Der Islam - gehört er nun zu Deutschland oder nicht? Spätestens seit dem Ausspruch Christian Wulffs wird dies hierzulande kontrovers diskutiert. Hanna Josua zeichnet die aktuelle Debatte vor dem Hintergrund zunehmender Migration aus islamischen Ländern nach, lässt unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen und weicht unangenehmen Fragen nicht aus. Doch ebenso, wie es nicht "den" Islam und "die" Muslime gibt, kann es auf die Ausgangsfrage kein simples "Ja" oder "Nein" geben. Muslime und Nichtmuslime müssen sich noch in vielen Fragen aufeinander zu bewegen und gemeinsam entscheiden, welcher Islam in Deutschland eine Zukunft haben kann. Grenzen der Toleranz müssen benannt, Gemeinsamkeiten erkannt und genutzt werden, um ein friedliches Zusammenleben in einer unfriedlichen Welt zu fördern. Es geht um nichts weniger als um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die Diskussion hat gerade erst begonnen!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2019Wie man mit Muslimen zusammenlebt
Der Protestant Hanna Nouri Josua träumt von einem Wunsch-Islam
Anschaulich und ohne Polemik beschreibt Hanna Nouri Josua, evangelischer Pfarrer libanesischer Herkunft, in seiner handlichen Schrift, weshalb es im Alltag immer wieder zu Spannungen und Konflikten zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Muslimen kommt: wenn etwa in Grundschulen Kinder fasten und Mädchen Kopftuch tragen, wenn Muslime für Schulen Gebetsräume und Gebetszeiten fordern, wenn überdimensionierte Moscheen gebaut werden, wenn stereotyp behauptet wird, Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun. Der nahe Stuttgart lebende Theologe fragt, wie das Zusammenleben mit Muslimen unter solchen Bedingungen gelingen kann und wie Lösungen aussehen könnten.
Er ist davon überzeugt, dass dieses Zusammenleben gelingen kann. Als Bürger argumentiert er - und das ist längst Allgemeingut -, dass ein friedliches Zusammenleben Menschen unterschiedlicher Religionen nur in einem säkularen und neutralen Staat möglich sei. Wichtig ist daher, dass das Grundgesetz die Gleichberechtigung aller Staatsbürger garantiere. Es biete genügend Raum für kulturelle Vielfalt und sichere die Freiheit des Glaubens und die Rechte von Minderheiten. Gesellschaftlicher Zusammenhalt sei weder durch Ausgrenzung der Muslime zu erreichen noch durch ihre Assimilation, warnt Josua, der jede Art des Angstschürens verurteilt.
Als Christ erinnert Josua aber auch daran, dass jeder einzelne Mensch Ebenbild Gottes ist und dass das achte Gebot ("Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten") einen fairen Umgang mit anderen einfordert. Zudem sei nicht nur für Muslime, sondern auch für Christen die Heildimension des Glaubens nicht sekundär. Den Christen sei es jedoch gelungen, die religiöse Heilsdimension von gesellschaftlichen und politischen Aussagen zu trennen, schreibt Josua. So sollten auch Moscheen als Stätten der Religion dazu dienen, dass Menschen ihren Glauben ausüben, und nicht dazu, Politik zu machen.
Wie kann es also gelingen, einen Islam zu leben, der mit modernem säkularen Denken kompatibel ist und der Integration erleichtert? Josua plädiert zunächst dafür, dass sich die Muslime von der Altlast der islamischen Geschichte in den Herkunftsländern und auch von der islamischen Praxis dort befreien. Immer mehr Muslime erkennen, dass sie in Deutschland dank des Grundgesetzes ihren Glauben so frei praktizieren können, wie es unter den Einschränkungen ihrer Heimatländer nicht möglich ist. Noch immer blicken jedoch viele auf den Islam in den Ländern, aus denen sie teilweise vor Jahrzehnten gekommen sind.
Verantwortung dafür tragen zum einen die islamischen Dachverbände. Sie sind aber keine theologischen Ansprechpartner. Von ihnen gehen keine theologischen Impulse dafür aus, wie Muslime in Deutschland den Islam leben. Sie blockieren vielmehr mögliche Entwicklungen, etwa wenn es um die Besetzung von Lehrstühlen für islamische Theologie geht. Entscheidend wird sein, dass die Muslime hierzulande ihre Religion unter den Bedingungen eines Lebens in einer modernen säkularen Gesellschaft neu und anders als in ihren Herkunftsländern auslegen. Grundsätzlich bietet der Islam, den einst eine große Ambiguitätstoleranz gegenüber einer Vielfalt innerislamischer Meinungen ausgezeichnet hatte, diese Möglichkeit.
Wie viele andere formuliert Josua jedoch einen Wunsch-Islam. Er setzt zu sehr auf Muslime, die sich als "Reformer" verstehen, die in der islamischen Community aber keine Rolle spielen und die nur wenige erreichen. Das wird nicht funktionieren. Dabei gibt es ja auch im Mainstream der konservativen islamischen Theologie interessante Ansätze und Aufrufe, die politische Ordnung und die Gesetze der Länder zu befolgen, in die sie eingewandert sind. Für Josua lautet das Fazit: "Der Islam ist in Deutschland, und er ist Teil von Deutschland, aber er gehört - noch - nicht zu Deutschland. Ob er jemals zu Deutschland gehören wird, hängt davon ab, wie der Islam sich hier vor Ort entwickelt und ob beide Seiten offen, sachlich, konstruktiv und zukunftsorientiert über die Probleme reden können."
Davon seien im Moment alle Beteiligten weit entfernt. Der Islam ist in Deutschland aber Alltagsrealität. Josuas Buch tut gut, weil es einen konstruktiven Weg bahnt zwischen den islamverstehenden Gutmenschen, auch in seiner Kirche, und einem Islam-Hass, der sich oft hinter der Fassade einer scheinheiligen Islam-Kritik versteckt.
RAINER HERMANN
Hanna Nouri Josua:
"Die Muslime und
der Islam". Wer oder was
gehört zu Deutschland?
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2019.
159 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Protestant Hanna Nouri Josua träumt von einem Wunsch-Islam
Anschaulich und ohne Polemik beschreibt Hanna Nouri Josua, evangelischer Pfarrer libanesischer Herkunft, in seiner handlichen Schrift, weshalb es im Alltag immer wieder zu Spannungen und Konflikten zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Muslimen kommt: wenn etwa in Grundschulen Kinder fasten und Mädchen Kopftuch tragen, wenn Muslime für Schulen Gebetsräume und Gebetszeiten fordern, wenn überdimensionierte Moscheen gebaut werden, wenn stereotyp behauptet wird, Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun. Der nahe Stuttgart lebende Theologe fragt, wie das Zusammenleben mit Muslimen unter solchen Bedingungen gelingen kann und wie Lösungen aussehen könnten.
Er ist davon überzeugt, dass dieses Zusammenleben gelingen kann. Als Bürger argumentiert er - und das ist längst Allgemeingut -, dass ein friedliches Zusammenleben Menschen unterschiedlicher Religionen nur in einem säkularen und neutralen Staat möglich sei. Wichtig ist daher, dass das Grundgesetz die Gleichberechtigung aller Staatsbürger garantiere. Es biete genügend Raum für kulturelle Vielfalt und sichere die Freiheit des Glaubens und die Rechte von Minderheiten. Gesellschaftlicher Zusammenhalt sei weder durch Ausgrenzung der Muslime zu erreichen noch durch ihre Assimilation, warnt Josua, der jede Art des Angstschürens verurteilt.
Als Christ erinnert Josua aber auch daran, dass jeder einzelne Mensch Ebenbild Gottes ist und dass das achte Gebot ("Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten") einen fairen Umgang mit anderen einfordert. Zudem sei nicht nur für Muslime, sondern auch für Christen die Heildimension des Glaubens nicht sekundär. Den Christen sei es jedoch gelungen, die religiöse Heilsdimension von gesellschaftlichen und politischen Aussagen zu trennen, schreibt Josua. So sollten auch Moscheen als Stätten der Religion dazu dienen, dass Menschen ihren Glauben ausüben, und nicht dazu, Politik zu machen.
Wie kann es also gelingen, einen Islam zu leben, der mit modernem säkularen Denken kompatibel ist und der Integration erleichtert? Josua plädiert zunächst dafür, dass sich die Muslime von der Altlast der islamischen Geschichte in den Herkunftsländern und auch von der islamischen Praxis dort befreien. Immer mehr Muslime erkennen, dass sie in Deutschland dank des Grundgesetzes ihren Glauben so frei praktizieren können, wie es unter den Einschränkungen ihrer Heimatländer nicht möglich ist. Noch immer blicken jedoch viele auf den Islam in den Ländern, aus denen sie teilweise vor Jahrzehnten gekommen sind.
Verantwortung dafür tragen zum einen die islamischen Dachverbände. Sie sind aber keine theologischen Ansprechpartner. Von ihnen gehen keine theologischen Impulse dafür aus, wie Muslime in Deutschland den Islam leben. Sie blockieren vielmehr mögliche Entwicklungen, etwa wenn es um die Besetzung von Lehrstühlen für islamische Theologie geht. Entscheidend wird sein, dass die Muslime hierzulande ihre Religion unter den Bedingungen eines Lebens in einer modernen säkularen Gesellschaft neu und anders als in ihren Herkunftsländern auslegen. Grundsätzlich bietet der Islam, den einst eine große Ambiguitätstoleranz gegenüber einer Vielfalt innerislamischer Meinungen ausgezeichnet hatte, diese Möglichkeit.
Wie viele andere formuliert Josua jedoch einen Wunsch-Islam. Er setzt zu sehr auf Muslime, die sich als "Reformer" verstehen, die in der islamischen Community aber keine Rolle spielen und die nur wenige erreichen. Das wird nicht funktionieren. Dabei gibt es ja auch im Mainstream der konservativen islamischen Theologie interessante Ansätze und Aufrufe, die politische Ordnung und die Gesetze der Länder zu befolgen, in die sie eingewandert sind. Für Josua lautet das Fazit: "Der Islam ist in Deutschland, und er ist Teil von Deutschland, aber er gehört - noch - nicht zu Deutschland. Ob er jemals zu Deutschland gehören wird, hängt davon ab, wie der Islam sich hier vor Ort entwickelt und ob beide Seiten offen, sachlich, konstruktiv und zukunftsorientiert über die Probleme reden können."
Davon seien im Moment alle Beteiligten weit entfernt. Der Islam ist in Deutschland aber Alltagsrealität. Josuas Buch tut gut, weil es einen konstruktiven Weg bahnt zwischen den islamverstehenden Gutmenschen, auch in seiner Kirche, und einem Islam-Hass, der sich oft hinter der Fassade einer scheinheiligen Islam-Kritik versteckt.
RAINER HERMANN
Hanna Nouri Josua:
"Die Muslime und
der Islam". Wer oder was
gehört zu Deutschland?
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2019.
159 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main