Acht Menschen, acht Blickwinkel: So wurde die Geschichte der Manns noch nicht erzählt.
Thomas Manns literarisches Werk überragt die Konkurrenz - und es beherrscht die Familie. Seine Frau Katia hält ihm den Rücken frei und die Kinder vom Hals. Ihre scharfe Zunge ist gefürchtet. Der schöne Sohn Klaus will als Schriftsteller so berühmt sein wie der Vater. Erika, die älteste Tochter, liebt so leidenschaftlich, wie sie hasst. Der scheue Golo sucht sein Glück fern der Familie. Michael will ein großer Musiker werden und kämpft gegen seinen Jähzorn und die hohen Ansprüche der Familie. Der Liebling des Vaters, Elisabeth, redet mit Tieren und rettet die Welt. Und alle lästern über Monika. Die Geschwister experimentieren in der Liebe und mit Drogen, verschleudern das Geld der Eltern - und werden zu ernsthaften Gegnern Hitlers. Wohin das Schicksal sie auch trägt: Die Manns halten zusammen. Und sie verraten einander.
Tilmann Lahme erzählt anhand zahlloser bisher nicht zugänglicher Quellen das aufregende Leben der Familie Mann.
Thomas Manns literarisches Werk überragt die Konkurrenz - und es beherrscht die Familie. Seine Frau Katia hält ihm den Rücken frei und die Kinder vom Hals. Ihre scharfe Zunge ist gefürchtet. Der schöne Sohn Klaus will als Schriftsteller so berühmt sein wie der Vater. Erika, die älteste Tochter, liebt so leidenschaftlich, wie sie hasst. Der scheue Golo sucht sein Glück fern der Familie. Michael will ein großer Musiker werden und kämpft gegen seinen Jähzorn und die hohen Ansprüche der Familie. Der Liebling des Vaters, Elisabeth, redet mit Tieren und rettet die Welt. Und alle lästern über Monika. Die Geschwister experimentieren in der Liebe und mit Drogen, verschleudern das Geld der Eltern - und werden zu ernsthaften Gegnern Hitlers. Wohin das Schicksal sie auch trägt: Die Manns halten zusammen. Und sie verraten einander.
Tilmann Lahme erzählt anhand zahlloser bisher nicht zugänglicher Quellen das aufregende Leben der Familie Mann.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hymnisch bespricht Rezensent Gustav Seibt Tilmann Lahmes Buch über die Manns. Der Kritiker attestiert dem Autor nicht nur einen eleganten, leserfreundlichen Schreibstil und brillanten Umgang mit der reichhaltigen Quellenlage, sondern auch das Vermögen oberflächlich witzig und zugleich tiefgehend traurig zu erzählen. Auch die Form einer streng voranschreitenden Chronologie findet Seibt klug gewählt, denn auf diese Weise gelinge es dem Autor, die bekannten Fakten in einen interpretatorischen "Urzustand" zu versetzen und die teilweise schockierenden Ereignisse beim Leser wirken zu lassen. Und so liest der Kritiker gebannt von den Folgen der in der Familie herrschenden Triebregulierung und des Gefühlsmanagements, aber auch von den Drogensüchten und finanziellen Lebensumständen der einzelnen Familienmitglieder. Nicht zuletzt lobt der Rezensent Lahmes Verzicht auf Kurzinterpretationen der literarischen Werke.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015Leiden und Größe, achtstimmig
In Tilmann Lahmes Biographie "Die Manns" spielt keiner die zweite Geige
Im Sommer 1950 notiert Thomas Mann in sein Tagebuch: "Rückkehr zur Arbeit als Ersatz für das Glück, so muss es sein. Es ist die Bestimmung (und der Ursprung?) alles Genies." Der fast fünfundsiebzigjährige Schriftsteller hat sich gerade in einen jungen Kellner verguckt. Er vergleicht das gegenüber seiner Tochter Erika mit dem Wohlgefallen an einem schönen Pudel - "Viel sexueller sei dies auch nicht. Was sie nicht ganz glaubte" - und ergänzt etwas später: "Warum schreibe ich dies alles? Um es noch rechtzeitig vor meinem Tod zu vernichten? Oder wünsche ich, dass die Welt mich kenne?"
Die Welt hat ihn seit der Veröffentlichung seiner Tagebücher von 1977 an besser kennengelernt. Hervor traten seine Selbstbeobachtung, seine Hypochondrie, seine Neigung, vor sich selbst zu posieren, die Pflege von sozialer Fassade und emotionaler Hinterbühne, die Kälte, zu der er gegenüber manchen seiner Kinder fähig war. In Umrissen wurde die innere, psychische wie die äußere, bürgerliche Haushaltsführung des Schriftstellers erkennbar, der mit einem Familienroman berühmt wurde, um danach fast nur noch Bücher zu schreiben, deren Hauptfiguren ihre Herkunft hinter sich ließen. Mit nur geringer Übertreibung kann man sagen: Seit Thomas Mann selbst eine Familie gegründet hatte, schrieb er nicht mehr über Familien.
"Man wird später Bücher über uns - nicht nur über einzelne von uns - schreiben": Das hielt im Sommer 1936 der älteste Sohn, Klaus Mann, in seinem Tagebuch fest. Später, das ist jetzt. Tilmann Lahme hat die Geschichte der Manns geschrieben. Durch jahrelange Beschäftigung mit dem Schriftsteller, durch seine große Golo-Mann-Biographie von 2009 und durch seine Kenntnis der noch weithin unbekannten Korrespondenz zwischen Thomas Mann, seiner Frau und den sechs Kindern war er darauf hervorragend vorbereitet. Vor allem aber durch sein sachliches Temperament.
Denn was jetzt vor uns liegt, ist eine Familiengeschichte, deren Stoff aus Ruhm und Ruhmsucht, Luxus, Neid, Verlogenheit, Exzess, Verachtung, Liebe und Verbitterung besteht. In den Selbstbespiegelungen der Beteiligten und ihrer ständigen Bereitschaft, den anderen und sich selbst etwas vorzumachen, weder die Geduld noch die Neutralität zu verlieren - das setzt einen Autor voraus, der ihnen ebenso zugewandt ist wie unwillig, sich seinerseits etwas vormachen zu lassen. Tilmann Lahme ist dieser Autor. Sein Bericht hat die Form einer erzählten Chronik, in der kein Detail wichtiger ist als ein anderes. Die Familien als soziale Gebilde so kennzeichnende Frage, was jedes Mitglied gerade macht und wo es ist, gibt dem Buch seinen Rhythmus. Die Frequenz, in der auf jeder Seite Informationen erfolgen, welches der acht Familienmitglieder sich gerade wo aufhält und was schreibt und worauf hofft und mit wem schläft, ist atemberaubend.
Mitunter meint man, Lahme schreibe gar keine Nebensätze, was nicht stimmt, aber andeutet, wie erfreulich wenig der Stil Thomas Manns auf ihn abgefärbt hat. Der vielen Rhetorik im Austausch der Manns, von der er zu berichten hat, weil sie einander ständig anlügen und ständig etwas voneinander wollen - die Kinder von den Eltern meistens Geld und Anerkennung -, setzt er einen großartig unterkühlten Ton entgegen. Nach dem Nobelpreis etwa: "Erika und Klaus werden die Schulden, die sie mit ihrer Weltreise angehäuft haben, erlassen. Ihre Freude ist begrenzt, Rückzahlung war ohnehin nicht vorgesehen."
Nüchternheit ist hier also nicht nur ein Stilelement. Keiner Quelle zu trauen wird dem Biographen vielmehr durch den Umstand nahegelegt, dass es sich um eine Dichterfamilie handelt. Das Buch setzt 1922 ein, weil für die Zeit davor nur von Thomas Mann aussagefähige Zeugnisse vorliegen. Und manche späte Erinnerung war beschönigend, wenn man etwa Golo Manns bittere Sätze über die elende Kindheit und die Bemerkung in Rechnung stellt, die er nach seinem Durchbruch als Historiker machte: "Der Ruhm - ein Ersatz für die Jugend".
Lahme trifft ständig auf Mythenbildungen wie die, Erika Mann habe sich nach der Emigration noch einmal in das bereits von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Münchner Haus geschlichen, um das Manuskript des Joseph-Romans zu retten. So zusammen mit Klaus Mann 1939 in "Escape to Life" beschrieben, so von Thomas Mann bestätigt. "Problem nur: Alles falsch, ausgedacht, erlogen." Das Exil und die politischen Umstände einerseits, die Homosexualität von Klaus, dem Verzweifelten, und von Golo, dem Gequälten, sowie die Bisexualität von Erika, der Verwegenen, anderseits, treiben in der Familie wie gegenüber Dritten weitere Blüten der Täuschung. Zur Ausgeglichenheit der Darstellung gehört es auch, dass kein Familienmitglied hier mehr Raum erhält als ein anderes. Der einzige leichte Sympathieakzent, den sich Lahme erlaubt, liegt auf Golo Mann, der von allen Kindern am wenigsten schwafelt und auch den Unfug, den Thomas Mann politisch gelegentlich von sich gegeben hat, am klarsten einzuschätzen wusste. Die Werke des Haushaltsvorstands aber spielen keine größere Rolle als die Kabarettauftritte oder Vortragsreisen von Erika Mann und die Entziehungskuren von Klaus oder beider rastlose Affären, der Geigenunterricht von Michael, die Untätigkeit Monikas oder die Weltrettungspläne von Elisabeth. Ab und zu erscheint eben wieder ein Roman der Weltliteratur.
Das wird hier so normal geschildert, wie es für die Familie war, in der zur Qual manches Kindes kein Zweifel daran bestand, wer in ihr der größte Könner seines Metiers sowie der einzige Erfolgreiche war und wovon alle lebten. Der lakonischste Satz von Lahme über diese letzten Jahre dieses Dramas, das in seelischem Elend ausgeht, lautet: "Alle Väter sterben. Dieser nicht." Die irgendwie immer Kinder bleibenden Kinder litten darunter, selbst etwas werden zu wollen, ohne sich doch lösen zu können, weil sie die Familie auch wieder brauchten, um ihr Scheitern aufzufangen. Willensstark waren nur die Eltern.
Womit hier nur das Familieninnenleben berührt ist. Lahmes Buch ist auch die Geschichte eines in acht Versionen gelebten Migrantenlebens, in dem ein unglaublicher Vorfall dem anderen folgt und es eigentlich nur einen Ordnungsfaktor gibt, Thomas Manns Ehefrau Katia nämlich. Ergreifend in diesem Zusammenhang ist die Notiz Lahmes, dass Golo Mann seine Mutter beim Tod seines Vaters das erste Mal im Leben weinen gesehen hatte.
Ihre eigenen Ambitionen wie die Geschichte zehren am Leben dieser Familie, das viele ihrer Mitglieder nicht ohne Drogen oder Tabletten führen können. Und wenn es nicht solche Mittel sind, die sie erst aufputschen und dann beruhigen, so sind es ihre Erwartungen, ihr Unglück und die anderen Familienmitglieder. Stunden des Trostes gibt es nicht viele. Alle unglücklichen Familien sind auf ihre Art unglücklich, heißt es bei Tolstoi. Man lese dieses Buch, um zu verstehen, was dieser Satz heißen kann.
JÜRGEN KAUBE
Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 479 S., geb., 24,99 Euro.
Auszüge aus "Die Manns" finden Sie online in unserem F.A.Z.-Lesesaal, dem multimedialen Internet-Forum, auf dem sich Leser untereinander sowie mit Autoren und Redakteuren über Bücher austauschen können: www.faz.net/lesesaal
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Tilmann Lahmes Biographie "Die Manns" spielt keiner die zweite Geige
Im Sommer 1950 notiert Thomas Mann in sein Tagebuch: "Rückkehr zur Arbeit als Ersatz für das Glück, so muss es sein. Es ist die Bestimmung (und der Ursprung?) alles Genies." Der fast fünfundsiebzigjährige Schriftsteller hat sich gerade in einen jungen Kellner verguckt. Er vergleicht das gegenüber seiner Tochter Erika mit dem Wohlgefallen an einem schönen Pudel - "Viel sexueller sei dies auch nicht. Was sie nicht ganz glaubte" - und ergänzt etwas später: "Warum schreibe ich dies alles? Um es noch rechtzeitig vor meinem Tod zu vernichten? Oder wünsche ich, dass die Welt mich kenne?"
Die Welt hat ihn seit der Veröffentlichung seiner Tagebücher von 1977 an besser kennengelernt. Hervor traten seine Selbstbeobachtung, seine Hypochondrie, seine Neigung, vor sich selbst zu posieren, die Pflege von sozialer Fassade und emotionaler Hinterbühne, die Kälte, zu der er gegenüber manchen seiner Kinder fähig war. In Umrissen wurde die innere, psychische wie die äußere, bürgerliche Haushaltsführung des Schriftstellers erkennbar, der mit einem Familienroman berühmt wurde, um danach fast nur noch Bücher zu schreiben, deren Hauptfiguren ihre Herkunft hinter sich ließen. Mit nur geringer Übertreibung kann man sagen: Seit Thomas Mann selbst eine Familie gegründet hatte, schrieb er nicht mehr über Familien.
"Man wird später Bücher über uns - nicht nur über einzelne von uns - schreiben": Das hielt im Sommer 1936 der älteste Sohn, Klaus Mann, in seinem Tagebuch fest. Später, das ist jetzt. Tilmann Lahme hat die Geschichte der Manns geschrieben. Durch jahrelange Beschäftigung mit dem Schriftsteller, durch seine große Golo-Mann-Biographie von 2009 und durch seine Kenntnis der noch weithin unbekannten Korrespondenz zwischen Thomas Mann, seiner Frau und den sechs Kindern war er darauf hervorragend vorbereitet. Vor allem aber durch sein sachliches Temperament.
Denn was jetzt vor uns liegt, ist eine Familiengeschichte, deren Stoff aus Ruhm und Ruhmsucht, Luxus, Neid, Verlogenheit, Exzess, Verachtung, Liebe und Verbitterung besteht. In den Selbstbespiegelungen der Beteiligten und ihrer ständigen Bereitschaft, den anderen und sich selbst etwas vorzumachen, weder die Geduld noch die Neutralität zu verlieren - das setzt einen Autor voraus, der ihnen ebenso zugewandt ist wie unwillig, sich seinerseits etwas vormachen zu lassen. Tilmann Lahme ist dieser Autor. Sein Bericht hat die Form einer erzählten Chronik, in der kein Detail wichtiger ist als ein anderes. Die Familien als soziale Gebilde so kennzeichnende Frage, was jedes Mitglied gerade macht und wo es ist, gibt dem Buch seinen Rhythmus. Die Frequenz, in der auf jeder Seite Informationen erfolgen, welches der acht Familienmitglieder sich gerade wo aufhält und was schreibt und worauf hofft und mit wem schläft, ist atemberaubend.
Mitunter meint man, Lahme schreibe gar keine Nebensätze, was nicht stimmt, aber andeutet, wie erfreulich wenig der Stil Thomas Manns auf ihn abgefärbt hat. Der vielen Rhetorik im Austausch der Manns, von der er zu berichten hat, weil sie einander ständig anlügen und ständig etwas voneinander wollen - die Kinder von den Eltern meistens Geld und Anerkennung -, setzt er einen großartig unterkühlten Ton entgegen. Nach dem Nobelpreis etwa: "Erika und Klaus werden die Schulden, die sie mit ihrer Weltreise angehäuft haben, erlassen. Ihre Freude ist begrenzt, Rückzahlung war ohnehin nicht vorgesehen."
Nüchternheit ist hier also nicht nur ein Stilelement. Keiner Quelle zu trauen wird dem Biographen vielmehr durch den Umstand nahegelegt, dass es sich um eine Dichterfamilie handelt. Das Buch setzt 1922 ein, weil für die Zeit davor nur von Thomas Mann aussagefähige Zeugnisse vorliegen. Und manche späte Erinnerung war beschönigend, wenn man etwa Golo Manns bittere Sätze über die elende Kindheit und die Bemerkung in Rechnung stellt, die er nach seinem Durchbruch als Historiker machte: "Der Ruhm - ein Ersatz für die Jugend".
Lahme trifft ständig auf Mythenbildungen wie die, Erika Mann habe sich nach der Emigration noch einmal in das bereits von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Münchner Haus geschlichen, um das Manuskript des Joseph-Romans zu retten. So zusammen mit Klaus Mann 1939 in "Escape to Life" beschrieben, so von Thomas Mann bestätigt. "Problem nur: Alles falsch, ausgedacht, erlogen." Das Exil und die politischen Umstände einerseits, die Homosexualität von Klaus, dem Verzweifelten, und von Golo, dem Gequälten, sowie die Bisexualität von Erika, der Verwegenen, anderseits, treiben in der Familie wie gegenüber Dritten weitere Blüten der Täuschung. Zur Ausgeglichenheit der Darstellung gehört es auch, dass kein Familienmitglied hier mehr Raum erhält als ein anderes. Der einzige leichte Sympathieakzent, den sich Lahme erlaubt, liegt auf Golo Mann, der von allen Kindern am wenigsten schwafelt und auch den Unfug, den Thomas Mann politisch gelegentlich von sich gegeben hat, am klarsten einzuschätzen wusste. Die Werke des Haushaltsvorstands aber spielen keine größere Rolle als die Kabarettauftritte oder Vortragsreisen von Erika Mann und die Entziehungskuren von Klaus oder beider rastlose Affären, der Geigenunterricht von Michael, die Untätigkeit Monikas oder die Weltrettungspläne von Elisabeth. Ab und zu erscheint eben wieder ein Roman der Weltliteratur.
Das wird hier so normal geschildert, wie es für die Familie war, in der zur Qual manches Kindes kein Zweifel daran bestand, wer in ihr der größte Könner seines Metiers sowie der einzige Erfolgreiche war und wovon alle lebten. Der lakonischste Satz von Lahme über diese letzten Jahre dieses Dramas, das in seelischem Elend ausgeht, lautet: "Alle Väter sterben. Dieser nicht." Die irgendwie immer Kinder bleibenden Kinder litten darunter, selbst etwas werden zu wollen, ohne sich doch lösen zu können, weil sie die Familie auch wieder brauchten, um ihr Scheitern aufzufangen. Willensstark waren nur die Eltern.
Womit hier nur das Familieninnenleben berührt ist. Lahmes Buch ist auch die Geschichte eines in acht Versionen gelebten Migrantenlebens, in dem ein unglaublicher Vorfall dem anderen folgt und es eigentlich nur einen Ordnungsfaktor gibt, Thomas Manns Ehefrau Katia nämlich. Ergreifend in diesem Zusammenhang ist die Notiz Lahmes, dass Golo Mann seine Mutter beim Tod seines Vaters das erste Mal im Leben weinen gesehen hatte.
Ihre eigenen Ambitionen wie die Geschichte zehren am Leben dieser Familie, das viele ihrer Mitglieder nicht ohne Drogen oder Tabletten führen können. Und wenn es nicht solche Mittel sind, die sie erst aufputschen und dann beruhigen, so sind es ihre Erwartungen, ihr Unglück und die anderen Familienmitglieder. Stunden des Trostes gibt es nicht viele. Alle unglücklichen Familien sind auf ihre Art unglücklich, heißt es bei Tolstoi. Man lese dieses Buch, um zu verstehen, was dieser Satz heißen kann.
JÜRGEN KAUBE
Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 479 S., geb., 24,99 Euro.
Auszüge aus "Die Manns" finden Sie online in unserem F.A.Z.-Lesesaal, dem multimedialen Internet-Forum, auf dem sich Leser untereinander sowie mit Autoren und Redakteuren über Bücher austauschen können: www.faz.net/lesesaal
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015Sehr interessante Broschüren über die Familie Mann
Tilmann Lahme schreibt eine Chronik der amazing family, die viel litt und alles über sich wusste
Vor der Beerdigung seines Vaters brauchte Golo Mann Morphium. Zur Erschütterung habe beigetragen, dass er sah, was er nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte: „Die Mutter weint.“ So erklärt es Tilmann Lahme mit der stoischen Lakonie, die sein Stoff ihn gelehrt hat. Lahme erzählt die Geschichte der Familie von Thomas Mann, der Eltern und ihrer sechs Kinder, in der Form einer von Jahr zu Jahr voranschreitenden Chronik. Diese archaische Erzählform hat den Reiz, dass sie die ausgewählten Tatsachen zunächst für sich sprechen lässt. Die Zusammenhänge kumulieren sich Schritt für Schritt im Kopf des Lesers – teilweise ins Ungeheuerliche, auch Selbstmorde haben lange Vorläufe.
Wer es bis zu Erika Manns Morphiumgabe an ihren überforderten Bruder geschafft hat, der hat das Muster schon verinnerlicht: Gefühle sind in dieser Familie eine Gefahr, zu bedrohlich erscheint der Kontrollverlust. Was umgekehrt bedeutet: Es gibt diese Gefühle. Überforderungen werden aber kühl gemanagt, und sei es mit chemischen Mitteln. Noch im hohen Alter tauschten Golo und Michael Mann sich über die Tabletten aus, die sie vor jedem öffentlichen Auftritt einnahmen.
Klaus Mann brauchte Drogen fürs Schreiben und beim Sex, Erika, um ihre gigantischen Vortragsreisen durch die USA während des Zweiten Weltkriegs durchzuhalten. Auch der Vater nahm bekanntlich „Heiterlis“, bevor er an seine prominenten Pulte trat. Dass Katia ihren ältesten Sohn schon früh vor dem „kleinbürgerlichen Laster“ der Drogensucht warnte, wirkt fast komisch. Die Mutter hatte gut reden, zu Tränen scheint sie ja nicht geneigt zu haben.
Dereinst würden „sehr interessante Broschüren über die Familie Mann geschrieben werden“, prophezeite Klaus 1933, unmittelbar nach dem Beginn der Emigration aus Deutschland. Nun, diese Broschüren gab es damals schon, sie kamen direkt aus der Familie. In der Novelle „Unordnung und frühes Leid“ hatte Thomas Mann ein erbarmungslos humoristisches Bild seiner Kinder gegeben, ein „Novellenverbrechen“, das Klaus bald mit rücksichtslos offenen Gegengeschichten beantwortete. Doch als er fünfzehn Jahre später nach einem ungewohnt anerkennenden Brief des Vaters darauf noch einmal zurückkommen wollte, blieb der Briefentwurf liegen. Eine Aussprache fand nicht statt.
War sie überhaupt nötig? Schließlich ließ Thomas Manns Goethe-Roman „Lotte in Weimar“ ein hinreichendes Verständnis für die Nöte von Geniekindern erkennen. Er habe Goethes Sohn August, so Lahme, auch mit den Charakterzügen seiner eigenen drei Söhne versehen: „Die alkoholischen Exzesse erinnern an Michael, die Flatterhaftigkeit an Klaus, das Unliebenswürdige, Ungeschickte an Golo.“
Tilmann Lahmes Chronik versetzt die Fakten, die zu großen Teilen trotz neuer verdienstvoller Archivstudien gut bekannt sind, zurück in einen interpretatorischen Urzustand, in dem sie wieder schockieren können. Den Ablauf der Jahre, die Nöte einer Familie, das kennt jeder; diese Naturkoordinaten erlauben es zu vergleichen und das Besondere zu erkennen. Das Besondere dieser Familie ist: Sie hat tatsächlich so etwas wie eine „Verfassung“, um Thomas Manns frühes Wort nach seiner Eheschließung aufzugreifen.
Diese Verfassung beruht zunächst auf Triebregulierung und Gefühlsmanagement, Zeitregime und Ordnungspolitik im Dienst des Familienoberhaupts und seiner Kunst. Wenn dessen Bedürfnisse, vor allem zur Aufrechterhaltung kategorischer Arbeitsaskese, gesichert sind, bleibt genügend Freiraum für erstaunliche Großzügigkeit, die allerdings oft kaum von splendider Gleichgültigkeit zu unterscheiden ist. Homosexualität, zu Thomas Manns Lebzeiten sowohl in Deutschland wie in Amerika ein Straftatbestand, wird fast achselzuckend in die „Dezenz“ des Familienlebens eingepasst, gelegentliche Psychiaterbesuche inbegriffen. Dazu gehörte eine beträchtliche Fähigkeit, das Konstrukt nüchtern zu sehen und zu beschreiben. Das ist tatsächlich ein bemerkenswertes Beispiel für Bürgerlichkeit, allerdings eins, das weit jenseits von Nachahmbarkeit liegt.
Historisch bedeutsam wurde die idiosynkratische Mannsche Familienkonstellation in der politischen Emigration. Hier verwandelte sich der künstlerische Haushalt zu jener von Harold Nicolson bewunderten „amazing family“, die auf zwei Kontinenten den Kampf gegen Hitler, gegen den Ungeist des eigenen Landes aufnahm.
Diese Metamorphose bringt Lahmes Erzählform zu neuer wuchtiger Anschauung, denn im Verlauf der Jahre sieht man, wie schmerzhaft und mühsam sie war. Golo Mann beschrieb seinen Vater in den ersten Exiljahren als „geköpfte Wespe“. Lahme zitiert es, und er bringt das hilflose Zucken zur Anschauung.
Um die Leistung des geschmeidig geschriebenen, ein überreiches Quellenmaterial brillant bewirtschaftenden, auf der Oberfläche witzigen, im Untergrund tieftraurigen Buches gerecht zu würdigen, muss man auf seine selbstgesetzten Grenzen verweisen. Es behandelt allein die Familie von Thomas und Katia Mann, und zwar von dem Moment an, in dem sie vollzählig ist, also seit 1922. Die Frühgeschichte, Heinrich Mann und der Bruderzwist bleiben so gut wie ausgespart.
Die chronikalische, an den historisch-politischen Verlauf gebundene Form, deren Stärken Lahme wunderbar ausspielt, erlaubt eine hier wohltuende Zurückhaltung gegenüber den eigentlichen Werken seiner Helden.
Von Thomas Manns erst zögerlicher, dann eifernder Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland erfährt man also viel; nichts dagegen von dem parallelen geistigen Unternehmen, nämlich in den Josephs-Romanen einen antifaschistischen Mythos-Begriff zu schaffen. Der Leser wird nicht mit summarischen Kurzinterpretationen gelangweilt, die in so vielen Dichterbiographien als germanistische Schlacke herumschwimmen.
Insofern machen sich die beiden Bücher zur Familie Mann, die in diesem Jahr erschienen sind, das von Lahme und das von Matthias Flügge („Das Jahrhundert der Manns“, Aufbau Verlag, SZ vom 13. Juli) auch keine Konkurrenz. Flügges Buch ist weitergespannt, es setzt früher ein und behandelt Heinrich Mann mit, in der Anlage ist mehr auf die Individualitäten konzentriert und daher, auch in seinen Werkeinschätzungen, deutlich konventioneller. Doch kann es neben Lahmes literarisch überlegenem Buch gut bestehen – der Aficionado sollte beide haben.
Lahme behandelt die Schriften der Familie als Lebenstatsachen. Klaus schreibt sorglos und geschwind, erst am Ende stockt ihm der Fluss. Diese Sorglosigkeit wirkt im Kontrast zum bosselnden Vater programmatisch.
Erika ist eine reine Gebrauchsschriftstellerin, die vor allem bei politisch erhitzten Anlässen blühende Fantasie an die Stelle von Recherche treten lässt. Monikas eher trostlose Schreibversuche lässt Lahme in verhältnismäßig langen Zitaten für sich sprechen und erspart sich damit, dem Mobbing der Familie gegen „das Mönle“ ein objektives Urteil oder einen sinnlosen Widerspruch hinterherzuschicken. Golos Lebensleistung, der Metierwechsel in die Geschichtswissenschaft, die Gründlichkeit seiner Produktion, wirkt vor der familiären Kulisse noch imposanter. Wer die vielen Zitate zur Politik aus der ganzen Familie gelesen hat, muss ohnehin erkennen: Golo war der einzige, der auf diesem Gebiet bei Trost war.
Da die „amazing family“ immer auf den Höhen der Gesellschaft, der literarischen ohnehin, aber oft auch der politischen, zudem im hellen Licht der Presseöffentlichkeit lebte, flackert die Weltgeschichte unentwegt hinein. Ebenso interessant sind die von Lahme immer wieder präzise dargestellten Geldverhältnisse. Die Manns waren wohlhabend, aber oft genug reichte es trotzdem nicht, vor allem im Exil. Sechs stellungslose Kinder, Bedarf an luxuriösen Lebensumständen, das wollte finanziert sein. Amerikanisches Mäzenatentum wird wie selbstverständlich entgegengenommen, allerdings mit Unmut über „Reichenfrechheit“, nämlich wenn kleinere Erkenntlichkeiten erwartet werden.
„Einseitigkeit der Themen, bei größtem Reichtum der Ausführung“, diagnostizierte Golo 1933 bei seinem Vater. Da ist was dran. Bei Tilmann Lahme erscheint es so: Maximaler Glanz durch höchste Anstrengung. Als Erzählstoff ist das großartig, als Leben muss es furchtbar gewesen sein.
GUSTAV SEIBT
Sie waren wohlhabend, aber
oft genug reichte es trotzdem
nicht, vor allem im Exil
Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
480 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 22,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Tilmann Lahme schreibt eine Chronik der amazing family, die viel litt und alles über sich wusste
Vor der Beerdigung seines Vaters brauchte Golo Mann Morphium. Zur Erschütterung habe beigetragen, dass er sah, was er nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte: „Die Mutter weint.“ So erklärt es Tilmann Lahme mit der stoischen Lakonie, die sein Stoff ihn gelehrt hat. Lahme erzählt die Geschichte der Familie von Thomas Mann, der Eltern und ihrer sechs Kinder, in der Form einer von Jahr zu Jahr voranschreitenden Chronik. Diese archaische Erzählform hat den Reiz, dass sie die ausgewählten Tatsachen zunächst für sich sprechen lässt. Die Zusammenhänge kumulieren sich Schritt für Schritt im Kopf des Lesers – teilweise ins Ungeheuerliche, auch Selbstmorde haben lange Vorläufe.
Wer es bis zu Erika Manns Morphiumgabe an ihren überforderten Bruder geschafft hat, der hat das Muster schon verinnerlicht: Gefühle sind in dieser Familie eine Gefahr, zu bedrohlich erscheint der Kontrollverlust. Was umgekehrt bedeutet: Es gibt diese Gefühle. Überforderungen werden aber kühl gemanagt, und sei es mit chemischen Mitteln. Noch im hohen Alter tauschten Golo und Michael Mann sich über die Tabletten aus, die sie vor jedem öffentlichen Auftritt einnahmen.
Klaus Mann brauchte Drogen fürs Schreiben und beim Sex, Erika, um ihre gigantischen Vortragsreisen durch die USA während des Zweiten Weltkriegs durchzuhalten. Auch der Vater nahm bekanntlich „Heiterlis“, bevor er an seine prominenten Pulte trat. Dass Katia ihren ältesten Sohn schon früh vor dem „kleinbürgerlichen Laster“ der Drogensucht warnte, wirkt fast komisch. Die Mutter hatte gut reden, zu Tränen scheint sie ja nicht geneigt zu haben.
Dereinst würden „sehr interessante Broschüren über die Familie Mann geschrieben werden“, prophezeite Klaus 1933, unmittelbar nach dem Beginn der Emigration aus Deutschland. Nun, diese Broschüren gab es damals schon, sie kamen direkt aus der Familie. In der Novelle „Unordnung und frühes Leid“ hatte Thomas Mann ein erbarmungslos humoristisches Bild seiner Kinder gegeben, ein „Novellenverbrechen“, das Klaus bald mit rücksichtslos offenen Gegengeschichten beantwortete. Doch als er fünfzehn Jahre später nach einem ungewohnt anerkennenden Brief des Vaters darauf noch einmal zurückkommen wollte, blieb der Briefentwurf liegen. Eine Aussprache fand nicht statt.
War sie überhaupt nötig? Schließlich ließ Thomas Manns Goethe-Roman „Lotte in Weimar“ ein hinreichendes Verständnis für die Nöte von Geniekindern erkennen. Er habe Goethes Sohn August, so Lahme, auch mit den Charakterzügen seiner eigenen drei Söhne versehen: „Die alkoholischen Exzesse erinnern an Michael, die Flatterhaftigkeit an Klaus, das Unliebenswürdige, Ungeschickte an Golo.“
Tilmann Lahmes Chronik versetzt die Fakten, die zu großen Teilen trotz neuer verdienstvoller Archivstudien gut bekannt sind, zurück in einen interpretatorischen Urzustand, in dem sie wieder schockieren können. Den Ablauf der Jahre, die Nöte einer Familie, das kennt jeder; diese Naturkoordinaten erlauben es zu vergleichen und das Besondere zu erkennen. Das Besondere dieser Familie ist: Sie hat tatsächlich so etwas wie eine „Verfassung“, um Thomas Manns frühes Wort nach seiner Eheschließung aufzugreifen.
Diese Verfassung beruht zunächst auf Triebregulierung und Gefühlsmanagement, Zeitregime und Ordnungspolitik im Dienst des Familienoberhaupts und seiner Kunst. Wenn dessen Bedürfnisse, vor allem zur Aufrechterhaltung kategorischer Arbeitsaskese, gesichert sind, bleibt genügend Freiraum für erstaunliche Großzügigkeit, die allerdings oft kaum von splendider Gleichgültigkeit zu unterscheiden ist. Homosexualität, zu Thomas Manns Lebzeiten sowohl in Deutschland wie in Amerika ein Straftatbestand, wird fast achselzuckend in die „Dezenz“ des Familienlebens eingepasst, gelegentliche Psychiaterbesuche inbegriffen. Dazu gehörte eine beträchtliche Fähigkeit, das Konstrukt nüchtern zu sehen und zu beschreiben. Das ist tatsächlich ein bemerkenswertes Beispiel für Bürgerlichkeit, allerdings eins, das weit jenseits von Nachahmbarkeit liegt.
Historisch bedeutsam wurde die idiosynkratische Mannsche Familienkonstellation in der politischen Emigration. Hier verwandelte sich der künstlerische Haushalt zu jener von Harold Nicolson bewunderten „amazing family“, die auf zwei Kontinenten den Kampf gegen Hitler, gegen den Ungeist des eigenen Landes aufnahm.
Diese Metamorphose bringt Lahmes Erzählform zu neuer wuchtiger Anschauung, denn im Verlauf der Jahre sieht man, wie schmerzhaft und mühsam sie war. Golo Mann beschrieb seinen Vater in den ersten Exiljahren als „geköpfte Wespe“. Lahme zitiert es, und er bringt das hilflose Zucken zur Anschauung.
Um die Leistung des geschmeidig geschriebenen, ein überreiches Quellenmaterial brillant bewirtschaftenden, auf der Oberfläche witzigen, im Untergrund tieftraurigen Buches gerecht zu würdigen, muss man auf seine selbstgesetzten Grenzen verweisen. Es behandelt allein die Familie von Thomas und Katia Mann, und zwar von dem Moment an, in dem sie vollzählig ist, also seit 1922. Die Frühgeschichte, Heinrich Mann und der Bruderzwist bleiben so gut wie ausgespart.
Die chronikalische, an den historisch-politischen Verlauf gebundene Form, deren Stärken Lahme wunderbar ausspielt, erlaubt eine hier wohltuende Zurückhaltung gegenüber den eigentlichen Werken seiner Helden.
Von Thomas Manns erst zögerlicher, dann eifernder Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland erfährt man also viel; nichts dagegen von dem parallelen geistigen Unternehmen, nämlich in den Josephs-Romanen einen antifaschistischen Mythos-Begriff zu schaffen. Der Leser wird nicht mit summarischen Kurzinterpretationen gelangweilt, die in so vielen Dichterbiographien als germanistische Schlacke herumschwimmen.
Insofern machen sich die beiden Bücher zur Familie Mann, die in diesem Jahr erschienen sind, das von Lahme und das von Matthias Flügge („Das Jahrhundert der Manns“, Aufbau Verlag, SZ vom 13. Juli) auch keine Konkurrenz. Flügges Buch ist weitergespannt, es setzt früher ein und behandelt Heinrich Mann mit, in der Anlage ist mehr auf die Individualitäten konzentriert und daher, auch in seinen Werkeinschätzungen, deutlich konventioneller. Doch kann es neben Lahmes literarisch überlegenem Buch gut bestehen – der Aficionado sollte beide haben.
Lahme behandelt die Schriften der Familie als Lebenstatsachen. Klaus schreibt sorglos und geschwind, erst am Ende stockt ihm der Fluss. Diese Sorglosigkeit wirkt im Kontrast zum bosselnden Vater programmatisch.
Erika ist eine reine Gebrauchsschriftstellerin, die vor allem bei politisch erhitzten Anlässen blühende Fantasie an die Stelle von Recherche treten lässt. Monikas eher trostlose Schreibversuche lässt Lahme in verhältnismäßig langen Zitaten für sich sprechen und erspart sich damit, dem Mobbing der Familie gegen „das Mönle“ ein objektives Urteil oder einen sinnlosen Widerspruch hinterherzuschicken. Golos Lebensleistung, der Metierwechsel in die Geschichtswissenschaft, die Gründlichkeit seiner Produktion, wirkt vor der familiären Kulisse noch imposanter. Wer die vielen Zitate zur Politik aus der ganzen Familie gelesen hat, muss ohnehin erkennen: Golo war der einzige, der auf diesem Gebiet bei Trost war.
Da die „amazing family“ immer auf den Höhen der Gesellschaft, der literarischen ohnehin, aber oft auch der politischen, zudem im hellen Licht der Presseöffentlichkeit lebte, flackert die Weltgeschichte unentwegt hinein. Ebenso interessant sind die von Lahme immer wieder präzise dargestellten Geldverhältnisse. Die Manns waren wohlhabend, aber oft genug reichte es trotzdem nicht, vor allem im Exil. Sechs stellungslose Kinder, Bedarf an luxuriösen Lebensumständen, das wollte finanziert sein. Amerikanisches Mäzenatentum wird wie selbstverständlich entgegengenommen, allerdings mit Unmut über „Reichenfrechheit“, nämlich wenn kleinere Erkenntlichkeiten erwartet werden.
„Einseitigkeit der Themen, bei größtem Reichtum der Ausführung“, diagnostizierte Golo 1933 bei seinem Vater. Da ist was dran. Bei Tilmann Lahme erscheint es so: Maximaler Glanz durch höchste Anstrengung. Als Erzählstoff ist das großartig, als Leben muss es furchtbar gewesen sein.
GUSTAV SEIBT
Sie waren wohlhabend, aber
oft genug reichte es trotzdem
nicht, vor allem im Exil
Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
480 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 22,99 Euro.
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Das Schöne an dieser kurzweiligen Biografie [...]: Egal, an welcher Stelle man den Schmöker aufschlägt, schon fühlt man sich als Teil der Familie. Stern 20151022