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In Artur Beckers Buch begegenen wir Rudolf, einem alten Holzfäller, der am Lutrysee um sein Haus kämpft, wir treffen die Studentin Natalia, die sich unglücklich in den Gewerkschaftler und Dissidenten Mark verliebt, und wir lernen den Fensterputzer Rafa kennen, dessen Vater sterben will und einen letzten Wunsch an seinen Sohn hat. Ob in der Haimat geblieben oder emigriert - sie alle verbindet mit ihrem Ermland - Warmia und Masuren in Polen - Sehnsucht und Fremdheit.

Produktbeschreibung
In Artur Beckers Buch begegenen wir Rudolf, einem alten Holzfäller, der am Lutrysee um sein Haus kämpft, wir treffen die Studentin Natalia, die sich unglücklich in den Gewerkschaftler und Dissidenten Mark verliebt, und wir lernen den Fensterputzer Rafa kennen, dessen Vater sterben will und einen letzten Wunsch an seinen Sohn hat. Ob in der Haimat geblieben oder emigriert - sie alle verbindet mit ihrem Ermland - Warmia und Masuren in Polen - Sehnsucht und Fremdheit.
Autorenporträt
Artur Becker, geb. 1968 im polnischen Bartoszyce (Masuren), kam 1985 nach Deutschland und lebt heute in Verden an der Aller (Niedersachsen). 2008 erhielt er den "Adelbert-von-Chamisso-Preis" für sein bisheriges Lebenswerk als Romancier, Erzähler und Lyriker. 2009 wurde ihm der Adelbert-von-Chamisso-Preis verliehen. Im Jahr 2012 wurde er für seinen literarischen Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung mit dem Dialog-Preis geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2003

In der Bar Abrakadabra
Seenplatt: Artur Becker bietet Unterhaltung für Ausgewanderte

Der Osten ist unheimlich populär. Gern wird er derzeit als Aneinanderreihung von Anekdoten gelesen oder im Blick zurück verklärt. Beliebt sind Geschichten von Verlierern und Improvisationskünstlern, aus der Zeit vor 1989 oder von der Peripherie, aus irgendeiner entlegenen Provinz. Warum auch nicht? Es wird sprachlich nicht groß experimentiert, wenig konstruiert, sondern erzählt, wie einem der Schnabel gewachsen ist: viel Selbsterlebtes, aus purer Lust am Erzählen unter die Leute gebracht. Meistens nimmt der Leser außer Unterhaltung noch eine Portion Volks- und Landeskunde mit. Das war es dann auch schon.

So gesehen, kommen Artur Beckers Geschichten aus dem wilden Masuren wahrscheinlich im richtigen Moment. Sein neues Buch "Die Milchstraße" enthält eine lange und acht kürzere Erzählungen. "Die Reise nach Rothfließ" ist eine Wiederbegegnung mit den Protagonisten aus seinem Emigrantenroman "Onkel Jimmy, die Indianer und ich" (2001). Daraus hatte der Autor damals beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gelesen.

Becker siedelte vor fast zwanzig Jahren nach Deutschland über. Er schreibt auf deutsch und lebt heute in Verden an der Aller. Sein angestammtes literarisches Terrain indes liegt dort, wo der Autor 1968 geboren wurde und aufwuchs: in der nordpolnischen Kleinstadt Bartoszyce und in den ermländischen Dörfern und Wäldern unweit der Grenze zur Oblast Kaliningrad. Spielen die Geschichten ausnahmsweise in Hamburg, New York ("Zwei Fotografen"), Bremen ("Jeder hat eine Leiche im Keller") oder Winnipeg, dann sind wenigstens ihre Protagonisten ausgewanderte Ermländer oder gehören - wie die schrullige Gräfin Lilli von Butschau aus Schippenbeil - zum ostpreußischen Adel; sie alle - auch die in Wäldern und an den Seeufern blieben - folgen ihren ganz eigenen Lebensprinzipien. Und zwar mit aller Hartnäckigkeit.

Da ist zum Beispiel Rudolf Prajloski, arbeitsloser Holzfäller, der deutschen Feriengästen auf ihrer Spurensuche in Ostpreußen rücksichtslos das Geld aus der Tasche zieht. Als seine ukrainische Frau stirbt, hinterläßt sie ihm keinen Zloty. Sogar das gemeinsam bewohnte Haus am Lutrysee vermacht sie der Gemeinde. So steht Rudolfs altes Domizil plötzlich zum Verkauf. Der Witwer quartiert sich aus Prinzip in einem Zirkuswagen auf demselben Seegrundstück ein. Ausgestattet mit Fernseher und Satellitenschüssel, wird Rudolfs neues Heim bald zum lokalen Treffpunkt. Eines Tages muß er mit ansehen, wie ein Werbefuzzi aus Hannover - Inhaber zweier Pässe - neuer Eigentümer des Anwesens wird.

Dazwischen begegnet der Leser noch Lidka, der Litauerin. Sie schmuggelt aus Kaliningrad Nachtsichtgeräte und große Mengen Räucheraal; und sie ist Rudolfs Geliebte, obwohl er eigentlich für die jüngere Krystyna, Sexbombe des Dorfes und ärgste Konkurrentin beim Ködern von Touristen, schwärmt. "Nie dla psa kielbasa!" - wie der Pole sagt - die Wurst ist nicht für den Hund bestimmt! Doch eines Nachts kommt Krystyna über den Lutrysee zu Rudolfs Zirkuswagen gerudert . . .

Der Fluß Lyna fließt hinüber nach Rußland. Dort an der Grenze bei Stopki, im Niemandsland zwischen zwei Staaten, lebt in der langen Erzählung "Der Paß" ein hexenartiges Großmütterchen. Die Märchengestalt trägt wollene Jacken und Röcke; sie hält Wache über die vielen Toten aus Krieg und Vertreibung, die dort unter der Erde liegen. Letzte Ruhe und Seelenfrieden spielen im Leben von Beckers Figuren oft eine Rolle. Es geht ums Bestatten und manchmal Umbetten von Leichen. Einmal wird in der Friedhofskapelle gar eine Ehe geschlossen; ein andermal läßt die Witwe Renata Kuglowska einen leeren Sarg in den See hinab zu ihrem ersoffenen Ehemann August. Er hatte versucht, mit seinem Mercedes die Abkürzung über den zugefrorenen See zu nehmen. Seen bergen Geheimnisse und Überraschungen, ebenso die Nächte.

Über den Seen ist der Sternenhimmel besonders klar. Man sieht die Milchstraße. Vom Weg, den man geht, soll man nicht abweichen. Wer sich nicht in den Bahnen der Milchstraße bewegt, sagten die Pilger, wird ins Dunkle gestoßen. Doch der Autor macht - außer einem Buchtitel - nichts weiter aus dieser schwindelerregenden Konstellation. Die mögliche masurische Existenzmetapher wird nicht ausgearbeitet.

Grenzgänger, Solidarnosc-Aktivisten, Fischer und junge Dorfschönheiten, so plätschern Beckers Episoden ganz amüsant dahin. Mal ist der Schauplatz das Provinzkino "Muza", mal die Feriensiedlung "Morena", dann die Bar "Abrakadabra". Ein "Land", läßt er Marek, der Polen verlassen will, einmal denken, "das von mir nichts will, im Gegenteil, das mich nicht braucht, um weiter zu bestehen". Und doch kommen die Dagebliebenen, die Ausgewanderten und mit ihnen der Autor selbst von der Gegend nicht los. Um diese Anziehungskraft zum Thema zu machen, fehlt es Beckers Erzählungen an der nötigen poetischen Kraft. Sie lassen sich nur als weitere Ostprodukte auf dem Jahrmarkt literarischer Kuriositäten feilbieten.

STEFANIE PETER

Artur Becker: "Die Milchstraße". Erzählungen. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2002. 224 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Autor stammt aus den polnischen Masuren, womit der Rezensent Frank Schäfer wiederum Naturromantik, düstere Melancholie und bäuerliche Lebensweise verbindet. Und prompt ist Schäfer in mehreren Erzählungen Artur Beckers auf jene Klischees gestoßen. Geschichten vom Auswandern, von Kartoffelfeldern, wortkargen Menschen, familiären Zusammenhalt, fehlenden Pässen - alles "haarscharf an der miesen alten Butzenscheibenromantik vorbei", schreibt Schäfer. Die erste und letzte Erzählung des Bandes seien in diesem "gebrochenen Mythenton" gehalten, urteilt er und empfindet sie als eine inhaltliche Klammer. Mit der Zeit gewöhne man sich richtig an diesen etwas schwermütigen Sound, gibt Schäfer zu, so dass die anderen, eher skurril-komischen Erzählungen, mit denen Becker an seinen Schelmenroman "Onkel Jimmy, die Indianer und Ich" anknüpfe, nicht mehr ihre volle Wirkung entfalten können. Die "kaputte schmutzige Ostexotik" gefällt Schäfer besser.

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