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"Da war eine Frau, die war so böse, dass sie sich wünschte, ein Kind zu essen." Die furchterregende Menschfresserin macht sich auf die Suche nach dem schönsten Kind. Am Ende ihrer Kräfte findet sie eines und verschlingt es. Es war ihr eigenes. "Ein Bilderbuch, das das Fremde in uns selbst sichtbar macht, das unter die Haut geht und ins Herz trifft." Jens Thiele, Süddeutsche Zeitung

Produktbeschreibung
"Da war eine Frau, die war so böse, dass sie sich wünschte, ein Kind zu essen." Die furchterregende Menschfresserin macht sich auf die Suche nach dem schönsten Kind. Am Ende ihrer Kräfte findet sie eines und verschlingt es. Es war ihr eigenes. "Ein Bilderbuch, das das Fremde in uns selbst sichtbar macht, das unter die Haut geht und ins Herz trifft." Jens Thiele, Süddeutsche Zeitung
Autorenporträt
Wolf Erlbruch, geboren 1948, ist Professor für Illustration an der Bergischen Universität Wuppertal. Neben zahlreichen Auszeichnungen erhielt er für sein Gesamtwerk den Gutenbergpreis der Stadt Leipzig, den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises, 2006 den Hans Christian Andersen Preis und im Jahr 2014 den e.o.plauen-Preis.

Valérie Dayre wurde 1958 geboren und lebt heute im französischen Berry.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.1996

Zwischen Himmel und Hölle, Fressen und Lieben - eine gewaltig schöne fürchterliche Geschichte

Ein Mädchen hüpft auf einer Hickelzeichnung von der Hölle in den Himmel. Dies Bild setzt Wolf Erlbruch seinem neuen Bilderbuch voran. Nur durch einen Steinwurf sind Himmel und Hölle getrennt, und leichtfüßig bewegen sich Kinder dazwischen - im Schutzraum des Spiels. Auch Bilderbücher und Geschichten sind Spiele, und Kinder üben sich an ihnen im Gruseln wie beim Himmel-Hölle-Spiel im Hüpfen. Valérie Dayres Märchen von der Menschenfresserin bietet zu solcher Übung gute Gelegenheit. Die Menschenfresserin ähnelt manchen Heldinnen aus Roald Dahls Kinderromanen: die Frau, die schon unsagbar Schlimmes getan hat und sich nun gierig auf die Suche nach einem zum Fressen leckeren Kind macht. Allerdings ist sie erst zu wählerisch, dann verstecken die mißtrauisch gewordenen Eltern ihre Kinder. Am Ende findet die Ausgehungerte doch noch ein wunderschönes und läßt es sich schmecken. Daß es ihr eigenes Kind gewesen ist, fällt ihr erst ein, als es verdaut ist. Nun zieht ihr reuevolles Klagen durch die Stadt und über das Meer. Ihre späte Erkenntnis und Verzweiflung mischen Mitleid in unser Grauen. Diese Menschenfresserin ist anders als die Märchendämonen und als Dahls Hexen, die es mindestens so schlimm treiben, aber nicht die Ambivalenz einer auf Einverleibung gerichteten Liebe kennen. Näher steht Dayres fürchterliche Mutter den von ihren Leidenschaften umgetriebenen Helden in Ovids Metamorphosen. Wie der Nymphe Echo bleibt ihr am Ende nur die Stimme, kaum unterscheidbar von Wind und Meer.

Mit ausladenden Gesten beherrscht die Menschenfresserin fast jede der doppelseitigen Bildtafeln. Dennoch ist neben ihrer gruseligen Übermacht Raum für komische, rätselhafte und freundliche Details: ein sinkendes Schiff, ein Ausschnitt aus einem Wiesenstück, ein Vater, der sein Kind mit Jonglierkunststücken unterhält, während draußen die gefräßige Böse herumschleicht, Kinder, phantastisch und so verschieden wie die realen; darunter einige, die an Bilder von Picasso erinnern, und andere, die aussehen, als seien sie aus den glänzenden Farbtafeln alter Kinderbücher geschnitten. Mit rasant neben- und übereinander collagierten Papieren - Geschenk- und kolorierten Packpapieren, Blättern mit Rechenkästchen und Zahlenkolumnen - und mit feinkörnigen Farbschattierungen schafft Erlbruch weite Räume, Strände, Felsen, Meer und Stadt. Wie in den japanischen Holzschnitten, die er zitiert, reizen sie durch ein raffiniertes Verwirrspiel zwischen Fläche und Tiefe. In die raumschaffenden leeren Flächen setzt er mattgelb unterlegte Textblöcke, die sich dem Farbklang des Buchs einfügen. Kontraste zur Leere bilden kleinteilige Stoffmuster. Manche sind mit Stempeln bedruckt und verweisen auf die an Schriftzeichen erinnernden ornamentalen Stempelmarken, Signaturen, die in wechselnden Farben auf jeder Seite wiederkehren. Auch einen Mond mit Bilderbuchgesicht hat Erlbruch als Zeugen auf jede Seite gesetzt. Er folgt der Übeltäterin leise und beharrlich, scheint meist zu schlafen, dann aber blinzelt er uns an unter dicken Lidern: Er sieht alles. Das Verschlingen des Kindes, lapidar mit dem Satz "Und sie fraß ihn" ausgesprochen, inszeniert Erlbruch so diskret wie ausdrucksstark als gewaltigen Schrei und Trommelschlag eines Affen, der, auf der vorangehenden Seite noch Miniatur, mit einem Satz aus der Spielzeugdimension in die Bildrealität gesprungen ist.

Überbietet das Buch das Maß an Gewalt und Schrecken, das man jüngeren Kindern in Text und Bild zumuten kann? Weder Autorin noch Zeichner stellen die Geschichte realistisch dar. Künstlerische Mittel, wie die groteske Übertreibung und die gereimte Rede, ermöglichen Distanz. Auch setzt die Erzählung gegen die mythische Bedrohung die entschiedene Liebe und Fürsorge der Eltern, die ihre Kinder vor ihr verbergen. Anstößig, bedenklich - und um so faszinierender ist das Motiv der Mutter, die ihr Kind frißt. Es spricht eine menschliche Urangst an, die im Alter der größten Nähe zur Mutter sicher leicht zu erregen ist. Ihrer Bedeutung werden Autorin und Künstler in lakonischer, von Anbiederung und Verniedlichung freier Sprache in hohem Maße gerecht. Psychologen halten zur Bewältigung der Angst ihre Konkretion und Bindung in Bildern und Geschichten für unerläßlich. Wenn sie recht haben, braucht man die Wirkung dieses hervorragenden Buches auf Kinder nicht zu fürchten.

GUNDEL MATTENKLOTT.

Valérie Dayre: "Die Menschenfresserin". Ein Märchen. Illustriert von Wolf Erlbruch. Aus dem Französischen von Gudrun Honke und Max Christian Graeff. Hammer Verlag, Wuppertal: 1996. 27 S., geb., 32,- DM.

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