Sohlen der Engel eines großen Glückes."

Fünf Jahre nach dem staunenswerten Erfolg seines Debüts "Schlafes Bruder", das verfilmt und vertont, in zwei Dutzend Sprachen übersetzt und in 1,3 Millionen Exemplaren verkauft wurde, hat der als ebenso selbstbewußt wie exzentrisch geltende Robert Schneider einen Roman geschrieben, der nur selten, in einigen kurzen Passagen, an den Vorgänger heranreicht. Daß der Autor Erfindungsreichtum besitzt und die Fähigkeit, interessante Figuren zu schaffen und ihre Geschichten zu erzählen, verrät selbst dieses völlig mißratene Buch. Robert Schneider kann schreiben. Aber er tut es nicht.

Am wenigsten Mühe dürfte der Autor sich mit seiner Titelfigur gegeben haben. Die Luftgängerin, eine Märtyrerin der unbedingten Liebe, die sich jedem hingibt, Männern wie Frauen, den Erfolgreichen ebenso wie den Verzweifelten und Ausgestoßenen, ist ein herzensdummes Lämmchen, Schafes Schwester. Von ihr stammt der dringende Rat, auch kleinen Dingen Achtung zu erweisen: "Denn alles hatte Seele und wollte bedankt und verabschiedet sein."

Danke schön, auf Wiedersehn.

Robert Schneider: "Die Luftgängerin". Roman. Karl Blessing Verlag, München 1998. 351S., geb., 42,90 DM.

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