Das Erstarken einer Neuen Rechten in Europa erfordert die Überprüfung der Theorie und Praxis eines Antirassismus, der seinen Ausgangs- und Bezugspunkt immer noch im Nazismus hat.
Pierre-André Taguieff bezweifelt, dass dieser Antirassismus eine erfolgreiche Strategie gegen rassistische Ideologie, Politik und rassistisches Handeln sein kann und versucht dies durch eine »Kritik der antirassistischen Vernunft« zu belegen. An die Stelle des Reiz-Reaktions-Schemas, das die Beziehung zwischen Rassismus und Antirassismus kennzeichnet und den Antirassismus hilflos macht, will der französische Sozialphilosoph Grundlagen für reflektiertes Handeln setzen.
Handeln aber setzt Wissen voraus: Ohne eine Selbstanalyse des antirassistischen »Lagers« mit seinen Stereotypen und Ritualen und ohne Verständnis der Gründe für die Zählebigkeit des Rassismus in der Gesellschaft wird sich die Rivalitätsbeziehung zwischen den feindlichen Brüdern kaum beenden lassen.
Beschwörungen und einfache Umkehrung von Parolen helfen nicht gegen die Macht des Vorurteils, gegen Tendenzen der Ausgrenzung und hierarchisierenden Gruppenbildung. Nur ein Konzept für einen nicht-ideologischen Humanismus kann wirksam sein.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Pierre-André Taguieff bezweifelt, dass dieser Antirassismus eine erfolgreiche Strategie gegen rassistische Ideologie, Politik und rassistisches Handeln sein kann und versucht dies durch eine »Kritik der antirassistischen Vernunft« zu belegen. An die Stelle des Reiz-Reaktions-Schemas, das die Beziehung zwischen Rassismus und Antirassismus kennzeichnet und den Antirassismus hilflos macht, will der französische Sozialphilosoph Grundlagen für reflektiertes Handeln setzen.
Handeln aber setzt Wissen voraus: Ohne eine Selbstanalyse des antirassistischen »Lagers« mit seinen Stereotypen und Ritualen und ohne Verständnis der Gründe für die Zählebigkeit des Rassismus in der Gesellschaft wird sich die Rivalitätsbeziehung zwischen den feindlichen Brüdern kaum beenden lassen.
Beschwörungen und einfache Umkehrung von Parolen helfen nicht gegen die Macht des Vorurteils, gegen Tendenzen der Ausgrenzung und hierarchisierenden Gruppenbildung. Nur ein Konzept für einen nicht-ideologischen Humanismus kann wirksam sein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000Die weltumspannende Tugendorganisation
Wie man mit Kanonen auf Glatzen schießt / Von Wolfgang Sofsky
Zu den unerquicklichen Entwicklungen der letzten fünfzehn Jahre in Europa gehört das Erstarken des rechten Extremismus. Wahlerfolge chauvinistischer Parteien, Umzüge von Prügelgarden, eine Subkultur mit eigener Haartracht, Mode und Musik, Attentate, Hetzjagden und Lynchmorde - das Spektrum rechtsradikaler Aktivitäten reicht von demokratischer Legalität bis zum Kapitalverbrechen. Auf den Vormarsch der neuen "Bewegung" reagieren die Amtsinhaber mit eigentümlicher Verwirrung. Je nach politischer Saison schwanken sie zwischen Alarmierung, Verharmlosung oder Resignation. Manche meinen, die Wiederkehr des alten Nazismus zu erkennen, andere vermuten hilflose Reaktionen von Randgruppen auf unübersichtliche Märkte oder Kulturen. Dritte wiederum halten die Angelegenheit eher für eine lokale Fatalität oder für ein Jugend- und Erziehungsproblem. Was also ist der Rassismus - eine Seuche, eine Flutwelle, ein Symptom, eine Ideologie, eine Idiotie? Und wer ist zuständig - die Politik oder die Pädagogik, die Justiz, die Polizei oder die Fürsorge, der Mann in der Straßenbahn, alle oder keiner?
Die Verwendung des Wortes "Rassismus" signalisiert Empörung und Tatkraft. Lange war es in Deutschland ein Markenzeichen der Militanten unter der Haßkappe, mittlerweile ist es in das Vokabular offizieller Brandreden eingegangen, in die Rhetorik der neuen Entschlossenheit. "Rassismus" ist ein Kampfbegriff, ein Etikett, ein Fanalwort gegen die Trägheit. Aber seine Bedeutung changiert, ja verliert sich in Beliebigkeit. Selbst Jean-Marie Le Pen beschimpfte vor einiger Zeit seine parteiinternen Widersacher als "Rassisten".
Es müssen Beobachtungen wie diese gewesen sein, welche Pierre-André Taguieff seinerzeit - das Buch erschien in Frankreich 1968 - dazu bewogen haben, den Diskurs des Beschwörens und Anprangerns zu "dekonstruieren", um dem Begriff "Rassismus" noch einen analytischen Sinn abzugewinnen. Taguieff, Forschungsdirektor am CNRS, hatte es Ende der achtziger Jahre mit einer Konstellation der Ideen zu tun, die sich mittlerweile verschoben hat: hier der traditionelle Antifaschismus und das postmoderne Loblied auf die kulturelle Vielfalt, dort eine neue Rechte, welche sich vom alten Biologismus verabschiedet hatte, um gleichfalls den Lobpreis der kulturellen Differenz anzustimmen. Daher erklärt sich das Ziel seiner wortreichen Studie: die Selbstaufklärung der antirassistischen Vernunft und die Aufdeckung heimlicher Gemeinsamkeiten zwischen beiden Kontrahenten.
Wenn Ideologien verworren sind, droht sich freilich auch deren Dekonstruktion in labyrinthischen Wiederholungen zu verlieren. Man kann nicht sagen, daß Taguieff dieser Gefahr entgangen sei. Reduziert man die These von der unheiligen Allianz der Ideen auf ihren Kern, so bleibt ein zentraler Leitgedanke: das Lob des Unterschieds und die Ablehnung des Universellen. Der moderne Rassismus bemüht keine obskuren Rassentheorien mehr, sondern beruft sich auf die Pluralität der Kulturen. Er proklamiert das Recht, anders zu sein und zu bleiben. Verteidigung und Restitution des Eigenen, Kampf gegen die Vermischung und Nivellierung der Völker, Nationen, Kulturen - das ist die Maskerade, hinter der sich der neue Fundamentalismus der Gemeinschaft zu verschanzen pflegt.
Doch so defensiv dieser Rassismus sich ideologisch geriert, er nährt sich von alten Instinkten: von der Mixophobie und vom Mythos der Reinheit. Der Fremde gilt als unassimilierbar, nicht wegen der Unvereinbarkeit des Blutes, sondern wegen der Verschiedenheit der "Mentalitäten". Da die Menschen einzig durch ihre ethnische Zugehörigkeit bestimmt sind, führt Vermischung, so heißt es, zwangsläufig zu Dekadenz und Degeneration. Das Kollektiv ist heilig und unteilbar, ein Individuum im Plural gewissermaßen, mit eigenen Sitten, Werten und Traditionen. Die Ablehnung der Menschenrechte als schädliche Fiktion ist nur konsequent. Sie wurden erfunden von bösartigen Kosmopoliten und Kolonisatoren. Es gibt in dieser Logik keine anthropologische Gleichheit, und daher sind auch nicht alle Kulturen unmittelbar zu Gott. So verdeckt das Lob des größeren Unterschieds nur die Ideologie der Ungleichheit zwischen dem Eigenen und dem Fremden.
Mit Recht unterscheidet Taguieff zwei Strategien rassistischer Politik. Die erste folgt der Logik der Macht, des Interesses, des Profits. "Wir sind die Besten, ja, wir sind die Menschheit schlechthin; ihr aber seid nur eine spezielle Kultur und deshalb von geringem Wert", dies sind die Axiome der Sklaverei und des Kolonialismus. Sie rechtfertigen Herrschaft und Ausbeutung. Die zweite Strategie folgt der Logik der Exklusion. "Wir sind die besondere, die höhere Kultur; der Rest der Menschheit jedoch, das sind die Minderwertigen, Überflüssigen, deren bloße Existenz uns zu beflecken droht." Dies sind die Axiome der Reinheit und Verfolgung. Sie rechtfertigen die Vertreibung, das Massaker. Daß sich beide Strategien trefflich ergänzen können, bewies der nazistische Terror. In den Lagern und Zwangsghettos waren Arbeit und Vernichtung direkt verkoppelt.
Das Elend des Antirassismus beruht, will man Taguieff folgen, auf überholten Klischees und inneren Widersprüchen. Entweder gilt der Rassismus als Symptom sozialer Krisen oder als Verschwörung finsterer Hintermänner, als Komplott zur Manipulation der Massen. Der Rassist gehört demnach in die schlechte Gesellschaft der Armen, Arbeitslosen, Ausgestoßenen, denen allein mit den Mitteln der Sozialtherapie beizukommen ist - Arbeitsplätze, Nachhilfeunterricht und subventionierte Jugendclubs gegen das Ressentiment der Prügler.
Versagt die gütliche Betreuung, verfinstert sich das Feindbild. Der Rassist wird zum Inbegriff der Ignoranz, Dummheit und Bosheit. Man muß ihn auf Distanz halten, um die ehrenwerte Zivilgesellschaft zu schützen, muß jede ansteckende Berührung mit ihm vermeiden, ihn bloßstellen, ausstoßen oder einsperren. Doch die rechtlichen Maßnahmen erfassen allenfalls die nostalgischen Zeremonien der alten Kämpfer. Die normale Aversion gegen das Fremde und das stillschweigende Einverständnis mit den Übergriffen entgehen der Polizei. Schlimmer noch: Die Politik der Exklusion wiederholt spiegelbildlich das Axiom der Reinheit, der reinen Gemeinschaft der Gesinnungsfreunde. Der Moralist predigt Intoleranz gegen die Feinde der Toleranz, erklärt den Widersachern den Krieg, proklamiert Haß gegen den Haß, immer begründet mit der Utopie, nach dem letzten Gefecht beginne alsbald der ewige Frieden, die Politik ohne Feinde.
Den beiden Strategien des Rassismus entsprechen zwei Gegenprogramme, welche sich gegenseitig ausschließen. Entweder preist man das republikanische Ideal der vollständigen Vermischung, weil man kulturelle Unterschiede für eine stete Quelle sozialer Ungleichheit hält: Die universelle Kreuzung soll alle einander angleichen - das ist die Logik der vollständigen Assimilation, der Integration, der bedingungslosen Mixophilie. Oder man teilt das Lob der Differenz mit dem Rassismus und plädiert für die Gesellschaft in Regenbogenfarben: Differenz statt Nivellierung, Vielfalt der Regionen, Multikulturalität statt Zerstörung der kollektiven Identitäten - das ist die Logik der Authentizität. Assimilation durch Gleichberechtigung und Gleichbehandlung oder aber Bewahrung der partikularen Eigenheit, so lauten die konträren Alternativen des Antirassismus.
Man sieht, wie eng die Denkfiguren der politischen Gegner einander benachbart sind. Den Horror vor dem Nivellement, vor der kulturellen Standardisierung teilen die Apologeten der reinen Rasse mit den Propagandisten der Differenz. Mixophilie und Mixophobie sind nur die Kehrseiten einer Weltsicht, die sich vornehmlich dem Problem der Vermischung widmet. Als sei die Konfundierung der Hautfarben, Ethnien, Kulturen a priori gut oder schlecht und nicht ein Prozeß, der immer schon stattfindet und sowohl Einheit als auch Zwietracht mit sich bringt. Die universalen Menschenrechte sind für den rechten wie den (pseudo-)linken Prediger der Differenz ohnehin nur eine Ausgeburt des okzidentalen Ethnozentrismus.
Taguieffs Ausweg aus der Kollusion der feindlichen Brüder fällt wenig überzeugend aus. Das rationalistische Aufklärungsprogramm für eine Welt ohne Vorurteile lehnt er als spekulativ und totalitär ab. Geboten sei ein neuer Universalismus, der die unvollendete Mission der Zivilisierung fortführt. Der "heroische Humanismus" findet seine sozialphilosophische Grundlage nicht in verträumter Philanthropie, aber auch nicht in der Universalität des Moralgesetzes oder den Reziprozitätsnormen des Dialogs, sondern im ursprünglichen Vorrang des anderen, in der Dezentrierung des Ego. In einer Communitas, die zwischen dem Individuum und der Weltgesellschaft vermittelt, tritt an die Stelle der Selbsterhaltung, des Tauschs und der Anerkennung die Verantwortung für den anderen.
Ein anspruchsvolles Programm! Doch benötigt der Widerstand gegen den rechten Extremismus überhaupt eine philosophische Begründung? Der Streit gegen den Rassismus ist kein Disput der Ideen, kein Diskurs der Doktrinen, kein Wortgefecht um Vorurteile. Über die Praxis des Rassismus erfährt man vom Ideenhistoriker Taguieff so gut wie nichts. Um ihr Einhalt zu gebieten, bedarf es neben politischer Klugheit und strikter Ahndung und Prävention von Straftaten lediglich der Beachtung zweier defensiver Grundsätze, die sich von selbst verstehen: des Gebots der passiven Toleranz, das jeden dazu verpflichtet, auch neben dem zu leben, der anders ist als er selbst; und des Gebots der Unversehrtheit, das jedermann dazu verpflichtet, dem anderen nicht zu nahe zu kommen, weder mit Worten noch mit Händen, geschweige denn mit Waffen.
Pierre-André Taguieff: "Die Macht des Vorurteils". Der Rassismus und sein Double. Aus dem Französischen von Astrid Geese. Hamburger Edition, Hamburg 2000. 618 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man mit Kanonen auf Glatzen schießt / Von Wolfgang Sofsky
Zu den unerquicklichen Entwicklungen der letzten fünfzehn Jahre in Europa gehört das Erstarken des rechten Extremismus. Wahlerfolge chauvinistischer Parteien, Umzüge von Prügelgarden, eine Subkultur mit eigener Haartracht, Mode und Musik, Attentate, Hetzjagden und Lynchmorde - das Spektrum rechtsradikaler Aktivitäten reicht von demokratischer Legalität bis zum Kapitalverbrechen. Auf den Vormarsch der neuen "Bewegung" reagieren die Amtsinhaber mit eigentümlicher Verwirrung. Je nach politischer Saison schwanken sie zwischen Alarmierung, Verharmlosung oder Resignation. Manche meinen, die Wiederkehr des alten Nazismus zu erkennen, andere vermuten hilflose Reaktionen von Randgruppen auf unübersichtliche Märkte oder Kulturen. Dritte wiederum halten die Angelegenheit eher für eine lokale Fatalität oder für ein Jugend- und Erziehungsproblem. Was also ist der Rassismus - eine Seuche, eine Flutwelle, ein Symptom, eine Ideologie, eine Idiotie? Und wer ist zuständig - die Politik oder die Pädagogik, die Justiz, die Polizei oder die Fürsorge, der Mann in der Straßenbahn, alle oder keiner?
Die Verwendung des Wortes "Rassismus" signalisiert Empörung und Tatkraft. Lange war es in Deutschland ein Markenzeichen der Militanten unter der Haßkappe, mittlerweile ist es in das Vokabular offizieller Brandreden eingegangen, in die Rhetorik der neuen Entschlossenheit. "Rassismus" ist ein Kampfbegriff, ein Etikett, ein Fanalwort gegen die Trägheit. Aber seine Bedeutung changiert, ja verliert sich in Beliebigkeit. Selbst Jean-Marie Le Pen beschimpfte vor einiger Zeit seine parteiinternen Widersacher als "Rassisten".
Es müssen Beobachtungen wie diese gewesen sein, welche Pierre-André Taguieff seinerzeit - das Buch erschien in Frankreich 1968 - dazu bewogen haben, den Diskurs des Beschwörens und Anprangerns zu "dekonstruieren", um dem Begriff "Rassismus" noch einen analytischen Sinn abzugewinnen. Taguieff, Forschungsdirektor am CNRS, hatte es Ende der achtziger Jahre mit einer Konstellation der Ideen zu tun, die sich mittlerweile verschoben hat: hier der traditionelle Antifaschismus und das postmoderne Loblied auf die kulturelle Vielfalt, dort eine neue Rechte, welche sich vom alten Biologismus verabschiedet hatte, um gleichfalls den Lobpreis der kulturellen Differenz anzustimmen. Daher erklärt sich das Ziel seiner wortreichen Studie: die Selbstaufklärung der antirassistischen Vernunft und die Aufdeckung heimlicher Gemeinsamkeiten zwischen beiden Kontrahenten.
Wenn Ideologien verworren sind, droht sich freilich auch deren Dekonstruktion in labyrinthischen Wiederholungen zu verlieren. Man kann nicht sagen, daß Taguieff dieser Gefahr entgangen sei. Reduziert man die These von der unheiligen Allianz der Ideen auf ihren Kern, so bleibt ein zentraler Leitgedanke: das Lob des Unterschieds und die Ablehnung des Universellen. Der moderne Rassismus bemüht keine obskuren Rassentheorien mehr, sondern beruft sich auf die Pluralität der Kulturen. Er proklamiert das Recht, anders zu sein und zu bleiben. Verteidigung und Restitution des Eigenen, Kampf gegen die Vermischung und Nivellierung der Völker, Nationen, Kulturen - das ist die Maskerade, hinter der sich der neue Fundamentalismus der Gemeinschaft zu verschanzen pflegt.
Doch so defensiv dieser Rassismus sich ideologisch geriert, er nährt sich von alten Instinkten: von der Mixophobie und vom Mythos der Reinheit. Der Fremde gilt als unassimilierbar, nicht wegen der Unvereinbarkeit des Blutes, sondern wegen der Verschiedenheit der "Mentalitäten". Da die Menschen einzig durch ihre ethnische Zugehörigkeit bestimmt sind, führt Vermischung, so heißt es, zwangsläufig zu Dekadenz und Degeneration. Das Kollektiv ist heilig und unteilbar, ein Individuum im Plural gewissermaßen, mit eigenen Sitten, Werten und Traditionen. Die Ablehnung der Menschenrechte als schädliche Fiktion ist nur konsequent. Sie wurden erfunden von bösartigen Kosmopoliten und Kolonisatoren. Es gibt in dieser Logik keine anthropologische Gleichheit, und daher sind auch nicht alle Kulturen unmittelbar zu Gott. So verdeckt das Lob des größeren Unterschieds nur die Ideologie der Ungleichheit zwischen dem Eigenen und dem Fremden.
Mit Recht unterscheidet Taguieff zwei Strategien rassistischer Politik. Die erste folgt der Logik der Macht, des Interesses, des Profits. "Wir sind die Besten, ja, wir sind die Menschheit schlechthin; ihr aber seid nur eine spezielle Kultur und deshalb von geringem Wert", dies sind die Axiome der Sklaverei und des Kolonialismus. Sie rechtfertigen Herrschaft und Ausbeutung. Die zweite Strategie folgt der Logik der Exklusion. "Wir sind die besondere, die höhere Kultur; der Rest der Menschheit jedoch, das sind die Minderwertigen, Überflüssigen, deren bloße Existenz uns zu beflecken droht." Dies sind die Axiome der Reinheit und Verfolgung. Sie rechtfertigen die Vertreibung, das Massaker. Daß sich beide Strategien trefflich ergänzen können, bewies der nazistische Terror. In den Lagern und Zwangsghettos waren Arbeit und Vernichtung direkt verkoppelt.
Das Elend des Antirassismus beruht, will man Taguieff folgen, auf überholten Klischees und inneren Widersprüchen. Entweder gilt der Rassismus als Symptom sozialer Krisen oder als Verschwörung finsterer Hintermänner, als Komplott zur Manipulation der Massen. Der Rassist gehört demnach in die schlechte Gesellschaft der Armen, Arbeitslosen, Ausgestoßenen, denen allein mit den Mitteln der Sozialtherapie beizukommen ist - Arbeitsplätze, Nachhilfeunterricht und subventionierte Jugendclubs gegen das Ressentiment der Prügler.
Versagt die gütliche Betreuung, verfinstert sich das Feindbild. Der Rassist wird zum Inbegriff der Ignoranz, Dummheit und Bosheit. Man muß ihn auf Distanz halten, um die ehrenwerte Zivilgesellschaft zu schützen, muß jede ansteckende Berührung mit ihm vermeiden, ihn bloßstellen, ausstoßen oder einsperren. Doch die rechtlichen Maßnahmen erfassen allenfalls die nostalgischen Zeremonien der alten Kämpfer. Die normale Aversion gegen das Fremde und das stillschweigende Einverständnis mit den Übergriffen entgehen der Polizei. Schlimmer noch: Die Politik der Exklusion wiederholt spiegelbildlich das Axiom der Reinheit, der reinen Gemeinschaft der Gesinnungsfreunde. Der Moralist predigt Intoleranz gegen die Feinde der Toleranz, erklärt den Widersachern den Krieg, proklamiert Haß gegen den Haß, immer begründet mit der Utopie, nach dem letzten Gefecht beginne alsbald der ewige Frieden, die Politik ohne Feinde.
Den beiden Strategien des Rassismus entsprechen zwei Gegenprogramme, welche sich gegenseitig ausschließen. Entweder preist man das republikanische Ideal der vollständigen Vermischung, weil man kulturelle Unterschiede für eine stete Quelle sozialer Ungleichheit hält: Die universelle Kreuzung soll alle einander angleichen - das ist die Logik der vollständigen Assimilation, der Integration, der bedingungslosen Mixophilie. Oder man teilt das Lob der Differenz mit dem Rassismus und plädiert für die Gesellschaft in Regenbogenfarben: Differenz statt Nivellierung, Vielfalt der Regionen, Multikulturalität statt Zerstörung der kollektiven Identitäten - das ist die Logik der Authentizität. Assimilation durch Gleichberechtigung und Gleichbehandlung oder aber Bewahrung der partikularen Eigenheit, so lauten die konträren Alternativen des Antirassismus.
Man sieht, wie eng die Denkfiguren der politischen Gegner einander benachbart sind. Den Horror vor dem Nivellement, vor der kulturellen Standardisierung teilen die Apologeten der reinen Rasse mit den Propagandisten der Differenz. Mixophilie und Mixophobie sind nur die Kehrseiten einer Weltsicht, die sich vornehmlich dem Problem der Vermischung widmet. Als sei die Konfundierung der Hautfarben, Ethnien, Kulturen a priori gut oder schlecht und nicht ein Prozeß, der immer schon stattfindet und sowohl Einheit als auch Zwietracht mit sich bringt. Die universalen Menschenrechte sind für den rechten wie den (pseudo-)linken Prediger der Differenz ohnehin nur eine Ausgeburt des okzidentalen Ethnozentrismus.
Taguieffs Ausweg aus der Kollusion der feindlichen Brüder fällt wenig überzeugend aus. Das rationalistische Aufklärungsprogramm für eine Welt ohne Vorurteile lehnt er als spekulativ und totalitär ab. Geboten sei ein neuer Universalismus, der die unvollendete Mission der Zivilisierung fortführt. Der "heroische Humanismus" findet seine sozialphilosophische Grundlage nicht in verträumter Philanthropie, aber auch nicht in der Universalität des Moralgesetzes oder den Reziprozitätsnormen des Dialogs, sondern im ursprünglichen Vorrang des anderen, in der Dezentrierung des Ego. In einer Communitas, die zwischen dem Individuum und der Weltgesellschaft vermittelt, tritt an die Stelle der Selbsterhaltung, des Tauschs und der Anerkennung die Verantwortung für den anderen.
Ein anspruchsvolles Programm! Doch benötigt der Widerstand gegen den rechten Extremismus überhaupt eine philosophische Begründung? Der Streit gegen den Rassismus ist kein Disput der Ideen, kein Diskurs der Doktrinen, kein Wortgefecht um Vorurteile. Über die Praxis des Rassismus erfährt man vom Ideenhistoriker Taguieff so gut wie nichts. Um ihr Einhalt zu gebieten, bedarf es neben politischer Klugheit und strikter Ahndung und Prävention von Straftaten lediglich der Beachtung zweier defensiver Grundsätze, die sich von selbst verstehen: des Gebots der passiven Toleranz, das jeden dazu verpflichtet, auch neben dem zu leben, der anders ist als er selbst; und des Gebots der Unversehrtheit, das jedermann dazu verpflichtet, dem anderen nicht zu nahe zu kommen, weder mit Worten noch mit Händen, geschweige denn mit Waffen.
Pierre-André Taguieff: "Die Macht des Vorurteils". Der Rassismus und sein Double. Aus dem Französischen von Astrid Geese. Hamburger Edition, Hamburg 2000. 618 S., geb., 68,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der Studie des französischen Philosophen Pierre-André Taguieff über die Ähnlichkeiten zwischen Rassisten und Antirassisten gibt Micha Brumlik die besten Chancen, zum meistzitierten, aber am wenigsten gelesenen Sachbuch der Saison zu werden. Das in Frankreich schon 1988 erschienene Buch scheine jenen Recht zu geben, die schon immer ein Hühnchen mit der alten Linken, mit Antifa und NGOs zu rupfen hatten. Brumlik überführt die `nicht immer klare und in interessante historische Exkurse mäandernde philosophische Grundlage` selber der Macht des Vorurteils. Taguieffs Studie blende die Praxis des Rassismus weitgehend aus und konzentriere sich auf die Auseinandersetzung mit Richard Rortys `Politik der Differenz` und auf philosophische Definitionen des Begriffs `Antirassismus`. Brumlik nennt das Buch dennoch `lesenswert`, sein Ergebnis, ein republikanischer Universalismus, ausgerichtet an der Kantschen Ethik, ist ihm jedoch zu wenig. Will man diese Studie auf ihren Kern prüfen, so der Rezensent, muss man nur die Frage stellen, `wie viele Tote den Rassisten und wie viele den Antirassisten zuzurechnen sind`.
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