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Ein Mann beschäftigt sich mit der Ungleichheit der Geschlechter. Doch der Soziologe Pierre Bourdieu tut dies nicht, um den Feminismus unter männliche Dominanz zu bringen, sondern um zu zeigen, daß männliche Herrschaft eine besondere, politisch wie ökonomisch wichtige Form symbolischer Herrschaft darstellt. Männliche Herrschaft ist das Paradigma - und oft das Modell und der Gegenstand - aller Herrschaft. Da sie hinreichend abgesichert ist, bedarf sie keiner Rechtfertigung. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern scheint nämlich in der "Natur der Dinge" zu liegen: Sie hat sich in der…mehr

Produktbeschreibung
Ein Mann beschäftigt sich mit der Ungleichheit der Geschlechter. Doch der Soziologe Pierre Bourdieu tut dies nicht, um den Feminismus unter männliche Dominanz zu bringen, sondern um zu zeigen, daß männliche Herrschaft eine besondere, politisch wie ökonomisch wichtige Form symbolischer Herrschaft darstellt.
Männliche Herrschaft ist das Paradigma - und oft das Modell und der Gegenstand - aller Herrschaft. Da sie hinreichend abgesichert ist, bedarf sie keiner Rechtfertigung. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern scheint nämlich in der "Natur der Dinge" zu liegen: Sie hat sich in der sozialen Welt niedergeschlagen und ist in den Einstellungen aller, dem Habitus, präsent: als ein universelles Prinzip des Sehens und Einteilens, ein System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien. Dies erklärt, warum eine solche Macht akzeptiert wird: Die Zustimmung zu ihr beruht nicht auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern auf der unmittelbaren Unterwerfung der sozialisierten Frauen. Wie die Frauen einer Sozialisierung unterworfen werden, die auf ihre Herabsetzung zielt, sind auch die Männer Gefangene der herrschenden Vorstellungen, obwohl sie perfekt ihren Interessen entsprechen.
Für Bourdieu bedarf es daher einer symbolischen Revolution, einer radikalen Umgestaltung jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die die beherrschten Frauen dazu bringt, den herrschenden Männern und sich selbst gegenüber einen Standpunkt einzunehmen, der mit dem der Herrschenden identisch ist.
Autorenporträt
Pierre Bourdieu (eigentlich Pierre-Félix Bourdieu; 1. August 1930 in Denguin, Pyrénées-Atlantiques; 23. Januar 2002 in Paris) war einer der bekanntesten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Er studierte Philosophie in Paris an der École Normale Supérieure und arbeitete als Lehrer. Seit 1981 hatte Bourdieu einen Lehrstuhl am Collège de France. Im Jahre 1993 wurde er mit der "Médaille d'or du Centre National de la Recherche Scientifique" (CNRS) ausgezeichnet. Pierre Bourdieus soziologische Forschungen, zumeist im Alltagsleben verwurzelt, waren vorwiegend empirisch orientiert. Er war bekannt als politisch interessierter und aktiver Intellektueller, der sich gegen die herrschende Elite und den Neoliberalismus wandte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Wer wann darüber lacht
Pierre Bourdieus Lanze für die Frau / Von Christine Tauber

Eine Kritik der männlichen Herrschaft durch einen Mann, wo gibt es denn so etwas? Die Hauptthese des Buches, daß die männliche Herrschaft aufgrund ihrer Finte, sich als natürlich-biologische Gegebenheit zu tarnen und sich zugleich eisern in den herrschenden sozialen Strukturen zu verankern, unüberwindlich sei und durch immer neue Reproduktion Männer und Frauen erfolgreich und unausweichlich konditioniere, legt in der Tat die Frage nahe, wie dann männliches Denken je die Distanz einnehme könne, um diese Strukturen realistisch zu beschreiben. Pierre Bourdieus Beteuerung, er habe sich auf dieses "fast gänzlich von Frauen monopolisierte Gebiet gewagt", weil seine Beziehung zum Thema von "Distanz und Sympathie" geprägt sei, überzeugt nicht. Plausibler klingt der Hinweis auf das Grundgesetz aller wissenschaftlichen Beschäftigung, daß das Recht aller auf den Zugang zu allen Gegenständen gewährleistet bleiben müsse.

Der verstorbene Bourdieu bietet in diesem Text von 1998 eine Vielzahl - zum Teil durchaus amüsanter - Beispiele für das Fortleben der androzentrischen Strukturen auch in der heutigen europäischen und amerikanischen Gesellschaft. Besonders schön ist seine Beobachtung, daß Männer Dinge an ihrem Körper als negativ bewerten, die zu klein sind, Frauen hingegen diejenigen, die ihnen zu groß erscheinen. Eine Frau ist fast immer in der Lage, ihren Mann mit detaillierten Beschreibungen zu charakterisieren und im Falle einer polizeilichen Suchanzeige genaueste Angaben über seine Kleidung (die sie ja häufig genug selbst für ihn ausgesucht hat) und über spezifische Merkmale zu machen, während der Mann im umgekehrten Fall meist nur zu allgemeinen Stereotypen greift. In öffentlichen Diskussionen schneiden Männer Frauen oft "das Wort ab, man wendet sich in gutem Glauben an einen Mann, um die kluge Frage zu beantworten, die sie gerade gestellt haben (so, als könne diese per definitionem nicht von einer Frau stammen)". Wehrt sich die Frau gegen ein solches Betragen, legt sie es vielleicht sogar auf einen Eklat an, so läuft sie Gefahr, als hysterisch eingestuft zu werden. Bestenfalls bekommt sie ein besänftigendes Wort oder ein Wangentätscheln zur Beruhigung. Auch Koketterie und Flirt sind keine ernstzunehmenden Alternativen des Aufbegehrens, zeigen sie doch nur erneut das Bedürfnis der Frau, vom Mann wahrgenommen zu werden.

Die Zwangsgewalt, die Männer über Frauen ausüben, ist nach Bourdieu nicht (oder nur sehr selten) die der blanken Faust, sie ist vielmehr eine symbolische Gewalt. Ihre Sublimierung in Denkformen und Sprache steigert noch ihre Wirkung, weil die weiblichen Opfer häufig gar nicht bemerken, daß sie majorisiert werden - in der kabylischen Gesellschaft bezeichnet der Begriff thakbaylith (Kabylität) die Männlichkeit. In einer Art amor fati, einer Liebe zu ihrem sozialen Schicksal, bestätigen Frauen unbewußt die ihnen eingepflanzten männlichen Herrschaftsstrukturen: So ergab eine Umfrage, daß ein Großteil der befragten Frauen es explizit ablehnt, eine Beziehung zu einem kleineren Mann einzugehen. Die Tücke dieser symbolischen männlichen Herrschaft besteht darin, daß sie sich als natürlich ausgibt, obwohl sie kulturell willkürlich entwickelt und dann gesellschaftlich induziert wurde. Nicht die menschliche Anatomie bringt die Differenz hervor, sondern ihre gesellschaftliche Deutung durch den Mann, der augenblicklich danach trachtet, diesem historischen Deutungsakt durch Enthistorisierung Ewigkeitsanspruch zu verleihen. Durch die Konditionierung der Geschlechter bis auf die Körperebene hinab - vereinfacht und archetypisch gesprochen, stehen Männer aufrecht hinter dem Pflug, während Frauen gebückt die Saat auswerfen oder die Kartoffeln aufklauben - prägt sich der Gegensatz so in den Habitus als inkorporiertes soziales Gesetz und ins Unbewußte ein, daß er als schicksalhaft-naturgegeben hingenommen wird. Männliche Macht muß sich nicht rechtfertigen, sie ist einfach da und bestimmt, was das "ewig Weibliche" zu sein hat.

Die Übertragung dieses dualen Systems, bei dem die eine Seite der anderen per se übergeordnet ist, auf kosmologische und mythische Vorstellungen sichert seine Wirkmächtigkeit auch in der Transzendenz ab. Die staatlichen Institutionen, allen voran die Schulen und Kirchen, reproduzieren diese geschlechtlich konditionierenden Strukturen bis in die Familien hinein, weil sie von vornherein von männlichem Denken bestimmt sind: "Die soziale Ordnung funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie gründet." Mädchen wird beispielsweise in der Schule suggeriert, ihre Begabungsstruktur sei "harten" Fächern wie Mathematik und Maschinenbau nicht angemessen. Und nicht von ungefähr geriet der ehemalige Präfekt der vatikanischen Bibliothek in Konflikt mit der gerontrischen Männerwelt des Vatikans, als eine seiner ersten Amthandlungen darin bestand, das Schild abhängen zu lassen, das das Tragen von Miniröcken in der Bibliothek untersagte.

Neu sind diese Einsichten nicht: Jede Frau, die einmal bei der Neubesetzung einer (weiland) C4-Professur mitgearbeitet hat, weiß nur zu gut, wovon Bourdieu spricht. Die Entscheidung, wer wann reden darf, wer wann welchen Witz machen darf und vor allem, wer dann wann darüber lacht, folgt streng männlichen Regeln, die der jeweilige Platzhirsch nicht einmal explizit vorgeben muß, weil sie sich in männlich dominierten Gesellschaften von selbst verstehen. Und auch die Statistiken sind hinlänglich bekannt: Von den hundert hoffnungsvollen Romanistikstudentinnen mit Perlenkettchen, die etwa 96 Prozent der Erstsemester ihres Jahrgangs stellen, sind auf Doktorandenebene noch rund zwanzig übrig, von denen dann schließlich 0,2 bis 0,5 Prozent eine Professur ergattern, wenn sie großes Glück haben und von den richtigen Männern protegiert werden. Neu aber ist der fatalistische Unterton, der Bourdieus Analysen begleitet und der jede Hoffnung darauf, daß sich in den letzten zwanzig Jahren kategorial etwas geändert hätte, zunichte macht. Es sei wie beim Handikap-Rennen, schreibt Bourdieu: Die Struktur der Abstände bliebe immer erhalten, die Kluft zum echten Kampf um die Macht für die Frauen unüberbrückbar.

Der große Entzauberer stellt seine Diagnosen gnadenlos - Therapievorschläge hat er nicht zur Hand, sieht man einmal von den zarten Hinweisen in der einen oder anderen Fußnote ab. Dort steht an versteckter Stelle, daß eine Befreiung der Frauen ohne eine Befreiung der Männer aus den bestehenden Strukturen nicht möglich sei, weil männliche Herrschaft genauso zwanghaft konditioniert sei wie weibliche Unterwerfung. Dem männlichen Zwang zur Herrschaft korrespondiere nämlich eine außerordentliche Verletzlichkeit. Weiterhin gibt er zu bedenken, daß eine mögliche Befreiungsaktion eigentlich nur mit subversiven Mitteln durchgeführt werden könne. Subversion aber bedient sich der List, schleicht auf krummen Nebenwegen, duckt sich unter der männlichen Linie hindurch, greift von hinten an, ironisiert, persifliert und unterminiert bestehende Herrschaftsordnungen, so daß jeder einigermaßen männliche Kabyle sofort wüßte: Hier können nur die Waffen einer Frau am Werke sein!

Pierre Bourdieu: "Die männliche Herrschaft". Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 210 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ach, wie fleißig haben Frauen über die Herrschaft der Männer geschrieben, wie wenig hat es die Herren interessiert, seufzt Susanne Mayer. Dass mit Pierre Bourdieu sich nun endlich einmal ein Mann des Themas angenommen hat, freut sie erst einmal, auch wenn sie skeptisch bleibt, ob er wirklich die "Spirale der Erkenntnis" höher treiben kann. Ja doch, er kann, versichert Mayer. Was ihn interessiere, sei, wie sich die männliche Herrschaft scheinbar so mühelos reproduziert. Er legt die Mechanismen dieser Machtmaschine offen: "Die soziale Ordnung funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie gründet", zitiert Mayer Bourdieu. Sehr luzide findet die Rezensentin, wie Bourdieu anschließend beschreibe, wie jeder Einbruch von Frauen in eine Männerdomäne als grundsätzlicher Angriff auf die Männlichkeit empfunden wird, köstlich gar seine Interpretation von Virgina Woolfes "Fahrt zum Leuchtturm". Auch die Komplizenschaft der Frauen, ihr vorauseilender Gehorsam, werden von Bourdieu unter die Lupe genommen, nimmt die Rezensentin anerkennend zur Kenntnis, die nur nicht Bourdieus Glauben an die heilende Kraft der Liebe teilen mag.

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