Bernhard Jussen hat eine Gruppe international renommierter Historiker versammelt, mit denen er gemeinsam entscheidende Probleme in der Geschichte der europäischen Königsherrschaft untersucht. Anhand zentraler Quellen, die von den Tagen der Völkerwanderungszeit bis ins 19. Jahrhundert reichen, werden die wichtigsten Weg- und Wendemarken in der Entwicklung des europäischen Königtums - beispielsweise das Verhältnis des Herrschers zu Adel, Kirche, Militär, Städten und Bürgertum - vorgestellt und die dabei auftretenden Konflikte sowie die Versuche, sie zu lösen, analysiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2006Und nach einigem Zögern sagten dann alle miteinander: Oy, oy, oy!
Die Byzantiner hätten darüber nur den Kopf geschüttelt: Historiker klären in vorbildhaften Fallstudien, was es mit der Macht des Königs in Europa auf sich hatte
Am Michaelistag, dem 29. September 1399, erklärte König Richard II. von England im Londoner Tower seine Abdankung. Bei Shakespeare, der die Szene zweihundert Jahre später nachstellte, wirft Richard seinen Herzögen zunächst stolz die Krone vor die Füße: "Merkt auf, wie ich mich nun vernichten will! / Die schwere Last geb' ich von meinem Haupt, / Das unbeholfne Zepter aus der Hand." Doch dann erkennt er die Tragweite seines Handelns: "So find ich mich Verräter wie die andern, / Denn meine Seele hat hier eingewilligt, / Den Schmuck von eines Königs Leib zu streifen, / Zur Schmach die Glorie, stolze Majestät / zum Knecht zu machen." Schließlich zerschmettert er sogar den Spiegel, den man ihm reicht: "Hinfällig wie der Glanz ist das Gesicht."
Für Ernst Kantorowicz, dessen Studie über "Die zwei Körper des Königs" ein halbes Jahrhundert alt ist, war Shakespeares Stück die dramatische Entfaltung seiner These von der Doppelnatur des Königtums. Der Dichter habe "die Metapher unsterblich gemacht", mit der sich sterbliche Juristen im Kampf um die Legitimierung königlicher Ansprüche und Entscheidungen geraume Zeit herumschlugen. Jene frühneuzeitlichen Monarchen Europas, die als Stellvertreter Gottes auf Erden zu regieren begehrten, hätten in "Richard II." das Memento mori ihrer Herrschaft nachlesen können.
In dem von Bernhard Jussen herausgegebenen Buch wird Kantorowicz nicht erwähnt. Dennoch spukt sein Theorem von den "zwei Körpern" durch viele Aufsätze, nicht zuletzt durch jenen, der sich mit dem Sturz Richards II. beschäftigt. Der Göttinger Historiker Frank Rexroth zitiert den Bericht eines Waliser Chronisten über das Ereignis als Beleg für seine These, der englische Adel habe durch die mehrfach vollzogene feierliche Abdankung einen "Überschuß an möglichen Lesarten" erzeugt, mit dem er sich gegen Regreßansprüche des Königs und seiner europäischen Verbündeten absicherte. Richard mußte nicht nur vor den hohen Würdenträgern seines Reichs, sondern auch vor dem Parlament seinen Verzicht auf den Thron erklären; zugleich wurde sein Königsring dem Herzog von Lancaster überbracht, dem späteren Heinrich IV., dem die Versammelten durch ein lautes "Oy, oy, oy!" huldigten. Daß dabei, wie später noch oft im fünfzehnten Jahrhundert, offen von "depositio", Absetzung, gesprochen wurde, zeigt eine Veränderung im Begriff des Königtums an. Das Glück des Monarchen, das Königsheil, war im Spätmittelalter nicht mehr fest mit dem Heil seines Reichs verbunden, die Dynastie konnte wechseln, ohne daß der Staat Schaden nahm. Doch der gestürzte Richard hielt an der Zweinaturentheorie fest, wie eine Episode aus seiner Haft in Pontefract zeigt, die er nicht lang überlebte. Seine Salbung, die spirituelle Würde des Königs, habe er nicht widerrufen können, erklärte der König einem Besucher. Als dieser die Abdankung erwähnte, "lächelte Richard wie einer, der ohnehin nicht damit gerechnet hatte, verstanden zu werden".
Bernhard Jussen hat seinem Königsbuch ein rigides herausgeberisches Konzept verpaßt. Keiner der 26 Aufsätze ist länger als zwanzig Seiten, und jeder beginnt mit einem Quellenzitat, so daß man den beteiligten Historikern bei der Arbeit am Text zusehen kann. Alle Beiträge besitzen ein hohes sprachliches Niveau. Jussen selbst gibt mit der Interpretation einer Schlüsselstelle aus den "Zehn Büchern Geschichte" des Gregor von Tours ein Musterbeispiel der Verschmelzung quellenkritischer, struktur- und mentalitätshistorischer Ansätze.
Gregors böswillige Karikatur des westfränkischen Königs Chilperich ist, wie Jussen zeigt, ein politisches Kampfmittel im Ringen um die Neudefinition der Königsherrschaft, die sich seit der Völkerwanderung, als der "magister militum" den römischen Kaiser absetzte, sowohl vom Imperium Romanum als auch vom germanischen Stammesverband gelöst hat. Chilperich, der lateinische Gedichte schreibt und Wagenrennen im byzantinischen Stil veranstaltet, will sein Königsein dem Deutungsmonopol der Christen entreißen und wird dafür vom geschichtsschreibenden Bischof von Tours lächerlich gemacht. Beide leben, so Jussen, in einer "politischen Situation der semantischen Orientierungslosigkeit". Erst viele Jahrhunderte später, nach endlosen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser, Adelsmacht und Zentralgewalt, Wahl- und Erbmonarchie, wird sich das Verhältnis zwischen Königtum und Kirche halbwegs eingependelt haben.
In der langen Epoche zwischen Chilperich und Karl V. aber ist der König, gerade weil sein politisches Charakterbild schwankt, die bestimmende Figur der europäischen Geschichte. Drei Viertel der Aufsätze des Bandes handeln von dieser Zeit. Sie zeigen, "Wie die Kommunen das Königtum herausforderten" (durch Mauern und Eide) und "Wo man im Mittelalter zwei Herren dienen konnte" (durch geschickt formulierte Verträge), oder erklären, "Warum es das Reich der Franken nicht gegeben hat" (weil "regnum" kein feststehendes Territorium, sondern ein persönlicher Herrschaftsbereich war). Der indikativische Gestus der Überschriften ist Programm: Es geht um eine Anleitung zum Verstehen von Geschichte, ob als Ereignis, Person oder Text.
Dabei tritt das Individuelle gewöhnlich hinter dem Text- und Strukturhaften zurück, so wenn Heribert Müller schildert, wie Karl der Kühne von Burgund 1473 in Trier seine Hoffnungen auf eine Königskrone von Friedrichs III. Gnaden begraben mußte. Der Kaiser konnte den Herzog nicht krönen, ohne seine Kurfürsten zu fragen, und diese konnten keinen burgundischen König dulden, ohne ihre Macht zu schmälern. So nahm Friedrich im Morgengrauen das Schiff nach Koblenz und entzog sich der Peinlichkeit, den mächtigsten Vasallen des Reiches zu kränken, durch die Flucht.
Eine Ausgangsidee des Buches, schreibt Jussen im Vorwort, bestand darin, "die Problemtypen nicht an dem je berühmtesten Fall abzuarbeiten", also nicht von den Staufern, von Johann Ohneland oder Philipp von Spanien, sondern nur von ihresgleichen zu reden. Das hat seine Vorteile, weil an den kleineren geschichtlichen Figuren und Ereignissen, an Alfons von Kastilien oder der Florentiner Belagerung von 1530, das Typische oft schärfer hervortritt als an den Heldengestalten der Ritterfilme und -romane. Aber es bleibt ein Manko, daß weder der Englische Bürgerkrieg (der 1649 mit der Hinrichtung von Karl I. endete) noch die Französische Revolution vorkommen, zumal mit der Kaiserkrönung Karls des Großen, der Gefangensetzung Maximilians I. 1488 in Brügge und der Machtergreifung Ludwigs XIV. im Jahr 1661 doch drei berühmte Beispiele von Königsherrschaft behandelt werden.
Am besten aufgegangen ist das Konzept der über Bande gespielten historischen Analyse in Marie Theres Fögens Essay über einen Canossa-Fall in Byzanz. Michael Paläologos, der Begründer der Dynastie, hatte seine Kaiserwürde durch Kaltstellung und Blendung des legitimen Thronfolgers Johannes IV. Laskaris errungen. Der Patriarch von Konstantinopel, Arsenios, exkommunizierte ihn dafür. Michael entschloß sich zu einem Bittgang. Er warf sich dem Patriarchen zu Füßen und hielt ihm sein Schwert hin. Dieser wollte es ergreifen, Michael stieß ihn zurück. Die Begegnung endete ergebnislos, der Paläologe blieb exkommuniziert. Doch bald ließ er den Patriarchen absetzen, und fünf Jahre später erlangte er von den Bischöfen seines Reiches die Absolution. Über einen Kaiser, der barfuß vor der Trutzburg seines Papstes erschien, konnten die Byzantiner nur lachen.
Daß in diesem Mosaik "viele Steine noch fehlen", wie Jussen zugibt, muß weder den Herausgeber noch seine Autoren grämen. Gerade das Patchworkhafte dieses Buchs ermöglicht eine Genauigkeit im Detail, die in Überblicksdarstellungen nicht zu leisten ist. In einem der letzten Aufsätze schildert Albert Cremer, wie das frühneuzeitliche Königtum durch Ludwig XIV. immer mehr aus der Lebensrealität des Volkes ins Weltlose und Phantastische entrückt wurde, bis selbst der Hof keinen klaren Begriff mehr vom historischen Ursprung der Monarchie hatte. Als der gealterte König durch die Säle von Versailles schritt, war er der einzige, der ihr allegorisches Bildprogramm noch zu entziffern vermochte. Das muß das Buch nicht befürchten. Seine Lesbarkeit verdankt sich dem Mißtrauen gegenüber tradierten Autoritäten: Es vertraut nur auf die Macht des Gedankens.
ANDREAS KILB
Bernhard Jussen (Hrsg.): "Die Macht des Königs". Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. C. H. Beck Verlag, München 2005. XXIV, 478 S., 22 Abb., geb., 38,- [Euro].
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Die Byzantiner hätten darüber nur den Kopf geschüttelt: Historiker klären in vorbildhaften Fallstudien, was es mit der Macht des Königs in Europa auf sich hatte
Am Michaelistag, dem 29. September 1399, erklärte König Richard II. von England im Londoner Tower seine Abdankung. Bei Shakespeare, der die Szene zweihundert Jahre später nachstellte, wirft Richard seinen Herzögen zunächst stolz die Krone vor die Füße: "Merkt auf, wie ich mich nun vernichten will! / Die schwere Last geb' ich von meinem Haupt, / Das unbeholfne Zepter aus der Hand." Doch dann erkennt er die Tragweite seines Handelns: "So find ich mich Verräter wie die andern, / Denn meine Seele hat hier eingewilligt, / Den Schmuck von eines Königs Leib zu streifen, / Zur Schmach die Glorie, stolze Majestät / zum Knecht zu machen." Schließlich zerschmettert er sogar den Spiegel, den man ihm reicht: "Hinfällig wie der Glanz ist das Gesicht."
Für Ernst Kantorowicz, dessen Studie über "Die zwei Körper des Königs" ein halbes Jahrhundert alt ist, war Shakespeares Stück die dramatische Entfaltung seiner These von der Doppelnatur des Königtums. Der Dichter habe "die Metapher unsterblich gemacht", mit der sich sterbliche Juristen im Kampf um die Legitimierung königlicher Ansprüche und Entscheidungen geraume Zeit herumschlugen. Jene frühneuzeitlichen Monarchen Europas, die als Stellvertreter Gottes auf Erden zu regieren begehrten, hätten in "Richard II." das Memento mori ihrer Herrschaft nachlesen können.
In dem von Bernhard Jussen herausgegebenen Buch wird Kantorowicz nicht erwähnt. Dennoch spukt sein Theorem von den "zwei Körpern" durch viele Aufsätze, nicht zuletzt durch jenen, der sich mit dem Sturz Richards II. beschäftigt. Der Göttinger Historiker Frank Rexroth zitiert den Bericht eines Waliser Chronisten über das Ereignis als Beleg für seine These, der englische Adel habe durch die mehrfach vollzogene feierliche Abdankung einen "Überschuß an möglichen Lesarten" erzeugt, mit dem er sich gegen Regreßansprüche des Königs und seiner europäischen Verbündeten absicherte. Richard mußte nicht nur vor den hohen Würdenträgern seines Reichs, sondern auch vor dem Parlament seinen Verzicht auf den Thron erklären; zugleich wurde sein Königsring dem Herzog von Lancaster überbracht, dem späteren Heinrich IV., dem die Versammelten durch ein lautes "Oy, oy, oy!" huldigten. Daß dabei, wie später noch oft im fünfzehnten Jahrhundert, offen von "depositio", Absetzung, gesprochen wurde, zeigt eine Veränderung im Begriff des Königtums an. Das Glück des Monarchen, das Königsheil, war im Spätmittelalter nicht mehr fest mit dem Heil seines Reichs verbunden, die Dynastie konnte wechseln, ohne daß der Staat Schaden nahm. Doch der gestürzte Richard hielt an der Zweinaturentheorie fest, wie eine Episode aus seiner Haft in Pontefract zeigt, die er nicht lang überlebte. Seine Salbung, die spirituelle Würde des Königs, habe er nicht widerrufen können, erklärte der König einem Besucher. Als dieser die Abdankung erwähnte, "lächelte Richard wie einer, der ohnehin nicht damit gerechnet hatte, verstanden zu werden".
Bernhard Jussen hat seinem Königsbuch ein rigides herausgeberisches Konzept verpaßt. Keiner der 26 Aufsätze ist länger als zwanzig Seiten, und jeder beginnt mit einem Quellenzitat, so daß man den beteiligten Historikern bei der Arbeit am Text zusehen kann. Alle Beiträge besitzen ein hohes sprachliches Niveau. Jussen selbst gibt mit der Interpretation einer Schlüsselstelle aus den "Zehn Büchern Geschichte" des Gregor von Tours ein Musterbeispiel der Verschmelzung quellenkritischer, struktur- und mentalitätshistorischer Ansätze.
Gregors böswillige Karikatur des westfränkischen Königs Chilperich ist, wie Jussen zeigt, ein politisches Kampfmittel im Ringen um die Neudefinition der Königsherrschaft, die sich seit der Völkerwanderung, als der "magister militum" den römischen Kaiser absetzte, sowohl vom Imperium Romanum als auch vom germanischen Stammesverband gelöst hat. Chilperich, der lateinische Gedichte schreibt und Wagenrennen im byzantinischen Stil veranstaltet, will sein Königsein dem Deutungsmonopol der Christen entreißen und wird dafür vom geschichtsschreibenden Bischof von Tours lächerlich gemacht. Beide leben, so Jussen, in einer "politischen Situation der semantischen Orientierungslosigkeit". Erst viele Jahrhunderte später, nach endlosen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser, Adelsmacht und Zentralgewalt, Wahl- und Erbmonarchie, wird sich das Verhältnis zwischen Königtum und Kirche halbwegs eingependelt haben.
In der langen Epoche zwischen Chilperich und Karl V. aber ist der König, gerade weil sein politisches Charakterbild schwankt, die bestimmende Figur der europäischen Geschichte. Drei Viertel der Aufsätze des Bandes handeln von dieser Zeit. Sie zeigen, "Wie die Kommunen das Königtum herausforderten" (durch Mauern und Eide) und "Wo man im Mittelalter zwei Herren dienen konnte" (durch geschickt formulierte Verträge), oder erklären, "Warum es das Reich der Franken nicht gegeben hat" (weil "regnum" kein feststehendes Territorium, sondern ein persönlicher Herrschaftsbereich war). Der indikativische Gestus der Überschriften ist Programm: Es geht um eine Anleitung zum Verstehen von Geschichte, ob als Ereignis, Person oder Text.
Dabei tritt das Individuelle gewöhnlich hinter dem Text- und Strukturhaften zurück, so wenn Heribert Müller schildert, wie Karl der Kühne von Burgund 1473 in Trier seine Hoffnungen auf eine Königskrone von Friedrichs III. Gnaden begraben mußte. Der Kaiser konnte den Herzog nicht krönen, ohne seine Kurfürsten zu fragen, und diese konnten keinen burgundischen König dulden, ohne ihre Macht zu schmälern. So nahm Friedrich im Morgengrauen das Schiff nach Koblenz und entzog sich der Peinlichkeit, den mächtigsten Vasallen des Reiches zu kränken, durch die Flucht.
Eine Ausgangsidee des Buches, schreibt Jussen im Vorwort, bestand darin, "die Problemtypen nicht an dem je berühmtesten Fall abzuarbeiten", also nicht von den Staufern, von Johann Ohneland oder Philipp von Spanien, sondern nur von ihresgleichen zu reden. Das hat seine Vorteile, weil an den kleineren geschichtlichen Figuren und Ereignissen, an Alfons von Kastilien oder der Florentiner Belagerung von 1530, das Typische oft schärfer hervortritt als an den Heldengestalten der Ritterfilme und -romane. Aber es bleibt ein Manko, daß weder der Englische Bürgerkrieg (der 1649 mit der Hinrichtung von Karl I. endete) noch die Französische Revolution vorkommen, zumal mit der Kaiserkrönung Karls des Großen, der Gefangensetzung Maximilians I. 1488 in Brügge und der Machtergreifung Ludwigs XIV. im Jahr 1661 doch drei berühmte Beispiele von Königsherrschaft behandelt werden.
Am besten aufgegangen ist das Konzept der über Bande gespielten historischen Analyse in Marie Theres Fögens Essay über einen Canossa-Fall in Byzanz. Michael Paläologos, der Begründer der Dynastie, hatte seine Kaiserwürde durch Kaltstellung und Blendung des legitimen Thronfolgers Johannes IV. Laskaris errungen. Der Patriarch von Konstantinopel, Arsenios, exkommunizierte ihn dafür. Michael entschloß sich zu einem Bittgang. Er warf sich dem Patriarchen zu Füßen und hielt ihm sein Schwert hin. Dieser wollte es ergreifen, Michael stieß ihn zurück. Die Begegnung endete ergebnislos, der Paläologe blieb exkommuniziert. Doch bald ließ er den Patriarchen absetzen, und fünf Jahre später erlangte er von den Bischöfen seines Reiches die Absolution. Über einen Kaiser, der barfuß vor der Trutzburg seines Papstes erschien, konnten die Byzantiner nur lachen.
Daß in diesem Mosaik "viele Steine noch fehlen", wie Jussen zugibt, muß weder den Herausgeber noch seine Autoren grämen. Gerade das Patchworkhafte dieses Buchs ermöglicht eine Genauigkeit im Detail, die in Überblicksdarstellungen nicht zu leisten ist. In einem der letzten Aufsätze schildert Albert Cremer, wie das frühneuzeitliche Königtum durch Ludwig XIV. immer mehr aus der Lebensrealität des Volkes ins Weltlose und Phantastische entrückt wurde, bis selbst der Hof keinen klaren Begriff mehr vom historischen Ursprung der Monarchie hatte. Als der gealterte König durch die Säle von Versailles schritt, war er der einzige, der ihr allegorisches Bildprogramm noch zu entziffern vermochte. Das muß das Buch nicht befürchten. Seine Lesbarkeit verdankt sich dem Mißtrauen gegenüber tradierten Autoritäten: Es vertraut nur auf die Macht des Gedankens.
ANDREAS KILB
Bernhard Jussen (Hrsg.): "Die Macht des Königs". Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. C. H. Beck Verlag, München 2005. XXIV, 478 S., 22 Abb., geb., 38,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Instruktiv findet Rezensent Andreas Kilb diesen von Bernhard Jussen herausgegebenen Band, der 26 Beiträge über die Macht des Königs in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit versammelt. Bemerkenswert erscheint ihm die Vorgabe des Herausgebers, alle Beiträge auf eine Länge von zwanzig Seiten zu begrenzen und mit einem Quellenzitat beginnen zu lassen, so dass man den beteiligten Historikern bei der Arbeit am Text zusehen könne. Die Beiträge würdigt Kilb dann auch als "vorbildhafte Fallstudien", die sich auf einem "hohen sprachlichen Niveau" bewegen. Und noch etwas schätzt er an den Aufsätzen: "Es geht um eine Anleitung zum Verstehen von Geschichte, ob als Ereignis, Person oder Text." Er hebt die Grundidee des Bandes hervor, wonach die einzelnen Fragen eben nicht an den jeweils berühmtesten Fällen beantwortet werden sollten, sondern an kleineren geschichtlichen Figuren und Ereignissen. Das bringt nach Einschätzung von Kilb Vorteile wie Nachteile mit sich: Einen Vorteil dieses Verfahrens sieht er darin, dass das Typische hier oft deutlicher hervortritt. Dass weder der Englische Bürgerkrieg noch die Französische Revolution vorkommen, wertet er allerdings eindeutig als einen Nachteil.
© Perlentaucher Medien GmbH
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