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In seiner originellen und lang erwarteten Studie zieht Peter Gay die Summe seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte. Lebendig und erfrischend zeichnet der die Bewegung der ästhetischen Moderne von ihren Anfängen bei Baudelaire in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den Romanen García Márquez' und den Bauten Frank Gehrys von heute nach. Er schält die typischem Merkmale und inneren Widersprüche heraus, die diese permanente Revolution gegen ästhetische Normen und den "guten Geschmack" auszeichnet, und zeigt, wie noch die "anti-modernen…mehr

Produktbeschreibung
In seiner originellen und lang erwarteten Studie zieht Peter Gay die Summe seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte. Lebendig und erfrischend zeichnet der die Bewegung der ästhetischen Moderne von ihren Anfängen bei Baudelaire in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den Romanen García Márquez' und den Bauten Frank Gehrys von heute nach. Er schält die typischem Merkmale und inneren Widersprüche heraus, die diese permanente Revolution gegen ästhetische Normen und den "guten Geschmack" auszeichnet, und zeigt, wie noch die "anti-modernen Modernisten" wie z.B. T.S. Eliot dazuzurechnen sind. In eleganter Prosa und mit unglaublicher Belesenheit lässt uns Peter Gay die Kunst und Kultur unserer Gegenwart besser verstehen.
Autorenporträt
Gay, Peter
Peter Gay - geboren1923 in Berlin, gestorben 2015 in New York City - emigrierte 1939, als Jude von Verfolgung bedroht, in die Vereinigten Staaten. Er war Professor für Geschichte an der Yale University in New Haven und Direktor des Center for Scholars and Writers an der New York Public Library. Er war Ehrenmitglied der Amerikanischen Psychoanalytischen Gesellschaft und gilt als einer der besten Kenner der deutsch-jüdischen Kultur. 1999 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis. Im S. Fischer Verlag erschien 'Freud. Eine Biographie für unsere Zeit' und 'Die Moderne. Eine Geschichte des Aufbruchs'.»Mit der für ihn typischen, aus einer opulenten Materialfülle schöpfenden Erzählkunst machte die psychoanalytische Perspektive Peter Gay zu einem der renommiertesten Kulturhistoriker unserer Zeit.«Oliver Pfohlmann, NZZ»Diesen Typus des Gelehrten gibt es nicht mehr. Aber wir können seine Bücher lesen.«Michael Köhler, Deutschlandfunk - Kultur heute
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2009

Ein monströses Unterfangen
Peter Gay hat eine Kulturgeschichte der Moderne geschrieben: Was war so neu an ihr?

Die Fenster seines Wohnzimmers gehen hinaus auf den Hudson River, an den Wänden seines Apartments an der New Yorker Upper West Side hängen Bilder alter holländischer Maler, in den Regalen stapeln sich Bücher, die meisten auf Englisch, aber auch viele auf Deutsch. Peter Gay, der als bedeutendster Kulturhistoriker der Gegenwart gilt, wurde vor 85 Jahren in Berlin als Peter Fröhlich geboren. Als Sechzehnjähriger floh der Sohn jüdischer Eltern vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten aus Deutschland. Über Kuba ging es nach Amerika, wo er an der Columbia University studierte und über den SPD-Theoretiker Eduard Bernstein promovierte. Er publizierte über so unterschiedliche Themen wie Sigmund Freud, die Weimarer Republik oder das viktorianische Bürgertum und war lange Jahre Professor an der Yale University. 1993 wurde er in den Ruhestand versetzt und ist seither unruhig wie eh und je. 25 Bücher hat er insgesamt veröffentlicht, fünf davon in den letzten Jahren, sein neuestes befasst sich mit nichts Geringerem als der Moderne. Es ist eine wunderbar leichtfüßig geschriebene Kulturgeschichte dieser Epoche und kenntnisreich natürlich sowieso.

In vielen deutschen Buchhandlungen liegt zurzeit Ihr Buch über die "Moderne" im Schaufenster. Es ist das erste Mal überhaupt, dass jemand den Versuch unternimmt, diese Epoche in allen Bereichen der Künste zu erfassen . . . Dada, Expressionismus, der Neue Roman . . .

Ein monströses Unterfangen, ich weiß. Aber wissen Sie was, ich wurde dafür kritisiert, eben nicht alles zu berücksichtigen, Fotografie zum Beispiel kommt bei mir nicht vor. Dabei hatte ich sogar ein Kapitel über Fotografie geschrieben, aber ich habe es wieder herausgenommen, weil das Buch sonst zu dick geworden wäre. Was sonst habe ich ausgelassen . . .?

Jazz.

Und Oper. Ich hatte das Gefühl, dass es unmöglich ist, alles aufzunehmen, es war auch so schon anstrengend genug.

Das Buch liest sich wie eine gutgelaunte Führung durch die Moderne, in der auf die verschiedensten Sehenswürdigkeiten hingewiesen wird. Es geht um Malerei, Architektur, Literatur, um Tanz, Musik und Film. Und natürlich kommt auch Sigmund Freud vor, über den Sie eine berühmte Biographie geschrieben haben und den Sie als "guten Geist" dieser Epoche bezeichnen. Was macht, kurz gesagt, die Moderne aus?

Es hat mich viel Arbeit gekostet, aber schließlich bin ich auf zwei Kriterien gekommen: den Reiz der Häresie, also die Lust zu schockieren, etwas Neues, Ungesehenes, Ungehörtes zu wagen. Und bedingungslose Selbsterforschung, Subjektivität.

Ihnen zufolge ging die Moderne von 1840 bis 1960, beginnt mit Baudelaire und endet mit Andy Warhol. Was war so bahnbrechend neu an Baudelaire?

Baudelaire benützt sehr traditionelle Gedichtformen, er schreibt Sonette, die üblichen Versformen . . . Aber was so bemerkenswert ist, dass er diese für sehr unkonventionelle Inhalte nutzt. Sex zum Beispiel, oder Alkohol. Ich fand das sehr radikal. Und seine Zeitgenossen fanden das auch. Deshalb hielt ich das Erscheinen der "Blumen des Bösen" für einen guten Anfang. Und wann die Epoche endet, na ja, das können Sie ja dem Buch entnehmen.

Sie lassen es offen, ziehen aber doch eine scharfe Trennlinie mit dem Siegeszug der Pop-Art. Warum?

Ich bezeichne die Künstler der Pop-Art als Demokraten. Ich habe kein Problem mit Demokratie, wenn es um Politik geht. Aber in der Kunst bedeutet es, dass alles möglich ist. Duchamp hat das verstanden. Er hat gesehen, dass nichts Kunst ist, wenn alles Kunst sein kann. Sie und ich können entscheiden, dass etwas ein Kunstwerk ist, und allein durch diese Entscheidung wird es das auch. Die Moderne aber hatte nichts Demokratisches.

Ihre Definition der Moderne setzt ein Publikum voraus, dass sich schockieren lässt. Hat demzufolge nicht die alles umarmende Gleichgültigkeit des Publikums die Moderne beendet?

In gewisser Weise ist das so. Was natürlich bedauerlich ist, weil es bedeutet, dass man über gar nichts mehr Urteile hat. Ist halt Kunst, lass die Künstler doch machen, was sie wollen. Vor drei Jahren etwa besuchte ich in Berlin eine moderne Inszenierung einer griechischen Tragödie, einer der Darsteller war nackt. Leider war es ein Mann, keine Frau, das war mein Problem, oder seins, je nachdem. Es ist schwer, sich noch Dinge vorzustellen, die noch nicht gemacht worden sind. Ein paar scheußliche Sachen würden mir einfallen, aber in der Tat, Schock ist nicht länger gängig.

Am 20. Februar wird das Futuristische Manifest hundert Jahre alt. Marinetti, der Kopf der Bewegung, wandte sich darin auch gegen Museen, in denen er Friedhöfe für die Kunst sah. Im Centre Pompidou in Paris ist gerade eine große Futurismus-Ausstellung zu sehen, wilde Bilder, schön ordentlich an die Wand gehängt. Hat das Bürgertum über die Moderne gesiegt?

Die Futuristen sind längst Teil des Kanons, ja. Haben Sie zufällig jüngst in Washington die Ausstellung "Entartete Kunst" gesehen?

Leider nein.

Ich erwähne es nur, weil sie natürlich eine wundervolle Sammlung deutscher Moderne ist. Die Frage bleibt, ob 1937, als die Nazis sie zeigten, so viele ins Museum strömten, weil sie dachten, dass sie diese Bilder nie wieder würden sehen können, oder ob sie die Kunst wirklich für entartet hielten.

Was vermissen Sie an der Kunst von heute?

Zu sagen, ich vermisse Picasso und Matisse, wäre offensichtlich. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Vielleicht so: Wenn es heute eine Ausstellung von neuer Kunst gibt, habe ich dann wirklich das Gefühl, ich muss sie unbedingt sehen? Ich verpasse etwas, wenn ich nicht hineingehe? Die Antwort ist nein. Ich habe kein sonderliches Interesse an irgendeinem Künstler, der heute arbeitet. Aber das mag mein Fehler sein, und seit meine Frau vor zwei Jahren gestorben ist, verfolge ich das Kunstgeschehen auch nicht mehr so wie früher.

Sie haben eine Ausbildung zum Psychoanalytiker. Haben Sie je praktiziert?

Nein. Ich habe die Ausbildung während meiner Lehrtätigkeit in Yale gemacht und hätte ein Praktikum in einer Klinik anschließen müssen, was ich nicht gemacht habe. Aber ich hatte nie die Absicht, als Analytiker zu arbeiten. Meine Hoffnung war, dass es mir für meine Arbeit als Historiker nützen würde.

Tatsächlich erzählen Sie sehr viel Biographisches über die Künstler, die Sie vorkommen lassen. Welchen von ihnen hätten Sie gerne auf der Couch gehabt?

Vielleicht Picasso. Er wäre interessant gewesen. Nicht unbedingt als Patient, aber als jemand, der viel zu erzählen hat. Alleine die vielen Frauen! Aber ich weiß nicht . . . Man kann nicht vorhersagen, was die Symptome sind, die jemanden zu einer Analyse bewegen. Vielleicht hatte er ernsthafte Symptome, von denen ich nicht weiß. Van Gogh, bevor er sich umgebracht hat, wäre auch interessant gewesen.

Manche Künstler haben Angst, in Therapie zu gehen, weil sie befürchten, dadurch zu verlieren, was immer es ist, das sie kreativ sein lässt. Ist das eine berechtigte Sorge?

Rilke zum Beispiel wollte keine Analyse machen, weil er Angst hatte, dass das seine Poesie ruinieren würde. Ich glaube das nicht. Tatsächlich könnte man das Gegenteil erhoffen. Dass die Kreativität, was auch immer das genau ist, durch die Symptome behindert wird. Die Vorstellung von einem Künstler in einer Analyse wäre, dass der Künstler frei wird, seine Kunst noch besser zu entfalten.

Wie wichtig ist es für Sie bei der Beurteilung eines Künstlers, seine Biographie zu kennen?

Das ist ein wichtiges Problem für Literaturkritiker und Historiker, denn natürlich macht es etwas aus. Bei Joyce zum Beispiel seine verrückte Tochter, seine Sehkraft, oder dass er in gewisser Weise Dublin nie verlassen hat. Oder Kafka. Stellen Sie sich vor, Sie wüssten nichts über sein Leben und bekämen zufällig eins seiner Bücher in die Hände: Würden Ihnen die Romane etwas bedeuten? Ich glaube ja. Sie würden seinen Stil als ungewöhnlich erkennen - er hat wunderschönes Deutsch geschrieben -, auch wenn Sie nicht wüssten, dass er zweimal unglücklich verheiratet war, dass er an Tuberkulose gestorben ist, ein kompliziertes Verhältnis zum Essen hatte und so weiter.

In allen Geschichten von Kafka gehe es im Grunde um das Verhältnis zu seinem Vater, schreiben Sie.

Wenn man das weiß und danach "Das Schloss" liest - würde es einem das verderben? Ich glaube nicht. Aber natürlich gibt es eine Kritikerschule, die sich überhaupt nicht für Biographisches interessiert, sondern nur für den Text. Ich frage mich jetzt, wo Sie das ansprechen, ob jemand, der mein Buch liest und erst danach zum Beispiel den "Ulysses", ob er dann in seinem Urteil beeinflusst ist.

Nach Ihrem Buch habe ich jedenfalls keine große Lust, T. S. Eliot zu lesen.

Eine interessante Frage. Wenn man zum Beispiel die Briefe liest, die Richard Strauss noch nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben hat, dann kann es passieren, mir ist es jedenfalls passiert, dass man ihn als Mensch nicht mag. Aber deshalb stelle ich trotzdem nicht das Radio ab, wenn "Till Eulenspiegel" gespielt wird. Er hat sich selbst sehr bemitleidet, und er hat Deutschland bemitleidet, dem so übel mitgespielt worden war. Puh. Nicht gerade meine Lieblingslektüre, aber interessant. Am problematischsten aber fand ich Hamsun. Das war eine faszinierende Erfahrung für mich, denn seine frühen Romane finde ich großartig, wirklich bemerkenswert. Im Mai 1940 schrieb er seinen berühmten Aufsatz, wie der arme Hitler doch missverstanden worden sei und so weiter - dennoch sehe ich ihn als großen Schriftsteller.

Es gibt auch ein langes Kapitel über Gabriel García Márquez. Ich habe ehrlich gesagt nicht verstanden, warum Sie ihn zur Moderne zählen. Wo sehen Sie bei ihm das Potential zu schockieren?

Man könnte statt schockieren auch sagen: unakademisch, unorthodox, um meine eigene minimale Definition etwas zu erweitern. Und insofern fällt er für mich in die Moderne. Natürlich hat auch alles mit Geschmack zu tun, und García Márquez mag ich sehr. Ich habe zum Beispiel viel Schönberg gehört und schließlich entschieden, egal, ob ich ihn mag oder nicht, ich muss über ihn schreiben, er war wichtig. Strawinsky ist mir persönlich angenehmer. Auch eine wichtige Figur.

Die Kristallnacht haben Sie noch in Berlin erlebt. In Amerika änderten Sie 1940 Ihren Namen, aus Peter Fröhlich wurde Peter Gay, Sie nahmen die amerikanische Staatsangehörigkeit an. Fühlen Sie sich noch manchmal deutsch?

Sie müssen bedenken, dass ich Deutschland erst im April 1939 verließ. Ich hatte also sechs Jahre, in denen mir gesagt wurde, dass ich kein Deutscher war, soweit es die Leute, die das Land regierten anging. Das machte es in gewisser Weise leichter. Und ich hatte ein Ziel vor Augen: Amerika. Ich hatte einen Onkel, der mit seiner amerikanischen Frau in einer kleinen Stadt in Florida lebte, sie haben uns ein paar Mal besucht. Die Olympische Spiele 1936 machten das Leben für mich vorübergehend leicht, denn durch einen Zufall hatte mein Vater Karten besorgen können, er hatte sie Jahre vorher in Budapest gekauft, und so saßen wir, umringt von singenden Ungarn im Stadion, ohne unseren rechten Arm erheben zu müssen, und ich konnte unbeschwert die Amerikaner anfeuern. Damit hatte ich sie gewissermaßen adoptiert.

Diaghilew soll zu Tänzern, die ihm vortanzten, gesagt haben: "Astonish me!", für Sie einer der Leitsprüche der Moderne. Wann hat Sie zuletzt ein Kunstwerk in Erstaunen versetzt?

Das Guggenheim-Museum von Frank Gehry ist ein erstaunliches Gebäude. Es funktioniert als Museumsbau, die Architektur ist nicht überwältigend, sie lässt Raum für die Kunst. Und doch gibt es immer wieder neue Blickwinkel, neue Räume tun sich auf, je nachdem, von wo man schaut. Als ich dort war, wurde gerade eine Ausstellung über Motorräder gezeigt. Es war gut besucht. Viele junge Männer, die ihre interessiert tuenden Freundinnen hinter sich herschleppten. Ein sehr interessanter Bau. Ja, er hat mich in Erstaunen versetzt. Und Gehry lebt und arbeitet noch. Wer bin ich, dass ich sagen könnte, die Moderne ist vorbei?

Interview Johanna Adorján

Peter Gay: "Die Moderne - Eine Geschichte des Aufbruchs". S. Fischer, 653 Seiten, 24,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Um es vorweg zu schicken: Rezensentin Ute Frevert ist nicht mit allem einverstanden, was Peter Gay schreibt, mit seinen Einordnungen, Datierungen und Definitionen geht sie oft gar nicht d'accord. Zweifelhaft findet sie etwa, die Moderne mit Baudelaire in den 1840er Jahren beginnen zu lassen, Wagner nicht mitzurechnen und die Moderne mit Pop-Art enden zu lassen. Aber wirklich getrübt hat dies ihr Vergnügen an dieser "kraftvollen" Kulturgeschichte der Moderne nicht - zu groß war ist ihr der Erkenntnisgewinn. Gay verfüge über ein "stupendes Wissen", schwärmt sie, über Zwölftonmusik schreibe er genauso kundig wie über den magischen Realismus oder die Bauhausarchitektur. Sehr aufschlussreich findet sie auch Gays Ausführungen über die politische Orientierungen moderner Künstler den Hinweis, dass es vor allem eine "kleine kunstsinnige Oberschicht" war, die die Moderne getragen hat. Schließlich lobt sie noch in ihrer Besprechung, mit der der Sachbuchteil der Literaturbeilage eröffnet, den Autor als "glänzenden Stilisten" von "großer Eleganz und mit Gespür für Gespür für lakonische Wendungen und Pointen".

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