Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 6,55 €
  • Broschiertes Buch

Was ist das für eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Nachbarn bestialisch foltern und töten? Schüler, die Passanten auf U-Bahnsteigen zu Tode treten? Pflegerinnen, die wehrlose Alte umbringen? Öffentlichkeit und Experten stehen ratlos vor der Frage, warum ganz normale Menschen zu mitleidlosen Tätern werden. Als Reporter reiste Eugen Sorg von der Schweiz aus in Bürgerkriegs- und Krisenregionen. Überall sah er Gewalt und erlebte, wie leicht und bereitwillig Scham und Gewissen außer Kraft gesetzt werden können. Aus seinen brillant geschriebenen, sehr konkreten und erschreckenden Erfahrungen zieht Sorg den Schluss: Es gibt die Lust am Bösen.…mehr

Produktbeschreibung
Was ist das für eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Nachbarn bestialisch foltern und töten? Schüler, die Passanten auf U-Bahnsteigen zu Tode treten? Pflegerinnen, die wehrlose Alte umbringen? Öffentlichkeit und Experten stehen ratlos vor der Frage, warum ganz normale Menschen zu mitleidlosen Tätern werden. Als Reporter reiste Eugen Sorg von der Schweiz aus in Bürgerkriegs- und Krisenregionen. Überall sah er Gewalt und erlebte, wie leicht und bereitwillig Scham und Gewissen außer Kraft gesetzt werden können. Aus seinen brillant geschriebenen, sehr konkreten und erschreckenden Erfahrungen zieht Sorg den Schluss: Es gibt die Lust am Bösen.
Autorenporträt
Eugen Sorg, geboren 1949 in Zürich, arbeitete nach Studium und Promotion als Psychotherapeut, IKRK-Delegierter und seit 1992 als Journalist, zunächst viele Jahre für Das Magazin und von 2001 bis 2009 für Die Weltwoche. Heute arbeitet er als Textchef bei der Basler Zeitung. Für seine weltweit nachgedruckten Reportagen reiste er vielfach in die Bürgerkriegsgebiete an den Rändern der westlichen Welt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011

Im Bösen verdampfen alle Gründe

Eugen Sorg will zwar von Erklärungen menschlicher Grausamkeiten nichts wissen, kennt aber im Fall des radikalen Islamismus dann doch Ursachen.

Von Timo Frasch

Beginnen wir die Kritik zu Eugen Sorgs Streitschrift "Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist" mit dem Positiven - also ganz so, wie es in der Feedbackkultur der aufgeklärten Gesellschaften des Westens, die Sorg allesamt für Weicheier hält, üblich ist. Zunächst einmal ist Sorgs durchaus anregendes Buch erfahrungsgesättigt; als Kriegsreporter und einstiger Delegierter des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" hat er mit dem Guten und mehr noch mit dem Bösen zur Genüge Bekanntschaft gemacht. Das gereicht ihm so lange zum Vorteil, wie er bei der Wiedergabe der Erfahrung bleibt und stets packend aus allen möglichen Weltgegenden - Ruanda, Balkan, Schweiz - darüber berichtet, was Menschen Menschen antun können. Jedes Mal drängen sich dem Westler dann dieselben Fragen auf: Wo fing es an? Was ist passiert? Was hat sie bloß so ruiniert?

Die einzig richtige Antwort auf diese nach Sorg eigentlich schon falschen Fragen laute: Nichts hat sie so ruiniert. Warum die Vollidioten dann töten, foltern, vergewaltigen? Weil sie es können; weil sich ihnen die Gelegenheit bot; vor allem aber: weil sie es, so Sorg, geil finden. Die "äußeren Umstände" seien als Ursache nicht relevant, sie bildeten lediglich den "Rahmen, der dem Einzelnen den Reaktionsspielraum offen lässt". Es stehe also jedem jederzeit frei, sich für oder gegen das Böse zu entscheiden. Somit diene die Historisierung und Ideologisierung eines Gemetzels nicht der Wahrheitsfindung, sondern als Feigenblatt sowohl für die Täter als auch für die westlichen Beobachter, denen die aufgeklärte Moderne beigebracht habe, dass es für alles einen Grund geben muss.

Auf den ersten hundert Seiten seines Buches hebt Sorg noch die Allgegenwart des Bösen hervor: Überall kann es lauern, bei den ganz Schlauen und den ganz Dummen, zwischen Völkern, die eine lange Geschichte gegenseitiger Abneigung trennt, und zwischen ganz normalen miteinander Kaffee trinkenden Menschen, von denen schon Thomas Bernhard sagte: "Auf den ersten Eindruck haben Sie den Eindruck: lauter brave Leute. Hören Sie aber zu, entdecken Sie, dass sie nur von Ausrottung und Gaskammern träumen." Sorg schreibt von Eichmann, von S-Bahn-Schlägern, Massakern und Massenmördern, um sodann ganz genüsslich die - tatsächlich - hilflosen Versuche "der aufgeklärten Eliten" zu zitieren, das Grauen zu erklären und so ihr Weltbild vor der Konfrontation mit dem Bösen zu bewahren. Sorg war einst Psychotherapeut. Mag sein, dass er deshalb zu wissen glaubt, es bringe nichts, mit den Bösen zu sprechen, sie zu bilden, ihnen Entwicklungshilfe in den Rachen zu stopfen. Das Böse sei keine Krankheit, und die Bösen seien in aller Regel keine Psychopathen. Also könnten sie auch nicht geheilt, sondern lediglich bekämpft werden. Das Problem sei nur, dass wir keinen Begriff mehr vom Bösen haben, dass wir es nicht mehr erkennen, wenn es vor uns steht, und deshalb versäumen, ihm im Bedarfsfall eins auf die Fresse zu geben.

Spätestens hier müssen wir mit dem Negativen beginnen. Sorg nämlich versucht erst gar nicht, das Böse zu definieren. Es sei letztlich ein Rätsel, was aber zur Folge haben muss, dass man es - wenn überhaupt - erst dann erkennen kann, wenn man seiner ansichtig wird. Wie also soll sich der Westler unter diesen Voraussetzungen auf das Böse vorbereiten? Laut Sorg reicht es nicht, nur aufmerksam zu sein, vielmehr müssen wir unsere Wehrhaftigkeit steigern. Der einzige Weg, einen Krieg abzuwenden, so schreibt er mit dem Kriegstheoretiker Sun Tzu, bestehe darin, sich auf ihn vorzubereiten.

Das mag sein, auch wenn etwa die beiden Weltkriege das Gegenteil vermuten lassen. In einer anderen Sache hat Sorg jedenfalls recht: "Immer mehr Westler scheinen vergessen zu haben, dass ihre Träume einer bunten und geschwisterlichen Weltzivilisation, ihre Friedensforschungsinstitute und Menschenrechtsorganisationen aufs innigste mit der tödlich überlegenen Feuerkraft ihrer Armeen, vorab der amerikanischen, verbunden sind." Was er dabei selbst vergessen zu haben scheint: Der beste Schutz für unsere Lebensweise, gerade auch für den American way of life, ist unsere Lebensweise selbst. Diese verdankt sich nicht zuletzt unseren rechtsstaatlichen Institutionen und Verfahren, die Sorg jedoch als Symptome eines pathologischen "Therapeutismus" denunziert, so dass man sich irgendwann fragt, warum er den Westen überhaupt verteidigt sehen will.

Das eigentliche Problem des Buchs liegt aber in dessen letztem Drittel, das vom Islam handelt und in dem sich der Autor ziemlich heillos in Widersprüche verstrickt. Im Wesentlichen ist seine breitbeinige Sicht auf den Islam die Henryk Broders - der für dasselbe Blatt, die "Weltwoche", schreibt, für das auch Sorg jahrelang gearbeitet hat, und der jüngst die Vermutung äußerte, dass die britische Armee heute nicht mehr in der Lage wäre, die Schlacht von El Alamein zu gewinnen, aus lauter Angst nämlich, die Gefühle des arabischen Gegners zu verletzen. Sorg also steht dem Islam, der übrigens einen dezidierten Begriff vom Bösen hat, sehr kritisch gegenüber. Unter anderem rügt er, dass es im islamischen Recht "keine mildernden Umstände" gebe. Das überrascht. Hatte er nicht hundert Seiten lang beklagt, dass in der westlichen Welt ständig nach mildernden Umständen für Verbrechen gesucht werde?

"Bestünde zwischen sozialer Benachteiligung und Terrorneigung ein Zusammenhang", schreibt Sorg, "müsste die halbe Welt längst in Trümmern liegen." Offenbar sieht er aber sehr wohl einen Zusammenhang zwischen Terrorneigung und Islam. Der radikale Islamismus, den er bewusst nicht klar von einem gemäßigten Islam trennt, verkörpere mit seiner "antijüdischen Besessenheit" "die zeitgenössische Ideologie des Bösen", die infolge der Auflösung des Osmanischen Reichs entstanden sei. Es gibt gute Gründe, das so oder so ähnlich zu sehen. Aber hatte Sorg nicht zuvor geschrieben, dass Ideologie, Rassismus und Geschichte nie die Ursache für das Böse sein könnten? Und müsste dann, wenn Sorg recht hätte mit dem Islam und dem Terror, nicht auch die halbe Welt in Trümmern liegen? Und wenn das Böse eine bloße Frage der Gelegenheit ist, wie ist dann zu erklären, dass viele muslimische Attentäter im Westen sozialisiert wurden, in dem die Gelegenheiten zum ganz großen Bösen sicher weniger zahlreich sind als in ihren Herkunftsländern?

Am Ende des Buchs referiert Sorg zur Stützung seiner Thesen den Inhalt von Max Frischs Stück "Biedermann und die Brandstifter". Darin sagt der Brandstifter Eisenring: "Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand." Wenn das stimmt, ist das Beste, was man über Sorgs Buch sagen kann, dass es sich nicht tarnen wollte.

Eugen Sorg: "Die Lust am Bösen". Warum Gewalt nicht heilbar ist.

Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2011. 160 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Burkhard Müller hat sich mit drei Büchern an die Ergründung des Bösen gemacht, sieht sich aber zu seiner Enttäuschung nicht wirklich weitergebracht. Eugen Sorg kommt mit seinen Überlegungen zum Bösen über ein tautologisches 'Das Böse ist böse' eigentlich nicht hinaus, findet der Rezensent. So sehr er auch die Meinung des Autors teilt, dass sich wirklich böse Taten, wie die massenhaft verübten Verbrechen während der Balkankriege beispielsweise, nicht einfach historisch wegerklären lassen, so unbefriedigend findet er Sorgs wenig erhellende Beispiele weiterer Untaten der jüngeren Geschichte. Hier spürt er geradezu die Hilflosigkeit des Verfassers gegenüber der Bodenlosigkeit des Bösen. Wenn sich Sorg dann schließlich in wüstem Geschimpfe gegenüber Bösewichtern wie den iranischen Präsidenten ergeht, enthält das für Müller keinerlei "Erkenntniswert" mehr.

© Perlentaucher Medien GmbH