Als einzige Vertreter unter den Tieren verfügen Menschen über eine ausgeprägte Fähigkeit, andere zu imitieren, und so können wir Ideen, Angewohnheiten, Fähigkeiten, Verhaltensweisen, Erfindungen, Lieder und Geschichten voneinander kopieren. All das sind Meme - Einheiten, die ähnlich wie Gene danach "streben", sich zu verbreiten und zu vermehren. Meme wetteifern darum, in so viele Gehirne wie möglich zu gelangen und sich dort zu behaupten, und diese Konkurrenz der Meme hat unseren Geist und unsere Kultur geformt. Wir sind allesamt Mem-Maschinen.
Das Buch der englischen Psychologin Susan Blackmore regt zum Nachdenken an und provoziert. Was kann die Theorie der Meme uns über die Evolution des menschlichen Gehirns und die Entwicklung der menschlichen Kultur verraten? Was haben aktuelle Ohrwürmer und Modewellen mit bedeutenden Erfindungen und Weltanschauungen gemein? Welche Rolle spielen Meme für das menschliche Bewusstsein? Ist der freie Wille eine Illusion?
Wir Menschen sind erstaunliche Wesen. Unsere Körper sind in der Evolution - genau wie die aller Tiere - durch natürliche Selektion entstanden, und doch unterscheiden wir uns von sämtlichen anderen Geschöpfen in vielfältiger Weise. Wir nutzen Sprache zur Kommunikation. Wir führen Kriege, glauben an Religionen, bestatten unsere Toten und sind bei Sex-Themen peinlich berührt. Wir sehen fern, fahren Auto und essen Eis. Warum sind wir so anders? Als einzige Vertreter unter den Tieren vermögen Menschen andere zu imitieren und können so Ideen, Angewohnheiten, Fähigkeiten, Verhaltensweisen, Erfindungen, Lieder und Geschichten untereinander kopieren. All das sind Meme, ein Begriff, den Richard Dawkins 1976 am Ende seines Buches Das egoistische Gen geprägt hat. Wie Gene sind auch Meme Replikatoren; sie wetteifern darum, in so viele Gehirne wie möglich zu gelangen, und diese Konkurrenz der Meme hat unseren Geist und unsere Kultur geformt, so wie die natürliche Selektion unsere Körper modelliert hat. Wir Menschen sind, wozu die Meme uns gemacht haben: Wir sind allesamt Mem-Maschinen.Ist die Analogie zwischen Memen und Genen überhaupt hilfreich? Führt sie uns weiter - zu starken neuen Theorien, die tatsächlich etwas Wichtiges erklären? Diese Fragen wirft Richard Dawkins in seinem Vorwort zu dem Buch auf, und seiner Ansicht nach gewinnt Susan Blackmore eben hier eigene Statur. >Sie gewöhnt uns zunächst mit einigen faszinierenden Denkanstößen an den memetischen Stil der Argumentation. Warum reden wir so viel? Warum können wir nicht aufhören zu denken? Warum schwirren uns bestimmte Melodien im Kopf herum und quälen uns bis zur Schlaflosigkeit?Ihre Antwort leitet sie in allen Fällen auf die gleiche Weise ein: "Stellen Sie sich eine Welt voller Gehirne vor, in der es weitaus mehr Meme gibt, als unterkommen können. Nun fragen Sie sich: Welche Meme werden mit größerer Wahrscheinlichkeit einen sicheren Unterschlupf finden und weiter gegebenwerden?" Die Antwort ist einleuchtend, und sie verhilft uns zu einem besseren Verständnis unserer selbst. Susan Blackmore geht geduldig und geschickt weiter vor und wendet dieselbe Methode auf immer tiefgründigere und interessantere Probleme an. Wozu ist Sprache da? Was zieht uns an unseren Geschlechtspartnern an? Warum sind wir nett zueinander? Waren Meme die Triebfeder für die rasche, massive und erstaunliche evolutionäre Vergrößerung des menschlichen Gehirns?
Das Buch der englischen Psychologin Susan Blackmore regt zum Nachdenken an und provoziert. Was kann die Theorie der Meme uns über die Evolution des menschlichen Gehirns und die Entwicklung der menschlichen Kultur verraten? Was haben aktuelle Ohrwürmer und Modewellen mit bedeutenden Erfindungen und Weltanschauungen gemein? Welche Rolle spielen Meme für das menschliche Bewusstsein? Ist der freie Wille eine Illusion?
Wir Menschen sind erstaunliche Wesen. Unsere Körper sind in der Evolution - genau wie die aller Tiere - durch natürliche Selektion entstanden, und doch unterscheiden wir uns von sämtlichen anderen Geschöpfen in vielfältiger Weise. Wir nutzen Sprache zur Kommunikation. Wir führen Kriege, glauben an Religionen, bestatten unsere Toten und sind bei Sex-Themen peinlich berührt. Wir sehen fern, fahren Auto und essen Eis. Warum sind wir so anders? Als einzige Vertreter unter den Tieren vermögen Menschen andere zu imitieren und können so Ideen, Angewohnheiten, Fähigkeiten, Verhaltensweisen, Erfindungen, Lieder und Geschichten untereinander kopieren. All das sind Meme, ein Begriff, den Richard Dawkins 1976 am Ende seines Buches Das egoistische Gen geprägt hat. Wie Gene sind auch Meme Replikatoren; sie wetteifern darum, in so viele Gehirne wie möglich zu gelangen, und diese Konkurrenz der Meme hat unseren Geist und unsere Kultur geformt, so wie die natürliche Selektion unsere Körper modelliert hat. Wir Menschen sind, wozu die Meme uns gemacht haben: Wir sind allesamt Mem-Maschinen.Ist die Analogie zwischen Memen und Genen überhaupt hilfreich? Führt sie uns weiter - zu starken neuen Theorien, die tatsächlich etwas Wichtiges erklären? Diese Fragen wirft Richard Dawkins in seinem Vorwort zu dem Buch auf, und seiner Ansicht nach gewinnt Susan Blackmore eben hier eigene Statur. >Sie gewöhnt uns zunächst mit einigen faszinierenden Denkanstößen an den memetischen Stil der Argumentation. Warum reden wir so viel? Warum können wir nicht aufhören zu denken? Warum schwirren uns bestimmte Melodien im Kopf herum und quälen uns bis zur Schlaflosigkeit?Ihre Antwort leitet sie in allen Fällen auf die gleiche Weise ein: "Stellen Sie sich eine Welt voller Gehirne vor, in der es weitaus mehr Meme gibt, als unterkommen können. Nun fragen Sie sich: Welche Meme werden mit größerer Wahrscheinlichkeit einen sicheren Unterschlupf finden und weiter gegebenwerden?" Die Antwort ist einleuchtend, und sie verhilft uns zu einem besseren Verständnis unserer selbst. Susan Blackmore geht geduldig und geschickt weiter vor und wendet dieselbe Methode auf immer tiefgründigere und interessantere Probleme an. Wozu ist Sprache da? Was zieht uns an unseren Geschlechtspartnern an? Warum sind wir nett zueinander? Waren Meme die Triebfeder für die rasche, massive und erstaunliche evolutionäre Vergrößerung des menschlichen Gehirns?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000Das Modell Urmensch
Vom Überleben des Flüchtigsten: Evolutionäre Psychologie und Memetik erforschen die Menschennatur im Zeitalter ihrer technischen Neuerfindung / Von Richard Kämmerlings
Jede Epoche hat ihre Urszene, einen Schauplatz, auf dem sich Zeitgenossenschaft in einem paradigmatischen Schnappschuß verdichtet. In den fünfziger Jahren war dieser Ort das Wohnzimmer, dessen Zentrum der Schallplattenspieler oder das Fernsehgerät als sichtbare Insignien des Wirtschaftswunders bildeten. Irgendwann in den Sechzigern stolperte der Weltgeist zu Fuß in die emblematische Szene der Demonstration. Ob Zuschauer oder Mitmarschierer, Gegenmacht oder Systemverteidiger: Der die Ideologien jeder Couleur unterlaufende gemeinsame Nenner war die individuelle Freiheit zur Wahl seines Standpunkts und seiner Lebensform. Mit dem Abklingen des emanzipatorischen Aufbruchs führte der Szenenwechsel in das Großraumbüro als Sinnbild sozialer Zwänge und ökonomischer Verteilungskämpfe.
Der Unterschied wird sichtbar im Vergleich mit jenem Raum, der in den neunziger Jahren beliebtester Aufenthaltsort des Zeitgeistes wurde: dem Club. Das Individuum bewegt sich heute im sozialen Fluidum als eine auf seine Triebnatur zurückgestutzte Sozialmonade, als ein gesättigtes, bindungsunfähiges organisches Makromolekül; eine Basis ohne Überbau, aber mit Unterleib. Politisches Denken spielt dort keine Rolle, wo das Individuum der Wünschelrute seiner Triebnatur folgt und die einzige Option die sexuelle Zuchtwahl ist.
Zu dieser Empirie, die, wenn auch keine der alltäglichen Wirklichkeit, so doch das am weitesten verbreitete Phantasma von Modernität ist, liefern die biologischen Wissenschaften die Theorie, indem sie den Menschen zurück in ein Panorama des täglichen Überlebenskampfes stellen: in die Savannen der Urzeit, wo sich in Hunderttausenden von Jahren jene psychischen Grunddispositionen entwickelt haben, die das Verhalten auch des hochzivilisierten Homo sapiens noch steuern. Speichermedium dieser Grundausstattung sind die Gene (die wir zu achtundneunzig Prozent mit unserem nächsten tierischen Verwandten, dem Schimpansen, teilen), ihr bevorzugter Erscheinungsort ist das Paarungsverhalten, das stets auf die Selektion der Erbanlagen durchschlägt.
In der Anthropologie vollzieht sich eine Rückkehr naturalistischer Konzepte. Nach den vielgescholtenen Einseitigkeiten der Soziobiologie, die mit den Arbeiten Edward O. Wilsons in den siebziger Jahren einen Höhepunkt erreichte, buchstabiert heute die evolutionäre Psychologie die menschliche Natur neu. Auf die vielen Popularisierungen der Evolutionstheorie hatte Richard Dawkins' 1976 aufgestellte These vom "egoistischen Gen" besonderen Einfluß. Die Erbanlagen selbst wurden hier zur entscheidenden Minimaleinheit des Entwicklungsprozesses, die sich der Lebewesen - und auch der Menschen - lediglich zur eigenen Reproduktion bedienten.
Die evolutionäre Psychologie beruht auf der Prämisse, daß es ein Mißverhältnis zwischen dem Tempo der biologischen Evolution und der technischen, sozialen und kulturellen Entwicklung der menschlichen Gattung gibt. Die Gene kommen mit dem Tempo des Fortschritts nicht mehr mit, so daß der Mensch sich gewissermaßen selbst überholt und in seiner natürlichen Ausstattung eine ganze Reihe Fehlanpassungen mit sich herumschleppt (etwa das Begehren nach süßen und fettigen Dingen, die einst Mangelwaren darstellten). Was unter Bedingungen des Pleistozäns einen Selektionsvorteil versprach, ragt als Relikt in die Industriegesellschaft hinein: Urmensch und Spätkultur.
In ihrem Buch "Die Macht der Meme" zieht Susan Blackmore das von Dawkins nur am Rande eingeführte Konzept des "Mem" und daran anschließende Theorien des Philosophen Daniel Dennett systematisch zur Erklärung der kulturellen Evolution heran. Meme sind replizierbare Informationseinheiten, die auf kultureller Ebene den gleichen evolutiven Mechanismen unterworfen sind wie die Gene, anders als diese aber nicht an die biologische Fortpflanzung gebunden sind, wiewohl sie sie, so Blackmores These, entscheidend beeinflussen. Es ist insofern überraschend, daß Blackmore ihren Entwurf vorwiegend am Beispiel des Paarungsverhaltens veranschaulicht und so den Menschen einmal mehr in jene "Arena" stellt, auf der sich die Männchen verschiedenster Vogelarten zur Demonstration ihres Federkleids versammeln: Was "für Zebrafinken und Schwalben" gilt, kann bei großstädtischen Nachtschwärmern nicht falsch sein. Empirisch belegte Unterschiede zwischen den Geschlechtern können tatsächlich mit verblüffender Evidenz auf biologisch begründbare "Interessensunterschiede" bei der sexuellen Auslese zurückgeführt werden. Geschlechtsspezifische Differenzen in der Bereitschaft zu sexuellen Beziehungen erklärt Blackmore zunächst konventionell-evolutionspsychologisch durch unterschiedliche Verteilung von Vorteilen bei der Fortpflanzung: "Für Männer besteht die naheliegenste Strategie zur maximalen Verbreitung ihrer Gene einfach darin, sich so oft wie möglich mit wem auch immer zu paaren", während es umgekehrt eine Tatsache sei, "daß eine Frau die Anzahl der Kinder, die sie erfolgreich aufziehen kann, nicht dadurch zu steigern vermag, daß sie sich häufiger oder mit verschiedenen Männern paart".
Die Memetik bringt Blackmore ins Spiel, um auch die Höherentwicklung der menschlichen Kultur, die Entstehung von Sprachfähigkeit und die Ausbildung leistungsfähigerer Gehirne und schließlich auch Ethik oder Religion durch die Mechanismen der Zuchtwahl zu erklären: Weil sich Meme als beliebig definierbare Informationseinheiten von der Erfindung eines Werkzeugs über ein Volkslied bis zum philosophischen System zur eigenen Verbreitung "egoistisch" Menschen heranzüchten, die besser zur Imitation ihrer Artgenossen und so zur Weitergabe geeignet sind, entwickelte sich der Mensch zum Kulturwesen. Anders als es der Volksmund will, hat nicht der dümmste, sondern der imitationsfähigste Bauer die dicksten Kartoffeln.
Doch wenn Blackmore nun mimetische Kompetenz als besonders bevorzugte Eigenschaft des Mannes (neben Potenz, Aussehen und anderem) ausmacht, wird die genetische Ausstattung auf einem Umweg wieder eingeführt: Denn was ist die Fähigkeit zur Imitation, zur Herstellung von Werkzeugen und zur Übernahme von klugen Ideen anderes als Intelligenz? Man hört gerne, daß nach der Mem-Theorie Multiplikatoren wie Schriftsteller, Journalisten und Filmstars besonders gute Chancen haben, weil die vorsintflutlichen Teile des Frauenhirns Meinungsbildung und -verbreitung offenbar für überlebenswichtig halten, doch dürfte die Überprüfung solcher Aussagen schwierig sein: "Ich vermute, daß Frauen, wenn sich dies testen ließe, unter ansonsten gleichen Umständen einen guten Memverbreiter einem lediglich reichen Mann vorziehen würden." Freiwillige vor!
Blackmores methodisches Konzept greift zu kurz. Dort wo es nicht letztlich um genetische Auslese geht, etwa bei der Entwicklung von Intelligenz und Sprachfähigkeit als allgemeine, formale Voraussetzungen von Imitationsfähigkeit, kann das Mem alleine als evolutiver Faktor gar nichts erklären. Natürlich verschaffte das Rad seinen Erfindern einen Vorteil: Doch sind deswegen schon die Menschen nur noch Vehikel der Verbreitung der Atombombe? Das ist so, als würde man den Menschen als Maschine zur Lüftung von Freizeitkleidung ansehen. So ähnlich denkt Blackmore auch: "So wurden Bücher, Telephone und Faxgeräte von den Memen zu ihrer eigenen Reproduktion geschaffen". Begründen will sie diese wie eine Verfremdungstechnik anmutende Sichtweise mit dem Selektionsdruck auf die Information, der in Richtung besserer Kopiermechanismen wirke. Merkwürdigerweise vergißt sie aber dabei ein grundlegendes Prinzip der Evolution: die Variation, die erst aus einer Vielzahl von Phänotypen einzelnen Überlebensvorteile verschafft. Wäre die Evolution in Richtung auf immer perfektere "fehlerfreie Reproduktion vorangeschritten", hätte sie gar nicht stattgefunden, und wir würden heute noch einander wie ein Einzeller dem anderen gleichen. Spätestens mit der digitalen Speicherung und Weitergabe von Informationen gibt es keine vom menschlichen Eingreifen unabhängige Variation. Wenn alle Kopien eines Mems identisch sind, hat keines einen evolutiven Vorteil. Oder andersherum: Wären wirklich die Meme die geheimen Agenten der Geschichte, dann wäre es nie zur Erfindung der Schrift oder gar der CD-ROM gekommen.
Noch verwirrender sind allerdings Blackmores Überlegungen zu Memen wie Melodien, geflügelten Worten oder literarischen Werken. Eine semiotische Betrachtungsweise würde hier ganz allgemein von Zeichen sprechen, die natürlich auf Reproduktion hin angelegt sind. Allerdings haben Zeichen nur Sinn in bestimmten Zeichensystemen. Es mag eben Kulturen geben, in denen Stäbchen zum Essen keinerlei Verbreitung finden. Sprachliche Meme sind unabhängig von ihrem Gebrauch in einem kulturellen Kontext sinnlos. So bedienen sich nicht Meme der Menschen und ihrer Kultur zur Fortpflanzung, da sie außerhalb von Kultur und unabhängig vom menschlichen Bewußtsein, für das sie etwas bedeuten, gar nicht existieren. Daß es keinen Geist ohne Meme gibt, gilt auch umgekehrt. Die Memetik lehrte so nichts anderes, als was die Anthropologie immer schon wußte: daß der Mensch mit Arnold Gehlen "von Natur aus ein Kulturwesen ist". Die Memetik erscheint so nicht als ultimativer Ausgriff biologistischen Denkens auf die Sphäre des Sozialen, sondern als Schleichweg kultureller Evolutionstheorien hin zu einer neuen Sonderstellung des Menschen, die außerhalb der Biologie und neuerdings der Robotik und Kybernetik nie jemand bestritten hat.
Die Rolle der sexuellen Zuchtwahl und die Selektionsvorteile bestimmter phänotypischer Merkmale zu betonen ist - da sie an die Reproduktion rückgebunden bleiben - von höherem Erklärungswert als der Versuch einer Entbiologisierung der Evolutionstheorie. Der Kognitionspsychologe Geoffrey Miller beharrt zu Recht darauf, daß alle Organismen durch das Nadelöhr von Zuchtwahl und Überlebenskampf müssen. Miller arbeitet mit einem konventionellen Konzept evolutionärer Psychologie, deren latenten "Puritanismus" er allerdings überwinden will. Auch er glaubt in "The Mating Mind" mit der Partnerwahl den Universalschlüssel zur menschlichen Kulturentwicklung gefunden zu haben, ohne auf die Krücken einer Memetik zurückgreifen zu müssen: Aus mehr oder weniger intelligenten Strategien der Brautwerbung habe sich die menschliche Art zu den Höhen von Kunst und Kultur vorgearbeitet. Die Musik der Beatles oder der Backstreet Boys hat sich demnach wie alle anderen zivilisatorischen Höchstleistungen herausgemendelt, weil mit kreativer Leistung Sexualpartner zu beeindrucken waren: der Homo sapiens auf Millenniums-Tournee. Sein Konzept könnte man das Groupie-Theorem nennen, klänge das nicht zu despektierlich. Denn Millers brillant erzählte Geschichte von der Entstehung der Kultur aus dem Balzverhalten hat einen überraschend hohen Erklärungswert. Indem er mit erzählerischen Mitteln - und zugegebenermaßen auch viel Phantasie - die Lebensumstände unserer Ahnen darstellt, kann er Phänomene moderner Zivilisation plausibel machen Das beginnt beim Sport als ritualisiertem Rivalenkampf und endet bei Moralvorschriften und der Begabung des Menschen mit Mitleid, Hilfsbereitschaft und Güte.
Das ist alles weit entfernt von einem "genetischen Determinismus", gegen den sich auch ein Richard Dawkins stets verwahrt hat. Wenn solchen Theorien im kulturwissenschaftlichen juste milieu der Wind eiskalt ins Gesicht bläst, so liegt das an ihrem Einspruch gegen einen radikalen Kulturalismus, der den Menschen als eine kontextuell beliebig formbare Materie denkt. Ihnen droht der Verlust ihres anthropologischen Deutungsmonopols, woraus sich der hysterische Tonfall der Polemik erklärt, der etwa einen neuen, von Hilary und Steven Rose herausgegebenen Sammelband mit Stimmen prominenter Kritiker der Evolutionspsychologie durchzieht.
Das Buch des Zoologen und Wissenschaftshistorikers Thomas P. Weber über "Darwin und die Anstifter" hebt sich durch seine Ausgewogenheit wohltuend davon ab. Ein Kapitel dieser kenntnisreichen Archäologie des Darwinismus ist der Evolutionspsychologie gewidmet, und dort wird etwa das schöne Beispiel vom viktorianischen Reverend F. O. Morris erzählt, der in seinem Buch "The History of British Birds" von 1856 seiner Gemeinde die Heckenbraunelle als leuchtendes Beispiel eines ganz der Monogamie hingegebenen Lebewesens präsentierte. Neuere Forschungen haben das in Wahrheit reichlich experimentelle Paarungsverhalten des Singvogels untersucht und je nach Umweltbedingungen verschiedene Konstellationen von bis zu zwei Männchen mit drei Weibchen beobachtet, so daß auch die Kommune I den Vogel zu ihrem Totemtier hätte küren können.
Doch auch Weber ist nicht davor gefeit, in seiner berechtigten Kritik an einzelnen Ergebnissen der evolutionären Psychologie gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten: "Die ,Natur des Menschen' ist ein Phantom, das damit auch keine ethischen oder naturrechtlichen Systeme unterstützen kann." In der ethnologischen Traditionslinie, die von Franz Boas über Margaret Mead bis zu heutigen Theorien des Multikulturalismus läuft, findet er bereits die berechtigten Einwände gegen ein evolutionäres Modell menschlicher Kulturentwicklung. Eine Anthropologie nach dem Modell des viktorianischen Evolutionismus ist aber eine künstliche Drohkulisse. Eine Einbeziehung der biologischen Basis menschlicher Kultur könnte gerade auch Argumente gegen die Diskriminierung sogenannter primitiver Kulturen liefern: Jede Kultur ist gewissermaßen unmittelbar zu Gott, insofern sie den gleichen evolutiven Abstand zum Tierreich einhält, gleichwohl dessen Erbe, wie sehr auch immer organisatorisch und technisch maskiert, in sich trägt. Gehlen hat in seiner anthropologisch fundierten Institutionentheorie diesen Abstand, der eben nicht unendlich weit, aber auch nicht vernachlässigbar ist, genau vermessen. Gerade angesichts der neuen Herausforderungen durch die Gentechnologie und künstliche Intelligenzen könnte das Festhalten an einer Natur des Menschen ein Bollwerk gegen die völlige Liberalisierung seiner artifiziellen Verbesserung sein. Wenn der Mensch ein reines Produkt seiner Kultur ist, was hindert dann die von Peter Sloterdijk beschworenen Anthropotechniker an seiner Weiterentwicklung?
Anthropologie arbeitet nicht per se einer bestimmten politischen Richtung zu. Auch die Soziobiologie oder die evolutionäre Psychologie sind nicht ohne weiteres Waffenbrüder eines totalen Determinismus, der im darwinistischen Rassenwahn enden muß. Umgekehrt stellt gerade die Besinnung auf die biologischen Grundlagen der menschlichen Gesellschaftsfähigkeit eine universalistische Schutzwand gegen segregierende, "multikulturelle" Ideologien da. Zur Menschennatur gehört auch seine biologische Ausstattung, sein Aggressionstrieb, seine Vater- und Mutterinstinkte, seine emotionale Verletzlichkeit. Den pauschalen Vorwurf der Rechtfertigung von "unmenschlichem" und gewalttätigem Verhalten kann man der evolutionären Psychologie ohnehin nicht machen.
Über das universelle Faktum der biologischen Reproduktion des Menschen ist jede Kultur an die Natur zurückgebunden. Gerade daher kommt den technischen Möglichkeiten künstlicher Befruchtung und Klonung so eine Brisanz zu, weil sich hier die Gattung von ihrer bisher unbezweifelbaren biologischen Wurzel loszulösen im Begriff ist. Spielte das anthropologische Fundament jeder Kultur schon längst keine Rolle mehr, wäre die ganze Aufregung um die menschliche Neuerschaffung seiner selbst gar nicht zu verstehen. Worin soll in einer säkularen Gesellschaft noch die Schranke bestehen, wenn nicht in der Zugehörigkeit des Menschen zu einer nicht selbst entworfenen Natur, die ihn der unbegrenzten Manipulierbarkeit entzieht?
In jeder Epoche muß der Mensch sein eigenes Verhältnis zur eigenen Animalität neu bestimmen. Es wird nicht damit getan sein, den Menschen als reines Kulturwesen zu definieren, wenn gleichzeitig das individuelle Verhalten auf die Überforderungen des Sozialen mit Regression reagiert und die Arenen der Partnerwahl und die Schauplätze offener Gewalt aufsucht. Die jüngsten, recht hilflosen Debatten der neunziger Jahre über die Wiederkehr der Gewalt im Herzen der Zivilisation sind auch Ausdruck eine Überbetonung der kulturellen Formierung, die von naturhafter Aggressivität eingeholt wird, eine Art Rache der Gene an ihrer Marginalisierung durch humanistische Idealismen. Es wird die große Herausforderung der nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte sein, das Verhältnis von Natur und Kultur, Bios und Ethos, Vererbung und Erziehung neu zu bestimmen. Wir stehen immer wieder neu vor der Frage: "Was ist der Mensch?"
Susan Blackmore: "Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist". Mit einem Vorwort von Richard Dawkins. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Niehaus-Osterloh. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000. 414 S., geb., 49,80 DM.
Geoffrey Miller: "The Mating Mind". How Sexual Choice Shaped the Evolution of Human Nature. William Heinemann, London 2000. 538 S., geb., 20,- brit. Pfund.
Hilary Rose, Steven Rose (Hrsg.): "Alas, Poor Darwin". Arguments against Evolutionary Psychology. Harmony Books, New York 2000. 346 S., geb., 25,- Dollar.
Thomas P. Weber: "Darwin und die Anstifter". Die neuen Biowissenschaften. DuMont Buchverlag, Köln 2000. 270 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Überleben des Flüchtigsten: Evolutionäre Psychologie und Memetik erforschen die Menschennatur im Zeitalter ihrer technischen Neuerfindung / Von Richard Kämmerlings
Jede Epoche hat ihre Urszene, einen Schauplatz, auf dem sich Zeitgenossenschaft in einem paradigmatischen Schnappschuß verdichtet. In den fünfziger Jahren war dieser Ort das Wohnzimmer, dessen Zentrum der Schallplattenspieler oder das Fernsehgerät als sichtbare Insignien des Wirtschaftswunders bildeten. Irgendwann in den Sechzigern stolperte der Weltgeist zu Fuß in die emblematische Szene der Demonstration. Ob Zuschauer oder Mitmarschierer, Gegenmacht oder Systemverteidiger: Der die Ideologien jeder Couleur unterlaufende gemeinsame Nenner war die individuelle Freiheit zur Wahl seines Standpunkts und seiner Lebensform. Mit dem Abklingen des emanzipatorischen Aufbruchs führte der Szenenwechsel in das Großraumbüro als Sinnbild sozialer Zwänge und ökonomischer Verteilungskämpfe.
Der Unterschied wird sichtbar im Vergleich mit jenem Raum, der in den neunziger Jahren beliebtester Aufenthaltsort des Zeitgeistes wurde: dem Club. Das Individuum bewegt sich heute im sozialen Fluidum als eine auf seine Triebnatur zurückgestutzte Sozialmonade, als ein gesättigtes, bindungsunfähiges organisches Makromolekül; eine Basis ohne Überbau, aber mit Unterleib. Politisches Denken spielt dort keine Rolle, wo das Individuum der Wünschelrute seiner Triebnatur folgt und die einzige Option die sexuelle Zuchtwahl ist.
Zu dieser Empirie, die, wenn auch keine der alltäglichen Wirklichkeit, so doch das am weitesten verbreitete Phantasma von Modernität ist, liefern die biologischen Wissenschaften die Theorie, indem sie den Menschen zurück in ein Panorama des täglichen Überlebenskampfes stellen: in die Savannen der Urzeit, wo sich in Hunderttausenden von Jahren jene psychischen Grunddispositionen entwickelt haben, die das Verhalten auch des hochzivilisierten Homo sapiens noch steuern. Speichermedium dieser Grundausstattung sind die Gene (die wir zu achtundneunzig Prozent mit unserem nächsten tierischen Verwandten, dem Schimpansen, teilen), ihr bevorzugter Erscheinungsort ist das Paarungsverhalten, das stets auf die Selektion der Erbanlagen durchschlägt.
In der Anthropologie vollzieht sich eine Rückkehr naturalistischer Konzepte. Nach den vielgescholtenen Einseitigkeiten der Soziobiologie, die mit den Arbeiten Edward O. Wilsons in den siebziger Jahren einen Höhepunkt erreichte, buchstabiert heute die evolutionäre Psychologie die menschliche Natur neu. Auf die vielen Popularisierungen der Evolutionstheorie hatte Richard Dawkins' 1976 aufgestellte These vom "egoistischen Gen" besonderen Einfluß. Die Erbanlagen selbst wurden hier zur entscheidenden Minimaleinheit des Entwicklungsprozesses, die sich der Lebewesen - und auch der Menschen - lediglich zur eigenen Reproduktion bedienten.
Die evolutionäre Psychologie beruht auf der Prämisse, daß es ein Mißverhältnis zwischen dem Tempo der biologischen Evolution und der technischen, sozialen und kulturellen Entwicklung der menschlichen Gattung gibt. Die Gene kommen mit dem Tempo des Fortschritts nicht mehr mit, so daß der Mensch sich gewissermaßen selbst überholt und in seiner natürlichen Ausstattung eine ganze Reihe Fehlanpassungen mit sich herumschleppt (etwa das Begehren nach süßen und fettigen Dingen, die einst Mangelwaren darstellten). Was unter Bedingungen des Pleistozäns einen Selektionsvorteil versprach, ragt als Relikt in die Industriegesellschaft hinein: Urmensch und Spätkultur.
In ihrem Buch "Die Macht der Meme" zieht Susan Blackmore das von Dawkins nur am Rande eingeführte Konzept des "Mem" und daran anschließende Theorien des Philosophen Daniel Dennett systematisch zur Erklärung der kulturellen Evolution heran. Meme sind replizierbare Informationseinheiten, die auf kultureller Ebene den gleichen evolutiven Mechanismen unterworfen sind wie die Gene, anders als diese aber nicht an die biologische Fortpflanzung gebunden sind, wiewohl sie sie, so Blackmores These, entscheidend beeinflussen. Es ist insofern überraschend, daß Blackmore ihren Entwurf vorwiegend am Beispiel des Paarungsverhaltens veranschaulicht und so den Menschen einmal mehr in jene "Arena" stellt, auf der sich die Männchen verschiedenster Vogelarten zur Demonstration ihres Federkleids versammeln: Was "für Zebrafinken und Schwalben" gilt, kann bei großstädtischen Nachtschwärmern nicht falsch sein. Empirisch belegte Unterschiede zwischen den Geschlechtern können tatsächlich mit verblüffender Evidenz auf biologisch begründbare "Interessensunterschiede" bei der sexuellen Auslese zurückgeführt werden. Geschlechtsspezifische Differenzen in der Bereitschaft zu sexuellen Beziehungen erklärt Blackmore zunächst konventionell-evolutionspsychologisch durch unterschiedliche Verteilung von Vorteilen bei der Fortpflanzung: "Für Männer besteht die naheliegenste Strategie zur maximalen Verbreitung ihrer Gene einfach darin, sich so oft wie möglich mit wem auch immer zu paaren", während es umgekehrt eine Tatsache sei, "daß eine Frau die Anzahl der Kinder, die sie erfolgreich aufziehen kann, nicht dadurch zu steigern vermag, daß sie sich häufiger oder mit verschiedenen Männern paart".
Die Memetik bringt Blackmore ins Spiel, um auch die Höherentwicklung der menschlichen Kultur, die Entstehung von Sprachfähigkeit und die Ausbildung leistungsfähigerer Gehirne und schließlich auch Ethik oder Religion durch die Mechanismen der Zuchtwahl zu erklären: Weil sich Meme als beliebig definierbare Informationseinheiten von der Erfindung eines Werkzeugs über ein Volkslied bis zum philosophischen System zur eigenen Verbreitung "egoistisch" Menschen heranzüchten, die besser zur Imitation ihrer Artgenossen und so zur Weitergabe geeignet sind, entwickelte sich der Mensch zum Kulturwesen. Anders als es der Volksmund will, hat nicht der dümmste, sondern der imitationsfähigste Bauer die dicksten Kartoffeln.
Doch wenn Blackmore nun mimetische Kompetenz als besonders bevorzugte Eigenschaft des Mannes (neben Potenz, Aussehen und anderem) ausmacht, wird die genetische Ausstattung auf einem Umweg wieder eingeführt: Denn was ist die Fähigkeit zur Imitation, zur Herstellung von Werkzeugen und zur Übernahme von klugen Ideen anderes als Intelligenz? Man hört gerne, daß nach der Mem-Theorie Multiplikatoren wie Schriftsteller, Journalisten und Filmstars besonders gute Chancen haben, weil die vorsintflutlichen Teile des Frauenhirns Meinungsbildung und -verbreitung offenbar für überlebenswichtig halten, doch dürfte die Überprüfung solcher Aussagen schwierig sein: "Ich vermute, daß Frauen, wenn sich dies testen ließe, unter ansonsten gleichen Umständen einen guten Memverbreiter einem lediglich reichen Mann vorziehen würden." Freiwillige vor!
Blackmores methodisches Konzept greift zu kurz. Dort wo es nicht letztlich um genetische Auslese geht, etwa bei der Entwicklung von Intelligenz und Sprachfähigkeit als allgemeine, formale Voraussetzungen von Imitationsfähigkeit, kann das Mem alleine als evolutiver Faktor gar nichts erklären. Natürlich verschaffte das Rad seinen Erfindern einen Vorteil: Doch sind deswegen schon die Menschen nur noch Vehikel der Verbreitung der Atombombe? Das ist so, als würde man den Menschen als Maschine zur Lüftung von Freizeitkleidung ansehen. So ähnlich denkt Blackmore auch: "So wurden Bücher, Telephone und Faxgeräte von den Memen zu ihrer eigenen Reproduktion geschaffen". Begründen will sie diese wie eine Verfremdungstechnik anmutende Sichtweise mit dem Selektionsdruck auf die Information, der in Richtung besserer Kopiermechanismen wirke. Merkwürdigerweise vergißt sie aber dabei ein grundlegendes Prinzip der Evolution: die Variation, die erst aus einer Vielzahl von Phänotypen einzelnen Überlebensvorteile verschafft. Wäre die Evolution in Richtung auf immer perfektere "fehlerfreie Reproduktion vorangeschritten", hätte sie gar nicht stattgefunden, und wir würden heute noch einander wie ein Einzeller dem anderen gleichen. Spätestens mit der digitalen Speicherung und Weitergabe von Informationen gibt es keine vom menschlichen Eingreifen unabhängige Variation. Wenn alle Kopien eines Mems identisch sind, hat keines einen evolutiven Vorteil. Oder andersherum: Wären wirklich die Meme die geheimen Agenten der Geschichte, dann wäre es nie zur Erfindung der Schrift oder gar der CD-ROM gekommen.
Noch verwirrender sind allerdings Blackmores Überlegungen zu Memen wie Melodien, geflügelten Worten oder literarischen Werken. Eine semiotische Betrachtungsweise würde hier ganz allgemein von Zeichen sprechen, die natürlich auf Reproduktion hin angelegt sind. Allerdings haben Zeichen nur Sinn in bestimmten Zeichensystemen. Es mag eben Kulturen geben, in denen Stäbchen zum Essen keinerlei Verbreitung finden. Sprachliche Meme sind unabhängig von ihrem Gebrauch in einem kulturellen Kontext sinnlos. So bedienen sich nicht Meme der Menschen und ihrer Kultur zur Fortpflanzung, da sie außerhalb von Kultur und unabhängig vom menschlichen Bewußtsein, für das sie etwas bedeuten, gar nicht existieren. Daß es keinen Geist ohne Meme gibt, gilt auch umgekehrt. Die Memetik lehrte so nichts anderes, als was die Anthropologie immer schon wußte: daß der Mensch mit Arnold Gehlen "von Natur aus ein Kulturwesen ist". Die Memetik erscheint so nicht als ultimativer Ausgriff biologistischen Denkens auf die Sphäre des Sozialen, sondern als Schleichweg kultureller Evolutionstheorien hin zu einer neuen Sonderstellung des Menschen, die außerhalb der Biologie und neuerdings der Robotik und Kybernetik nie jemand bestritten hat.
Die Rolle der sexuellen Zuchtwahl und die Selektionsvorteile bestimmter phänotypischer Merkmale zu betonen ist - da sie an die Reproduktion rückgebunden bleiben - von höherem Erklärungswert als der Versuch einer Entbiologisierung der Evolutionstheorie. Der Kognitionspsychologe Geoffrey Miller beharrt zu Recht darauf, daß alle Organismen durch das Nadelöhr von Zuchtwahl und Überlebenskampf müssen. Miller arbeitet mit einem konventionellen Konzept evolutionärer Psychologie, deren latenten "Puritanismus" er allerdings überwinden will. Auch er glaubt in "The Mating Mind" mit der Partnerwahl den Universalschlüssel zur menschlichen Kulturentwicklung gefunden zu haben, ohne auf die Krücken einer Memetik zurückgreifen zu müssen: Aus mehr oder weniger intelligenten Strategien der Brautwerbung habe sich die menschliche Art zu den Höhen von Kunst und Kultur vorgearbeitet. Die Musik der Beatles oder der Backstreet Boys hat sich demnach wie alle anderen zivilisatorischen Höchstleistungen herausgemendelt, weil mit kreativer Leistung Sexualpartner zu beeindrucken waren: der Homo sapiens auf Millenniums-Tournee. Sein Konzept könnte man das Groupie-Theorem nennen, klänge das nicht zu despektierlich. Denn Millers brillant erzählte Geschichte von der Entstehung der Kultur aus dem Balzverhalten hat einen überraschend hohen Erklärungswert. Indem er mit erzählerischen Mitteln - und zugegebenermaßen auch viel Phantasie - die Lebensumstände unserer Ahnen darstellt, kann er Phänomene moderner Zivilisation plausibel machen Das beginnt beim Sport als ritualisiertem Rivalenkampf und endet bei Moralvorschriften und der Begabung des Menschen mit Mitleid, Hilfsbereitschaft und Güte.
Das ist alles weit entfernt von einem "genetischen Determinismus", gegen den sich auch ein Richard Dawkins stets verwahrt hat. Wenn solchen Theorien im kulturwissenschaftlichen juste milieu der Wind eiskalt ins Gesicht bläst, so liegt das an ihrem Einspruch gegen einen radikalen Kulturalismus, der den Menschen als eine kontextuell beliebig formbare Materie denkt. Ihnen droht der Verlust ihres anthropologischen Deutungsmonopols, woraus sich der hysterische Tonfall der Polemik erklärt, der etwa einen neuen, von Hilary und Steven Rose herausgegebenen Sammelband mit Stimmen prominenter Kritiker der Evolutionspsychologie durchzieht.
Das Buch des Zoologen und Wissenschaftshistorikers Thomas P. Weber über "Darwin und die Anstifter" hebt sich durch seine Ausgewogenheit wohltuend davon ab. Ein Kapitel dieser kenntnisreichen Archäologie des Darwinismus ist der Evolutionspsychologie gewidmet, und dort wird etwa das schöne Beispiel vom viktorianischen Reverend F. O. Morris erzählt, der in seinem Buch "The History of British Birds" von 1856 seiner Gemeinde die Heckenbraunelle als leuchtendes Beispiel eines ganz der Monogamie hingegebenen Lebewesens präsentierte. Neuere Forschungen haben das in Wahrheit reichlich experimentelle Paarungsverhalten des Singvogels untersucht und je nach Umweltbedingungen verschiedene Konstellationen von bis zu zwei Männchen mit drei Weibchen beobachtet, so daß auch die Kommune I den Vogel zu ihrem Totemtier hätte küren können.
Doch auch Weber ist nicht davor gefeit, in seiner berechtigten Kritik an einzelnen Ergebnissen der evolutionären Psychologie gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten: "Die ,Natur des Menschen' ist ein Phantom, das damit auch keine ethischen oder naturrechtlichen Systeme unterstützen kann." In der ethnologischen Traditionslinie, die von Franz Boas über Margaret Mead bis zu heutigen Theorien des Multikulturalismus läuft, findet er bereits die berechtigten Einwände gegen ein evolutionäres Modell menschlicher Kulturentwicklung. Eine Anthropologie nach dem Modell des viktorianischen Evolutionismus ist aber eine künstliche Drohkulisse. Eine Einbeziehung der biologischen Basis menschlicher Kultur könnte gerade auch Argumente gegen die Diskriminierung sogenannter primitiver Kulturen liefern: Jede Kultur ist gewissermaßen unmittelbar zu Gott, insofern sie den gleichen evolutiven Abstand zum Tierreich einhält, gleichwohl dessen Erbe, wie sehr auch immer organisatorisch und technisch maskiert, in sich trägt. Gehlen hat in seiner anthropologisch fundierten Institutionentheorie diesen Abstand, der eben nicht unendlich weit, aber auch nicht vernachlässigbar ist, genau vermessen. Gerade angesichts der neuen Herausforderungen durch die Gentechnologie und künstliche Intelligenzen könnte das Festhalten an einer Natur des Menschen ein Bollwerk gegen die völlige Liberalisierung seiner artifiziellen Verbesserung sein. Wenn der Mensch ein reines Produkt seiner Kultur ist, was hindert dann die von Peter Sloterdijk beschworenen Anthropotechniker an seiner Weiterentwicklung?
Anthropologie arbeitet nicht per se einer bestimmten politischen Richtung zu. Auch die Soziobiologie oder die evolutionäre Psychologie sind nicht ohne weiteres Waffenbrüder eines totalen Determinismus, der im darwinistischen Rassenwahn enden muß. Umgekehrt stellt gerade die Besinnung auf die biologischen Grundlagen der menschlichen Gesellschaftsfähigkeit eine universalistische Schutzwand gegen segregierende, "multikulturelle" Ideologien da. Zur Menschennatur gehört auch seine biologische Ausstattung, sein Aggressionstrieb, seine Vater- und Mutterinstinkte, seine emotionale Verletzlichkeit. Den pauschalen Vorwurf der Rechtfertigung von "unmenschlichem" und gewalttätigem Verhalten kann man der evolutionären Psychologie ohnehin nicht machen.
Über das universelle Faktum der biologischen Reproduktion des Menschen ist jede Kultur an die Natur zurückgebunden. Gerade daher kommt den technischen Möglichkeiten künstlicher Befruchtung und Klonung so eine Brisanz zu, weil sich hier die Gattung von ihrer bisher unbezweifelbaren biologischen Wurzel loszulösen im Begriff ist. Spielte das anthropologische Fundament jeder Kultur schon längst keine Rolle mehr, wäre die ganze Aufregung um die menschliche Neuerschaffung seiner selbst gar nicht zu verstehen. Worin soll in einer säkularen Gesellschaft noch die Schranke bestehen, wenn nicht in der Zugehörigkeit des Menschen zu einer nicht selbst entworfenen Natur, die ihn der unbegrenzten Manipulierbarkeit entzieht?
In jeder Epoche muß der Mensch sein eigenes Verhältnis zur eigenen Animalität neu bestimmen. Es wird nicht damit getan sein, den Menschen als reines Kulturwesen zu definieren, wenn gleichzeitig das individuelle Verhalten auf die Überforderungen des Sozialen mit Regression reagiert und die Arenen der Partnerwahl und die Schauplätze offener Gewalt aufsucht. Die jüngsten, recht hilflosen Debatten der neunziger Jahre über die Wiederkehr der Gewalt im Herzen der Zivilisation sind auch Ausdruck eine Überbetonung der kulturellen Formierung, die von naturhafter Aggressivität eingeholt wird, eine Art Rache der Gene an ihrer Marginalisierung durch humanistische Idealismen. Es wird die große Herausforderung der nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte sein, das Verhältnis von Natur und Kultur, Bios und Ethos, Vererbung und Erziehung neu zu bestimmen. Wir stehen immer wieder neu vor der Frage: "Was ist der Mensch?"
Susan Blackmore: "Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist". Mit einem Vorwort von Richard Dawkins. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Niehaus-Osterloh. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000. 414 S., geb., 49,80 DM.
Geoffrey Miller: "The Mating Mind". How Sexual Choice Shaped the Evolution of Human Nature. William Heinemann, London 2000. 538 S., geb., 20,- brit. Pfund.
Hilary Rose, Steven Rose (Hrsg.): "Alas, Poor Darwin". Arguments against Evolutionary Psychology. Harmony Books, New York 2000. 346 S., geb., 25,- Dollar.
Thomas P. Weber: "Darwin und die Anstifter". Die neuen Biowissenschaften. DuMont Buchverlag, Köln 2000. 270 S., geb., 39,80 DM.
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"Gut verständlich geschrieben, auch für Laien faszinierend." - ekz-Informationsdienst
"sehr verstänldich und leicht lesendes Buch. (...) lesenswert und interessant." - www.media-mania.de
"Ein aufs Ganze gehendes Buch." - FAZ
"Susan Blackmores Die Macht der Meme bietet alles, was ein wissenschaftliches Buch populär macht: persönlich gefärbte Anekdoten, eine anschaulich dargestellte, flott geschriebene Theorie, die von einer zentralen These ausgeht und hier und da ein bisschen Kulturkritik mit einfließen lässt." - literaturkritik.de
"Susan Blackmore schreibt leichtfüßig und witzig. Sie kennt sich nicht nur in Biologie und Psychologie gut aus." - Natur & Kosmos
"Der Autorin gelingt es durch ihre angenehm lockere Sprache und einprägsame Beispiele, die auf den ersten Blick seltsam anmutende These von den sich selbst replizierenden Informationseinheiten nachvollziehbar zu machen. Sie provoziert zum Nachdenken, indem sie scheinbare Selbstverständlichkeiten hinterfragt ... und kommt dabei zu überraschenden Deutungen. ... Fassen wir zusammen: Susan Blackmore ist ein außergewöhnlich spannendes Buch gelungen, das sowohl Laien faszinieren als auch Forschern neue Perspektiven aufzeigen kann." - Pro Zukunft
"Studenten der Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Kommunikationswissenschaften und Wirtschaft werden ihr Buch als Schatztruhe voller Forschungsideen empfinden." - amazon.de
"Ein originelles Buch." - Bild der Wissenschaft
"Bemerkenswert!" - Times Literary Supplement
"Jede Theorie verdient ihre beste Darstellung, und eben dies ist Susan Blackmore für die Theorie der Meme gelungen (...) Ich bin hocherfreut, ihr Buch zu empfehlen." - Richard Dawkins
"Jeder, der hofft - oder fürchtet -, dass sich die Memetik zu einer Wissenschaft der Kultur entwickelt, wird in dieser sicher angelegten Erkundung ihrer Perspektiven einen wahren Augenöffner finden." - Daniel Dennett
"Blackmore (...) legt diese Theorie in sehr geschliffenem Stil dar, mit Beispielen und Anekdoten, die lebendig, informativ und manchmal geradezu charmant sind. Dies ist eines jener seltenen Wissenschaftssachbücher, die eine neue Theorie für den Laien präsentieren, aber zugleich originäre Ideen für eine wissenschaftliche Debatte liefern. Diese Veröffentlichung ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Wissenschaft der Memetik erwachsen geworden ist." - Library Journal
"Gut geschrieben und sympathisch, liefert dieses provokative Buch eine überzeugende (...) Argumentation für das Konzept der Meme und für die Bedeutung seiner Auswirkungen auf die menschliche Kultur." - Publishers Weekly
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Gut verständlich geschrieben, auch für Laien faszinierend. (ekz-Informationsdienst)
sehr verständlich und leicht lesendes Buch. (...) lesenswert und interessant. (media-mania.de)
Susan Blackmores Die Macht der Meme bietet alles, was ein wissenschaftliches Buch populär macht: persönlich gefärbte Anekdoten, eine anschaulich dargestellte, flott geschriebene Theorie, die von einer zentralen These ausgeht und hier und da ein bisschen Kulturkritik mit einfließen lässt. (literaturkritik.de)
Susan Blackmore schreibt leichtfüßig und witzig. Sie kennt sich nicht nur in Biologie und Psychologie gut aus. (Natur & Kosmos)
Der Autorin gelingt es durch ihre angenehm lockere Sprache und einprägsame Beispiele, die auf den ersten Blick seltsam anmutende These von den sich selbst replizierenden Informationseinheiten nachvollziehbar zu machen. Sie provoziert zum Nachdenken, indem sie scheinbare Selbstverständlichkeiten hinterfragt ... und kommt dabei zu überraschenden Deutungen. ... Fassen wir zusammen: Susan Blackmore ist ein außergewöhnlich spannendes Buch gelungen, das sowohl Laien faszinieren als auch Forschern neue Perspektiven aufzeigen kann. (Pro Zukunft)
Studenten der Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Kommunikationswissenschaften und Wirtschaft werden ihr Buch als Schatztruhe voller Forschungsideen empfinden. amazon.de Ein originelles Buch. (Bild der Wissenschaft)
Bemerkenswert! (Times Literary Supplement)
Jede Theorie verdient ihre beste Darstellung, und eben dies ist Susan Blackmore für die Theorie der Meme gelungen (...) Ich bin hocherfreut, ihr Buch zu empfehlen. (Richard Dawkins)
Jeder, der hofft - oder fürchtet -, dass sich die Memetik zu einer Wissenschaft der Kultur entwickelt, wird in dieser sicher angelegten Erkundung ihrer Perspektiven einen wahren Augenöffner finden. (Daniel Dennett)
Blackmore (...) legt diese Theorie in sehr geschliffenem Stil dar, mit Beispielen undAnekdoten, die lebendig, informativ und manchmal geradezu charmant sind. Dies ist eines jener seltenen Wissenschaftssachbücher, die eine neue Theorie für den Laien präsentieren, aber zugleich originäre Ideen für eine wissenschaftliche Debatte liefern. Diese Veröffentlichung ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Wissenschaft der Memetik erwachsen geworden ist. (Library Journal)
Gut geschrieben und sympathisch, liefert dieses provokative Buch eine überzeugende (...) Argumentation für das Konzept der Meme und für die Bedeutung seiner Auswirkungen auf die menschliche Kultur. (Publishers Weekly)
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