Carl Schmitt hat in vielen Phasen seines Lebens Tagebuchaufzeichnungen gemacht. Nachdem er ab Februar 1915 als Kriegsfreiwilliger in München zunächst als Rekrut eine Grundausbildung erhielt, war er bald danach im Stellv. Generalkommando des I. bayerischen Armeekorps tätig. Dort leitete er bis 1919 ein Subreferat, das sich mit Genehmigung oder Verbot der Ein- und Ausfuhr von politisch brisanten Schriften, der Beobachtung der Friedensbewegung und der Verbreitung feindlicher Propagandatexte u. a. befasste. Die jetzt zum ersten Mal veröffentlichten Tagebucheintragungen gewähren wie die bereits publizierten aus der Zeit 1912 bis Anfang 1915 einen tiefen Einblick in seine damalige zerrissene Existenz zwischen spannungsreicher Ehe und zunächst als Bestrafung empfundenem Militärdienst, zwischen übersteigertem Selbstbewusstsein und armseliger Wirklichkeit. Vor allem sind die bislang fast unbekannten Dokumente aus der Militärbehörde, die in einer Auswahl auf etwa 140 Seiten abgebildet werden, für die Einschätzung des jungen Carl Schmitt und sein Verhältnis etwa zum Pazifismus unverzichtbar. Sie erlauben Einblicke in die "Werkstatt" seines Denkens, da gerade in dieser Zeit die ersten, später so berühmt gewordenen Werke "Politische Romantik" und "Die Diktatur" vorbereitet und in ersten Fassungen formuliert wurden. Bisher nicht bekannt sind auch die in der Rubrik "Aus dem Lager unserer Feinde" in der Hamburger Woche anonym veröffentlichten Artikel, die Carl Schmitt aus der Lektüre von ausländischen Zeitungen während seiner Dienstzeit zusammenstellte. Auch dieses Buch ist unverzichtbar für alle, die Neues über die frühe Formationsphase eines der produktivsten und einflußreichsten deutschen Gelehrten des 20. Jahrhunderts erfahren wollen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2006Der Unterschichtenkerl
Mit Julien identifiziert: Carl Schmitts Tagebücher des Jahres 1915
Carl Schmitt wurde im Ersten Weltkrieg als Zensor verwendet. Die Freizeit verbrachte er in den Kneipen der Münchner Literaten. Seine Tagebücher zeigen einen Menschen, der mit der ganzen Welt im Krieg liegt.
"Ekel und Angst, Weihnachtsstimmung." Die Tagebuchnotiz Carl Schmitts ist nicht einfach zu deuten. Warum dachte er schon zweieinhalb Monate vor dem Fest, am 8. Oktober 1915, einem Freitag, an Weihnachten? Ein Topos heutiger Kulturkritik ist die Klage darüber, daß sich schon im Oktober die Lebkuchenschachteln im Supermarktregal stapeln. Man darf bei Schmitt durchaus ein analoges Gefühl annehmen. Die zu Weihnachten erzeugte Stimmung steht offenbar als Chiffre für die Verlogenheit einer bürgerlichen Welt, die ihre Rituale pflegt und im stolzen Bemühen um die im Kalender markierten Kulturwerte aus der Zeit gefallen ist.
Es war eine Nachmittagsgesellschaft im Münchner Haus des Malers Hugo Troendle, die Schmitt ins innere Weihnachtszimmer versetzte. Er traf bei Troendle den Dichter Theodor Däubler, "trank dort Tee und aß Kuchen". In Parenthese vermerkt er, daß er "Troendle fotografiert mit nackten Weibern" sah. Er war am Morgen zum Dienst angetreten, verließ das Büro aber schon um elf Uhr wieder. In der Neuen Börse am Maximiliansplatz hatte er zu Mittag gegessen, mit Troendle und mit seiner Frau, Cari, geborener von Dorotic, die er am 13. Februar in Köln nach seiner Einberufung als Kriegsfreiwilliger geheiratet hatte. Mit Däubler ging er von Troendle zu seinem Verleger Georg Müller, ohne daß sich seine Stimmung aufhellte. "Unterhalten; Däubler ist entsetzlich (ein quatschendes Weib)." Schmitt plante damals eine Monographie über den Dichter und mußte sich verspotten lassen, weil er angeblich der einzige war, der Däublers Epos "Nordlicht" ausgelesen hatte. Nach einem Abstecher ins Büro ("arbeitete etwas") aß er zu Hause mit seiner Frau zu Abend, traf sich dann aber noch einmal mit Däubler und seinem jüdischen Freund Georg Eisler im Lokal "Akropolis" an der Barer Straße.
Ein typischer Tag im Leben des Gefreiten Carl Schmitt, dessen Büro sich in der Herzog-Max-Burg befand, beim stellvertretenden Generalkommando des I. bayerischen Armee-Korps. Schmitt war als Referatsleiter für die Zensur von Druckschriften und die Überwachung der Friedensbewegung zuständig. Die Tätigkeit kam seinen Neigungen entgegen, ja war, auf dem Papier betrachtet, die Erfüllung eines Wunschtraums. Am 9. Juni 1915 notierte er: "Was ich mir oft heimlich wünschte, spionieren, überwachen, heimliche Macht, alles habe ich." Schon zwei Tage nach seinem Dienstantritt am 24. März hatte er gewußt, was er von seinem Vorgesetzten zu halten hatte. "Der Baron Freyberg ist sehr eifersüchtig und läßt einen nichts lernen, um alles in der Hand zu behalten. Aber heimlich weiß ich, daß ich doch allmählich der Beherrschende werde."
Ernst Hüsmert und Gerd Giesler haben ihrer Edition des Tagebuchs nicht nur eine Auswahl von Aktenstücken aus dem Zensurreferat beigegeben, sondern drucken auch kleine Schriften nach, die Schmitt im Krieg publizierte, darunter die bekannte Satire "Die Buribunken". Mit der Erfindung dieses originellen Völkchens hat Schmitt die Blogger unserer Tage vorweggenommen. Er karikiert seine historistisch gestimmten Zeitgenossen, die im Hochgefühl ihrer epochalen Bedeutung über ihr Leben Buch führen. Dabei kommt er auf Don Juan zu sprechen und weist Leporellos Register in der Gattungsgeschichte dieser Protokolliteratur den Platz eines bloßen Vorläufers an. Es fehlte dem Autor am Willen zur Macht. Sonst hätte Leporello nämlich "seine eigene Biographie geschrieben, er hätte sich selbst zum Helden gemacht und statt des so viele oberflächliche Gemüter faszinierenden, leichtfertigen Kavaliers hätten wir wahrscheinlich das imponierende Bild eines überlegenen Managers, der die buntfarbige Marionette Don Juan an den Fäden seiner überlegenen Geschäftskenntnis und Intelligenz herumzieht". Sollen wir auch Schmitt zu den oberflächlichen Gemütern zählen, weil wir aus dem Tagebuch erfahren, daß Grabbes Tragödie "Don Juan und Faust" ihn begeisterte?
Der Rechenschaftsbericht des Referatsleiters gibt uns nicht das imponierende Bild einer feldgrauen Eminenz, die den Generalmajor Baron von Freyberg als Paradeuniformpuppe an den Fäden ihrer überlegenen Intelligenz hätte zappeln lassen. Mit "ruhiger Überlegenheit" widmete Schmitt sich lediglich dem Plan, Selbstmord zu begehen. Er hatte Stendhals "Rot und Schwarz" gelesen. "Mit Julien identifiziert." Wenn Schmitt tatsächlich heimlich das Regiment im Büro führte, hat er diese Herrschaft sogar vor sich selbst verheimlicht. Der Eintrag vom 8. Oktober verzeichnet es als wundersam, daß Schmitt "überaus freundlich behandelt" wurde.
Die Beispiele für die von Schmitt bearbeiteten Eingaben könnten den Eindruck erwecken, daß er gar nichts zu entscheiden hatte. Ob die Herausgabe eines deutschfeindlichen Pamphlets an Thomas Mann verweigert wurde oder Rudolf Pannwitz den Rat erhielt, er solle Julius Meier-Graefe veranlassen, bei künftigen Sendungen die Umfangshöchstgrenze zu beachten - Schmitts Konzepte erschöpfen sich naturgemäß in der Montage bürokratischer Formeln. Es müßte aber, hätte man nur das Tagebuch und nicht auch diese objektiven Tätigkeitsnachweise, zweifelhaft sein, ob die Vorgesetzten in ein Zeugnis des 1916 zum Unteroffizier beförderten Beamten auf Widerruf auch nur den Satz "Routinearbeiten erledigte er zu unserer Zufriedenheit" hätten schreiben können.
Ekel und Angst sind die beherrschenden Motive auf sämtlichen Tagebuchseiten, und man müßte seitenweise zitieren, um eine Ahnung vom Alltag dieser Diktatur des Widerwärtigen zu geben. Die Angst erwartete Schmitt am Schreibtisch, denn der Traumjob des geheimen Mitlesers erwies sich als furchtbare Heimsuchung. "Oft erschrecke ich, wenn ich daran denke, wie ich inzwischen arbeite." Es war "zum Bangewerden". Tat er seine Pflicht, so ängstigte ihn das erst recht. Sozialpsychologisches Vokabular zur Analyse dieser Lage war zur Hand. "Wahnsinniger Wunsch nach Macht und Wirkung. Nervös, krankhafte Beamtenpsychose." Das Mitleid des Lesers wird sich, wie bei Lehrern, die der Krankenkasse melden, daß sie den Stress der Arbeit mit Kindern nicht aushalten, in Grenzen halten - obgleich sich in den Ekel gegenüber der Dienstpflicht die honorigsten politischen Motive mischen. Schmitt verschlang die eingeschmuggelten Flugschriften, deren Lektüre er seinen Landsleuten weisungsgemäß untersagte. Abscheu vor dem "Militarismus" und dem totalen Staat, der die moralische Existenz des einzelnen vernichtet, zieht sich durch das Tagebuch, hielt Schmitt freilich nicht davon ab, sich zu Weihnachten durch Treitschke-Lektüre aufrichten zu lassen. "Erinnerungen aus meiner Gymnasialzeit wirken dabei mit, ich fühle mich wieder wert, will streben und vorwärtskommen."
Schmitt verwirft den Krieg und den Staat, der nur für den Krieg existiert. Sich selbst beschreibt er als machtlos, und er müßte sich eigentlich, um die Frage abzuweisen, warum er nichts gegen den Krieg publiziert, unpolitisch nennen. Aber sogar dem Geständnis der Ohnmacht wirft er das Kostüm seiner Allmachtphantasie über: "Ich durchschaue den ganzen Schwindel, wie es Napoleon nicht richtiger und überlegener hätte durchschauen können. Aber ich habe nicht die Kraft, einer Ordonnanz einen Befehl zu geben."
Von seiner Gattin zu schweigen. Angst und Ekel hatten Schmitt im Griff, noch ehe ihn Post und Telegramme trafen. Daheim wiederholte sich das Elend, daß die Pflichterfüllung seine Selbstachtung zerfraß. In zwei besondere Gewaltverhältnisse sah er sich eingesperrt, deren Beziehung er als strengen Parallelismus wahrnahm: "Die Ehe und das Militär. In dieser schauderhaften Doppelklammer werde ich wohl zerrieben werden."
Natürlich deutete Schmitt sein häusliches Unglück politisch, klassifizierte Cari als "herrschsüchtig". Aber die psychopathologische Betrachtung, die Schmitt in den "Buribunken" als Verfallsform des bürgerlichen Geistes abtut, findet im Tagebuch ein überreiches Material, das durch solche Topoi der Ehekritik eher verdeckt wird. Als anthropologischer Grund der Unterscheidung von Freund und Feind erscheint auf dem Schlachtfeld dieses Lebens ein Bedürfnis nach Abstand, gegenüber dem alle politischen Setzungen sekundär sind, die dem Wunsch nach Distanzierung Rechnung tragen, ohne ihn erfüllen zu können. Die Erfüllung wäre identisch mit der Auflösung der Gesellschaft. Allein steht der Mensch, wie Schmitt 1917 in seinem Aufsatz über die Sichtbarkeit der Kirche darlegt, erst im Jüngsten Gericht da.
Die Metaphern, mit denen Schmitt die feindlichen Erscheinungen seiner äußeren und inneren Welt sortiert, sind nicht politischer, sondern soziologischer Herkunft. Am häufigsten fällt das Wort "Prolet". Schmitt ist in der Kaserne, im Büro und in der Schriftstellerkneipe von Proleten umgeben. Er hat eine soziale Erklärung dafür, daß er vergeblich nach der Macht des Hinterzimmermannes strebt. "Ich fühle doch, wie ich ein Unterschichtenkerl, ein schlauer, listiger Mitmensch bin; überlegend, aber nicht überlegen." Als "armer Prolet" sieht er sich verdammt, seine Frau zu demütigen, die im Zweifel immer noch empfindlicher reagiert, als er vorausahnt. "Wäre ich ein Hochstapler, ginge es mir besser diesen seelischen Feinheiten gegenüber." Die Hochstaplerin war Cari, die sich als Adelige ausgegeben hatte. 1922 soll Schmitt sie als Betrügerin erkannt haben, woraufhin sie aus seinem Leben verschwand. Die Umstände des Bluffs liegen im dunkeln, aber es ist frappant, daß der Jurist sich in diesem Punkt, einer Formsache im strengsten Sinne, irreführen ließ.
Die wenigsten Leser der "Buribunken" werden vermutet haben, daß der anonyme Verfasser selbst Tagebuch geführt hatte. Wenn Schmitt von aller historistischen Selbstanalyse absieht, gereicht dies dem Eindruck, den wir von seinem Charakter empfangen, leider nicht zum Vorteil. Schon am Anfang seiner Karriere bilden Selbstanklage und Selbstverteidigung ein unentwirrbares Syndrom. Daß man auf das Urteil anderer Menschen Rücksicht nimmt, ist in Schmitts Augen keine humane Selbstverständlichkeit, sondern die Erbsünde der strebsamen Proleten, mit einem Synonym: der Juden.
Mozart hätte eine Leporello-Oper schreiben können. "Aber statt die Feder in die Hand zu nehmen, ballt der arme Teufel die Faust in der Tasche." Schmitt zog die Faust aus der Tasche und schrieb Tagebuch. Das Bild, das er abgibt, ist jämmerlich.
PATRICK BAHNERS
"Carl Schmitt. Die Militärzeit 1915 bis 1919". Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien. Herausgegeben von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler. Akademie Verlag, Berlin 2005. 588 S., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Julien identifiziert: Carl Schmitts Tagebücher des Jahres 1915
Carl Schmitt wurde im Ersten Weltkrieg als Zensor verwendet. Die Freizeit verbrachte er in den Kneipen der Münchner Literaten. Seine Tagebücher zeigen einen Menschen, der mit der ganzen Welt im Krieg liegt.
"Ekel und Angst, Weihnachtsstimmung." Die Tagebuchnotiz Carl Schmitts ist nicht einfach zu deuten. Warum dachte er schon zweieinhalb Monate vor dem Fest, am 8. Oktober 1915, einem Freitag, an Weihnachten? Ein Topos heutiger Kulturkritik ist die Klage darüber, daß sich schon im Oktober die Lebkuchenschachteln im Supermarktregal stapeln. Man darf bei Schmitt durchaus ein analoges Gefühl annehmen. Die zu Weihnachten erzeugte Stimmung steht offenbar als Chiffre für die Verlogenheit einer bürgerlichen Welt, die ihre Rituale pflegt und im stolzen Bemühen um die im Kalender markierten Kulturwerte aus der Zeit gefallen ist.
Es war eine Nachmittagsgesellschaft im Münchner Haus des Malers Hugo Troendle, die Schmitt ins innere Weihnachtszimmer versetzte. Er traf bei Troendle den Dichter Theodor Däubler, "trank dort Tee und aß Kuchen". In Parenthese vermerkt er, daß er "Troendle fotografiert mit nackten Weibern" sah. Er war am Morgen zum Dienst angetreten, verließ das Büro aber schon um elf Uhr wieder. In der Neuen Börse am Maximiliansplatz hatte er zu Mittag gegessen, mit Troendle und mit seiner Frau, Cari, geborener von Dorotic, die er am 13. Februar in Köln nach seiner Einberufung als Kriegsfreiwilliger geheiratet hatte. Mit Däubler ging er von Troendle zu seinem Verleger Georg Müller, ohne daß sich seine Stimmung aufhellte. "Unterhalten; Däubler ist entsetzlich (ein quatschendes Weib)." Schmitt plante damals eine Monographie über den Dichter und mußte sich verspotten lassen, weil er angeblich der einzige war, der Däublers Epos "Nordlicht" ausgelesen hatte. Nach einem Abstecher ins Büro ("arbeitete etwas") aß er zu Hause mit seiner Frau zu Abend, traf sich dann aber noch einmal mit Däubler und seinem jüdischen Freund Georg Eisler im Lokal "Akropolis" an der Barer Straße.
Ein typischer Tag im Leben des Gefreiten Carl Schmitt, dessen Büro sich in der Herzog-Max-Burg befand, beim stellvertretenden Generalkommando des I. bayerischen Armee-Korps. Schmitt war als Referatsleiter für die Zensur von Druckschriften und die Überwachung der Friedensbewegung zuständig. Die Tätigkeit kam seinen Neigungen entgegen, ja war, auf dem Papier betrachtet, die Erfüllung eines Wunschtraums. Am 9. Juni 1915 notierte er: "Was ich mir oft heimlich wünschte, spionieren, überwachen, heimliche Macht, alles habe ich." Schon zwei Tage nach seinem Dienstantritt am 24. März hatte er gewußt, was er von seinem Vorgesetzten zu halten hatte. "Der Baron Freyberg ist sehr eifersüchtig und läßt einen nichts lernen, um alles in der Hand zu behalten. Aber heimlich weiß ich, daß ich doch allmählich der Beherrschende werde."
Ernst Hüsmert und Gerd Giesler haben ihrer Edition des Tagebuchs nicht nur eine Auswahl von Aktenstücken aus dem Zensurreferat beigegeben, sondern drucken auch kleine Schriften nach, die Schmitt im Krieg publizierte, darunter die bekannte Satire "Die Buribunken". Mit der Erfindung dieses originellen Völkchens hat Schmitt die Blogger unserer Tage vorweggenommen. Er karikiert seine historistisch gestimmten Zeitgenossen, die im Hochgefühl ihrer epochalen Bedeutung über ihr Leben Buch führen. Dabei kommt er auf Don Juan zu sprechen und weist Leporellos Register in der Gattungsgeschichte dieser Protokolliteratur den Platz eines bloßen Vorläufers an. Es fehlte dem Autor am Willen zur Macht. Sonst hätte Leporello nämlich "seine eigene Biographie geschrieben, er hätte sich selbst zum Helden gemacht und statt des so viele oberflächliche Gemüter faszinierenden, leichtfertigen Kavaliers hätten wir wahrscheinlich das imponierende Bild eines überlegenen Managers, der die buntfarbige Marionette Don Juan an den Fäden seiner überlegenen Geschäftskenntnis und Intelligenz herumzieht". Sollen wir auch Schmitt zu den oberflächlichen Gemütern zählen, weil wir aus dem Tagebuch erfahren, daß Grabbes Tragödie "Don Juan und Faust" ihn begeisterte?
Der Rechenschaftsbericht des Referatsleiters gibt uns nicht das imponierende Bild einer feldgrauen Eminenz, die den Generalmajor Baron von Freyberg als Paradeuniformpuppe an den Fäden ihrer überlegenen Intelligenz hätte zappeln lassen. Mit "ruhiger Überlegenheit" widmete Schmitt sich lediglich dem Plan, Selbstmord zu begehen. Er hatte Stendhals "Rot und Schwarz" gelesen. "Mit Julien identifiziert." Wenn Schmitt tatsächlich heimlich das Regiment im Büro führte, hat er diese Herrschaft sogar vor sich selbst verheimlicht. Der Eintrag vom 8. Oktober verzeichnet es als wundersam, daß Schmitt "überaus freundlich behandelt" wurde.
Die Beispiele für die von Schmitt bearbeiteten Eingaben könnten den Eindruck erwecken, daß er gar nichts zu entscheiden hatte. Ob die Herausgabe eines deutschfeindlichen Pamphlets an Thomas Mann verweigert wurde oder Rudolf Pannwitz den Rat erhielt, er solle Julius Meier-Graefe veranlassen, bei künftigen Sendungen die Umfangshöchstgrenze zu beachten - Schmitts Konzepte erschöpfen sich naturgemäß in der Montage bürokratischer Formeln. Es müßte aber, hätte man nur das Tagebuch und nicht auch diese objektiven Tätigkeitsnachweise, zweifelhaft sein, ob die Vorgesetzten in ein Zeugnis des 1916 zum Unteroffizier beförderten Beamten auf Widerruf auch nur den Satz "Routinearbeiten erledigte er zu unserer Zufriedenheit" hätten schreiben können.
Ekel und Angst sind die beherrschenden Motive auf sämtlichen Tagebuchseiten, und man müßte seitenweise zitieren, um eine Ahnung vom Alltag dieser Diktatur des Widerwärtigen zu geben. Die Angst erwartete Schmitt am Schreibtisch, denn der Traumjob des geheimen Mitlesers erwies sich als furchtbare Heimsuchung. "Oft erschrecke ich, wenn ich daran denke, wie ich inzwischen arbeite." Es war "zum Bangewerden". Tat er seine Pflicht, so ängstigte ihn das erst recht. Sozialpsychologisches Vokabular zur Analyse dieser Lage war zur Hand. "Wahnsinniger Wunsch nach Macht und Wirkung. Nervös, krankhafte Beamtenpsychose." Das Mitleid des Lesers wird sich, wie bei Lehrern, die der Krankenkasse melden, daß sie den Stress der Arbeit mit Kindern nicht aushalten, in Grenzen halten - obgleich sich in den Ekel gegenüber der Dienstpflicht die honorigsten politischen Motive mischen. Schmitt verschlang die eingeschmuggelten Flugschriften, deren Lektüre er seinen Landsleuten weisungsgemäß untersagte. Abscheu vor dem "Militarismus" und dem totalen Staat, der die moralische Existenz des einzelnen vernichtet, zieht sich durch das Tagebuch, hielt Schmitt freilich nicht davon ab, sich zu Weihnachten durch Treitschke-Lektüre aufrichten zu lassen. "Erinnerungen aus meiner Gymnasialzeit wirken dabei mit, ich fühle mich wieder wert, will streben und vorwärtskommen."
Schmitt verwirft den Krieg und den Staat, der nur für den Krieg existiert. Sich selbst beschreibt er als machtlos, und er müßte sich eigentlich, um die Frage abzuweisen, warum er nichts gegen den Krieg publiziert, unpolitisch nennen. Aber sogar dem Geständnis der Ohnmacht wirft er das Kostüm seiner Allmachtphantasie über: "Ich durchschaue den ganzen Schwindel, wie es Napoleon nicht richtiger und überlegener hätte durchschauen können. Aber ich habe nicht die Kraft, einer Ordonnanz einen Befehl zu geben."
Von seiner Gattin zu schweigen. Angst und Ekel hatten Schmitt im Griff, noch ehe ihn Post und Telegramme trafen. Daheim wiederholte sich das Elend, daß die Pflichterfüllung seine Selbstachtung zerfraß. In zwei besondere Gewaltverhältnisse sah er sich eingesperrt, deren Beziehung er als strengen Parallelismus wahrnahm: "Die Ehe und das Militär. In dieser schauderhaften Doppelklammer werde ich wohl zerrieben werden."
Natürlich deutete Schmitt sein häusliches Unglück politisch, klassifizierte Cari als "herrschsüchtig". Aber die psychopathologische Betrachtung, die Schmitt in den "Buribunken" als Verfallsform des bürgerlichen Geistes abtut, findet im Tagebuch ein überreiches Material, das durch solche Topoi der Ehekritik eher verdeckt wird. Als anthropologischer Grund der Unterscheidung von Freund und Feind erscheint auf dem Schlachtfeld dieses Lebens ein Bedürfnis nach Abstand, gegenüber dem alle politischen Setzungen sekundär sind, die dem Wunsch nach Distanzierung Rechnung tragen, ohne ihn erfüllen zu können. Die Erfüllung wäre identisch mit der Auflösung der Gesellschaft. Allein steht der Mensch, wie Schmitt 1917 in seinem Aufsatz über die Sichtbarkeit der Kirche darlegt, erst im Jüngsten Gericht da.
Die Metaphern, mit denen Schmitt die feindlichen Erscheinungen seiner äußeren und inneren Welt sortiert, sind nicht politischer, sondern soziologischer Herkunft. Am häufigsten fällt das Wort "Prolet". Schmitt ist in der Kaserne, im Büro und in der Schriftstellerkneipe von Proleten umgeben. Er hat eine soziale Erklärung dafür, daß er vergeblich nach der Macht des Hinterzimmermannes strebt. "Ich fühle doch, wie ich ein Unterschichtenkerl, ein schlauer, listiger Mitmensch bin; überlegend, aber nicht überlegen." Als "armer Prolet" sieht er sich verdammt, seine Frau zu demütigen, die im Zweifel immer noch empfindlicher reagiert, als er vorausahnt. "Wäre ich ein Hochstapler, ginge es mir besser diesen seelischen Feinheiten gegenüber." Die Hochstaplerin war Cari, die sich als Adelige ausgegeben hatte. 1922 soll Schmitt sie als Betrügerin erkannt haben, woraufhin sie aus seinem Leben verschwand. Die Umstände des Bluffs liegen im dunkeln, aber es ist frappant, daß der Jurist sich in diesem Punkt, einer Formsache im strengsten Sinne, irreführen ließ.
Die wenigsten Leser der "Buribunken" werden vermutet haben, daß der anonyme Verfasser selbst Tagebuch geführt hatte. Wenn Schmitt von aller historistischen Selbstanalyse absieht, gereicht dies dem Eindruck, den wir von seinem Charakter empfangen, leider nicht zum Vorteil. Schon am Anfang seiner Karriere bilden Selbstanklage und Selbstverteidigung ein unentwirrbares Syndrom. Daß man auf das Urteil anderer Menschen Rücksicht nimmt, ist in Schmitts Augen keine humane Selbstverständlichkeit, sondern die Erbsünde der strebsamen Proleten, mit einem Synonym: der Juden.
Mozart hätte eine Leporello-Oper schreiben können. "Aber statt die Feder in die Hand zu nehmen, ballt der arme Teufel die Faust in der Tasche." Schmitt zog die Faust aus der Tasche und schrieb Tagebuch. Das Bild, das er abgibt, ist jämmerlich.
PATRICK BAHNERS
"Carl Schmitt. Die Militärzeit 1915 bis 1919". Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien. Herausgegeben von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler. Akademie Verlag, Berlin 2005. 588 S., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2006Nie so zivil wie im Krieg
Carl Schmitt als Romantiker, Zensor und Drückeberger
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Carl Schmitt lange nachgegrübelt über die „Riesenturbine”, die ihn gegen alle „Neigungen und Instinkte” immer wieder nach Berlin gezogen habe. Es wäre reizvoll, der Karriere dieses berüchtigten Staatsrechtlers eine geistig-politische Topografie seiner Wirkungsstätten zur Seite zu stellen. Mit der Edition der Tagebücher seiner „Militärzeit 1915 bis 1919” schiebt sich ein Ort in den Vordergrund, der bisher auf der schmittianischen Karte noch kaum verzeichnet war: München. Hier verlebte er den Ersten Weltkrieg. In München leistet Schmitt nicht nur seine militärische Grundausbildung in der „Türkenkaserne” ab, hier sitzt er im Referat P 6 („Zimmer Nr. 156, Telefonnebenstelle 45”) der Zensurbehörde an einer intellektuellen Schnittstelle des Krieges. Aber auch wenn bei Carl Schmitt München und Militärdienst zusammenfallen, nie mehr sollte er in seinem weiteren Leben so zivil, so anarchisch freisinnig und romantisch denken wie in München.
Später in seinen völkerrechtlichen Schriften trennte Carl Schmitt den konkreten Rechtszustand des „Friedens” streng von der humanistisch „geheuchelten” imperialistischen Doktrin des „Pazifismus” (siehe SZ vom 7. April 2005). Ohne Frage war Schmitt während des Ersten Weltkrieges aber selbst Pazifist. Kaum eine Aufzeichnung, in der er sich nicht über das sinnlose „blutige Gemetzel” aufregt und ein Ende des Krieges herbeisehnt. „Wäre nur erst Frieden. Dieser entsetzliche Alpdruck,” notiert er am 17. September 1915 in sein Tagebuch: „Aber vor dem Militarismus gibt es keine Rettung und keine Hilfe; nach dem Krieg wird es immer schlimmer werden. Der Einzelne ist nichts; schauerlich.”
Und wenn ihm einmal gerade nicht der Krieg im Nacken sitzt, dann seine in den ersten Kriegstagen angetraute, kleine baltische Hochstaplerin „Cari”, die ihn an der „engen Leine” hält. „Ich zerre also an zwei Leinen: das Militär und die Ehe, der Staat und meine Frau. Ich gehe drauf dabei.” Anders als im ersten Band der Tagebücher (Oktober 1912 bis Februar 1915) hat Schmitt die romantischen Energien von „Cari” schon wieder etwas abgezogen. Romantisch ist Schmitt nicht in seiner unbedingten Hingabe, sondern mehr in seiner allgemeinen „okkasionellen” Haltungslosigkeit, in seinem ständigen schwarzen Spiel mit dem Suizid. „Soll ich das Fenster herunterspringen! Nein, ich habe Angst vor den 2 Sekunden, die der Sturz dauert. Totschießen ist besser. Da ist keine Gefahr, dass man es bereut. Das geht in einer Sekunde. Ich werde verrückt, tück, tück, tück.”
Was den zweiten Band der Tagebücher neben diesen flackernden Tagebuchnotaten zu einem Ereignis macht, sind die angehängten Dokumente aus der Zensurbehörde. Aus dem schönen Bad Tölz erkundigt sich Thomas Mann am 8. September 1915 nach dem Verbleib an ihn abgegangener Drucksachen. An Manns nationaler Gesinnung ist zu dieser Zeit ja nichts auszusetzen; in seinen satirischen „Schattenrissen” hatte Carl Schmitt ihn 1913 als „Militärtrommler” verspottet.
In Schwabinger Kneipen
Und ausgerechnet dieser politische „Satiriker” Carl Schmitt, der die Nächte der Kriegsjahre mit Schwabings pazifistischen Boheme-Literaten durchzecht, maßt sich an, den großen deutschen „unpolitischen” Dichter zu zensieren. „Die Schrift Jaccuse ist in Deutschland verboten und kann Ihnen deshalb nicht ausgehändigt werden.” Schon in seinem Kriegstagebuch schielt Schmitt missgünstig zum scheinbar aller alltäglichen Notdurft enthobenen Großbürger auf: „Warum kann Thomas Mann in einer schönen, ruhigen Wohnung leben und hat keine Wanze, keine Geldsorgen, keine Vermieterin, alle diese Gemeinheiten nicht zu fürchten?”
Carl Schmitt ist süchtig nach Anerkennung und überglücklich, als sein Doktorvater Fritz van Calker eines Tages in seinem Büro aufkreuzt und ihm mitteilt, dass er mit Kaiser Wilhelm II. über einen seiner Lebensmittelerlasse gesprochen habe. Was läuft von den Erlassen über Käsehöchstpreise bis Thomas Mann in jenen Kriegsjahren, in denen Schmitts Generation an der Front ausblutet, nicht alles über seinen Schreibtisch: Das „Martyrium” der legendären Spionin Miss Carvel, bei deren Hinrichtung in Brüssel Gottfried Benn als Militärarzt anwesend ist, darf nicht verherrlicht werden. Und während die Flugblätter der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten verboten bleiben, wird für den Nuntius Pacelli, den späteren Papst Pius XII., eine Ausnahmegenehmigung gemacht. Oft verkommt Schmitts Zensurbehörde auch zu einem gewöhnlichen Kummerkasten. Rudolf Pannwitz beschwert sich über die „Böswilligkeit der Münchener Postzensur”, protestantische Pfarrersfrauen fühlen sich von „Des deutschen Spießers Wunderhorn” beleidigt. Immer muß Schmitt die Klagen moderieren.
Wir dürfen uns die Arbeit in der Zensurbehörde nicht zu angestrengt vorstellen. Wir sehen hier keinen Schreibtischtäter, sondern einen Drückeberger, der sich der Bürokratie des Krieges als eines intellektuellen Rückzugsraumes bedient. Kuriose Stellen aus den inkriminierten Schriften stellt Schmitt anonym in einer Kolumne „Aus dem Lager unserer Feinde” in der „Hamburger Woche” zusammen - und bessert so seine Haushaltskasse auf. Und noch während der Bürozeiten bleibt ihm genug Zeit zum Schreiben einer Hymne auf Theodor Däublers gewaltiges Versepos „Nordlicht”. Gegen den „elenden” Literaturbetrieb baut er Däubler zum einsamen Stern seiner Zeit auf. Aber auch sein Bild von Däubler ist starken Schwankungen unterworfen. Als der gefeierte Götterdichter mit zersaustem Rauschebart leibhaftig in München auftaucht, ist er schnell abgestoßen. „Wut über Däubler, das Schwein. Dieser Riesenparasit. Angst vor seinem Schicksal, vor seinem Brüllen, vor seinem Fressen.” Und diesen schmatzenden Koloss will er als größten Europäer seiner Zeit ausgerufen haben - wieder kommt er ins zermarternde Grübeln.
Neben den Tagebüchern und Dokumenten stellt dieser von Schmitts alten Plettenberger Nachbarn Gerd Giesler und Ernst Hüsmert sorgsam und liebevoll edierte Band Schmitts Veröffentlichungen jener Jahre zusammen. Viele, gerade von Schmitts kleineren literarischen Schriften, wie die hübsch böse Satire auf das geschichtsphilosophische Tagebuch-Völkchen der „Buribunken” oder der unter dem Pseudonym Dr. Negelinus verfasste, giftige Eintrag zur „Fackelkraus” in Franz Bleis „Bestiarium”, waren bisher schwer zu greifen. Und im Anhang entdecken wir sogar ein Register der Münchener Lieblingskneipen - wie das „Akropolis” oder das Schwabinger „Café Stefanie”. Zum ersten Mal lassen sich so Schmitts Münchener Spuren genau entziffern.
Auf der Rückseite eines offiziösen Briefes der Handelshochschule München notiert Schmitt in seiner stenografischen Stummelschrift hastig jene legendäre tumultartige Vorlesung, in der Max Weber 1919 gegen die aufgepeitschte Studentenschaft das Todesurteil gegen den Eisner-Mörder, den Grafen Arco, öffentlich billigt. Im Wintersemester 1919/20 nimmt Carl Schmitt an Webers Dozentenseminar teil. Jürgen Habermas hat später Carl Schmitt einen „legitimen Schüler” und „natürlichen Sohn” Max Webers genannt. Noch steht die große monumentale, intime Schlüsselbiografie Carl Schmitts aus, wie sie soeben Joachim Radkau so furios über Max Weber vorgelegt hat. Einstweilen bleibt es so mit Habermas ganz unseren Nachtgedanken überlassen, ob der Kronjurist sich auch bei seinen Pollutionen - „Morgens wunderbare Ejakulation auf meiner lieben Cari” - als „natürlicher Sohn” Max Webers erweist.
Welcher Carl Schmitt aber wird am Ende nur vor uns liegen, wenn der Akademie-Verlag sein Vorhaben wahr macht und nun nach und nach die Tagebücher Carl Schmitts bis in die dreißiger Jahre veröffentlicht? Ohne Frage tragen die intimen Aufzeichnungen zur Entblößung Schmitts bei. Immer mehr wird offenbar, dass sich hinter all den souveränen Ausnahmebegriffen, mit denen Schmitt sich panzerte, ein ziemlich romantisches Sensibelchen versteckte. Lange bevor Schmitt den Staat lieb gewann, geistert er als kaltes Ungeheuer durch seine Aufzeichnungen. Als Carl Schmitt 1933 zum preußischen Staatsrat aufstieg, hat er sein satirisches Schwabinger Vorleben zensiert. Nun wollte er auf einmal nicht mehr so oft im Café Stefanie gesehen worden sein.
STEPHAN SCHLAK
CARL SCHMITT: Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien. Herausgegeben von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler. Akademie Verlag, Berlin 2005. 587 Seiten, 49,80 Euro.
Abschied vom Café Stefanie: Carl Schmitt bei einer Rede 1930.
Foto: ullstein bild
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Carl Schmitt als Romantiker, Zensor und Drückeberger
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Carl Schmitt lange nachgegrübelt über die „Riesenturbine”, die ihn gegen alle „Neigungen und Instinkte” immer wieder nach Berlin gezogen habe. Es wäre reizvoll, der Karriere dieses berüchtigten Staatsrechtlers eine geistig-politische Topografie seiner Wirkungsstätten zur Seite zu stellen. Mit der Edition der Tagebücher seiner „Militärzeit 1915 bis 1919” schiebt sich ein Ort in den Vordergrund, der bisher auf der schmittianischen Karte noch kaum verzeichnet war: München. Hier verlebte er den Ersten Weltkrieg. In München leistet Schmitt nicht nur seine militärische Grundausbildung in der „Türkenkaserne” ab, hier sitzt er im Referat P 6 („Zimmer Nr. 156, Telefonnebenstelle 45”) der Zensurbehörde an einer intellektuellen Schnittstelle des Krieges. Aber auch wenn bei Carl Schmitt München und Militärdienst zusammenfallen, nie mehr sollte er in seinem weiteren Leben so zivil, so anarchisch freisinnig und romantisch denken wie in München.
Später in seinen völkerrechtlichen Schriften trennte Carl Schmitt den konkreten Rechtszustand des „Friedens” streng von der humanistisch „geheuchelten” imperialistischen Doktrin des „Pazifismus” (siehe SZ vom 7. April 2005). Ohne Frage war Schmitt während des Ersten Weltkrieges aber selbst Pazifist. Kaum eine Aufzeichnung, in der er sich nicht über das sinnlose „blutige Gemetzel” aufregt und ein Ende des Krieges herbeisehnt. „Wäre nur erst Frieden. Dieser entsetzliche Alpdruck,” notiert er am 17. September 1915 in sein Tagebuch: „Aber vor dem Militarismus gibt es keine Rettung und keine Hilfe; nach dem Krieg wird es immer schlimmer werden. Der Einzelne ist nichts; schauerlich.”
Und wenn ihm einmal gerade nicht der Krieg im Nacken sitzt, dann seine in den ersten Kriegstagen angetraute, kleine baltische Hochstaplerin „Cari”, die ihn an der „engen Leine” hält. „Ich zerre also an zwei Leinen: das Militär und die Ehe, der Staat und meine Frau. Ich gehe drauf dabei.” Anders als im ersten Band der Tagebücher (Oktober 1912 bis Februar 1915) hat Schmitt die romantischen Energien von „Cari” schon wieder etwas abgezogen. Romantisch ist Schmitt nicht in seiner unbedingten Hingabe, sondern mehr in seiner allgemeinen „okkasionellen” Haltungslosigkeit, in seinem ständigen schwarzen Spiel mit dem Suizid. „Soll ich das Fenster herunterspringen! Nein, ich habe Angst vor den 2 Sekunden, die der Sturz dauert. Totschießen ist besser. Da ist keine Gefahr, dass man es bereut. Das geht in einer Sekunde. Ich werde verrückt, tück, tück, tück.”
Was den zweiten Band der Tagebücher neben diesen flackernden Tagebuchnotaten zu einem Ereignis macht, sind die angehängten Dokumente aus der Zensurbehörde. Aus dem schönen Bad Tölz erkundigt sich Thomas Mann am 8. September 1915 nach dem Verbleib an ihn abgegangener Drucksachen. An Manns nationaler Gesinnung ist zu dieser Zeit ja nichts auszusetzen; in seinen satirischen „Schattenrissen” hatte Carl Schmitt ihn 1913 als „Militärtrommler” verspottet.
In Schwabinger Kneipen
Und ausgerechnet dieser politische „Satiriker” Carl Schmitt, der die Nächte der Kriegsjahre mit Schwabings pazifistischen Boheme-Literaten durchzecht, maßt sich an, den großen deutschen „unpolitischen” Dichter zu zensieren. „Die Schrift Jaccuse ist in Deutschland verboten und kann Ihnen deshalb nicht ausgehändigt werden.” Schon in seinem Kriegstagebuch schielt Schmitt missgünstig zum scheinbar aller alltäglichen Notdurft enthobenen Großbürger auf: „Warum kann Thomas Mann in einer schönen, ruhigen Wohnung leben und hat keine Wanze, keine Geldsorgen, keine Vermieterin, alle diese Gemeinheiten nicht zu fürchten?”
Carl Schmitt ist süchtig nach Anerkennung und überglücklich, als sein Doktorvater Fritz van Calker eines Tages in seinem Büro aufkreuzt und ihm mitteilt, dass er mit Kaiser Wilhelm II. über einen seiner Lebensmittelerlasse gesprochen habe. Was läuft von den Erlassen über Käsehöchstpreise bis Thomas Mann in jenen Kriegsjahren, in denen Schmitts Generation an der Front ausblutet, nicht alles über seinen Schreibtisch: Das „Martyrium” der legendären Spionin Miss Carvel, bei deren Hinrichtung in Brüssel Gottfried Benn als Militärarzt anwesend ist, darf nicht verherrlicht werden. Und während die Flugblätter der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten verboten bleiben, wird für den Nuntius Pacelli, den späteren Papst Pius XII., eine Ausnahmegenehmigung gemacht. Oft verkommt Schmitts Zensurbehörde auch zu einem gewöhnlichen Kummerkasten. Rudolf Pannwitz beschwert sich über die „Böswilligkeit der Münchener Postzensur”, protestantische Pfarrersfrauen fühlen sich von „Des deutschen Spießers Wunderhorn” beleidigt. Immer muß Schmitt die Klagen moderieren.
Wir dürfen uns die Arbeit in der Zensurbehörde nicht zu angestrengt vorstellen. Wir sehen hier keinen Schreibtischtäter, sondern einen Drückeberger, der sich der Bürokratie des Krieges als eines intellektuellen Rückzugsraumes bedient. Kuriose Stellen aus den inkriminierten Schriften stellt Schmitt anonym in einer Kolumne „Aus dem Lager unserer Feinde” in der „Hamburger Woche” zusammen - und bessert so seine Haushaltskasse auf. Und noch während der Bürozeiten bleibt ihm genug Zeit zum Schreiben einer Hymne auf Theodor Däublers gewaltiges Versepos „Nordlicht”. Gegen den „elenden” Literaturbetrieb baut er Däubler zum einsamen Stern seiner Zeit auf. Aber auch sein Bild von Däubler ist starken Schwankungen unterworfen. Als der gefeierte Götterdichter mit zersaustem Rauschebart leibhaftig in München auftaucht, ist er schnell abgestoßen. „Wut über Däubler, das Schwein. Dieser Riesenparasit. Angst vor seinem Schicksal, vor seinem Brüllen, vor seinem Fressen.” Und diesen schmatzenden Koloss will er als größten Europäer seiner Zeit ausgerufen haben - wieder kommt er ins zermarternde Grübeln.
Neben den Tagebüchern und Dokumenten stellt dieser von Schmitts alten Plettenberger Nachbarn Gerd Giesler und Ernst Hüsmert sorgsam und liebevoll edierte Band Schmitts Veröffentlichungen jener Jahre zusammen. Viele, gerade von Schmitts kleineren literarischen Schriften, wie die hübsch böse Satire auf das geschichtsphilosophische Tagebuch-Völkchen der „Buribunken” oder der unter dem Pseudonym Dr. Negelinus verfasste, giftige Eintrag zur „Fackelkraus” in Franz Bleis „Bestiarium”, waren bisher schwer zu greifen. Und im Anhang entdecken wir sogar ein Register der Münchener Lieblingskneipen - wie das „Akropolis” oder das Schwabinger „Café Stefanie”. Zum ersten Mal lassen sich so Schmitts Münchener Spuren genau entziffern.
Auf der Rückseite eines offiziösen Briefes der Handelshochschule München notiert Schmitt in seiner stenografischen Stummelschrift hastig jene legendäre tumultartige Vorlesung, in der Max Weber 1919 gegen die aufgepeitschte Studentenschaft das Todesurteil gegen den Eisner-Mörder, den Grafen Arco, öffentlich billigt. Im Wintersemester 1919/20 nimmt Carl Schmitt an Webers Dozentenseminar teil. Jürgen Habermas hat später Carl Schmitt einen „legitimen Schüler” und „natürlichen Sohn” Max Webers genannt. Noch steht die große monumentale, intime Schlüsselbiografie Carl Schmitts aus, wie sie soeben Joachim Radkau so furios über Max Weber vorgelegt hat. Einstweilen bleibt es so mit Habermas ganz unseren Nachtgedanken überlassen, ob der Kronjurist sich auch bei seinen Pollutionen - „Morgens wunderbare Ejakulation auf meiner lieben Cari” - als „natürlicher Sohn” Max Webers erweist.
Welcher Carl Schmitt aber wird am Ende nur vor uns liegen, wenn der Akademie-Verlag sein Vorhaben wahr macht und nun nach und nach die Tagebücher Carl Schmitts bis in die dreißiger Jahre veröffentlicht? Ohne Frage tragen die intimen Aufzeichnungen zur Entblößung Schmitts bei. Immer mehr wird offenbar, dass sich hinter all den souveränen Ausnahmebegriffen, mit denen Schmitt sich panzerte, ein ziemlich romantisches Sensibelchen versteckte. Lange bevor Schmitt den Staat lieb gewann, geistert er als kaltes Ungeheuer durch seine Aufzeichnungen. Als Carl Schmitt 1933 zum preußischen Staatsrat aufstieg, hat er sein satirisches Schwabinger Vorleben zensiert. Nun wollte er auf einmal nicht mehr so oft im Café Stefanie gesehen worden sein.
STEPHAN SCHLAK
CARL SCHMITT: Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien. Herausgegeben von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler. Akademie Verlag, Berlin 2005. 587 Seiten, 49,80 Euro.
Abschied vom Café Stefanie: Carl Schmitt bei einer Rede 1930.
Foto: ullstein bild
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Auch wenn er von den "erschreckend schlichten Grundmustern" des Denkens von Carls Schmitt eher befremdet ist, eines muss Thomas Assheuer dem "Kronjuristen des Dritten Reichs" doch zugestehen. Schmitt nehme kein Blatt vor den Mund und berichte in "radikaler Offenheit" von seinem als hoffnungslos empfundenen Leben. Zwei Problemfelder tauchen immer wieder im vorliegenden zweiten Band der Tagebücher auf. Der verhasste Militärdienst, zu dem er sich freiwillig gemeldet hatte und die schwierige Ehe mit der angeblichen Adligen Carl von Dorotic. Assheuer sieht in den Tiraden Schmitts schon den "maßlos verächtlichen Ton" anklingen, den er von den späteren Schriften kennt. Überhaupt passen einige biografische Begebenheiten erstaunlich gut zu den Theorien, die der Rechts- und Politikwissenschaftler später entwerfen sollte. Die Herausgeber lobt Assheuer für ihre "sorgfältige" Arbeit, attestiert ihnen aber auch eine zu große "geistige Nähe" zu ihrem Subjekt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Was den zweiten Band der Tagebücher neben diesen flackernden Tagebuchnotaten zu einem Ereignis macht, sind die angehängten Dokumente aus der Zensurbehörde." Süddeutsche Zeitung, 11. März 2006 "Fast alle Vorurteile über Carl Schmitt stellen die beiden ersten, unlängst im Akademie Verlag erschienenen Tagebuchbände aus der Zeit um den ersten Weltkrieg auf den Kopf." Taz, 16. März 2006 "Carl Schmitt wurde im Ersten Weltkrieg als Zensor verwendet. Die Freizeit verbrachte er in den Kneipen der Münchner Literaten. Seine Tagebücher zeigen einen Menschen, der mit der ganzen Welt im Krieg liegt." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Dezember 2006 "Die Dokumente [sind] unter wissenschaftlichen Kriterien vorzüglich kommentiert und mit ausführlichen Anmerkungen versehen." Hans-Erich Volkmann in: Militärische Zeitschrift, Jhrg. 66, Heft 1 (2007)