Produktdetails
- Verlag: Eulenspiegel
- Seitenzahl: 527
- Deutsch
- Abmessung: 31mm x 122mm x 205mm
- Gewicht: 534g
- ISBN-13: 9783359015147
- ISBN-10: 3359015142
- Artikelnr.: 11136716
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.1996Vom Holzhammer und anderen Waffen
Peter Hacks legt gesammelte Aufsätze aus fünfunddreißig Jahren vor · Von Sabine Brandt
Nahezu zwölfhundert Buchseiten mit Aufsätzen von Peter Hacks - solch einen Klotz zu edieren erfordert Mut, denn potentielle Käufer schrecken vor derartig dicken Wälzern eher zurück. Wer freilich seine Beklemmung überwindet, kann aus der Lektüre einen Scheffel Informationen und durchaus auch einiges an Vergnügen gewinnen.
Genuß bereiten vor allem die historisierenden Essays, von denen Hacks eine recht beachtliche Menge liefert. Zum Beispiel untersucht er auf nicht weniger als 120 Seiten die Lage in Deutschland zur Zeit der napoleonischen Herrschaft, während der Freiheitskriege 1813 bis 1815 und in der Periode danach. Und zwar geht es ihm um die Einwirkung von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Politikern, Militärs auf die damalige Außen- und Innenpolitik. Alte Hüte, sollte man denken, aber so, wie Hacks sie präsentiert, scheinen sie unversehens aktuell zu werden. Der Leser beginnt sich in den alten Kabalen zu engagieren, und genießt den frechen Satireton des Autors.
Dessen Hiebe treffen die Romantiker, Hacks folgt also gewissermaßen dem Vorbild Heinrich Heines. Nur ging es in Heines Bemerkungen über "Die Romantische Schule" vornehmlich um Literatur und Literaten, während Hacks auf die Ideologie der antinapoleonischen Erhebung zielt, den Mutterboden nicht bloß für Freiheitssehnsucht, sondern auch für jenen Teutonenwahn, der fatal an die Nachfahren im Braunhemd erinnert. Laut Hacks mußte Preußens König, der auf der romantischen Welle in Krieg und Sieg geschwommen war, nachher ganz schön lavieren, um die Geister, die er rief, wieder loszuwerden.
In diesem Zusammenhang wird manchem lesenden Zeitgenossen die jüngere Vergangenheit einfallen - auf die es bei Hacks allerdings keinerlei Hinweis gibt. Auch Ulbrichts Regime hat sich nämlich einst jene romantischen Überlieferungen zunutze gemacht, 1952 war das, als in der DDR die Kasernierte Volkspolizei aufgestellt wurde, die Vorläuferin der Nationalen Volksarmee. Zur neuen Truppe gehörte die passende Gesinnung, die aber kelterte das Regime aus der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft im Befreiungskrieg gegen den korsischen Unterdrücker. Romantische Werke, Schriften und Gedanken avancierten, vorübergehend, zum geheiligten Kulturerbe.
Peter Hacks, 1928 in Breslau geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen und ein knappes Jahrzehnt in Bayern zu Hause, wechselte 1955 in die DDR, die, wie er sagte "Heimat aller deutschen Schriftsteller". Mit der Kasernierten Volkspolizei dürfte er wenig Kontakt gehabt haben, desto mehr aber mit der Kulturpolitik. Die dargebotenen Essays jedoch vermitteln den Eindruck, ihr Autor sei nur selten mit den Direktiven der Kulturaufseher in Berührung und kaum jemals mit ihnen in Konflikt gekommen. Freilich verheißt der Untertitel des Bandes ja auch nicht "sämtliche", sondern nur "gesammelte Aufsätze". Nimmt man das wörtlich, so kann man nicht mehr erwarten, als daß Hacks seine enorme Belesenheit, seinen funkelnden Intellekt, seinen gepflegten, manchmal etwas altväterlichen Stil vorführt. Er hat nirgends versprochen, uns obendrein noch mit zeithistorischem Quellenmaterial zu beliefern.
Wir müssen es hinnehmen, daß er fast zweihundert Seiten lang seine eigenen Werke und deren Rezeptionsgeschichte paraphrasiert, dabei auch kleine ironische Pfeile gegen anonyme Werkbehinderer abschießt, aber die Skandale ausspart, unter denen seine beiden Gegenwartskomödien von den DDR-Bühnen verbannt wurden. Im März 1963, auf der berüchtigten Beratung von SED-Politbüro und Ministerrats-Präsidium mit Schriftstellern und Künstlern, mußte Intendant Wolfgang Langhoff sich selbstkritisch geißeln, weil er "Die Sorgen und die Macht" an seinem Deutschen Theater aufgeführt hatte. "Moritz Tassow", von Benno Besson in der Volksbühne inszeniert, wurde auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 dem Genossen Helmut Sakowski überantwortet. Dieser erfolgsarme, infolgedessen nicht neidfreie Schriftsteller verdammte "die rüpelhafte Obszönität, die in der ,Volksbühne' über die Rampe gelassen wird", und klagte alle Künstler an, die Hacks' "Pornographie von europäischem Rang" mit ihren Talenten gedient hatten.
Seit über dreieinhalb Jahrzehnten ist der Passus bekannt, mit dem der Autor von "Die Sorgen und die Macht" die DDR-Machthaber vergrämte: "Kollegen, Kommunismus, wenn ihr euch / Den vorstellen wollt, dann richtet eure Augen / Auf, was jetzt ist, und nehmt das Gegenteil . . ." Nach den Prügeln, die er kassierte, überließ Hacks die Gestaltung der Gegenwart den Sakowskis und wandte sich entlegeneren Themen zu. Der Rückzug in die Geschichte, namentlich in die Antike, war nach dem kulturpolitischen Autodafé von 1965 ein allgemeiner Trend unter den besseren Schriftstellern der DDR. Das erklärt, wenngleich nur ansatzweise, warum unserem Theaterdichter auch seine theoretischen Schriften so vergangenheitsbetont gerieten. In der Zeitenferne zum Tagesgezänk war es für Literaten möglich, sich zu regen, wenngleich nicht allzu heftig und schon gar nicht in jede beliebige Richtung.
Ab 1971 kamen Honeckers kulturpolitische Verheißungen hinzu. Mit der Richtung, die der neue Chef vorgab, war Hacks offenbar zufrieden. Noch im März 1971, zwei Monate vor Ulbrichts Entmachtung, hatte er unter der Titelzeile "Kunst und Revolution" gegrollt: "Eingestandenermaßen ist die Kunst eine Waffe. Eingestandenermaßen ist der Holzhammer eine Waffe. Nach Aristoteles folgt hieraus nicht, daß die Kunst ein Holzhammer sein müsse." Vier Jahre danach bekannte er sich unter dem Titel "Auskünfte für Amerika" zur DDR-Literatur als der besseren deutschen Literatur und argumentierte: "Die Ursache, denke ich, ist, daß die vom Kapitalismus erzeugten Schwierigkeiten, Kunst zu machen, in der DDR nicht auftreten . . . Im Imperialismus gibt es keine Neuigkeiten; er ist ästhetisch erledigt; was über ihn zu sagen geht, ist gesagt." Noch ein weiteres Jahr später griff er selbst zum Holzhammer, nämlich gegen den ausgewiesenen Biermann und jene, die ihn stützten. In der "Weltbühne" schrieb Hacks: "Er (Biermann) hat die Zustimmung von Heinrich Böll. Böll, man kennt ihn, ist drüben der Herbergsvater für dissidierende Wandergesellen. Biermann hat in seinem Bett übernachtet, und ich hoffe, er hat nicht noch Solschenizyns Läuse darin gefunden . . ." Diese Sottise übrigens sucht der interessierte Leser hier vergebens.
Bemerkenswert zahlreiche Aufsätze sind nach der Wende geschrieben worden. Sie offenbaren uns die Gemütsverfassung, die das Ereignis in Hacks hinterließ. Von 1990 zum Beispiel stammt die Betrachtung "Unter den Medien schweigen die Musen". Sie behandelt die Situation der Kunst im nachsozialistischen Zeitalter. Laut Hacks liegt die Kunst erdballweit auf dem Sterbebett, und Gorbatschow ist daran schuld. Die Russen, sagt Hacks - schon gönnt er ihnen nicht mehr den Ehrennamen Sowjets -, haben die Waffe Kunst aus Kostengründen aufgegeben. Die Amerikaner brauchten keine Gegenleistung zu erbringen, "denn sie besaßen längst keine Kunst mehr".
Es geht hier um Glaubensfragen, deshalb hat es keinen Sinn, mit Hacks über Literatur, Theater, Film, Architektur des modernen Amerika zu streiten. Hacks befindet: "Ihre Kunst ist Vergangenheit, ihr Kunstartiges austauschbar. Die Sehnsüchte des Sozialismus sind jetzt imperialismus-kompatibel." In allem Ernst beschuldigt er den Staatssozialismus, der die Kunst sieben Jahrzehnte lang im Würgegriff hielt, er habe einen "Verzichtfrieden im ästhetischen Weltkrieg" zugelassen: "Man hört die sozialistische Stimme fehlen, ihr Schweigen ist ein Übelklang."
Wir lassen den bekennenden Kommunisten Hacks in seiner Schmollecke und wenden uns lieber dem Literaturexperten zu. Eines der hübschesten, amüsantesten Denkmäler, die er sich in dieser Eigenschaft gesetzt hat, ist die Arbeit mit dem Titel "Der Sarah-Sound". Hier macht sich Hacks den Spaß, Johannes R. Becher, den er nicht besonders mag, mit Sarah Kirsch zu vergleichen, die er durchaus schätzt. Er nimmt eins von Bechers Feiergedichten, genannt "Du, die ich lieb", und paßt es Schritt für Schritt dem Sprachduktus der Sarah Kirsch an. Dabei gelangt er vom Gefühlsolymp zielsicher in eine durchschnittliche Küche, in der Kartoffeln in der Pfanne brutzeln und nur deshalb kein Ei dazukommt, weil die fiktive Dichterin die Eiertüte im Geschäft vergaß. "Ich poche auf meine Bescheidenheit", schreibt Hacks, "ich sage mit keiner Silbe, daß ich, was Sarah kann, auch kann." Aber das kann er immerhin: eine Dichterin lustig entschlüsseln und sie uns so darbieten, daß wir mehr von ihr verstehen als je vorher.
Peter Hacks: "Die Maßgaben der Kunst". Gesammelte Aufsätze 1959-1994. Edition Nautilus, Hamburg 1996. 1176 S., geb., 138,- DM.
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Peter Hacks legt gesammelte Aufsätze aus fünfunddreißig Jahren vor · Von Sabine Brandt
Nahezu zwölfhundert Buchseiten mit Aufsätzen von Peter Hacks - solch einen Klotz zu edieren erfordert Mut, denn potentielle Käufer schrecken vor derartig dicken Wälzern eher zurück. Wer freilich seine Beklemmung überwindet, kann aus der Lektüre einen Scheffel Informationen und durchaus auch einiges an Vergnügen gewinnen.
Genuß bereiten vor allem die historisierenden Essays, von denen Hacks eine recht beachtliche Menge liefert. Zum Beispiel untersucht er auf nicht weniger als 120 Seiten die Lage in Deutschland zur Zeit der napoleonischen Herrschaft, während der Freiheitskriege 1813 bis 1815 und in der Periode danach. Und zwar geht es ihm um die Einwirkung von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Politikern, Militärs auf die damalige Außen- und Innenpolitik. Alte Hüte, sollte man denken, aber so, wie Hacks sie präsentiert, scheinen sie unversehens aktuell zu werden. Der Leser beginnt sich in den alten Kabalen zu engagieren, und genießt den frechen Satireton des Autors.
Dessen Hiebe treffen die Romantiker, Hacks folgt also gewissermaßen dem Vorbild Heinrich Heines. Nur ging es in Heines Bemerkungen über "Die Romantische Schule" vornehmlich um Literatur und Literaten, während Hacks auf die Ideologie der antinapoleonischen Erhebung zielt, den Mutterboden nicht bloß für Freiheitssehnsucht, sondern auch für jenen Teutonenwahn, der fatal an die Nachfahren im Braunhemd erinnert. Laut Hacks mußte Preußens König, der auf der romantischen Welle in Krieg und Sieg geschwommen war, nachher ganz schön lavieren, um die Geister, die er rief, wieder loszuwerden.
In diesem Zusammenhang wird manchem lesenden Zeitgenossen die jüngere Vergangenheit einfallen - auf die es bei Hacks allerdings keinerlei Hinweis gibt. Auch Ulbrichts Regime hat sich nämlich einst jene romantischen Überlieferungen zunutze gemacht, 1952 war das, als in der DDR die Kasernierte Volkspolizei aufgestellt wurde, die Vorläuferin der Nationalen Volksarmee. Zur neuen Truppe gehörte die passende Gesinnung, die aber kelterte das Regime aus der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft im Befreiungskrieg gegen den korsischen Unterdrücker. Romantische Werke, Schriften und Gedanken avancierten, vorübergehend, zum geheiligten Kulturerbe.
Peter Hacks, 1928 in Breslau geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen und ein knappes Jahrzehnt in Bayern zu Hause, wechselte 1955 in die DDR, die, wie er sagte "Heimat aller deutschen Schriftsteller". Mit der Kasernierten Volkspolizei dürfte er wenig Kontakt gehabt haben, desto mehr aber mit der Kulturpolitik. Die dargebotenen Essays jedoch vermitteln den Eindruck, ihr Autor sei nur selten mit den Direktiven der Kulturaufseher in Berührung und kaum jemals mit ihnen in Konflikt gekommen. Freilich verheißt der Untertitel des Bandes ja auch nicht "sämtliche", sondern nur "gesammelte Aufsätze". Nimmt man das wörtlich, so kann man nicht mehr erwarten, als daß Hacks seine enorme Belesenheit, seinen funkelnden Intellekt, seinen gepflegten, manchmal etwas altväterlichen Stil vorführt. Er hat nirgends versprochen, uns obendrein noch mit zeithistorischem Quellenmaterial zu beliefern.
Wir müssen es hinnehmen, daß er fast zweihundert Seiten lang seine eigenen Werke und deren Rezeptionsgeschichte paraphrasiert, dabei auch kleine ironische Pfeile gegen anonyme Werkbehinderer abschießt, aber die Skandale ausspart, unter denen seine beiden Gegenwartskomödien von den DDR-Bühnen verbannt wurden. Im März 1963, auf der berüchtigten Beratung von SED-Politbüro und Ministerrats-Präsidium mit Schriftstellern und Künstlern, mußte Intendant Wolfgang Langhoff sich selbstkritisch geißeln, weil er "Die Sorgen und die Macht" an seinem Deutschen Theater aufgeführt hatte. "Moritz Tassow", von Benno Besson in der Volksbühne inszeniert, wurde auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 dem Genossen Helmut Sakowski überantwortet. Dieser erfolgsarme, infolgedessen nicht neidfreie Schriftsteller verdammte "die rüpelhafte Obszönität, die in der ,Volksbühne' über die Rampe gelassen wird", und klagte alle Künstler an, die Hacks' "Pornographie von europäischem Rang" mit ihren Talenten gedient hatten.
Seit über dreieinhalb Jahrzehnten ist der Passus bekannt, mit dem der Autor von "Die Sorgen und die Macht" die DDR-Machthaber vergrämte: "Kollegen, Kommunismus, wenn ihr euch / Den vorstellen wollt, dann richtet eure Augen / Auf, was jetzt ist, und nehmt das Gegenteil . . ." Nach den Prügeln, die er kassierte, überließ Hacks die Gestaltung der Gegenwart den Sakowskis und wandte sich entlegeneren Themen zu. Der Rückzug in die Geschichte, namentlich in die Antike, war nach dem kulturpolitischen Autodafé von 1965 ein allgemeiner Trend unter den besseren Schriftstellern der DDR. Das erklärt, wenngleich nur ansatzweise, warum unserem Theaterdichter auch seine theoretischen Schriften so vergangenheitsbetont gerieten. In der Zeitenferne zum Tagesgezänk war es für Literaten möglich, sich zu regen, wenngleich nicht allzu heftig und schon gar nicht in jede beliebige Richtung.
Ab 1971 kamen Honeckers kulturpolitische Verheißungen hinzu. Mit der Richtung, die der neue Chef vorgab, war Hacks offenbar zufrieden. Noch im März 1971, zwei Monate vor Ulbrichts Entmachtung, hatte er unter der Titelzeile "Kunst und Revolution" gegrollt: "Eingestandenermaßen ist die Kunst eine Waffe. Eingestandenermaßen ist der Holzhammer eine Waffe. Nach Aristoteles folgt hieraus nicht, daß die Kunst ein Holzhammer sein müsse." Vier Jahre danach bekannte er sich unter dem Titel "Auskünfte für Amerika" zur DDR-Literatur als der besseren deutschen Literatur und argumentierte: "Die Ursache, denke ich, ist, daß die vom Kapitalismus erzeugten Schwierigkeiten, Kunst zu machen, in der DDR nicht auftreten . . . Im Imperialismus gibt es keine Neuigkeiten; er ist ästhetisch erledigt; was über ihn zu sagen geht, ist gesagt." Noch ein weiteres Jahr später griff er selbst zum Holzhammer, nämlich gegen den ausgewiesenen Biermann und jene, die ihn stützten. In der "Weltbühne" schrieb Hacks: "Er (Biermann) hat die Zustimmung von Heinrich Böll. Böll, man kennt ihn, ist drüben der Herbergsvater für dissidierende Wandergesellen. Biermann hat in seinem Bett übernachtet, und ich hoffe, er hat nicht noch Solschenizyns Läuse darin gefunden . . ." Diese Sottise übrigens sucht der interessierte Leser hier vergebens.
Bemerkenswert zahlreiche Aufsätze sind nach der Wende geschrieben worden. Sie offenbaren uns die Gemütsverfassung, die das Ereignis in Hacks hinterließ. Von 1990 zum Beispiel stammt die Betrachtung "Unter den Medien schweigen die Musen". Sie behandelt die Situation der Kunst im nachsozialistischen Zeitalter. Laut Hacks liegt die Kunst erdballweit auf dem Sterbebett, und Gorbatschow ist daran schuld. Die Russen, sagt Hacks - schon gönnt er ihnen nicht mehr den Ehrennamen Sowjets -, haben die Waffe Kunst aus Kostengründen aufgegeben. Die Amerikaner brauchten keine Gegenleistung zu erbringen, "denn sie besaßen längst keine Kunst mehr".
Es geht hier um Glaubensfragen, deshalb hat es keinen Sinn, mit Hacks über Literatur, Theater, Film, Architektur des modernen Amerika zu streiten. Hacks befindet: "Ihre Kunst ist Vergangenheit, ihr Kunstartiges austauschbar. Die Sehnsüchte des Sozialismus sind jetzt imperialismus-kompatibel." In allem Ernst beschuldigt er den Staatssozialismus, der die Kunst sieben Jahrzehnte lang im Würgegriff hielt, er habe einen "Verzichtfrieden im ästhetischen Weltkrieg" zugelassen: "Man hört die sozialistische Stimme fehlen, ihr Schweigen ist ein Übelklang."
Wir lassen den bekennenden Kommunisten Hacks in seiner Schmollecke und wenden uns lieber dem Literaturexperten zu. Eines der hübschesten, amüsantesten Denkmäler, die er sich in dieser Eigenschaft gesetzt hat, ist die Arbeit mit dem Titel "Der Sarah-Sound". Hier macht sich Hacks den Spaß, Johannes R. Becher, den er nicht besonders mag, mit Sarah Kirsch zu vergleichen, die er durchaus schätzt. Er nimmt eins von Bechers Feiergedichten, genannt "Du, die ich lieb", und paßt es Schritt für Schritt dem Sprachduktus der Sarah Kirsch an. Dabei gelangt er vom Gefühlsolymp zielsicher in eine durchschnittliche Küche, in der Kartoffeln in der Pfanne brutzeln und nur deshalb kein Ei dazukommt, weil die fiktive Dichterin die Eiertüte im Geschäft vergaß. "Ich poche auf meine Bescheidenheit", schreibt Hacks, "ich sage mit keiner Silbe, daß ich, was Sarah kann, auch kann." Aber das kann er immerhin: eine Dichterin lustig entschlüsseln und sie uns so darbieten, daß wir mehr von ihr verstehen als je vorher.
Peter Hacks: "Die Maßgaben der Kunst". Gesammelte Aufsätze 1959-1994. Edition Nautilus, Hamburg 1996. 1176 S., geb., 138,- DM.
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