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Reicht auch das Faktum der Entzauberung der Welt bis in die Antike zurück und dauert die Herrschaft der Ideologie des Fortschritts bis in die Gegenwart an, so vertraut der Mensch doch immer neu einer Selbstpoetisierung, die ihn mehr vermögen läßt als er selbst vermag. Jüdisch-christliche, griechisch-römische, selbst neuzeitlich-aufklärerische Tradition ist maßgeblich gezeichnet von Positionen philosophischer, theologischer und religiöser Reflexion, die eine ganz spezielle Poesie entdecken lassen. Epos und Tragödie, philosophische und theologische Texte aus Antike, Mittelalter, Neuzeit und…mehr

Produktbeschreibung
Reicht auch das Faktum der Entzauberung der Welt bis in die Antike zurück und dauert die Herrschaft der Ideologie des Fortschritts bis in die Gegenwart an, so vertraut der Mensch doch immer neu einer Selbstpoetisierung, die ihn mehr vermögen läßt als er selbst vermag. Jüdisch-christliche, griechisch-römische, selbst neuzeitlich-aufklärerische Tradition ist maßgeblich gezeichnet von Positionen philosophischer, theologischer und religiöser Reflexion, die eine ganz spezielle Poesie entdecken lassen. Epos und Tragödie, philosophische und theologische Texte aus Antike, Mittelalter, Neuzeit und jüngster Vergangenheit werden zu Schauplätzen, an denen der Autor diese einzigartige Poesie aufspürt und zur Darstellung bringt."Einen glänzend formulierten und gedankenreichen Vorstoß zur Beantwortung der Frage, ob und in welchem Ausmaß sich die theologisch-philosophische Reflexionssprache einer impliziten Poesie verdankt, unternimmt Rainer Marten in seinem Traktat über die poetische Inszenierung der Möglichkeit des Unmöglichen in Philosophie und Religion. Nicht in Gestalt einer fußnotenbewehrten Studie, sondern in neun locker aneinandergereihten Essays umkreist er die Dialektik von Aufklärung, Poetisierung und potenzierter Selbstpoetisierung." Markus Buntfuß, Theologische Literaturzeitung 2007"Das dicht geschriebene kleine Buch von Rainer Marten - dem wohl kompetentesten Heidegger Kritiker - enthält eine neue Philosophie der Philosophie und der Religion. [.] Martens gewichtiges Buch ist von seltenem Ideenreichtum und regt zu einer Reihe weiterer Fragen an." Kurt Flasch, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2006
Autorenporträt
Rainer Marten, geb. 1928, ist Professor für Philosophie an der Universität Freiburg i.Br.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2006

Je unmöglicher, desto lieber
Rainer Marten hält Philosophie und Religion für Poesie

Rainer Marten, der in Freiburg Philosophie lehrt, ist aus dem engsten Kreis um Martin Heidegger hervorgegangen und amtiert heute als sein wohl kompetentester Kritiker. Martens Buch "Die Möglichkeit des Unmöglichen" ist eine Streitschrift gegen eindimensionales Denken.

Die Lust am utopischen Denken ist so rasch geschwunden, wie sie gekommen war. Jürgen Habermas hat süffisant bemerkt, Ernst Bloch läsen nur noch Theologen und Germanisten. War denn gar nichts dran? Muß man die Frage nicht noch einmal aufrollen? Rainer Marten, der in Freiburg Philosophie lehrt, aus dem engsten Kreis um Martin Heidegger hervorgegangen ist und heute als sein wohl kompetentester Kritiker amtiert, handelt von der Möglichkeit des Unmöglichen.

Was dabei herauskommt, ist alles andere als eine neue Rechtfertigung der Utopie: Deren Eigenart sei es, praktisch Unmögliches vorzustellen, aber dabei den Begriff des praktisch Möglichen zu erschleichen. Der Untertitel des Buches von Rainer Marten weist die Richtung: Nur in der Poesie geschieht, was in der Tatsachenwelt unmöglich ist. Das Besondere an Martens Untersuchung ist, daß er die Poesie nicht primär in der Dichtung aufsucht - immerhin bringt er textnahe Analysen zum Gilgamensch-Epos, Euripides und Marcel Proust -, sondern daß er sie in Philosophie und Religion findet.

Idealistische Theoretiker und Gläubige hätten dies gemeinsam: Bei Gott und in der reinen Theorie ist kein Ding unmöglich. Nur mißverstehen sie ihre Gewißheiten. Sie wehren sich renitent dagegen, ihre hohe Spekulation oder ihren innigen Glauben als Dichtung zu verstehen. Ihre Überzeugungen, erwidern sie, seien alles andere als bloße Poesie; sie seien argumentativ gewonnen oder beruhten auf göttlicher Offenbarung. Marten versucht ihnen klar zu machen, verstünden sie ihre kontrafaktischen Inhalte als Poesie, stünden sie intellektuell besser da als jetzt. Sie ersparten sich ihre Rückzugsgefechte im Kampf mit der Aufklärung.

Das dicht geschriebene kleine Buch enthält eine neue Philosophie der Philosophie und der Religion. Auf den ersten Blick überrascht, daß Philosophie und Religion so dicht beieinander zu stehen kommen; gegen beide wird derselbe Vorwurf erhoben, sie mißverstünden ihren Charakter als Poesie. Marten will zeigen, ihre Gemeinsamkeit bestehe darin, die Möglichkeit des Unmöglichen zu behaupten. Dadurch stünden sie gegen das eindimensionale rationale Denken. Damit hielten sie etwas bereit, worauf radikale Aufklärung zurückkommen müsse, denn die Selbstfestlegung des Menschen auf das Mögliche, sofern es wirklich ist, verenge den Menschen.

Marten erläutert seine These an einer ganzen Anzahl historischer Entwürfe, die er jeweils kurz, aber mit philologischer Kennerschaft und Sorgfalt bespricht. Seine Einwände gegen Leibniz lassen sich am leichtesten zusammenfassen: Er behauptet zuerst die Unmöglichkeit einer Wechselwirkung von Leib und Seele, aber da wir diese Wechselwirkung erfahren, indem wir Schmerz empfinden, wenn wir uns in den Finger geschnitten haben, müssen wir annehmen, Gott habe prästabilierte Harmonie zwischen Leib und Seele geschaffen. Platon malt das Idealbild seines Staates, aber versteht sich nicht als Künstler, sondern als den Dolmetsch der "Wahrheit". In Analogie zur Negativen Poesie könnte man von einer Negativen Philosophie sprechen. Sie erkläre die bestehenden Verhältnisse als "unmöglich", beurteilt sie gänzlich negativ. Seine Polis ist eher ein Reich der Toten als der Lebendigen, da sie auf ewige Wesenswahrheiten gebaut und auf endlose Dauer angelegt sei. Seine Staatsphilosophie sei nur erträglich, wenn wir sie als "Poetisierung des Vernünftigseins" nehmen, aber genau dies verbiete Platon.

Kant, der hier nur als Geschichtsphilosoph auftritt, verlege zwar das praktisch Unmögliche als Friedensgesellschaft auf die Erde, aber erwarte es erst in der fernsten Zukunft. Hätte er eingesehen, daß er das erdichtet hat, wäre er gerechtfertigt: "Wir sähen einem Philosophen mit schöpferischer Phantasie zu, wie er eine neue Welt erdenkt, ein neue Menschenwelt, in der alle Kräfte zusammenspielen. Wir bemerkten mit größtem ästhetischen Interesse, wie es im Feld des Praktischen einzigartig das praktisch Unmögliche ist, das ihn fasziniert." Aber Kants "Finale Philosophie" der Geschichte sei über sich selbst nicht aufgeklärt; sie sehe nicht, daß ihr Endzweck das Produkt der Denkkunst ist.

Seine Kritik an Adorno faßt Marten dahin zusammen, er mute uns als Philosophie die Einsicht zu, wir seien zwar im Falschen zu Hause, das Wirkliche sei das Unmögliche, aber wenn wir den Blick auf das Grauen richteten, sähen wir darin die Möglichkeit des Besseren. Adorno könne sich den poetischen Charakter seiner Position nicht eingestehen; es sei aber nichts als philosophische Poesie, wenn er dem Wunderglauben huldige, pures Denken führe zur gesellschaftlichen Befreiung, und wenn er außerdem glaube, dieses Wunder sei kein Gegenstand des Glaubens, sondern des Wissens von Notwendigem.

Martens Theorie ist neben der Kritik der Philosophie eine Kritik der Religion. Als Religionsphilosophie stößt sie einerseits auf die Schwierigkeit, den Gläubigen zuzumuten, sie müßten, wenn sie es recht bedächten, ihre hohen Inhalte als erdichtet anerkennen. Die westliche Theologie mit ihrem "wissenschaftlichen" Anspruch wäre dann nichts anderes als die gelehrte Massenveranstaltung, den Gläubigen den Poesiecharakter der Offenbarung auszureden. Andererseits gewinnt Martens Religionsphilosophie bei der Betrachtung religiöser Phänomene große Weite und ruhige Objektivität; er braucht Wunder weder zu leugnen noch zu minimalisieren. Bibelfest wie er ist, beschreibt er den christlichen Glauben als etwas, das Berge versetzen kann. Gläubige haben Augen, die sehen, was andere nicht sehen, Engel zum Beispiel. Der religiöse Glaube ist doppelte Poesie oder Metapoesie, denn er erdichtet auch noch, nicht erdichtet zu sein. Er ist viel mehr als bloßes Für-wahr-Halten, er ist Ritus und Kult, gemeinschaftliche Erfahrung der Gegenwart Gottes. Er glaubt nicht nur, daß Jesus und die Heiligen Wunder wirken bis heute, er erfährt seinen Glauben selbst als Wunder und geht in der Poetisierung so weit, der Glaube könne Kranke heilen und Berge versetzen. Rationalistische Verdünnungen fallen hier weg; sie sind so irreligiös wie unpoetisch. Der Glaube bringt buntes Leben hervor.

Der Gläubige vergewissert sich seiner selbst durch Kontrast zur göttlichen Allmacht, an der er gar teilhat. Er nimmt selbst den Tod Gottes als fromme Erfahrung in sich auf. Was die Menschen "Transzendenz" nennen, ist, Marten zufolge, das real gesetzte Unmögliche, zusammengesetzt aus den unmöglichen Bausteinen Allzeitigkeit, Überallsein und Alles-Vermögen. Aber sie hat eine unentbehrliche produktive Funktion. Sie bringt dem Menschen nahe, daß er das alles nicht ist und nicht hat. In diesem Nichtsein, zu dem gehört, daß er nicht der einzige ist, lernt er sich verstehen als das gesellige Wesen, das bei begrenzter Zeit und engem Raum mit anderen lebt. Dieser Umweg ist förderlich, ja notwendig, daher muß radikalisierte Aufklärung sich dieser geschichtlichen Umwegigkeit stellen.

Martens gewichtiges Buch ist von seltenem Ideenreichtum und regt zu einer Reihe weiterer Fragen an. Es bleibt manches offen, zumal es die These vom Poesiecharakter der Philosophie und Religion nicht more geometrico vorträgt, sondern durch Textarbeit an einem Dutzend klassischer Stellen erst gewinnt. Klar ist die Hölderlinsche und Heideggersche Prämisse: Der Mensch lebt poetisch; eindimensionale Rationalität entsteht sekundär und darf den Willen zu radikaler Selbstverständigung nicht determinieren.

Wer von Philosophie und Religion sagt, sie seien Poesie, redet nicht schlecht von ihnen. Aber vielleicht sind Religion und Philosophie doch nicht ganz in vergleichbarer Position. Soll alle Philosophie Dichtung sein und dem Selbstmißverständnis unterliegen, sie habe es mit Wahrheit zu tun? Gilt Martens Analyse der Philosophie als Poesie nur für ihre Maximal- und Optimalannahmen bei Platon, Leibniz, Kant und Adorno, oder gilt sie generell, auch für Aristoteles und Hume, für Heidegger und für - Rainer Marten? Marten spricht ironisch von der poetisch-religiösen Gläubigkeit Adornos, der dem Unheilzusammenhang eine Aussicht auf Erlösung abgewinnen wollte. Aber wenn alle bisherige Philosophie sich mißverstanden hat, dann hätte die Menschheit auf zwei Freiburger gewartet, die als erste auftauchen aus diesem Meer des Irrtums.

Einwände lassen sich erheben gegen Martens Umgang mit der Geschichte der Philosophie. Sein Denken weiß sich als geschichtlich; die Geschichte der Philosophie hat daher große Bedeutung für Marten. Sein Buch ist ein kleiner Bildersaal gut gearbeiteter historisch-philologischer Miniaturen. Aber es ignoriert Geschichte und Zeit, und zwar gleich im mehrfachen Sinne. Daß es souverän die Chronologie mißachtet - Adorno kommt vor Anselm und Leibniz -, das läßt sich noch aus der Konzeption des Buches erklären. Aber Platons Staatskonzept behandelt er, um dessen "Unmöglichkeit" zu beweisen, fast wie Popper als abstraktes Modell mit Anspruch auf Eins-zu-eins-Umsetzung. Er ignoriert die Wandlungsfähigkeit in Platons Staatsdenken bis hin zu den Nomoi; Platons ironische Zwischentöne verschwinden, ebenso die klare Aussage, nur der Zufall oder göttlicher Eingriff könne seinen Staat nach Athen bringen.

Marten ist ausgewiesener Platonforscher, und er erwähnt die Hinrichtung des gerechtesten aller Menschen und die Tyrannei der Dreißig als Panlaß für Platons Staatstheorie. Aber er sucht Geschichtlichkeit nicht im Innern der platonischen Theorie. Seine Analyse von Anselms Argumentation erwähnt nicht einmal Anselms geschichtliche Erfahrung des Islams und des Judentums, die er als Emigrant in Süditalien gemacht hat und die sein Vorgehen in anderes Licht setzt.

Die Geschichte des Denkens wird hochgeschätzt und gelehrt studiert, aber sie zerkrümelt in isolierte Positionen, als hätten sie keinen internen Zusammenhang untereinander sowie mit Ort und Zeit ihres Entstehens. Der Autor verfügt in systematischer Absicht souverän über sie; cartesianisch, als maître et possesseur de l'histoire. Das paßt zur Gesamtkonzeption: Philosophen und Gläubige, vom Zaubertrank der Poesie berauscht und der Selbsttäuschung erlegen, sind bisher sichtlos im Unmöglichen herumgetappt, und jetzt erscheint ein Freiburger Philosoph als der erste Nüchterne unter lauter Betrunkenen.

KURT FLASCH

Rainer Marten: "Die Möglichkeit des Unmöglichen". Zur Poesie in Philosophie und Religion. Karl Alber Verlag, Freiburg im Breisgau 2006. 203 S., br., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als ordnenden, ideenreichen Kopf im Getümmel der Geschichtsphilosophie und ihrer großen Vertreter sieht Kurt Flasch den Autor Rainer Marten. Philosophie und Religion auf ihren poetischen Charakter hin zu untersuchen, hält er für einen Ansatz zu einer "neuen Philosophie". Der Ehrenrettung solcher Geistesgrößen wie Leibniz und Platon durch den Nachweis ihrer Poetizität folgt Flasch gebannt. Ebenso der bibelfesten Betrachtung religiöser Phänomene. Regt der Text, wie im Fall der allzu wörtlichen Platonlektüre, den Zweifel an, scheint Flasch auch davon noch zu profitieren. Dass manches offen bleibt, erklärt sich Flasch mit der Struktur des "gewichtigen" Textes. Mit der gedanklichen Prämisse vom poetisch lebenden Menschen scheint er im Ganzen gut zurechtzukommen.

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