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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.1998

Eine Neue Sachlichkeit
Fast schon bürgerlich: Die Möbel am bayerischen Hof

Der dritte Band der "Möbel der Residenz München" bildet den Abschluß des dreibändigen Katalog-Werkes zur europäischen Möbelkunst. Alle aufgeführten Möbel gehörten einmal zur Residenz. Nicht alle sind noch in situ vorhanden, aber alle lassen sich auf Inventare des 18. und 19. Jahrhunderts zurückführen. Diese sind für die deutschen Möbel vom 17. bis zum 19. und die französischen Möbel des 18. und frühen 19. Jahrhunderts eine Dokumentation, die an Glanz und Präzision nicht zu überbieten ist.

Was vor mehr als fünfundzwanzig Jahren Hans Kreisel insgesamt für die "Kunst des Deutschen Möbels" leistete, vertiefen diese drei Katalogbände, vom Werner von Siemens-Kunstfonds großzügig gefördert, in Dokumentation, technischer Analyse und Präzision der Sachdarstellung. Es kommt hinzu, daß es hier nicht um isolierte Fragmente aus längst zerrissenen Zusammenhängen geht, sondern um den überlieferten Stand eines großen deutschen Fürstenhauses, dessen Repräsentationswille nicht hinter den Herrschenden des königlichen Frankreichs oder Preußens zurückstand, während die Kontinuität des Kunstbesitzes ungebrochen überdauerte bis heute. Veränderungen, Zerstörungen hat es gegeben, aber sie trafen nicht die Substanz. Es ist ein hohes Verdienst der beteiligten Wissenschaftler, aber auch der fördernden Institutionen, daß dieses Opus magnum nunmehr vollendet ist und dazu in einer Form, die dem heute erreichbaren Standard von Wissenschaft und Technik entspricht.

Die Ausgrabungen von Pompeji, die Identifizierung des Rokoko mit der Willkür des Absolutismus und vor allem die Forderung nach "edler Simplicität" (Winckelmann) führten seit etwa 1755 wieder zurück zum Klassizismus - jedoch diesmal nicht, anders als unter Ludwig XIV., zur Vergötterung des Herrschertums, sondern als Metapher von Vernunft und Natur. Der Klassizismus wurde Ausdruck tief veränderter Lebensform und eines künstlerischen Stils, den Goethe 1798 zugleich ästhetisch und ökonomisch rechtfertigte - durch den Mund des besorgten Apothekers in "Hermann und Dorothea": "Alles ist einfach und glatt - nicht Schnitzwerk oder Vergoldung. Will man mehr, und es kostet das fremde Holz nun am meisten. Nun, ich wär' es zufrieden, mir etwas Neues zu schaffen. Auch zu gehen mit der Zeit und oft zu verändern den Hausrat. Aber es fürchtet sich jeder, auch zu rücken das Kleinste, denn wer vermöcht' wohl jetzt die Arbeitsleute zu zahlen?"

Der bayerische Hof jedenfalls wußte die Frage des Apothekers zu beantworten. Die Repräsentationszwänge waren groß, ebenso groß aber das Bedürfnis nach distanzierter Privatheit. So kommt es, daß in der Residenz sich alles findet, von schwer vergoldeten Prunkobjekten bis hin zu zahlreichen Möbeln jener Stilform, die der Kunsthandel gern Biedermeier nennt und die sich im allgemeinen Verständnis nicht mit den Höfen verbindet, sondern mit einer angeblich frühbürgerlichen Revolution gegen sie. Das ist eine konvenable Legende. Die Fürsten, zumal die bayerischen Kurfürsten und Könige, suchten ein familiäres, bürgerliches Lebensideal und flüchteten vor den Repräsentationspflichten, wo weiterhin vor Samtvorhängen vergoldete Möbel standen, in die privaten Gemächer, wo es mit schlichter Eleganz getan war. Am Tisch des bayerischen Staatsrates stand der Thronsaal Seiner Majestät auf gleicher Höhe wie die Sessel der Minister. Die Idee des Staates, von Ludwig XIV. in göttliche Sphären gehoben, wurde abstrakt, weitgehend losgelöst vom Monarchen, der sein Recht auf Privatheit nicht mehr opfern und aufgeben wollte.

Die Vorbilder und Modelle wurden zwar immer noch in Paris eingekauft, zumal die dynastischen und politischen Verbindungen zum napoleonischen Kaisertum eng waren, aber das heimische Handwerk wurde durch Empfehlung und Aufträge ermutigt, einen Stil der Neuen Sachlichkeit - ein Jahrhundert vor dem Begriff - zu entwickeln. Nur noch furniert, keine Ornamente mehr, Kult der Natur im botanischen Schnitt.

Auch die Raumfolgen, bis dahin für den Zugang zum Monarchen Abstufungen von Rang und Gnade darstellend, wurden einfacher und erlaubten den direkten Dialog. Lang vor der von der deutschen Geschichtswissenschaft so lebhaft beklagten "Feudalisierung des Bürgertums" fand, von Wörlitz-Dessau und dem Fürsten Franz ausgehend, ein bürgerliches Lebensideal seinen Eingang in die Schlösser: Das Freienwalde des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. und seiner Königin Luise war durchaus im Zeitgeschmack: Verbürgerlichung der Monarchie.

Dieser dritte Katalogband ist von gleicher Sorgfalt der Analyse und Befunde, der Fotos und der Inventarberichte wie die beiden Vorgängerbände über das Mobiliar der älteren Epochen. Mehr als 160 Möbel vom kleinen Kasten bis zum Prunkschreibtisch werden dargestellt, teils in Farbe, in der Regel mit wichtigen Details, und genau beschrieben, einschließlich aller Defekte und Veränderungen, die im Lauf der Zeit sich ereigneten. Eine gewaltige Prüfungs- und Überprüfungsarbeit ging diesem Katalog voraus.

Von weiterführender Bedeutung sind die Artikel von Hans Ottomeyer über die Ausstattung der Münchner Residenzen unter Max I. Joseph, von Gerhard Hoyer über die Residenz König Ludwigs I., von Brigitte Langer über des Architekten Leo von Klenze Anteil an den Münchner Möbeln und von Alexander Herzog zu Württemberg über die Möblierung des Festsaalbaus. Es ist dies bis heute eine Inszenierung voller psychologischer und ästhetischer Spannungen, von der sich allerdings die Schauspieler verabschiedet haben. Wenn man an die Bestände denkt, die es noch hier und da in Deutschland gibt, in ungebrochener Überlieferung, dann setzt das Münchner Vorhaben, das jetzt abgeschlossen ist, hohe Maßstäbe. Einen Bestand von gleicher Breite und Tiefe wird man nicht mehr bearbeiten können, aber es wäre viel gewonnen, wenn diese Münchner Leistung zum Maßstab dessen würde, was anzustreben ist. MICHAEL STÜRMER

"Die Möbel der Residenz München". Hrsg. von Gerhard Hoyer und Hans Ottomeyer. Bd. III: Möbel des Empire, Biedermeier und Spätklassizismus. 316 S., 532 Abb., davon 127 in Farbe. Prestel Verlag, München 1997, 228.- Mark.

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