Produktdetails
- Verlag: Moewig
- ISBN-13: 9783811870314
- Artikelnr.: 24587759
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2024Friedrich Torberg als Sportler
Unter den Mannschaften, die in der Fußball-Europameisterschaft bislang noch nicht alle Erwartungen eingelöst haben, während sich andere überraschend gut schlugen, ist auch das englische Team. Obwohl die Spieler um den in der Bundesliga als Torschützen sagenhaft erfolgreichen Harry Kane individuell vielen anderen EM-Teilnehmern überlegen sind, gelingt es dem englischen Nationaltrainer Gareth Southgate in den Augen der Öffentlichkeit nicht, diesen Vorsprung in eine ansprechende gemeinsame Leistung umzumünzen: Die Vorrunde des Turniers wurde zwar mit dem Gruppensieg beendet, die Ergebnisse lösten allerdings mit einem Sieg und zwei Unentschieden die Hoffnungen nicht ein: Die englische Mannschaft holte gerade einen Punkt mehr als der krasse Außenseiter und EM-Neuling Georgien.
Tatsächlich ist die Frage nach der Rolle des Trainers in einem solchen Prozess eine der ältesten, die in der Sportberichterstattung üblicherweise gestellt werden. Sie spielt auch in einem vor knapp neunzig Jahren veröffentlichten Roman eine große Rolle, in Friedrich Torbergs "Die Mannschaft" aus dem Jahr 1935. Der Autor, Jahrgang 1908, war 1930 mit seinem Romandebüt "Der Schüler Gerber hat absolviert" schlagartig berühmt geworden, in dem er das eigene Leiden an seiner Prager Schule schilderte - anders als sein Held überlebte Torberg allerdings sein Examen, das er im zweiten Anlauf 1928 ablegte.
"Die Mannschaft", 608 Seiten schwer, ist das Produkt eines mittlerweile versierten Autors - Torberg hatte zuvor ein Volontariat absolviert und als Journalist gearbeitet, ein Studium brach er ab. Zudem feierte er als Wasserballer in Prag Erfolge, als er etwa seinen Verein Hagibor Prag mit zwei Toren im Entscheidungsspiel zum tschechoslowakischen Meister machte.
So verweist schon der Untertitel "Roman eines Sportlebens" auf die autobiographische Grundierung von "Die Mannschaft". Tatsächlich konzentriert sich der Roman auf den jungen Harry Baumester, zu Beginn ein Grundschüler, am Ende promoviert, und dessen sportliche Laufbahn im weitesten Sinn. Harry, dessen Vater im Ersten Weltkrieg gefallen ist, lebt mit seiner Mutter und den beiden Schwestern in einer ungenannten Stadt, hinter der man Wien vermuten kann, Torbergs Geburtsort. Er spielt mit Freunden auf einem bestimmten Platz, meist Varianten von Fangspielen, bis er eines Tages aufgefordert wird, mit den älteren Jungen Fußball zu spielen, da noch ein Mitglied für eine Mannschaft gebraucht wird. Von den Regeln versteht er nichts, vor allem muss er erst mühsam lernen, selbständig Entscheidungen im Dienst der Mitspieler zu treffen, also sich freizulaufen, abzugeben und dergleichen mehr. Nach einiger Zeit wird er von allen akzeptiert, er spielt regelmäßig in diesem und später auch in einem größeren und besser dazu geeigneten Park. Außerdem beginnt er, professionelle Fußballspiele zu besuchen und die Berichterstattung darüber zu verfolgen. Allerdings muss er sich bei alldem gegen den Widerstand seiner Mutter durchsetzen, die wegen der angeblichen Rohheit des Spiels Vorbehalte hegt.
Dass Torbergs Roman gerade im Vergleich mit seinen übrigen Werken ("Tante Jolesch") durchaus Längen aufweist, liegt auch daran, dass dem Autor bestimmte Aspekte derart wichtig sind, dass er sie seitenlang und im Romanverlauf immer wieder behandelt. Es geht ihm um die individuelle Entwicklung des Fußballers und späteren Wasserballers Harry, der seinen Radius langsam erweitert, um den Widerstand einer bestimmten Klasse gegen das wachsend populäre Spiel, um die Begleiterscheinungen dieser Popularität, die unter anderem eine neue, auf bestimmte Weise codierte Sprache der Matchbeschreibung hervorbringt.
Vor allem aber geht es Torberg um die sozialen Prozesse im gemeinsamen Spiel, um das, was den Einzelnen im Gruppensport in Zusammenhang mit den Mitspielern bringt und ihn dazu befähigt, seine eigene Leistung in den Dienst der Sache zu stellen. Harry erweist sich dafür als besonders talentiert, er lernt schneller als andere, den eigenen Ehrgeiz dafür hintanzustellen. Vor allem aber erkennt er als Jugendlicher, dass er als Fußballer an seine Grenzen stößt, als Wasserballer aber weitaus bessere Perspektiven hat. Und sattelt um.
In beiden Sportarten lenkt Torberg das Augenmerk des Lesers auf Harrys jeweilige Trainer. Er beschreibt die kleinen Finten, mit denen sie ihren Mannschaften vermitteln, was sie von ihnen erwarten, welche Wirkung taktische Ansprachen haben können und wo sie ins Leere gehen. Der Autor erinnert sich dabei offensichtlich an eine Reihe von Motivationsstrategien aus seiner aktiven Zeit, die zum Teil auch heutigen Trainern nicht schlecht anstünden.
Nach dem Ende seiner Wasserballkarriere wird Harry auf Bitten einer Mannschaft zu deren Trainer. Der Kreis schließt sich. Und dass sich Torberg mit seinem Roman einiges vom Leib geschrieben hat, kann man vermuten. TILMAN SPRECKELSEN
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Unter den Mannschaften, die in der Fußball-Europameisterschaft bislang noch nicht alle Erwartungen eingelöst haben, während sich andere überraschend gut schlugen, ist auch das englische Team. Obwohl die Spieler um den in der Bundesliga als Torschützen sagenhaft erfolgreichen Harry Kane individuell vielen anderen EM-Teilnehmern überlegen sind, gelingt es dem englischen Nationaltrainer Gareth Southgate in den Augen der Öffentlichkeit nicht, diesen Vorsprung in eine ansprechende gemeinsame Leistung umzumünzen: Die Vorrunde des Turniers wurde zwar mit dem Gruppensieg beendet, die Ergebnisse lösten allerdings mit einem Sieg und zwei Unentschieden die Hoffnungen nicht ein: Die englische Mannschaft holte gerade einen Punkt mehr als der krasse Außenseiter und EM-Neuling Georgien.
Tatsächlich ist die Frage nach der Rolle des Trainers in einem solchen Prozess eine der ältesten, die in der Sportberichterstattung üblicherweise gestellt werden. Sie spielt auch in einem vor knapp neunzig Jahren veröffentlichten Roman eine große Rolle, in Friedrich Torbergs "Die Mannschaft" aus dem Jahr 1935. Der Autor, Jahrgang 1908, war 1930 mit seinem Romandebüt "Der Schüler Gerber hat absolviert" schlagartig berühmt geworden, in dem er das eigene Leiden an seiner Prager Schule schilderte - anders als sein Held überlebte Torberg allerdings sein Examen, das er im zweiten Anlauf 1928 ablegte.
"Die Mannschaft", 608 Seiten schwer, ist das Produkt eines mittlerweile versierten Autors - Torberg hatte zuvor ein Volontariat absolviert und als Journalist gearbeitet, ein Studium brach er ab. Zudem feierte er als Wasserballer in Prag Erfolge, als er etwa seinen Verein Hagibor Prag mit zwei Toren im Entscheidungsspiel zum tschechoslowakischen Meister machte.
So verweist schon der Untertitel "Roman eines Sportlebens" auf die autobiographische Grundierung von "Die Mannschaft". Tatsächlich konzentriert sich der Roman auf den jungen Harry Baumester, zu Beginn ein Grundschüler, am Ende promoviert, und dessen sportliche Laufbahn im weitesten Sinn. Harry, dessen Vater im Ersten Weltkrieg gefallen ist, lebt mit seiner Mutter und den beiden Schwestern in einer ungenannten Stadt, hinter der man Wien vermuten kann, Torbergs Geburtsort. Er spielt mit Freunden auf einem bestimmten Platz, meist Varianten von Fangspielen, bis er eines Tages aufgefordert wird, mit den älteren Jungen Fußball zu spielen, da noch ein Mitglied für eine Mannschaft gebraucht wird. Von den Regeln versteht er nichts, vor allem muss er erst mühsam lernen, selbständig Entscheidungen im Dienst der Mitspieler zu treffen, also sich freizulaufen, abzugeben und dergleichen mehr. Nach einiger Zeit wird er von allen akzeptiert, er spielt regelmäßig in diesem und später auch in einem größeren und besser dazu geeigneten Park. Außerdem beginnt er, professionelle Fußballspiele zu besuchen und die Berichterstattung darüber zu verfolgen. Allerdings muss er sich bei alldem gegen den Widerstand seiner Mutter durchsetzen, die wegen der angeblichen Rohheit des Spiels Vorbehalte hegt.
Dass Torbergs Roman gerade im Vergleich mit seinen übrigen Werken ("Tante Jolesch") durchaus Längen aufweist, liegt auch daran, dass dem Autor bestimmte Aspekte derart wichtig sind, dass er sie seitenlang und im Romanverlauf immer wieder behandelt. Es geht ihm um die individuelle Entwicklung des Fußballers und späteren Wasserballers Harry, der seinen Radius langsam erweitert, um den Widerstand einer bestimmten Klasse gegen das wachsend populäre Spiel, um die Begleiterscheinungen dieser Popularität, die unter anderem eine neue, auf bestimmte Weise codierte Sprache der Matchbeschreibung hervorbringt.
Vor allem aber geht es Torberg um die sozialen Prozesse im gemeinsamen Spiel, um das, was den Einzelnen im Gruppensport in Zusammenhang mit den Mitspielern bringt und ihn dazu befähigt, seine eigene Leistung in den Dienst der Sache zu stellen. Harry erweist sich dafür als besonders talentiert, er lernt schneller als andere, den eigenen Ehrgeiz dafür hintanzustellen. Vor allem aber erkennt er als Jugendlicher, dass er als Fußballer an seine Grenzen stößt, als Wasserballer aber weitaus bessere Perspektiven hat. Und sattelt um.
In beiden Sportarten lenkt Torberg das Augenmerk des Lesers auf Harrys jeweilige Trainer. Er beschreibt die kleinen Finten, mit denen sie ihren Mannschaften vermitteln, was sie von ihnen erwarten, welche Wirkung taktische Ansprachen haben können und wo sie ins Leere gehen. Der Autor erinnert sich dabei offensichtlich an eine Reihe von Motivationsstrategien aus seiner aktiven Zeit, die zum Teil auch heutigen Trainern nicht schlecht anstünden.
Nach dem Ende seiner Wasserballkarriere wird Harry auf Bitten einer Mannschaft zu deren Trainer. Der Kreis schließt sich. Und dass sich Torberg mit seinem Roman einiges vom Leib geschrieben hat, kann man vermuten. TILMAN SPRECKELSEN
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.