Ich war Teil dieser Industrie und habe sie umfassend über alle Ebenen kennengelernt. BWL umschreibt man heute oft als die Lehre vom banalen Alltag und ebenso war und ist die darin steckende Branche der Werber gestrickt. Man findet wenig Intellektualität, stattdessen aber jene banalen Gags, die
Werber in Cannes aufregen, den Menschen aber weitgehend kalt lassen.
Wer erfahren will, wie…mehrIch war Teil dieser Industrie und habe sie umfassend über alle Ebenen kennengelernt. BWL umschreibt man heute oft als die Lehre vom banalen Alltag und ebenso war und ist die darin steckende Branche der Werber gestrickt. Man findet wenig Intellektualität, stattdessen aber jene banalen Gags, die Werber in Cannes aufregen, den Menschen aber weitgehend kalt lassen.
Wer erfahren will, wie hemdsärmelig und amerikanisch die deutsche Werbung gestrickt wurde, ist mit diesem wirklich lesenswerten Buch bestens bedient. Vor allem das Konzept, wichtige Stimmen in einer Art Interview sprechen zu lassen, hat mir sehr gefallen, wir wandern so von den Fünfzigern durch alle Jahrzehnte bis ins Heute.
Kein Ruhmesblatt für deutsche Werber ist die Zeit von 33-45. Alle Agenturen mussten Mitglied der „Nationalsozialistischen Reichsfachschaft deutscher Werbefachleute“ sein, die Kommunikation für Produkte kam aber im Krieg praktisch zum Erliegen, bis die Werbewirtschaft im September 1944 per Erlass komplett stillgelegt wurde.
Auch heute sind Werber Erfüllungsgehilfen für andere, sie arbeiten für Hersteller / Händler von Produkten oder Dienstleistungen. Sie liefern besonders kreative Tricks in der „Anzapfung“ menschlicher Emotionen, mit dem Ziel Käufe auszulösen. Wie es funktioniert? Nun, keine wissenschaftliche Theorie hat jemals schlüssige Erkenntnisse offen gelegt, ein weites Feld für kreative Geister des banalen Alltags, die meinen den Menschen zu verstehen, um ihm angst- oder neidvoll Kaufnotwendigkeiten zu suggerieren.
Im Buch kommt eine wesentliche Nahtstelle einer Werbeagentur nur am Rande zu Wort: es sind die Berater oder wie man ihn schlicht nannte, der Kontakt. Seine Aufgabe war es, auch idiotische Ideen von Kreativen wissenschaftlich verpackt, also nach neuesten Erkenntnissen der BWL-Einsichten, vor Ort, beim Kunden zu verkaufen. Er/sie standen zwischen diesen beiden Fronten und erhielten Sperrfeuer oft von beiden: dem Kunden und den eigenen Kreativen. Zwischen beiden Abteilungen gab es oft eine eher hassbesetzte, tiefe Abneigung. Berater waren meist studierte BWLer und Texter kamen z.B. von den St. Pauli Nachrichten, Gespräche zwischen beiden waren oft mehr als Comedy.
Wenn Michael Conrad von den versteckten Einsichten in menschliches Verhalten spricht, so zeigt er das ganze Dilemma auf. Er meint damit seine eigenen großartigen Ideen (die er zweifelsfrei hatte), die Menschen packen und überzeugen sollten. Sie waren meist individuelle Eingebungen und eben nicht durch irgendwelche wissenschaftlichen Eingebungen vorgezeichnet. Wie auch? Trotzdem wollten Kunden immer Absicherungen hören, natürlich wissenschaftlich. Ich erinnere mich z.B. an Hersteller bedeutender Weltmarken, die damals einem heute weitgehend vernachlässigbaren Professor folgten: Werner Kroeber-Riel. Jede Idee konnte man problemlos diesem Denker zuordnen und der Kunde war zufrieden. Noch einen Pre-Test vorschießen, richtiges Framing oder Wording und gut war’s.
Zum Schluss etwas zum Genießen, ein Bekenntnis, bei dem der Laie staunt und der Profi sich wundert: „Alle reden über Marken, keiner weiß, wie sie funktioniert. Und selbst wenn sie es wissen, können sie es nicht umsetzen. Ich habe eine Markenführungssystem entwickelt, bin aber leider zu faul, das ordentlich zu vermarkten. Markenführung hat vor allem mit Bauchgefühl und Bildern in den Köpfen zu tun.“ (Reinhard Springer, Seite 138)
Nun, bleibt zu hoffen, dass ein digitales Startup Reinhard Springer besucht und seinen Bauch verbal erhellt und diese Regeln endlich allen zugänglich macht. Alles, was man in der Werbung lernen kann, ist, dass es diese nicht gibt. Sie sind nur Krücken für kreativ Lahme. Und genau das macht das Arbeiten in Agenturen so spannend und interessant, für nahezu jeden! Wichtig ist vor allem, ein maximales Ego zu haben, überraschenden Witz und sich durch die unvermeidlichen Niederlagen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.