Produktdetails
- Verlag: Diogenes
- ISBN-13: 9783257229011
- ISBN-10: 3257229011
- Artikelnr.: 23972063
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2016Wer hat die Kugel bezahlt?
Eric Amblers "Die Maske des Dimitrios" ist wieder da
Dieses Meisterwerk aus dem Jahr 1939 bewegt sich auf der Grenze zwischen klassischem britischen Kriminalroman und modernem Polit-Thriller. Es wird mehr kombiniert als geschossen, und die gepflegte Sprache ist auch in der frischen Übersetzung von Matthias Fienbork noch denkbar fern vom hartgekochten, zynisch-kurzatmigen Stil, in dem sich viele Autoren des Genres heute gefallen. Der Grenzübergang wird im Roman selbst thematisiert: Der Kriminalschriftsteller Latimer, Verfasser von harmlosen Detektivgeschichten, wird mit der Realität des Verbrechens konfrontiert, als er 1938 in Istanbul einen Oberst des türkischen Geheimdienstes kennenlernt, der über seinen belletristischen Ordnungssinn spottet. Und ihm vom rätselhaften Kriminalfall des Dimitrios Makropoulos erzählt, dessen Leiche kürzlich aus dem Bosporus gefischt wurde. Latimer fängt Feuer.
Es gehört zu Eric Amblers Kunst der Spannungssteigerung, dass die spektakuläre Figur des Dimitrios erst ganz am Ende in Erscheinung tritt. Vorher wird immer nur über ihn geredet; er ist das unsichtbare Zentrum, um das sich ein ganzes Verbrechensuniversum dreht, das von Kapitel zu Kapitel immer neue Planeten hinzugewinnt: Mord, Spionage, Drogenschmuggel, Mädchenhandel. Als Dimitrios' unheimlichste Eigenschaft erweist sich schließlich seine Lebendigkeit. Nachdem Latimer lange Zeit geglaubt hat, bei seinen Forschungen die kriminelle Karriere eines Toten zu rekonstruieren, muss er schließlich erfahren, dass Dimitrios, die vermeintliche Leiche, einen honorigen Direktorenposten bei einer europäischen Kreditbank bekleidet. Diese Pointe muss Krimi-Leser wie Bertolt Brecht ebenso erfreut haben wie die Maxime der Ermittlung: "Bei einem Attentat kam es nicht darauf an zu wissen, wer den Schuss abgegeben, sondern wer die Kugel bezahlt hatte."
Im klassischen Detektivroman bietet das Verbrechen eine Denksportaufgabe; im Thriller wird es zum Symptom einer gesellschaftlichen Krankheit. In diesem Sinn heißt es über den Superschurken Dimitrios: "Jener besondere Typ von Verbrecher, wie er ihn verkörperte, kann nur unter bestimmten Bedingungen gedeihen." Zu diesen Bedingungen gehören die anarchischen Jahre nach 1918, der Zerfall von Imperien, der Nationalismus, die ethnischen "Säuberungen" auf dem Balkan. In den ersten Kapiteln des Romans gibt es beeindruckende Beschreibungen des Vertreibungselends und der Flüchtlingsströme, die die griechisch-türkische Konfrontation nach dem Ersten Weltkrieg verursachte, gipfelnd in den Massakern im neun Tage lang brennenden Smyrna (Izmir), bei denen Zehntausende Menschen ums Leben kamen. Das liest sich ziemlich aktuell, und man fragt sich, welche Dimitriosse das heutige nahöstliche Elend noch ausbrüten wird.
WOLFGANG SCHNEIDER
Eric Ambler: "Die Maske des Dimitrios". Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2016.
336 S., geb., 22.- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eric Amblers "Die Maske des Dimitrios" ist wieder da
Dieses Meisterwerk aus dem Jahr 1939 bewegt sich auf der Grenze zwischen klassischem britischen Kriminalroman und modernem Polit-Thriller. Es wird mehr kombiniert als geschossen, und die gepflegte Sprache ist auch in der frischen Übersetzung von Matthias Fienbork noch denkbar fern vom hartgekochten, zynisch-kurzatmigen Stil, in dem sich viele Autoren des Genres heute gefallen. Der Grenzübergang wird im Roman selbst thematisiert: Der Kriminalschriftsteller Latimer, Verfasser von harmlosen Detektivgeschichten, wird mit der Realität des Verbrechens konfrontiert, als er 1938 in Istanbul einen Oberst des türkischen Geheimdienstes kennenlernt, der über seinen belletristischen Ordnungssinn spottet. Und ihm vom rätselhaften Kriminalfall des Dimitrios Makropoulos erzählt, dessen Leiche kürzlich aus dem Bosporus gefischt wurde. Latimer fängt Feuer.
Es gehört zu Eric Amblers Kunst der Spannungssteigerung, dass die spektakuläre Figur des Dimitrios erst ganz am Ende in Erscheinung tritt. Vorher wird immer nur über ihn geredet; er ist das unsichtbare Zentrum, um das sich ein ganzes Verbrechensuniversum dreht, das von Kapitel zu Kapitel immer neue Planeten hinzugewinnt: Mord, Spionage, Drogenschmuggel, Mädchenhandel. Als Dimitrios' unheimlichste Eigenschaft erweist sich schließlich seine Lebendigkeit. Nachdem Latimer lange Zeit geglaubt hat, bei seinen Forschungen die kriminelle Karriere eines Toten zu rekonstruieren, muss er schließlich erfahren, dass Dimitrios, die vermeintliche Leiche, einen honorigen Direktorenposten bei einer europäischen Kreditbank bekleidet. Diese Pointe muss Krimi-Leser wie Bertolt Brecht ebenso erfreut haben wie die Maxime der Ermittlung: "Bei einem Attentat kam es nicht darauf an zu wissen, wer den Schuss abgegeben, sondern wer die Kugel bezahlt hatte."
Im klassischen Detektivroman bietet das Verbrechen eine Denksportaufgabe; im Thriller wird es zum Symptom einer gesellschaftlichen Krankheit. In diesem Sinn heißt es über den Superschurken Dimitrios: "Jener besondere Typ von Verbrecher, wie er ihn verkörperte, kann nur unter bestimmten Bedingungen gedeihen." Zu diesen Bedingungen gehören die anarchischen Jahre nach 1918, der Zerfall von Imperien, der Nationalismus, die ethnischen "Säuberungen" auf dem Balkan. In den ersten Kapiteln des Romans gibt es beeindruckende Beschreibungen des Vertreibungselends und der Flüchtlingsströme, die die griechisch-türkische Konfrontation nach dem Ersten Weltkrieg verursachte, gipfelnd in den Massakern im neun Tage lang brennenden Smyrna (Izmir), bei denen Zehntausende Menschen ums Leben kamen. Das liest sich ziemlich aktuell, und man fragt sich, welche Dimitriosse das heutige nahöstliche Elend noch ausbrüten wird.
WOLFGANG SCHNEIDER
Eric Ambler: "Die Maske des Dimitrios". Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2016.
336 S., geb., 22.- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main