Das Leben ist ein Spiel, das mathematischen Regeln folgt; unsere Entscheidungen können berechnet, ihr größtmöglicher Nutzen für alle kann kalkuliert werden. Diese Idee der Spieltheorie hat im 20. Jahrhundert Wirtschafts-, Politik- und Kulturgeschichte geschrieben. Spieltheoretiker waren Berater im Kalten Krieg. Und ohne dass sie es ahnten, legten sie das Fundament für den Siegeszug des Homo oeconomicus. In seiner fulminanten Geschichte der Spieltheorie spannt Bestsellerautor Rudolf Taschner einen Bogen von der Erfindung der Wahrscheinlichkeitsrechnung im 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart der globalen Finanzmärkte. Ein Buch über die Mathematik als Sinnsuche - fesselnd wie ein Kriminalroman.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2015Mit bekannten Unbekannten lässt sich leben
Wo Donald Rumsfeld sogar recht hatte: Rudolf Taschner führt in die Spieltheorie ein
Karten- oder Würfelspiele waren immer schon hervorragend dazu geeignet, Neulinge in die Geheimnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung einzuweihen. Und Strategiespiele wie das berühmte Gefangenendilemma bieten Gelegenheit, komplexere Konzepte von Spielen, Strategien und Wahrscheinlichkeiten zu vermitteln. Der Wiener Mathematiker Rudolf Taschner wählt diesen bewährten Weg, seinen Lesern die Spieltheorie näherzubringen. Samt einigen Kniffen, die er als erfahrener Vermittler von Wissenschaft dabei einsetzt.
Der Aufbau von Rudolf Taschners Buch ist allem Anschein nach einem Zufallsprozess nachgebildet - es beginnt im Wien der zwanziger Jahre, führt wiederholt zu Blaise Pascal in Paris, zu Benjamin Franklin in Philadelphia, nach Princeton, Stanford, Cambridge und zu anderen eminenten Forschungseinrichtungen und immer wieder nach Wien, wo in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und dann wieder in den vergangenen Jahren außergewöhnliche Mathematiker wirkten. Mit dem Fortschreiten von Kapitel zu Kapitel entfaltet sich eine prägnante und abwechslungsreiche Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Spieltheorie.
Taschner nutzt fiktionale, dramatisierte Erzählungen, in denen er die Protagonisten in direkter Rede sprechen lässt, und das ist tatsächlich unterhaltsam, nie trocken oder zu didaktisch. Bedauerlich ist bloß, dass damit auf die Vorstellung genialer Individuen abgestellt ist und wichtige kontextuelle Faktoren in den Hintergrund treten. Insbesondere die im Zusammenhang des Kalten Kriegs aufstrebende Spieltheorie prägte zusammen mit systemtheoretischen und kybernetischen Ideen Konzepte davon, wie Gesellschaften, Wirtschaftssysteme, Kultur und sogar das menschliche Denken funktionieren sollten.
Diese Theorien blieben nie auf den akademischen Elfenbeinturm beschränkt und beeinflussen bis heute militärische, wirtschaftliche und politische Entscheidungsszenarien oder auch das Bild des Menschen als rationaler, nämlich berechnender Akteurs - das hätte ein wenig mehr an kritischer Aufmerksamkeit verdient. Dafür schlägt der Autor die Verbindung zwischen der Mathematik und philosophischen Tendenzen, sich von der Metaphysik zu verabschieden: Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis (F.A.Z. vom 12. August) tauchen an entscheidenden Stellen im Buch immer wieder auf.
Taschner scheint von der prinzipiellen Berechenbarkeit der Welt überzeugt zu sein - auch wenn solche Berechnungen eben meist Wahrscheinlichkeitsverteilungen liefern. Dieser Optimismus geht allerdings weit und verliert aus dem Auge, dass die Wirklichkeit dann häufig doch ein bisschen komplexer ist - etwa wenn es darum geht, wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Im Jahr 2002 wurde Donald Rumsfeld zum Gespött, weil er in einer Pressekonferenz von "unbekannten Unbekannten" sprach - Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Trotz allen Spotts ist Rumsfelds Aussage aber nicht zu beanstanden - in der Literatur zur Risikobewertung wurde der Begriff denn auch dankbar aufgenommen.
Die Wahrscheinlichkeits- und Spieltheorie finden ihre Grenzen dort, wo das bis zu seinem tatsächlichen Auftauchen nicht denkbare und daher nicht quantifizierbare Unbekannte plötzlich eine Rolle zu spielen beginnt. Außerhalb idealisierter mathematischer Theorien und strengen Regeln unterworfener Spiele, die Taschners Darstellung favorisiert, sind solche "unknown unknowns" aber fast nie auszuschließen. Trotz dieses Einwandes ist Taschners Buch ohne Einschränkungen zu empfehlen. Dem Autor ist eine fundierte und unterhaltsame Einführung in eine der bedeutendsten mathematischen Theorien der Gegenwart gelungen.
THOMAS WEBER
Rudolf Taschner: "Die Mathematik des Daseins". Eine kurze Geschichte der Spieltheorie.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 256 S., geb., [Euro] 21,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wo Donald Rumsfeld sogar recht hatte: Rudolf Taschner führt in die Spieltheorie ein
Karten- oder Würfelspiele waren immer schon hervorragend dazu geeignet, Neulinge in die Geheimnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung einzuweihen. Und Strategiespiele wie das berühmte Gefangenendilemma bieten Gelegenheit, komplexere Konzepte von Spielen, Strategien und Wahrscheinlichkeiten zu vermitteln. Der Wiener Mathematiker Rudolf Taschner wählt diesen bewährten Weg, seinen Lesern die Spieltheorie näherzubringen. Samt einigen Kniffen, die er als erfahrener Vermittler von Wissenschaft dabei einsetzt.
Der Aufbau von Rudolf Taschners Buch ist allem Anschein nach einem Zufallsprozess nachgebildet - es beginnt im Wien der zwanziger Jahre, führt wiederholt zu Blaise Pascal in Paris, zu Benjamin Franklin in Philadelphia, nach Princeton, Stanford, Cambridge und zu anderen eminenten Forschungseinrichtungen und immer wieder nach Wien, wo in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und dann wieder in den vergangenen Jahren außergewöhnliche Mathematiker wirkten. Mit dem Fortschreiten von Kapitel zu Kapitel entfaltet sich eine prägnante und abwechslungsreiche Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Spieltheorie.
Taschner nutzt fiktionale, dramatisierte Erzählungen, in denen er die Protagonisten in direkter Rede sprechen lässt, und das ist tatsächlich unterhaltsam, nie trocken oder zu didaktisch. Bedauerlich ist bloß, dass damit auf die Vorstellung genialer Individuen abgestellt ist und wichtige kontextuelle Faktoren in den Hintergrund treten. Insbesondere die im Zusammenhang des Kalten Kriegs aufstrebende Spieltheorie prägte zusammen mit systemtheoretischen und kybernetischen Ideen Konzepte davon, wie Gesellschaften, Wirtschaftssysteme, Kultur und sogar das menschliche Denken funktionieren sollten.
Diese Theorien blieben nie auf den akademischen Elfenbeinturm beschränkt und beeinflussen bis heute militärische, wirtschaftliche und politische Entscheidungsszenarien oder auch das Bild des Menschen als rationaler, nämlich berechnender Akteurs - das hätte ein wenig mehr an kritischer Aufmerksamkeit verdient. Dafür schlägt der Autor die Verbindung zwischen der Mathematik und philosophischen Tendenzen, sich von der Metaphysik zu verabschieden: Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis (F.A.Z. vom 12. August) tauchen an entscheidenden Stellen im Buch immer wieder auf.
Taschner scheint von der prinzipiellen Berechenbarkeit der Welt überzeugt zu sein - auch wenn solche Berechnungen eben meist Wahrscheinlichkeitsverteilungen liefern. Dieser Optimismus geht allerdings weit und verliert aus dem Auge, dass die Wirklichkeit dann häufig doch ein bisschen komplexer ist - etwa wenn es darum geht, wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Im Jahr 2002 wurde Donald Rumsfeld zum Gespött, weil er in einer Pressekonferenz von "unbekannten Unbekannten" sprach - Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Trotz allen Spotts ist Rumsfelds Aussage aber nicht zu beanstanden - in der Literatur zur Risikobewertung wurde der Begriff denn auch dankbar aufgenommen.
Die Wahrscheinlichkeits- und Spieltheorie finden ihre Grenzen dort, wo das bis zu seinem tatsächlichen Auftauchen nicht denkbare und daher nicht quantifizierbare Unbekannte plötzlich eine Rolle zu spielen beginnt. Außerhalb idealisierter mathematischer Theorien und strengen Regeln unterworfener Spiele, die Taschners Darstellung favorisiert, sind solche "unknown unknowns" aber fast nie auszuschließen. Trotz dieses Einwandes ist Taschners Buch ohne Einschränkungen zu empfehlen. Dem Autor ist eine fundierte und unterhaltsame Einführung in eine der bedeutendsten mathematischen Theorien der Gegenwart gelungen.
THOMAS WEBER
Rudolf Taschner: "Die Mathematik des Daseins". Eine kurze Geschichte der Spieltheorie.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 256 S., geb., [Euro] 21,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine prägnante und abwechslungsreiche Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Spieltheorie. ... Dem Autor ist eine fundierte und unterhaltsame Einführung in eine der bedeutendsten mathematischen Theorien der Gegenwart gelungen." Thomas Weber, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.09.15
"So unterhaltsam und elegant wurde die Geschichte der Spieltheorie wohl noch nie erzählt: In der Mathematik des Daseins führt Rudolf Taschner den Leser von Mozart über das Wien der Zwischenkriegszeit bis Princeton - als ebenso kunstvoller Pädagoge wie Erzähler." Anne-Catherine Simon, Die Presse, 26.08.15
"Taschner lässt in seiner Rückschau die Akteure immer wieder szenisch auftreten und verwandelt damit trockene Historie in fiktive dramatische Erzählungen." APA, 24.08.15
"Es wäre nicht Taschner, würde er nicht stilsicher vielfältiges Wissen vermitteln." Heiner Boberski, Wiener Zeitung, 05.10.15
"Taschner hat eine große Begabung, Geschichten zu erzählen, und diese lebt er auch im vorliegenden Buch wieder aus." Heinz Klaus Strick, Spektrum der Wissenschaft, 13.10.15
"Weil der Autor packend erzählen kann, folgt man ihm gerne auf seinem Parcours durch die Jahrhunderte." Ralf Krauter, Deutschlandfunk, 18.10.15
"So unterhaltsam und elegant wurde die Geschichte der Spieltheorie wohl noch nie erzählt: In der Mathematik des Daseins führt Rudolf Taschner den Leser von Mozart über das Wien der Zwischenkriegszeit bis Princeton - als ebenso kunstvoller Pädagoge wie Erzähler." Anne-Catherine Simon, Die Presse, 26.08.15
"Taschner lässt in seiner Rückschau die Akteure immer wieder szenisch auftreten und verwandelt damit trockene Historie in fiktive dramatische Erzählungen." APA, 24.08.15
"Es wäre nicht Taschner, würde er nicht stilsicher vielfältiges Wissen vermitteln." Heiner Boberski, Wiener Zeitung, 05.10.15
"Taschner hat eine große Begabung, Geschichten zu erzählen, und diese lebt er auch im vorliegenden Buch wieder aus." Heinz Klaus Strick, Spektrum der Wissenschaft, 13.10.15
"Weil der Autor packend erzählen kann, folgt man ihm gerne auf seinem Parcours durch die Jahrhunderte." Ralf Krauter, Deutschlandfunk, 18.10.15