Die Comics des Franzosen Régis Loisel avancieren regelmäßig zu Klassikern. Auch seine neue, ungemein charmante Serie DAS NEST hat mit den beiden ersten Bänden spielend die Herzen der Leser und Kritiker erobert. Hat Loisel die Geduld seiner Leser in der Vergangenheit mit langen Wartezeiten zwischen den Bänden strapaziert, so legt er seine turbulenten Dorfchroniken mit hilfe seines Kollegen Jean-Louis Tripp nun geradezu in Rekordzeit vor.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2017Stille Revolution
In Québec haben zwei Franzosen einen Comic über ein erfundenes kanadisches Dorf gezeichnet. „Magasin Général“
hat inzwischen neun Bände. Die Filmrechte sind verkauft. Warum nur sind die Kanadier unzufrieden?
VON THOMAS HAHN
Der Zeichner Jean-Louis Tripp hat eine Schwäche, die er selbst „die Furcht vor der weißen Seite“ nennt. Es fällt ihm schwer, auf einem leeren Papier den Anfang zu finden. Sein Freund und Kollege Régis Loisel hat damit weniger Probleme. Der mag es dafür nicht, die Zeichnungen einer Seite zu beenden, die Linien zu verfeinern, die Schatten zu setzen, den ganzen aufwendigen Kleinkram zu erledigen, der den Bildern erst Schärfe und Tiefe gibt.
Als beide Zeichner im kanadischen Montréal noch in einem Studio arbeiteten, hörte Tripp Loisel fluchen, wenn er wieder eine Arbeit zu Ende bringen musste. „Und eines Morgens“, erzählt Tripp, „bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt, lass uns zusammenarbeiten. Du fängst an, ich höre auf.“ So geschah es – und es entstand eine der stimmungsvollsten Serien der zeitgenössischen Comic-Kunst.
„Magasin Général“, der Kramladen, oder „Das Nest“, wie das Werk von Jean-Louis Tripp und Régis Loisel in der deutschen Übersetzung heißt (Carlsen-Verlag), erzählt die Geschichte der jungen Witwe Marie, die in den zwanziger Jahren im Québecer Hinterland den Dorfladen ihres Mannes weiterführt und sich mit ihren Sehnsüchten allmählich von der katholischen Dorfgesellschaft emanzipiert. Als Tripp und Loisel 2006 damit anfingen, dachten sie an drei Teile. Aber dann machten sich die Figuren in gewisser Weise selbständig. Tripp und Loisel hatten Freude daran, gemeinsam die Handlung zu entwickeln, und am Zeichentisch ergänzten sie sich ideal. Loisel arrangierte die Szenen im fiktiven frankokanadischen Dorf Notre-Dame-des-Lacs, Tripp gab ihnen Konturen und Lichteffekte. Die Serie wuchs auf neun Teile an und verdiente sich einen besonderen Platz in der Bibliothek der gezeichneten Romane als seltene Charakterstudie von Menschen im Dorf. Mittlerweile sind die Filmrechte verkauft, und die Zeichner staunen über den Erfolg. „Ich glaube, das liegt an der Authentizität“, sagt Tripp.
Authentizität ist dabei ein interessanter Begriff. Denn eigentlich passt er nicht. Im Gegenteil. „Magasin Général“ ist eher ein Beispiel dafür, dass eine Geschichte als Ausdruck lokaler Befindlichkeit funktionieren kann, obwohl diese gar nicht wirklich drinsteckt. Wer in „Magasin Général“ einen echten Spiegel der frankokanadischen Seele vermutet, täuscht sich. Tripp und Loisel leben zwar seit vielen Jahren in Montréal, sie mögen die Stadt und ihre Leute sehr. Aber sie sind Franzosen. Vor allem Loisel zog eigentlich nur nach Montréal, weil er hier gleichzeitig im Ausland und im französischen Sprachraum leben konnte. Die Geschichte des „Magasin Général“ hat er aus Frankreich mitgebracht.
„Für mich war es ganz natürlich, dass der Comic in Québec spielt, weil wir hier leben“, sagt Tripp. Aber praktische Gründe spielten auch eine Rolle. Das Nachkriegs-Frankreich war in ihren Augen kein geeigneter Schauplatz. Sie wollten die Dörflichkeit in den weiten kanadischen Wäldern und den Wechsel der Jahreszeiten als Kulisse für Maries stille Revolution.
„Magasin Général““ ist ein komplexes Werk. Loisel und Tripp recherchierten sorgfältig. Sie holten sich Rat von Frankokanadiern – auch um das kanadische Französisch richtig klingen zu lassen. Trotzdem geht es vielen Frankokanadiern sehr auf die Nerven, dass die Öffentlichkeit, vor allem die französische, die Arbeit der beiden prominenten und vom großen Casterman-Verlag vermarkteten Zeichner als Québec-Epos feiert. Zum Beispiel Frédéric Gauthier, Mitbegründer des kleinen Verlages La Pastèque in Montréal. Grundsätzlich findet er „Magasin Général“ toll. Aber einmal sah er im französischen Fernsehen eine Talk-Runde: „Da hieß es, die Geschichte sei einer der wichtigeren gezeichneten Romane und könnte eine neue Welle von Québec-Comics begründen. Das war unangenehm.“
Kann schon sein, dass Gauthier sich auch ein bisschen in seiner Verleger-Seele gekränkt fühlt. La Pastèque, spezialisiert auf Bilderbücher für Kinder und Erwachsene, verdankte seine ersten Erfolge schließlich Paul, einer Comic-Figur des einheimischen Zeichners Michel Rabagliati, deren Abenteuer zu den wichtigsten Zeugnissen des Québecer Zeitgeists gehören.
Aber Gauthiers Unbehagen ist auch Ausdruck eines relativ jungen Regionalstolzes, für den die Kreativszene in Montréal stehen will. Die 1,7-Millionen-Einwohner-Stadt sieht sich gern als Kanadas Künstlermetropole. In den vergangenen 15 Jahren hat sie ein frischer Wind erfasst. Man könnte sagen, der Québec-Patriotismus hat sich modernisiert. In den sechziger Jahren stand dieser im Zeichen der sogenannten „Révolution tranquille“, der stillen Revolution. Eine nationalliberale Bewegung setzte damals einen ausgewogenen Sozialstaat gegen eine konservative Elite durch, denn diese hatte in den Jahren zuvor Bildung sowie soziales Leben der Kirche und die Wirtschaft der englischsprachigen Mehrheit in Kanada überlassen.
Nach dem Umbau war der Ruf nach der Unabhängigkeit Québecs laut, aber in den Referenden von 1980 und 1995 stimmte die Bevölkerung dagegen. Heute will sich die junge Generation eigentlich nicht mehr mit Eigenständigkeitsfantasien aufhalten. Kleine Kreativ-Unternehmen wie La Pastèque sehen sich als weltläufige Vertreter einer neuen Gründerzeit. Der Verlag, 1998 aus der Taufe gehoben, verkauft seine Bücher auch nach Europa und Asien. Er ist hinter schmucklosen Fassaden im Stadtteil Mile End untergebracht. Früher galten die Straßenzüge nördlich des Mont-Royal als heruntergekommen und wenig lebenswert.
Aber seit 1997 der französische Computerspiel-Riese Ubisoft in diesem Viertel eine Niederlassung eröffnete, haben sie sich zu einem Lebensraum für Ideenträger, Alternative und Kulturschaffende entwickelt. Kanadas Selbstverständnis als wahres „Land of the Free“ zeigt sich hier besonders schön. Die Gräben zwischen franko- und anglophoner Bevölkerung sind zugeschüttet, europäische und amerikanische Einflüsse ergänzen einander: „Im Mile End spricht jeder beide Sprachen und arbeitet mit anderen zusammen“, sagt Gauthier: „Das ist neu.“
Von ihrem Freigeist erzählt die Stadt zum Beispiel durch die Fassadenmalerei, die überall in der Häuserlandschaft zu entdecken ist. Durch ihre Bands und ihre junge Küche. Montréals große alte Söhne werden als Idole des Fortschrittsdenkens verehrt. Ausstellungen feierten zuletzt das Werk des Poeten-Sängers Leonard Cohen, der im November in Los Angeles starb, sowie das des Allround-Genies Pierre Ayot, der mit seinen gesellschaftskritischen Installationen ein wichtiger Zeitzeuge der Révolution tranquille war. Ein Québec-Comic zweier Franzosen passt schlecht ins Montréaler Selbstbild.
Inzwischen hat der Zeichner Michel Rabagliati die Räume von La Pastèque betreten und setzt sich an seinen Zeichentisch. „Magasin Général?“ Tripp/Loisel? „Diese Jungs sind wirklich cool“, sagt er, „aber die Sprache der Bücher ist nicht perfekt, in manchen Passagen klingen die Charaktere einfach nicht richtig.“ Lokale Authentizität bis ins kleinste Detail ist Rabagliatis Erfolgskonzept. Seine Figur Paul verkauft sich im Ausland nur mäßig, in Québec dagegen ist er berühmt wie Asterix. Rabagliati trifft den Ton von Kanadas größter Provinz, er spiegelt die politischen Debatten in den Familien, die Doppelbödigkeit zwischen Toleranz und Tradition. Für ihn haben Tripp und Loisel etwas gewagt, das nur schief gehen kann. „Das wäre so, als wenn ich etwas über Marseille mache und den Klang der Provence einfangen will“, sagt er: „Ich würde das nicht tun. Ich hätte Angst, Fehler zu machen. Es ist heikel, eine lokale Geschichte zu machen.“
Régis Loisel und Jean-Louis Tripp hatten nie vor, die große Québec-Saga zu verfassen. Wenn sie über Authentizität sprechen, meinen sie die Kraft der Geschichte, die jedem einen leichten Zugang erlaubt. Eine junge Witwe, die sich nicht anpassen will. Ein schwuler Fremder. Ein schwuler Pfarrer. Die Diskriminierung des Andersseins auf dem Dorf. Die Themen des Comics sind zeitlos, sie werden nur besonders anschaulich in jenem Szenario, das Tripp und Loisel gewählt haben. Was ihr Publikum daraus macht, haben sie nicht mehr in der Hand. Ihre Botschaft jedenfalls ist klar: Beharrlichkeit führt ins Glück. Und das passt im Grunde doch ganz gut zu Québec – und zum Rest der Welt.
Das Erfolgsgeheimnis sei die
Authentizität, sagt der Zeichner.
Aber genau da wird es heikel
Kanada sieht sich – und nicht
Amerika – als das wahre
„Land of the Free“
Eine junge unangepasste
Witwe, ein schwuler Fremder,
ein schwuler Pfarrer
Fast alle Szenen des Comics spielen im fiktiven frankokanadischen Dorf Notre-Dame-des-Lacs, bis auf einige wenige wie die abgebildeten. Sie zeigen Québecs Hauptstadt Montreal.
Foto: Carlsen-Verlag
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In Québec haben zwei Franzosen einen Comic über ein erfundenes kanadisches Dorf gezeichnet. „Magasin Général“
hat inzwischen neun Bände. Die Filmrechte sind verkauft. Warum nur sind die Kanadier unzufrieden?
VON THOMAS HAHN
Der Zeichner Jean-Louis Tripp hat eine Schwäche, die er selbst „die Furcht vor der weißen Seite“ nennt. Es fällt ihm schwer, auf einem leeren Papier den Anfang zu finden. Sein Freund und Kollege Régis Loisel hat damit weniger Probleme. Der mag es dafür nicht, die Zeichnungen einer Seite zu beenden, die Linien zu verfeinern, die Schatten zu setzen, den ganzen aufwendigen Kleinkram zu erledigen, der den Bildern erst Schärfe und Tiefe gibt.
Als beide Zeichner im kanadischen Montréal noch in einem Studio arbeiteten, hörte Tripp Loisel fluchen, wenn er wieder eine Arbeit zu Ende bringen musste. „Und eines Morgens“, erzählt Tripp, „bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt, lass uns zusammenarbeiten. Du fängst an, ich höre auf.“ So geschah es – und es entstand eine der stimmungsvollsten Serien der zeitgenössischen Comic-Kunst.
„Magasin Général“, der Kramladen, oder „Das Nest“, wie das Werk von Jean-Louis Tripp und Régis Loisel in der deutschen Übersetzung heißt (Carlsen-Verlag), erzählt die Geschichte der jungen Witwe Marie, die in den zwanziger Jahren im Québecer Hinterland den Dorfladen ihres Mannes weiterführt und sich mit ihren Sehnsüchten allmählich von der katholischen Dorfgesellschaft emanzipiert. Als Tripp und Loisel 2006 damit anfingen, dachten sie an drei Teile. Aber dann machten sich die Figuren in gewisser Weise selbständig. Tripp und Loisel hatten Freude daran, gemeinsam die Handlung zu entwickeln, und am Zeichentisch ergänzten sie sich ideal. Loisel arrangierte die Szenen im fiktiven frankokanadischen Dorf Notre-Dame-des-Lacs, Tripp gab ihnen Konturen und Lichteffekte. Die Serie wuchs auf neun Teile an und verdiente sich einen besonderen Platz in der Bibliothek der gezeichneten Romane als seltene Charakterstudie von Menschen im Dorf. Mittlerweile sind die Filmrechte verkauft, und die Zeichner staunen über den Erfolg. „Ich glaube, das liegt an der Authentizität“, sagt Tripp.
Authentizität ist dabei ein interessanter Begriff. Denn eigentlich passt er nicht. Im Gegenteil. „Magasin Général“ ist eher ein Beispiel dafür, dass eine Geschichte als Ausdruck lokaler Befindlichkeit funktionieren kann, obwohl diese gar nicht wirklich drinsteckt. Wer in „Magasin Général“ einen echten Spiegel der frankokanadischen Seele vermutet, täuscht sich. Tripp und Loisel leben zwar seit vielen Jahren in Montréal, sie mögen die Stadt und ihre Leute sehr. Aber sie sind Franzosen. Vor allem Loisel zog eigentlich nur nach Montréal, weil er hier gleichzeitig im Ausland und im französischen Sprachraum leben konnte. Die Geschichte des „Magasin Général“ hat er aus Frankreich mitgebracht.
„Für mich war es ganz natürlich, dass der Comic in Québec spielt, weil wir hier leben“, sagt Tripp. Aber praktische Gründe spielten auch eine Rolle. Das Nachkriegs-Frankreich war in ihren Augen kein geeigneter Schauplatz. Sie wollten die Dörflichkeit in den weiten kanadischen Wäldern und den Wechsel der Jahreszeiten als Kulisse für Maries stille Revolution.
„Magasin Général““ ist ein komplexes Werk. Loisel und Tripp recherchierten sorgfältig. Sie holten sich Rat von Frankokanadiern – auch um das kanadische Französisch richtig klingen zu lassen. Trotzdem geht es vielen Frankokanadiern sehr auf die Nerven, dass die Öffentlichkeit, vor allem die französische, die Arbeit der beiden prominenten und vom großen Casterman-Verlag vermarkteten Zeichner als Québec-Epos feiert. Zum Beispiel Frédéric Gauthier, Mitbegründer des kleinen Verlages La Pastèque in Montréal. Grundsätzlich findet er „Magasin Général“ toll. Aber einmal sah er im französischen Fernsehen eine Talk-Runde: „Da hieß es, die Geschichte sei einer der wichtigeren gezeichneten Romane und könnte eine neue Welle von Québec-Comics begründen. Das war unangenehm.“
Kann schon sein, dass Gauthier sich auch ein bisschen in seiner Verleger-Seele gekränkt fühlt. La Pastèque, spezialisiert auf Bilderbücher für Kinder und Erwachsene, verdankte seine ersten Erfolge schließlich Paul, einer Comic-Figur des einheimischen Zeichners Michel Rabagliati, deren Abenteuer zu den wichtigsten Zeugnissen des Québecer Zeitgeists gehören.
Aber Gauthiers Unbehagen ist auch Ausdruck eines relativ jungen Regionalstolzes, für den die Kreativszene in Montréal stehen will. Die 1,7-Millionen-Einwohner-Stadt sieht sich gern als Kanadas Künstlermetropole. In den vergangenen 15 Jahren hat sie ein frischer Wind erfasst. Man könnte sagen, der Québec-Patriotismus hat sich modernisiert. In den sechziger Jahren stand dieser im Zeichen der sogenannten „Révolution tranquille“, der stillen Revolution. Eine nationalliberale Bewegung setzte damals einen ausgewogenen Sozialstaat gegen eine konservative Elite durch, denn diese hatte in den Jahren zuvor Bildung sowie soziales Leben der Kirche und die Wirtschaft der englischsprachigen Mehrheit in Kanada überlassen.
Nach dem Umbau war der Ruf nach der Unabhängigkeit Québecs laut, aber in den Referenden von 1980 und 1995 stimmte die Bevölkerung dagegen. Heute will sich die junge Generation eigentlich nicht mehr mit Eigenständigkeitsfantasien aufhalten. Kleine Kreativ-Unternehmen wie La Pastèque sehen sich als weltläufige Vertreter einer neuen Gründerzeit. Der Verlag, 1998 aus der Taufe gehoben, verkauft seine Bücher auch nach Europa und Asien. Er ist hinter schmucklosen Fassaden im Stadtteil Mile End untergebracht. Früher galten die Straßenzüge nördlich des Mont-Royal als heruntergekommen und wenig lebenswert.
Aber seit 1997 der französische Computerspiel-Riese Ubisoft in diesem Viertel eine Niederlassung eröffnete, haben sie sich zu einem Lebensraum für Ideenträger, Alternative und Kulturschaffende entwickelt. Kanadas Selbstverständnis als wahres „Land of the Free“ zeigt sich hier besonders schön. Die Gräben zwischen franko- und anglophoner Bevölkerung sind zugeschüttet, europäische und amerikanische Einflüsse ergänzen einander: „Im Mile End spricht jeder beide Sprachen und arbeitet mit anderen zusammen“, sagt Gauthier: „Das ist neu.“
Von ihrem Freigeist erzählt die Stadt zum Beispiel durch die Fassadenmalerei, die überall in der Häuserlandschaft zu entdecken ist. Durch ihre Bands und ihre junge Küche. Montréals große alte Söhne werden als Idole des Fortschrittsdenkens verehrt. Ausstellungen feierten zuletzt das Werk des Poeten-Sängers Leonard Cohen, der im November in Los Angeles starb, sowie das des Allround-Genies Pierre Ayot, der mit seinen gesellschaftskritischen Installationen ein wichtiger Zeitzeuge der Révolution tranquille war. Ein Québec-Comic zweier Franzosen passt schlecht ins Montréaler Selbstbild.
Inzwischen hat der Zeichner Michel Rabagliati die Räume von La Pastèque betreten und setzt sich an seinen Zeichentisch. „Magasin Général?“ Tripp/Loisel? „Diese Jungs sind wirklich cool“, sagt er, „aber die Sprache der Bücher ist nicht perfekt, in manchen Passagen klingen die Charaktere einfach nicht richtig.“ Lokale Authentizität bis ins kleinste Detail ist Rabagliatis Erfolgskonzept. Seine Figur Paul verkauft sich im Ausland nur mäßig, in Québec dagegen ist er berühmt wie Asterix. Rabagliati trifft den Ton von Kanadas größter Provinz, er spiegelt die politischen Debatten in den Familien, die Doppelbödigkeit zwischen Toleranz und Tradition. Für ihn haben Tripp und Loisel etwas gewagt, das nur schief gehen kann. „Das wäre so, als wenn ich etwas über Marseille mache und den Klang der Provence einfangen will“, sagt er: „Ich würde das nicht tun. Ich hätte Angst, Fehler zu machen. Es ist heikel, eine lokale Geschichte zu machen.“
Régis Loisel und Jean-Louis Tripp hatten nie vor, die große Québec-Saga zu verfassen. Wenn sie über Authentizität sprechen, meinen sie die Kraft der Geschichte, die jedem einen leichten Zugang erlaubt. Eine junge Witwe, die sich nicht anpassen will. Ein schwuler Fremder. Ein schwuler Pfarrer. Die Diskriminierung des Andersseins auf dem Dorf. Die Themen des Comics sind zeitlos, sie werden nur besonders anschaulich in jenem Szenario, das Tripp und Loisel gewählt haben. Was ihr Publikum daraus macht, haben sie nicht mehr in der Hand. Ihre Botschaft jedenfalls ist klar: Beharrlichkeit führt ins Glück. Und das passt im Grunde doch ganz gut zu Québec – und zum Rest der Welt.
Das Erfolgsgeheimnis sei die
Authentizität, sagt der Zeichner.
Aber genau da wird es heikel
Kanada sieht sich – und nicht
Amerika – als das wahre
„Land of the Free“
Eine junge unangepasste
Witwe, ein schwuler Fremder,
ein schwuler Pfarrer
Fast alle Szenen des Comics spielen im fiktiven frankokanadischen Dorf Notre-Dame-des-Lacs, bis auf einige wenige wie die abgebildeten. Sie zeigen Québecs Hauptstadt Montreal.
Foto: Carlsen-Verlag
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