Der Erzähler dieses Markus-Evangeliums à la Esterházy macht sich nichts aus Worten. Er lässt seine Familie - Vater, Mutter, Stiefbruder, zwei Großmütter - in dem Glauben, er sei taubstumm. Und doch ist er der Chronist ihrer Geschichte. Als Volksfeinde gebrandmarkt, leben sie nach der Aussiedlung zusammengepfercht in einem einzigen Raum, aber Nähe gibt es nicht in dieser Enge. Alle sind sie einsam, sogar Gott. Der kann noch nicht einmal beten, zu wem sollte er? Eine Familiengeschichte mit allem, was dazugehört, auf jeden Fall Mord und Totschlag. Geschieht dies alles, auf dass die Schrift erfüllet werde? Aber welche? Nach diesen hundert Seiten Esterházy-Evangelium ahnen wir: Gott kommt aus Ungarn.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Selbst wenn dieses Buch äußerlich schmal daherkommt: Einfach zu lesen sei es ganz sicher nicht, schreibt Gisela Trahms. Die Rezensentin erkennt darin Esterházys Liebe zur Anspielung wieder, diesmal vor allem der religiösen, zeigt sich aber zugleich überrascht angesichts der ungewohnten sprachlichen Einfachheit und der kurzen Sätze. Sie erkennt darin einen "Kult der Lücke", der zwar die Lesegeschwindigkeit drossle, die Spannung aber steigere. Gekonnt setze der Autor seine drei Geschichten über Diktaturen und (biblische) Grausamkeiten in Beziehung zueinander, so wird "Die Markus-Version" für Trahms zum "Buch für Gottesgrübler". Der Stil und das Thema des Tagebuchs erinnert sie an "Das große Heft" der Schriftstellerin Ágota Kristóf; die Kritikerin hat Esterházys Buch als Hommage an seine ungarische Landsfrau gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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