Ziel der Untersuchung ist die Darstellung von Kultur als dynamischem, autopoietischem, d.h. in prozesshaftem Austausch mit dem Kulturträger existierenden System. Diese Perspektive wird mit den Ergebnissen einer quantitativen und qualitativen Analyse argumentativ belegt und aus einer emischen (hier als Feldforschung innerhalb von Schulklassen oder Jugendgruppen) konstruktivistischen Sichtweise heraus durch teilnehmen-de Beobachtung, Leitfadeninterviews mit jugendlichen Anhängern verschiedener Kultursysteme unter dem Dach der bundesdeutschen Gesellschaft und Songtexte kulturtragender Musiker erhärtet. Die Theoriekonstruktion schließt sich an die allgemeine geisteswissenschaftliche oder besser gesagt kulturwissenschaftliche Debatte um konstruktivistisches, systemisches und kognitionswissenschaftliches Denken an und überträgt unter Anwendung ethnographischer und -methodologischer Verfahren diese Ansätze zum ersten Mal auf eine Konzeption im Bereich der Musikpädagogik. Es ergeben sich weit-reichende pädagogische Konsequenzen, denn bisherige Schwerpunkte des Musikunterrichts, wie sie sich in den Lehrplänen präsentieren, werden kritisch hinterfragt, da sie sich im wesentlichen als kanonische Konstrukte zur funktionalen Aufrechterhaltung eines bestimmten dominanten oder elitären Kultursystems und damit von Kulturzentrismus herausstellen und infolgedessen heterogene, zunächst unvertraut scheinende Kultursysteme marginalisieren. Dafür spricht auch die vorwiegend musikhistorisch geprägte Ausbildung des musikpädagogischen Nachwuchses. Vom Standpunkt einer globalen Kulturvernetzung und vom als Erziehungsziel propagierbaren Zielzustand einer globalen friedlichen Koexistenz kultureller Systeme ausgehend, kann die Einseitigkeit und Verabsolutierung musikpädagogischer (und allgemein kulturpädagogischer) Inhalte in verbindlich kanonisierter kulturzentristischer Form nicht mehr befriedigen. Es bedarf vielmehr flexibler ethnomusikologischer bzw. kulturwissenschaftlicher Methodenkompetenz und Vorkenntnisse beim Musikpädagogen, um kultureller Relativierung im globalen Rahmen gerecht zu werden. Deshalb sind auch rein pragmatisch im didaktischen Bereich Methoden zu entwickeln, die auf der Basis aktueller Kognitionsforschung der ganzheitlich-pluralen Verfassung unserer Gesellschaft und der darin lebenden Individuen mit ihren heterogenen kulturkonstruktivistischen Bedürfnissen gerecht werden. Dazu wird die Vision eines Multimedia-Arbeitsateliers mit Laptops und CD-ROM-Erfahrungsstationen vorgestellt, in welchem kulturelle und mediale Kompetenz sich gegenseitig bedingen und unterstützend entwickelt werden können, um subjektorientiert mit binnendifferenzierender Methodik, das Individuum lebensweltbezogen in einem sinnstiftenden Umgang mit Musik und ihrer kulturellen Bezogenheit zu unterstützen. Die Autorin war lange Zeit Musik- und Deutschlehrerin an einer Realschule, promovierte mit einer Untersuchung zu religiöser Musik in Indonesien als Stabilisierungsfaktor kultureller Identität bei chi-nesischen Migranten, führte Feldforschungsprojekte in Westafrika, Indonesien und Sri Lanka durch und widmete sich in Publikationen und Veranstaltungen immer wieder der Verbindung von ethnomusikologischen Inhalten und ethnographischer Methodik mit musik- und kulturpädagogischen sowie multimedialen Möglichkeiten, reflexivem und mimetischem Umgang mit Unver-trautem innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Individuum. Sie ist seit 2002 Hochschuldozentin an der Universität Giessen. Vorliegende Untersuchung ist ihre mit Erfolg angenommene Habilitationsschrift.