Hans-Olaf Henkel, einer der renommiertesten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft, erzählt sein Leben. Wie kaum ein anderer hat der langjährige IBM-Topmanager und spätere BDI-Chef die Entwicklungen der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten hautnah miterlebt und geprägt. Er erinnert sich an die zahlreichen führenden Politiker und Wirtschaftskapitäne, denen er begegnet ist, und beschreibt, wie er sich das Deutschland der Zukunft vorstellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2001Der Preis der Freiheit
Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel als sein eigener Beichtvater
Hans-Olaf Henkel: Die Macht der Freiheit. Erinnerungen. Econ Verlag, München 2000, 295 Seiten, 39,90 DM.
Da zieht einer Bilanz: Hans-Olaf Henkel, bis vor kurzem BDI-Präsident. Nicht irgendwie, sondern mit einem ambitionierten Ziel. Genaugenommen wollte Henkel, wie er gleich im ersten Satz sagt, etwas wissen - über sich selbst. Womit der Autor die Triebfeder seines Buches in die nicht ungefährliche Nähe eines psychoanalytischen Vorgangs rückt, getreu dem Grundsatz Sigmund Freuds, hier schreibe und erzähle einer "mit voller Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion".
Nun ist Henkel gewiß kein schwer leidender Neurotiker, an den Freud hierbei hätte denken können. Trotzdem, wer sich das Ziel der Selbsterfahrung setzt, wird zum eigenen weltlichen Beichtvater. An Aufrichtigkeit mangelt es dem früheren Manager und Verbandsführer wahrlich nicht. Was die Diskretion betrifft, kann man geteilter Meinung sein.
Die Berichte über seinen Vater, noch viel mehr über die exzentrische Mutter lesen sich stellenweise wie eine Abrechnung: Beide wollten zur gehobenen bürgerlichen Hamburger Gesellschaft gehören, was ihnen auch gelang. Hier, in einer heilen Puppenstubenwelt, wurde Hans-Olaf Henkel groß. Doch aus jeder Zeile dringt heraus: Es war alles andere als seine Welt. Die Flucht aus dieser für ihn skurrilen Umgebung - man lese nur die Schilderung der heimischen spiritistischen Sitzungen unter Leitung seiner Mutter - vermittelte ihm seinen roten Lebensfaden: die Suche nach Freiheit.
Wegweisend wurde ihm Thomas Manns Rede "Das Problem der Freiheit"; der Industrielle Hans Merkle hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt (übrigens hat Thomas Mann, anders als Henkel schreibt, sehr wohl diese Rede gehalten: am 23. Januar 1939 in New York). Recht banal reduziert Henkel die Überlegungen des Dichters auf die These, absolut genommen schlössen Freiheit und Gleichheit einander aus, wo sie sich doch vereinigen und wechselseitig rechtfertigen müßten. Eher hätte man erwartet, Henkel - öffentlich allemal ein streitbarer Diskutant - zitiere aus dieser Rede die Forderung nach einer "militanten Demokratie, die sich des Zweifels an sich selbst zerschlägt".
Immer wieder führt er Beispiele dafür an, welche Bedeutung die Freiheit und freiheitsliebende Menschen für ihn hatten. Es gelingt ihm, scheinbar Neben- und Gegeneinanderstehendes miteinander in Beziehung zu bringen. John F. Kennedy, Papst Johannes XXIII., Nikita Chruschtschow, Fidel Castro, Ralf Dahrendorf (er war einer der Professoren an der Hamburger Akademie für Gemeinwirtschaft, die Henkel absolvierte) waren allesamt Personen, die "meine Weltsicht prägten". Freilich nicht in blinder Gefolgschaft: Daß Castro Exilkubaner hinrichten ließ, minderte Henkels Begeisterung für ihn beträchtlich. "Wenn der Staat tötet, dann macht mich das wahnsinnig."
Henkels Weltsicht und -einordnung ist übersichtlich. Es ist nicht das verwinkelte Hin- und Herwägen von theoretischen Argumenten, das seinen Schreibstil und seine Urteile bestimmt. Er sagt und schreibt, was er denkt, klar, ohne großes Herumreden, deswegen oft auch am Rand zum Populistischen. Zum Beispiel über die Parteien im Staat: "Heute glaube ich, sie haben unseren ganzen Staat, salopp gesprochen, unter den Nagel gerissen." Man möchte zurückfragen: Und die Verbände, die Lobbyisten?
Oder man nehme das Beispiel der von Henkel als ideologisch bezeichneten Unterscheidung zwischen den Interessen der Wirtschaft und den Interessen der Gesellschaft. Es sei gerade deren angebliche Vermittlung zugunsten der Gesellschaft durch Politiker wie Helmut Kohl, Norbert Blüm und jetzt Gerhard Schröder, welche die Zukunftsfähigkeit ebendieser Gesellschaft stark eingeschränkt habe. Doch haben die Vertreter der Industrie aus Konsensgründen nicht immerhin vielem zugestimmt, über Jahrzehnte hinweg? Henkel schreibt in der Erinnerung an so manche Kanzlerrunde, gerade mit Helmut Kohl: "Ich war von Anfang an maßlos frustriert. Ich stieß gegen eine Gummiwand, griff in Watte." Doch nur wenig später widerspricht er sich selbst, bei der Darstellung der Wirkung der BDI-Arbeit auf die Politik: "Unsere Wirkung zeigt sich nicht nur im Aufbauen, sondern auch im Verhindern."
Gewiß, es gilt in keiner Weise die Abstrusitäten politischer Entscheidungen zu verbrämen. Henkel hat sich schon als Chef der IBM Deutschland viel Feind, aber auch viel Ehr damit erworben, daß er sich regelmäßig zu Wort meldete, wenn er wieder einmal Korrekturen an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anmahnte. An Vergleichen zum Ausland mangelt es ihm nach vielen Jahren in Diensten der IBM nicht. In dieser Weise sind viele seiner Beobachtungen ernst zu nehmen.
Es ist aber dann doch die Rolle des einsamen Rufers in der Wüste, dessen Worte ohne Wirkung verhallen. Auch dies zieht sich wie ein roter Faden durch Henkels Selbsterlebensbeschreibung: die Einschätzung, ein Einzelgänger zu sein. Das war bei IBM so, dem Konzern, dem er 1994 "frustriert" überraschend den Rücken kehrte, und zu BDI-Zeiten änderte sich das im Grunde auch wenig. Nicht daß es ihn wirklich belastet hätte: Henkel war seit früher Jugend gewohnt, auf eigenen Füßen zu stehen. Das prägt, es macht hart, gegen andere, nicht zuletzt auch gegen sich selbst.
Auf diesem Hintergrund sind Henkels Erinnerungen zu verstehen. Er wollte damit, wie er im Vorwort schreibt, informieren, unterhalten und wahrhaft berichten. Was den Grad an Unterhaltung angeht, ist ihm vieles gelungen: ein kurzweiliger, pointierter Stil, der manche Information an den Mann bringt. Dennoch, nicht ohne Grund hat einst Thomas Mann, um einen autobiographischen Vortrag gebeten, dankend abgelehnt: "Von meiner Zeit will ich zu Ihnen sprechen, nicht von meinem Leben." Er sah sich zu sehr in der Gefahr, damit einen Akt der Rechtfertigung, der inneren Reinigung zu vollziehen. Offenbar liegt darin der Unterschied zwischen einem Dichter und einem Manager.
HERIBERT KLEIN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel als sein eigener Beichtvater
Hans-Olaf Henkel: Die Macht der Freiheit. Erinnerungen. Econ Verlag, München 2000, 295 Seiten, 39,90 DM.
Da zieht einer Bilanz: Hans-Olaf Henkel, bis vor kurzem BDI-Präsident. Nicht irgendwie, sondern mit einem ambitionierten Ziel. Genaugenommen wollte Henkel, wie er gleich im ersten Satz sagt, etwas wissen - über sich selbst. Womit der Autor die Triebfeder seines Buches in die nicht ungefährliche Nähe eines psychoanalytischen Vorgangs rückt, getreu dem Grundsatz Sigmund Freuds, hier schreibe und erzähle einer "mit voller Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion".
Nun ist Henkel gewiß kein schwer leidender Neurotiker, an den Freud hierbei hätte denken können. Trotzdem, wer sich das Ziel der Selbsterfahrung setzt, wird zum eigenen weltlichen Beichtvater. An Aufrichtigkeit mangelt es dem früheren Manager und Verbandsführer wahrlich nicht. Was die Diskretion betrifft, kann man geteilter Meinung sein.
Die Berichte über seinen Vater, noch viel mehr über die exzentrische Mutter lesen sich stellenweise wie eine Abrechnung: Beide wollten zur gehobenen bürgerlichen Hamburger Gesellschaft gehören, was ihnen auch gelang. Hier, in einer heilen Puppenstubenwelt, wurde Hans-Olaf Henkel groß. Doch aus jeder Zeile dringt heraus: Es war alles andere als seine Welt. Die Flucht aus dieser für ihn skurrilen Umgebung - man lese nur die Schilderung der heimischen spiritistischen Sitzungen unter Leitung seiner Mutter - vermittelte ihm seinen roten Lebensfaden: die Suche nach Freiheit.
Wegweisend wurde ihm Thomas Manns Rede "Das Problem der Freiheit"; der Industrielle Hans Merkle hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt (übrigens hat Thomas Mann, anders als Henkel schreibt, sehr wohl diese Rede gehalten: am 23. Januar 1939 in New York). Recht banal reduziert Henkel die Überlegungen des Dichters auf die These, absolut genommen schlössen Freiheit und Gleichheit einander aus, wo sie sich doch vereinigen und wechselseitig rechtfertigen müßten. Eher hätte man erwartet, Henkel - öffentlich allemal ein streitbarer Diskutant - zitiere aus dieser Rede die Forderung nach einer "militanten Demokratie, die sich des Zweifels an sich selbst zerschlägt".
Immer wieder führt er Beispiele dafür an, welche Bedeutung die Freiheit und freiheitsliebende Menschen für ihn hatten. Es gelingt ihm, scheinbar Neben- und Gegeneinanderstehendes miteinander in Beziehung zu bringen. John F. Kennedy, Papst Johannes XXIII., Nikita Chruschtschow, Fidel Castro, Ralf Dahrendorf (er war einer der Professoren an der Hamburger Akademie für Gemeinwirtschaft, die Henkel absolvierte) waren allesamt Personen, die "meine Weltsicht prägten". Freilich nicht in blinder Gefolgschaft: Daß Castro Exilkubaner hinrichten ließ, minderte Henkels Begeisterung für ihn beträchtlich. "Wenn der Staat tötet, dann macht mich das wahnsinnig."
Henkels Weltsicht und -einordnung ist übersichtlich. Es ist nicht das verwinkelte Hin- und Herwägen von theoretischen Argumenten, das seinen Schreibstil und seine Urteile bestimmt. Er sagt und schreibt, was er denkt, klar, ohne großes Herumreden, deswegen oft auch am Rand zum Populistischen. Zum Beispiel über die Parteien im Staat: "Heute glaube ich, sie haben unseren ganzen Staat, salopp gesprochen, unter den Nagel gerissen." Man möchte zurückfragen: Und die Verbände, die Lobbyisten?
Oder man nehme das Beispiel der von Henkel als ideologisch bezeichneten Unterscheidung zwischen den Interessen der Wirtschaft und den Interessen der Gesellschaft. Es sei gerade deren angebliche Vermittlung zugunsten der Gesellschaft durch Politiker wie Helmut Kohl, Norbert Blüm und jetzt Gerhard Schröder, welche die Zukunftsfähigkeit ebendieser Gesellschaft stark eingeschränkt habe. Doch haben die Vertreter der Industrie aus Konsensgründen nicht immerhin vielem zugestimmt, über Jahrzehnte hinweg? Henkel schreibt in der Erinnerung an so manche Kanzlerrunde, gerade mit Helmut Kohl: "Ich war von Anfang an maßlos frustriert. Ich stieß gegen eine Gummiwand, griff in Watte." Doch nur wenig später widerspricht er sich selbst, bei der Darstellung der Wirkung der BDI-Arbeit auf die Politik: "Unsere Wirkung zeigt sich nicht nur im Aufbauen, sondern auch im Verhindern."
Gewiß, es gilt in keiner Weise die Abstrusitäten politischer Entscheidungen zu verbrämen. Henkel hat sich schon als Chef der IBM Deutschland viel Feind, aber auch viel Ehr damit erworben, daß er sich regelmäßig zu Wort meldete, wenn er wieder einmal Korrekturen an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anmahnte. An Vergleichen zum Ausland mangelt es ihm nach vielen Jahren in Diensten der IBM nicht. In dieser Weise sind viele seiner Beobachtungen ernst zu nehmen.
Es ist aber dann doch die Rolle des einsamen Rufers in der Wüste, dessen Worte ohne Wirkung verhallen. Auch dies zieht sich wie ein roter Faden durch Henkels Selbsterlebensbeschreibung: die Einschätzung, ein Einzelgänger zu sein. Das war bei IBM so, dem Konzern, dem er 1994 "frustriert" überraschend den Rücken kehrte, und zu BDI-Zeiten änderte sich das im Grunde auch wenig. Nicht daß es ihn wirklich belastet hätte: Henkel war seit früher Jugend gewohnt, auf eigenen Füßen zu stehen. Das prägt, es macht hart, gegen andere, nicht zuletzt auch gegen sich selbst.
Auf diesem Hintergrund sind Henkels Erinnerungen zu verstehen. Er wollte damit, wie er im Vorwort schreibt, informieren, unterhalten und wahrhaft berichten. Was den Grad an Unterhaltung angeht, ist ihm vieles gelungen: ein kurzweiliger, pointierter Stil, der manche Information an den Mann bringt. Dennoch, nicht ohne Grund hat einst Thomas Mann, um einen autobiographischen Vortrag gebeten, dankend abgelehnt: "Von meiner Zeit will ich zu Ihnen sprechen, nicht von meinem Leben." Er sah sich zu sehr in der Gefahr, damit einen Akt der Rechtfertigung, der inneren Reinigung zu vollziehen. Offenbar liegt darin der Unterschied zwischen einem Dichter und einem Manager.
HERIBERT KLEIN
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