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Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung wird seit 2002 im Zwei-Jahres-Rhythmus die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland empirisch erfasst. Auf Grundlage bundesweiter Repräsentativerhebungen entsteht so ein Barometer antidemokratischer Einstellungen in Verbindung mit Ursachenanalysen und Interventionsstrategien. Erfasst werden unter anderem verschiedene Formen von Antisemitismus, Islamfeindlichkeit sowie andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wie demokratiefähig ist die Mitte der Gesellschaft in Zeiten des Umbruchs? Wie wirken sich Belastungen und…mehr

Produktbeschreibung
Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung wird seit 2002 im Zwei-Jahres-Rhythmus die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland empirisch erfasst. Auf Grundlage bundesweiter Repräsentativerhebungen entsteht so ein Barometer antidemokratischer Einstellungen in Verbindung mit Ursachenanalysen und Interventionsstrategien. Erfasst werden unter anderem verschiedene Formen von Antisemitismus, Islamfeindlichkeit sowie andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wie demokratiefähig ist die Mitte der Gesellschaft in Zeiten des Umbruchs? Wie wirken sich Belastungen und Bedrohungsgefühle aus? Wie reagieren die Menschen auf globale Herausforderungen und wo droht der Demokratie Gefahr? Das Forscherteam der Universität Leipzig um Oliver Decker und Elmar Brähler geht auch der Frage nach dem Strukturwandel der Öffentlichkeit nach: Wo befindet sich heute der Ort demokratischer Auseinandersetzung? Mehr und mehr im virtuellen Raum des Internets? Und welche Konsequenzen hat das für gesellschaftliche Partizipation? Auf breiter empirischer Basis beschreiben die Autoren die aktuelle Situation und leiten daraus Hand-lungsoptionen für Politik und Zivilgesellschaft ab.
Autorenporträt
Oliver Decker, geb. 1968, PD Dr. phil. habil., seit 2010 Vertretungsprofessor für Sozialpsychologie und Organisationspsychologie an der Universität Siegen, Privatdozent an der Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover, seit 2012 Fellow an der University of London, Birkbeck College. Johannes Kiess, geb. 1985, Politikwissenschaftler, studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Leipzig sowie im Masterprogramm Middle East Studies an der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva, Israel. Seit 2011 Promotion am Lehrstuhl für Sozialpolitik, Institut für Soziologie, Universität Leipzig. Mitherausgeber der Zeitschrift "Powision". Elmar Brähler, geb. 1946, Prof. Dr., ist Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig und u.a. Mitglied im Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten. Ralf Melzer, geb. 1967, Dr. phil., Leiter des Projekts Gegen Rechtsextremismus im Forum Berlin der Abteilung Politischer Dialog der Frie

drich-Ebert-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2013

Wenn Grenzen verschwimmen
Rechtsextremismus in Deutschland: Einstellungen und Milieus

Immer wieder beunruhigt und erschüttert Rechtsextremismus die Bundesrepublik. Die Demokratie scheint auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts kein Selbstläufer zu sein. Umso wichtiger bleibt es, rechtsextreme Demokratiefeindlichkeit kontinuierlich zu analysieren. Dem widmen sich die Psychologen Elmar Brähler und Oliver Decker. Seit 2006 erforschen sie alle zwei Jahre im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen in Deutschland sind. Nach ihren jüngsten Zahlen ist in Gesamtdeutschland zwischen 2010 und 2012 die Zahl derer, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild in sich tragen, von 8,2 auf 9 Prozent gestiegen - zu einem solchen Weltbild zählen die Autoren Antisemitismus, Chauvinismus, Diktaturbefürwortung, Fremdenfeindlichkeit, Sozialdarwinismus und Verharmlosung der nationalsozialistischen Diktatur.

Stärker als die Vorgängerstudien Deckers und Brählers will die jüngste Ausgabe ihrer Untersuchungsreihe bei den Einzelaussagen differenzieren. So bemüht sie sich, zwischen Islamkritik und Islamfeindlichkeit zu unterscheiden und verschiedene Formen von Antisemitismus zu erfassen - sowohl bei Nichtmigranten als auch bei Migranten. Tatsächlich sind aber auch viele Fragen sehr unscharf formuliert. Dadurch verschwimmen Grenzen zwischen Rechtsextremismus und demokratischer Mitte. Kein Wunder ist es deshalb, wenn manche Aussagen auch jenseits des rechtsextremen Potentials auf zum Teil hohe Zustimmung stoßen.

Die beiden Psychologen und ihr Team meinen, bereits einen Indikator für "Chauvinismus" gefunden zu haben, wenn eine Person dafür plädiert, deutsche Interessen kraftvoll durchzusetzen (Zustimmung: 30 Prozent). Wie viele dieser Befragten befinden zugleich, gerade die europäische Integration diene deutschen Interessen? Darauf gibt die Studie keine Antworten. Die Aussage, zuweilen sei eine Diktatur die bessere Staatsform (Zustimmung: 7 Prozent), dürften auch Linksextremisten unterstützen. Besonders unpräzise formuliert ist die Frage, ob "man" Hitler heute ohne Judenvernichtung als großen Staatsmann ansehen würde (Zustimmung: 11 Prozent). Fragen die Autoren hier danach, wie Befragte selbst das einschätzen oder wie sie die Einschätzungen ihrer Mitmenschen einschätzen oder beides? Wer der pauschalen Aussage, die islamische Welt sei rückständig und verweigere sich neuen Realitäten, zustimmt, gilt schon als islamfeindlich (Zustimmung: 58 Prozent). Wie viele junge Demonstranten in islamisch geprägten Ländern oder muslimische Intellektuelle in Deutschland würden dieser Aussage zustimmen?

Lässt sich mit solchen Fragen und Antworten ein weitverbreiteter Rechtsextremismus der Mitte belegen, wie Brähler und Decker unterstellen? Interessant ist zumindest, wie die Zustimmung sinkt, wenn die Autoren ihre Fragen präziser formulieren. So meinen rund 10 Prozent der Befragten, der Nationalsozialismus habe auch gute Seiten gehabt. 8 Prozent befinden, die Geschichtsschreibung habe die NS-Verbrechen weit übertrieben dargestellt. Rechtsextremismus zu bekämpfen zählt zu den großen Herausforderungen der Zeit. Dafür braucht es zunächst exakte Diagnosen. Dazu leisten Brähler und Decker keinen übergroßen Beitrag.

Auf andere Weise empirisch arbeitet ein freier Journalist, der unter dem Pseudonym Thomas Kuban publiziert. Undercover hat er sich in das Vertrauen rechtsextremer Szenegrößen eingeschlichen und mit versteckter Kamera in ihren Milieus gefilmt, um Dunkelfelder aufzuhellen. Mit dem Ziel, rechtsextreme Abgründe auszuloten, steigt er in sie hinab. Das ist eine ungewöhnliche und gefährliche Art, investigativ zu recherchieren. Anders als Brähler und Decker geht es Kuban darum, das weitgehend abgeschottete Innenleben rechtsextremer Milieus auszuforschen. Sequenzen seiner bewegten und vertonten Bilder von einschlägigen Konzerten und anderen Veranstaltungen waren bereits im Fernsehen und sind im Internet zu sehen. Auf Kubans Arbeit basiert auch ein Dokumentarfilm, der 2012 auf der Berlinale lief.

Kubans Buch zu diesem Dokumentarfilm liefert Einblicke und Stimmungsberichte aus der rechtsextremen (Musik-) Szene. So berichtet er über ihre konspirativen Strukturen und Aktivitäten, ihre hohe Gewaltorientierung, ihre diversen Straftaten im Verborgenen, ihren Männerkult, ihre Verherrlichung des Nationalsozialismus, ihren Rassismus, ihren Judenhass, ihre Christenfeindlichkeit, ihr Herrenmenschentum und die mobilisierende Wirkung ihrer sogenannten Musik - der Titel von Kubans Buch rekurriert auf den Text eines Liedes, das schon die SA grölte und bis heute bei Rechtsextremisten beliebt ist ("Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig; lasst die Messer flutschen in den Judenleib; Blut muss fließen knüppelhageldick; wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik"). Den vertonten Hass der rechtsextremen Musikszene kennzeichnet Kuban als niedrigschwelliges Angebot, um Nachwuchs zu rekrutieren und Geld zu verdienen.

Ausführlich äußert sich Kuban über die Verbindungen zwischen Rockern und Rechtsextremisten. Weniger erfahren seine Leser über die zum Teil engen Beziehungen zwischen der NPD und (anderen) Neonationalsozialisten. Über weite Strecken bestätigt sein Band bekannte Befunde. Neue Erkenntnisse liefert er kaum. Stattdessen bietet er reichlich Polemik gegen andersdenkende Demokraten. Zumindest in seinem Buch ist Kubans Welt teilweise sehr unter-komplex und einfach strukturiert. Besonders verstörend ist - in einem Zeitungsinterview - seine wurstige Antwort auf die Frage, ob er möglicherweise Mitglieder des rechtsterroristischen NSU auf Nazikonzerten gefilmt habe: "Ich habe 250 Stunden Videomaterial, soll ich das nun durchforsten, um Bilder von zwei inzwischen toten mutmaßlichen Terroristen und einer gefangenen mutmaßlichen Terroristin zu finden?" Bis heute funktioniert Kubans Tarnung offenbar, obwohl einige seiner bewegten und vertonten Bilder - auch von kleineren Veranstaltungen - im Fernsehen liefen und er vielfach aus seinen Gesprächen mit Szene-Mitgliedern zitiert.

HARALD BERGSDORF.

Oliver Decker/ Johannes Kiess/ Elmar Brähler: Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012. J. H. W. Dietz Verlag, Bonn 2012. 144 S., 9,90 [Euro].

Thomas Kuban: Blut muss fließen. Undercover unter Nazis. Campus Verlag, Frankfurt 2012. 317 S., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Keine Frage, dass die Analyse von rechtsextremen und demokratiefeindlichen Tendenzen zu den wichtigeren Aufgaben unserer Zeit gehört, meint Harald Bergsdorf. Insofern erscheint ihm die Arbeit der Psychologen Elmar Brähler und Oliver Decker, die alle zwei Jahre im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine empirische Studie über die Gesinnung der Politik durchführen, eigentlich verdienstvoll. Mit der Durchführung und Auswertung zeitg sich der Rezensent jedoch nicht einverstanden: Manche Fragen sind so unscharf formuliert, dass es nicht verwundern kann, wenn sich auch in der Mitte der Gesellschaft Befürworter finden. Daraus nun ein Wegbrechen der Mitte an den rechten Rand zu konstruieren, erscheint Bergsdorf unzulässig. Dadurch leisten die Autoren für die Bekämpfung des Rechtsextremismus seiner Ansicht nach "keinen übergroßen Beitrag".

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