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Ein Doku-Drama, das unglaublich spannend und vielschichtig den Untergang und den Aufbruch der deutschen Revolution vom Herbst 1989 wiedergibt: Wahr wie eine Dokumentation, erzählt wie ein Roman.
Was am 9. November 1989 passierte, war ebenso unwahrscheinlich und abenteuerlich wie ein Roman. Und genau so erzählen Olivier Guez und Jean-Marc Gonin diese Geschichte. Kann man sich eine Szene ausdenken wie die, in der der mörderische General Erich Mielke vor die Volkskammer tritt und ruft: "Ich liebe euch doch alle"? Oder wie eine Handvoll Demonstranten in der Berliner Gethsemane-Kirche die schwer…mehr

Produktbeschreibung
Ein Doku-Drama, das unglaublich spannend und vielschichtig den Untergang und den Aufbruch der deutschen Revolution vom Herbst 1989 wiedergibt: Wahr wie eine Dokumentation, erzählt wie ein Roman.
Was am 9. November 1989 passierte, war ebenso unwahrscheinlich und abenteuerlich wie ein Roman. Und genau so erzählen Olivier Guez und Jean-Marc Gonin diese Geschichte. Kann man sich eine Szene ausdenken wie die, in der der mörderische General Erich Mielke vor die Volkskammer tritt und ruft: "Ich liebe euch doch alle"? Oder wie eine Handvoll Demonstranten in der Berliner Gethsemane-Kirche die schwer bewaffneten Stasi-Männer durch Kirchenlieder zum Abzug bringt? In der Art eines Dokudramas verknüpfen die Autoren die oft dramatischen Schicksale der eigentlichen Helden der Geschichte, der Menschen, mit denen der großen Politik von Honecker & Co. Sie alle treten als lebendige Figuren auf, in ihren Gesprächen, privaten Eigenarten, die mehr verraten als jede noch so genaue wissenschaftliche Analyse.
Autorenporträt
Olivier Guez, geboren 1974 in Straßburg, studierte Politische Wissenschaften und Internationale Beziehungen sowie Rechtswissenschaften. Tätigkeit für die OSZE in Bosnien und als Journalist in Frankreich, Belgien und Mittel- und Lateinamerika. Seit 2005 lebt und arbeitet Olivier Guez als Journalist und Buchautor in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2009

Der neue Report zum 9. November

Zwei französische Autoren, Olivier Guez und Jean-Marc Gonin, erzählen die Umstände des Mauerfalls in vielen aufwendig recherchierten Einzelszenen. Das Ergebnis fesselt als ein rasant montierter Tatsachenbericht.

Kein welthistorisches Datum hat den Alltag von Millionen so plötzlich, so fundamental und irreversibel verändert wie die Öffnung der Mauer. Andere Meilensteine der Geschichte, also Kriegsende, Herrscherwechsel, Erfindungen und Entdeckungen, brauchten Zeit, bis die davon betroffenen Menschen überhaupt Kenntnis davon erlangten, und dann dauerte es, bis die neue Zeit auch wirklich bemerkbar wurde. Selbst das Ende des Zweiten Weltkriegs entließ die Überlebenden der von Deutschland angezettelten Massenschlachterei nicht auf einen Schlag, sondern regional zu höchst unterschiedlichen Daten in eine je andere, allerdings überall zerstörte Welt.

Im November 1989 ging es blitzschnell, für alle Bürger der DDR änderte sich binnen weniger Stunden das Leben. Zwar war schon den Zeitgenossen klar, dass diese Epoche mal historisch genannt werden würde, aber für professionelle Geschichtsschreiber machte das die Sache nicht gerade leichter. Denn wie beschreibt man ein Ereignis, auf das so viele ihre eigene Perspektive haben, das sich im Kleinen, in Berlin oft als Nachbarschaftskonflikt und Familiendrama darstellte, das aber auch die Geschichte der großen Blöcke, der Geschehnisse in Moskau und Washington berührte?

Dementsprechend unübersichtlich ist am zwanzigsten Jahrestag der Maueröffnung die Literaturlage. Jeder Menge biographischer Aufarbeitungsversuche stehen dicke Abhandlungen über die großen Leitlinien der Zeitgeschichte gegenüber, Monographien über Mauer und SED-Herrschaft konkurrieren um möglichst vollständige Detailerfassung. Umso verblüffender ist es, wenn es einem einzelnen Band gelingt, die ganze Spannung und Dramatik der letzten Wochen der DDR so wiederzugeben, dass sowohl Zeitgenossen wie jüngere Leser, die die Mauer nur als Kleinkind erlebt haben, beim Lesen mitfiebern, und zwar ohne dass es auf Kosten der intellektuellen Redlichkeit ginge. Hier ist vielleicht eine Hilfe, dass die beiden Autoren von "Die Mauer fällt" aus Frankreich kommen, einem Land, dessen Präsident zwar seine liebe Mühe mit der Anpassung seines historischen Begriffsapparats auf die neue Weltordnung hatte, dessen Öffentlichkeit sich aber ein empfindliches Sensorium für den Kampf um die Freiheit und eine große Liebe zu dessen dramatischen, heroischen Aspekten bewahrt hat.

Als man hierzulande gerade auf der politischen Linken noch rechnete und stöhnte, was der Spaß wohl kosten werde, herrschte in französischen Debatten das Erstaunen, die Bewunderung, die reine Freude über die sich Bahn brechende Freiheit und den Triumph der Menschenrechte vor. So stammen zwei der schönsten Filme, die im zeitlichen Umfeld des Mauerfalls entstanden, von französisch sprechenden Regisseuren, Jean-Luc Godards "Allemagne Neuf Zéro" und Marcel Ophüls "Novembertage".

In der Tradition solcher Arbeiten muss man auch das Buch von Olivier Guez und Jean-Marc Gonin sehen, das unter dem Titel "La Chute du Mur" in Frankreich erschien und zu den wesentlichen Neuerscheinungen des Herbstes zählt, an jedem Bahnhofsladen neben der Kasse liegt.

"Die Mauer fällt" erspart dem Leser eine thesenhafte Nacherzählung von weit bekannten Geschehnissen, sondern fesselt ihn gleich mit einer rasanten Montagetechnik. In Hunderten von Interviews mit allen wichtigen Akteuren, vom Umfeld Gorbatschows bis zum Volkspolizisten, von den Aktivisten der Umweltbibliothek bis zu Egon Krenz haben sich die Autoren einen panoptischen Überblick über die wesentlichen Handlungsstränge verschafft - und dann haben sie sich gleichsam in den Schneideraum begeben und die Szenen zu einer Geschichte komponiert.

Das Resultat ist eine neue Form, ein Tatsachenroman über Ereignisse, die doch viele schon so gut zu kennen glauben, und zeitigt einen erstaunlichen Effekt: Man liest mit anhaltender und zunehmender Spannung und gewinnt, ohne dass penetrant trompetet würde, eine Fülle neuer Erkenntnisse. Wer etwa der Meinung war, die deutsche Einheit sei allein das Werk weniger großer Männer, von Gorbatschow, Kohl und Bush senior, der kann hier noch einmal nachvollziehen, dass die dramatischsten Situationen von ganz normalen Bürgern entschärft werden mussten, als etwa in Leipzig ein Blutbad drohte. Ohne Pathos macht das Buch klar, wie groß und unkontrollierbar die Gefahr einer gewalttätigen Entladung der seit Jahren angestauten Konflikte war.

Besonders beeindruckend gelingt den Autoren die Schilderung des Alltagsleben in der Waldsiedlung Wandlitz, wo die Weltgeschichte auf ein Niveau des Nachbarschaftsstreits unter kauzigen alten Männern herabsinkt. Egon Krenz kann zunächst niemand richtig ernst nehmen, weil er bei jeder sich bietenden Gelegenheit von seiner neuen, teuren Badewanne schwärmt, ein Zug, der seinen knallharten Kollegen vom Politbüro allzu unmännlich vorkommt. Und als die Weltöffenlichkeit das Ende von Honecker schon ahnen konnte, unternahmen jene, die ihn im Politbüro abzusetzen hatten, komische frühmorgendliche Um- und Schleichwege, damit der Alte die gegen ihn einberufenen Hausbesuche nicht durchs Küchenfenster beobachten konnte.

Schaurig lesen sich heute die Passagen über die Pläne zur Unterhaltung und Weiterentwicklung hin zur "Mauer 2000", wo neue Technologien dabei helfen sollten, die Leute abzuschrecken oder eben besser zu ermorden. Und man versteht die zentrale Rolle der Demonstrationen und wie der Druck der Straße überhaupt erst jene Energie in den Prozess einspeiste, die die Mauer dann zum Einsturz brachte. Auch noch so viele gutgemeinte Initiativen und Hinweise aus dem Kreml hätten - das wird in diesem Buch ganz klar - das nicht vermocht - so viel zur These, der 9. November sei eine Revolution von oben gewesen!

Besonders komisch und beinahe surreal liest sich jene Episode, in der die Spitzen der Stasi die Großdemonstration auf dem Alexanderplatz vorbereiten, im verzweifelten Glauben daran, die ganze Sache noch irgendwie lenken zu können. Es werden also Parolen entworfen, die einerseits kritisch und flott genug klingen, um eine glaubwürdige innere Demokratisierung anzuzeigen, die andererseits aber nicht den Sozialismus in Frage stellen. Als Günter Schabowski ausgebuht wird, der Mann, der doch als Berliner Parteichef am ehesten eine Sprache fand, die bei den Leuten auch ankam, als also die Straße der Stasi die Regie entreißt, ist es eigentlich aus. Fatal wirkt auch das vom Fernsehen sofort eingefangene Plakat, auf dem Krenz als böser Wolf im Oma-Gewand karikiert wurde: "Großmutter, warum hast du so große Zähne?" Lächerlich gemacht zu werden, das übersteht kein totalitäres Regime, auch dieses nicht.

Es gibt Helden und Schurken, Liebende und Enttäuschte, Komiker und Zyniker in diesem großen deutschen Geschichtsbericht, den zwei Franzosen verfasst haben. Er könnte nicht graziöser enden als mit der Geschichte des Cellokonzerts von Rostropovitch an der geöffneten Mauer. Auf der Fahrt im Taxi zur Mauer fällt dem weltbekannten Musiker ein, dass er gar nichts hat, um sich beim Spielen draufzusetzen. Also lässt er den Fahrer irgendwo am Kurfürstendamm halten, steigt aus und bittet eine wildfremde Dame um einen Stuhl. Dann verstaut er Stuhl und Cello in ein Berliner Taxi - allein diese Episode verdeutlicht, dass in jenen Tagen wahre Wunder geschahen -, ließ sich an einem Übergang absetzen und spielte umsonst und draußen zur Freude über die Freiheit. Man liest diese Seiten nicht ohne Gänsehaut.

Das ist schon ein Buch von ganz eigener Qualität, in dem sowohl die politischen Debatten des engsten Zirkels um Gorbatschow geschildert werden als auch Rostropovistchs Suche nach einem Stuhl. Durch intelligentes Sammeln, Streichen und mit einer entsprechenden coolen Sprache entsteht aus überreichem zeithistorischen Material nicht bloß Geschichtsschreibung oder Journalismus, sondern eine ganz neuartige Literatur der Tatsachen.

NILS MINKMAR

Olivier Guez und Jean-Marc Gonin: "Die Mauer fällt". Ein Tatsachenroman. Aus dem Französischen von Helmut Reuter. Piper Verlag, München 2009. 334 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz neu, ganz anders!, ruft Nils Minkmar uns zu. Dass es nur zwei Franzosen (Olivier Guez und Jean-Marc Gonin) dank Wunder wirkender Außenperspektive und einem Faible für Revolutionen hinbekommen konnten, die Geschichte des Mauerfalls vermittels Sammeln, Streichen und "cooler Sprache" lesbar zu machen, findet Minkmar so bemerkenswert wie folgerichtig. Dass es derart großartig sein würde, überrascht ihn dann doch bis zur Gänsehaut. Hunderte Interviews, durch ein rasantes Montageverfahren zu einer Geschichte komponiert, ergeben für Minkmar einen Tatsachenroman bekannter Ereignisse. Na, beinahe bekannt, denn das Buch entwickelt nicht nur eine nachhaltige Spannung, es eröffnet dem Rezensenten auch neue Erkenntnisse. Über die friedliche Macht von der Straße, das unheimliche Leben in Wandlitz oder Pläne für eine noch bessere, noch tödlichere "Mauer 2000".

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