Von der Autorin des SPIEGEL Bestsellers "Eisenkinder"
Als der Krieg zu Ende war, fing für die vierzehnjährige Anna der Kampf erst an. Ihre Mutter war lange tot, ihr Vater von den Russen verhaftet worden, ihre Heimat verloren. Als Flüchtling machte sie sich mit ihren kleinen Brüdern allein auf den Weg nach Westen und fand in Kosakenberg, einem Dorf in der sowjetischen Besatzungszone, Unterschlupf. Am Hof der Familie Wendler kann sie als Magd härteste körperliche Arbeit leisten. 1949 kehrt Friedrich Stein aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Kosakenberg zurück. Das Deutschland, das er verlassen hat, gibt es nicht mehr: seine Familie ist tot, sein Anwesen von Flüchtlingen besetzt, das Dorf voller Sowjet-Propaganda. Ein gebrochener Mann, zwanzig Jahre älter als Anna. Anna macht die Traurigkeit in seinen Augen vom ersten Tag an Angst.
Als der Krieg zu Ende war, fing für die vierzehnjährige Anna der Kampf erst an. Ihre Mutter war lange tot, ihr Vater von den Russen verhaftet worden, ihre Heimat verloren. Als Flüchtling machte sie sich mit ihren kleinen Brüdern allein auf den Weg nach Westen und fand in Kosakenberg, einem Dorf in der sowjetischen Besatzungszone, Unterschlupf. Am Hof der Familie Wendler kann sie als Magd härteste körperliche Arbeit leisten. 1949 kehrt Friedrich Stein aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Kosakenberg zurück. Das Deutschland, das er verlassen hat, gibt es nicht mehr: seine Familie ist tot, sein Anwesen von Flüchtlingen besetzt, das Dorf voller Sowjet-Propaganda. Ein gebrochener Mann, zwanzig Jahre älter als Anna. Anna macht die Traurigkeit in seinen Augen vom ersten Tag an Angst.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Wiebke Porombka ist ein wenig enttäuscht, dass Sabine Rennefanz den fesselnden, berührenden und nicht zuletzt aktuellen Stoff ihres Debütromans leider sprachlich nicht ganz bewältigen kann. Zwar folgt die Kritikerin interessiert und bewegt der Geschichte um die Großmutter der Erzählerin, die als polnisches Flüchtlingskind während des Zweiten Weltkriegs in den Ort kam, in dem sie den Rest ihres Lebens verbrachte, von russischen Soldaten vergewaltigt und daraufhin schwanger wurde und ihr Leben depressiv in einer unglücklichen Ehe fristete. Leider muss Porombka aber feststellen, dass dem Roman im Hinblick auf zeitliche Zusammenhänge und Erzählperspektiven ein erzählerisches Konzept fehlt. Und auch sprachlich kann die Autorin die Kritikerin nicht überzeugen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2016Schatten über dem Großvater
Sabine Rennefanz übt sich in Traumabewältigung mit der Brechstange
Die verstaubte, hinter alten Möbeln, Koffern und Schachteln auf dem Dachboden verborgene Kiste, die bei zufälliger Entdeckung das seit Jahren peinlich gehütete Familiengeheimnis enthüllt, ist in den vergangenen Jahren als Erzählanlass notorisch geworden. Man sollte es sich aber nicht allzu leicht machen mit dem Lächeln über etwaige Abgedroschenheiten, öffnen doch Romane über die Großeltern-Generation nicht selten Perspektiven auch auf das, was sich jenseits der populären Linien der Geschichtsschreibung zugetragen hat. Im besten Falle machen sie darüber hinaus ein Phänomen begreifbar, das erst in den letzten Jahren als solches erkannt worden ist: die transgenerationale Traumatisierung, die Frage danach mithin, wie sich die Erfahrungen der Großeltern-Generation in die Psyche der Enkel eingeschrieben haben.
Sabine Rennefanz, die im Jahr 2013 mit "Eisenkinder" ein Sachbuch über die Mentalität der ostdeutschen Nachwende-Generation veröffentlicht hat, wählt für ihr Romandebüt "Die Mutter meiner Mutter" eine zaghaft variierte Version der Großeltern-Erzählung. Das entlarvende, zwischen Unterlagen und Fotos aufbewahrte Dokument - die eigene Geburtsurkunde - hat die Mutter der Erzählerin bereits als Kind entdeckt (in einer Schublade, nicht in einer Kiste). Die Bedeutung dieser Urkunde erschließt sich indes erst nach einer Familienaufstellung, die wiederum die Tante der Erzählerin vornehmen lässt. "Das Medium sagte, dass die Schmerzen meiner Tante mit ihrem Vater zusammenhingen. Das Medium sagte, es hinge ein Schatten über meinem Großvater. Ein Geheimnis."
Der Schatten, der über dem bereits vor Jahren verstorbenen Großvater hängt, ist ein wahrhaft grausamer, der zugleich auf eine Ungeheuerlichkeit verweist, die beileibe kein Einzelfall ist. Die Großmutter der Erzählerin ist als polnisches Flüchtlingskind am Ende des Zweiten Weltkrieges in den kleinen Ort gekommen, in dem sie noch heute lebt. Heimisch geworden scheint sie hier allerdings nie. Eher hat es den Eindruck: Die zierliche, wortkarge Frau, die als junges Mädchen nachts von russischen Soldaten aus ihrem eigentlichen Zuhause vertrieben wurde, versteckt sich vor den Dorfbewohnern genauso wie vor dem eigenen Leben. Sie sitzt in abgedunkelten Zimmern oder liegt den halben Tag im Bett.
So hat sie sich der Erzählerin in Kindertagen als das komplette Gegenteil des lebenslustigen und stets feierlaunigen Großvaters eingeschrieben. Während er Geborgenheit verhieß, verweigerte die spröde Großmutter selbst die Andeutung körperlicher Nähe. Nun, Jahrzehnte später, wird das Rätsel ihrer Verschlossenheit gelüftet: Als junge Frau ist die Großmutter von dem wesentlich älteren Mann vergewaltigt worden, perfiderweise auf dem Dachboden des Hauses, in dem sie noch immer lebt. Weil aus der Vergewaltigung ein Kind hervorging - die Mutter der Erzählerin von Rennefanz' Roman -, folgten kurz nach dessen Geburt auf das verschleierte Verbrechen eine unglückselige Hochzeit und eine ebensolche Ehe.
So, wie der Dachboden und die mit ihm verbundenen Erinnerungen auf der Großmutter lasten, so bedrückend und dabei unbedingt wesentlich ist der Stoff dieses Debütromans, der zudem durch die Flüchtlingsthematik noch eine aktuelle Tangente erhält. Dass die Erzählerin selbst wiederkehrend von der eigenen Vertreibung träumt, von der sie ausgerechnet durch den Großvater gerettet wird, ist eine traurig-böse, aber vermutlich sehr realitätsnahe Ironie.
Umso bedauerlicher, dass die literarische Umsetzung wenig überzeugt. Die Erzählperspektiven sind immer wieder ähnlich unentschieden und ungeordnet wie die zeitlichen Zusammenhänge, ohne dass sich daraus ein erzählerisches Konzept ergeben würde. Die vielen Wiederholungen etwa das Satzes "Ich habe etwas über deinen Großvater herausgefunden" erscheinen wie die etwas angestrengte Behauptung einer Dringlichkeit, obgleich es dieser rhetorischen Brechstange gar nicht bedurft hätte angesichts der Tragweite des Stoffes. Andere Wiederholungen muten dagegen eher an, als seien sie der Autorin unterlaufen und als sei die Arbeit am Material in einem vorläufigen Zustand beendet worden.
Das führt dazu, dass dieser Roman insgesamt den Eindruck erweckt, als laboriere er an einem ähnlichen Syndrom wie das Opfer, die Tochter und die Enkeltochter des Vergewaltigers: Obgleich sie schon lange weiß, was geschehen ist, scheitert sie noch daran, das Geschehene in Worte zu fassen.
WIEBKE POROMBKA
Sabine Rennefanz: "Die Mutter meiner Mutter". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015. 256 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sabine Rennefanz übt sich in Traumabewältigung mit der Brechstange
Die verstaubte, hinter alten Möbeln, Koffern und Schachteln auf dem Dachboden verborgene Kiste, die bei zufälliger Entdeckung das seit Jahren peinlich gehütete Familiengeheimnis enthüllt, ist in den vergangenen Jahren als Erzählanlass notorisch geworden. Man sollte es sich aber nicht allzu leicht machen mit dem Lächeln über etwaige Abgedroschenheiten, öffnen doch Romane über die Großeltern-Generation nicht selten Perspektiven auch auf das, was sich jenseits der populären Linien der Geschichtsschreibung zugetragen hat. Im besten Falle machen sie darüber hinaus ein Phänomen begreifbar, das erst in den letzten Jahren als solches erkannt worden ist: die transgenerationale Traumatisierung, die Frage danach mithin, wie sich die Erfahrungen der Großeltern-Generation in die Psyche der Enkel eingeschrieben haben.
Sabine Rennefanz, die im Jahr 2013 mit "Eisenkinder" ein Sachbuch über die Mentalität der ostdeutschen Nachwende-Generation veröffentlicht hat, wählt für ihr Romandebüt "Die Mutter meiner Mutter" eine zaghaft variierte Version der Großeltern-Erzählung. Das entlarvende, zwischen Unterlagen und Fotos aufbewahrte Dokument - die eigene Geburtsurkunde - hat die Mutter der Erzählerin bereits als Kind entdeckt (in einer Schublade, nicht in einer Kiste). Die Bedeutung dieser Urkunde erschließt sich indes erst nach einer Familienaufstellung, die wiederum die Tante der Erzählerin vornehmen lässt. "Das Medium sagte, dass die Schmerzen meiner Tante mit ihrem Vater zusammenhingen. Das Medium sagte, es hinge ein Schatten über meinem Großvater. Ein Geheimnis."
Der Schatten, der über dem bereits vor Jahren verstorbenen Großvater hängt, ist ein wahrhaft grausamer, der zugleich auf eine Ungeheuerlichkeit verweist, die beileibe kein Einzelfall ist. Die Großmutter der Erzählerin ist als polnisches Flüchtlingskind am Ende des Zweiten Weltkrieges in den kleinen Ort gekommen, in dem sie noch heute lebt. Heimisch geworden scheint sie hier allerdings nie. Eher hat es den Eindruck: Die zierliche, wortkarge Frau, die als junges Mädchen nachts von russischen Soldaten aus ihrem eigentlichen Zuhause vertrieben wurde, versteckt sich vor den Dorfbewohnern genauso wie vor dem eigenen Leben. Sie sitzt in abgedunkelten Zimmern oder liegt den halben Tag im Bett.
So hat sie sich der Erzählerin in Kindertagen als das komplette Gegenteil des lebenslustigen und stets feierlaunigen Großvaters eingeschrieben. Während er Geborgenheit verhieß, verweigerte die spröde Großmutter selbst die Andeutung körperlicher Nähe. Nun, Jahrzehnte später, wird das Rätsel ihrer Verschlossenheit gelüftet: Als junge Frau ist die Großmutter von dem wesentlich älteren Mann vergewaltigt worden, perfiderweise auf dem Dachboden des Hauses, in dem sie noch immer lebt. Weil aus der Vergewaltigung ein Kind hervorging - die Mutter der Erzählerin von Rennefanz' Roman -, folgten kurz nach dessen Geburt auf das verschleierte Verbrechen eine unglückselige Hochzeit und eine ebensolche Ehe.
So, wie der Dachboden und die mit ihm verbundenen Erinnerungen auf der Großmutter lasten, so bedrückend und dabei unbedingt wesentlich ist der Stoff dieses Debütromans, der zudem durch die Flüchtlingsthematik noch eine aktuelle Tangente erhält. Dass die Erzählerin selbst wiederkehrend von der eigenen Vertreibung träumt, von der sie ausgerechnet durch den Großvater gerettet wird, ist eine traurig-böse, aber vermutlich sehr realitätsnahe Ironie.
Umso bedauerlicher, dass die literarische Umsetzung wenig überzeugt. Die Erzählperspektiven sind immer wieder ähnlich unentschieden und ungeordnet wie die zeitlichen Zusammenhänge, ohne dass sich daraus ein erzählerisches Konzept ergeben würde. Die vielen Wiederholungen etwa das Satzes "Ich habe etwas über deinen Großvater herausgefunden" erscheinen wie die etwas angestrengte Behauptung einer Dringlichkeit, obgleich es dieser rhetorischen Brechstange gar nicht bedurft hätte angesichts der Tragweite des Stoffes. Andere Wiederholungen muten dagegen eher an, als seien sie der Autorin unterlaufen und als sei die Arbeit am Material in einem vorläufigen Zustand beendet worden.
Das führt dazu, dass dieser Roman insgesamt den Eindruck erweckt, als laboriere er an einem ähnlichen Syndrom wie das Opfer, die Tochter und die Enkeltochter des Vergewaltigers: Obgleich sie schon lange weiß, was geschehen ist, scheitert sie noch daran, das Geschehene in Worte zu fassen.
WIEBKE POROMBKA
Sabine Rennefanz: "Die Mutter meiner Mutter". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015. 256 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Packend wie ein Roman: Bestsellerautorin Sabine Rennefanz ("Eisenkinder") erzählt die Geschichte eines lange gehüteten Familiengeheimnisses." Claudia Kirsch / Brigitte EXTRA