In der Endphase des Zweiten Weltkrieges, im Februar 1945, bombardierten die Alliierten Dresden: Circa 25.000 Menschen fanden den Tod, die Überlebenden waren zutiefst traumatisiert, das einst prächtige Elbflorenz lag in Schutt und Asche. In »Die Nacht, als das Feuer kam« begibt sich der britische Journalist und Autor Sinclair McKay auf eine ganz besondere Spurensuche. In den Archiven der Stadt entdeckte er tief verborgene persönliche Aufzeichnungen, die es ihm ermöglichen, die Geschehnisse dieser drei verhängnisvollen Tage und Nächte aus der Perspektive der Bewohner der Stadt zu erzählen: Schülern, Mitgliedern der Hitlerjugend und des Kreuzchors, Künstlern, Musikern, aber auch des Kriegsgefangenen Kurt Vonnegut und nicht zuletzt Victor Klemperer sowie Piloten und Besatzungsmitgliedern der britischen und amerikanischen Verbände. Noch nie zuvor wurde das Ausmaß dieses Luftangriffs für die Zivilbevölkerung der Stadt so vielstimmig, emotional und zutiefst menschlich geschildert wie indiesem Meisterwerk der narrativen Geschichtsschreibung - und das noch lange, nachdem die letzte Seite umgeblättert ist, im Gedächtnis bleiben wird.
Ausstattung: 24-seitiger Bildteil s/w
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2020Die Sorglosen
und das Inferno
Sinclair McKay erzählt die Bombardierung Dresdens
vor 75 Jahren nach. Sein Zugang hat aber Schwächen
VON CORD ASCHENBRENNER
Eigentlich ist in den vergangenen knapp zwanzig Jahren alles Wesentliche zur Geschichte der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg geschrieben worden. Als Maßstab gilt seit 2013 die umfassende Darstellung „The Bombing War“ („Der Bombenkrieg“) des englischen Historikers Richard Overy. Auch zwei deutsche Wissenschaftler, Rolf-Dieter Müller und Dietmar Süß, haben zu Recht gelobte Werke über den Krieg aus der Luft vorgelegt. Ebenso zu Recht ist das tendenziöse Buch „Der Brand“ des Historikers Jörg Friedrich umstritten. Und schließlich hat der Brite Frederick Taylor schon im Jahr 2004 eine nach wie vor gültige Fallstudie über die Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 und den darauffolgenden Tag verfasst. Damals legten erst 796 britische Lancaster-Bomber, dann 311 amerikanische B-17-Bomber die bis dahin vom Luftkrieg fast verschonte Großstadt Dresden in Trümmer. 25 000 Menschen starben.
Jetzt hat der britische Journalist Sinclair McKay ein weiteres Buch über die Zerstörung Dresdens vor 75 Jahren geschrieben. An sich ist das kein Anlass zum Tadel; Jahrestage sind im Verlagsgeschäft nun einmal ein Grund, Bücher zu veröffentlichen. Auch den Goldmann-Verlag hat dies bewogen, das erst in diesem Jahr erschienene Original sehr rasch (was man leider deutlich merkt) übersetzen zu lassen.
Britische Leser, an die sich das Buch ja in erster Linie richtet, werden mit dem Stichwort Dresden die bereits während des Krieges umstrittene Figur von „Bomber“ Harris verbinden: Sir Arthur Harris, Oberbefehlshaber des „Bomber Command“ der Royal Air Force (RAF) und Erfinder des Moral Bombing – nächtliche Flächenbombardements deutscher Städte, die den Widerstandsgeist, die Moral der Deutschen brechen sollten.
McKay beginnt mit Reminiszenzen an die architektonisch und kunsthistorisch überaus bedeutende Residenzstadt der sächsischen Kurfürsten und Könige, in der einst Caspar David Friedrich gelebt und gemalt hat und die Johann Gottfried Herder als erster das „deutsche Florenz“ nannte. Dresden war einerseits, wie der Autor hervorhebt, eine normale, von alliierten Angriffen allerdings weitgehend verschonte Großstadt unter dem allgegenwärtigen nationalsozialistischen Regime, dessen Griff auch Anfang 1945 nicht nachgelassen hatte, im Gegenteil.
Andererseits besaßen die Dresdner Bürger durch die Geschichte der Stadt, ihre Lage, ihre Kirchen, Paläste und Schatzkammern, ihre berühmten Porzellanmanufakturen, ihre Fabriken, die natürlich längst im Dienst des Krieges standen, ein bemerkenswertes Selbstwertgefühl, das auch Krieg und Nationalsozialismus noch nicht zermürbt hatten. Einer Stadt mit einem solchen kunsthistorischen und architektonischen Reichtum, vor dem Krieg in ganz Europa bekannt für ihre Schönheit und ein Anziehungspunkt für Gebildete und Kunstliebhaber, konnte nichts zustoßen, was viele Dresdner einander auch mit „demonstrativer Sorglosigkeit“ zeigten, wie McKay schreibt.
Man spekulierte darauf, wie der von den NS-Behörden zusammen mit seiner „arischen“ Ehefrau in ein Dresdner „Judenhaus“ gepferchte Romanistikprofessor Victor Klemperer in seinem später weltberühmten Tagebuch festhielt, dass das schöne alte Dresden bei Amerikanern und Engländern aus einstiger Verbundenheit eine Art irrationaler Zuneigung genieße und dadurch geschützt sei.
Allerdings hatte es im Herbst 1944 und im Januar 1945 bereits zwei amerikanische Angriffe mit einigen Hundert Opfern auf Dresden gegeben, nämlich auf das riesige Areal des Rangierbahnhofs. Doch die Menschen, unter ihnen viele Flüchtlinge aus dem Osten, hofften, dass es dabei bliebe. McKay lässt einige von ihnen zu Wort kommen, womit er sich an die bewährte Vorgehensweise britischer Historiker hält, Geschichte anhand von Augenzeugenberichten, Briefen und Tagebüchern lebendig und farbig zu erzählen.
Großmeister ihres Fachs wie der Militärhistoriker Antony Beevor, dessen Bücher über die Schlachten um Stalingrad und Berlin längst Klassiker sind, oder Frederick Taylor in seinem Buch über den Angriff auf Dresden haben Sinclair McKay allerdings etwas vorausgehabt: Sie haben sich auf noch lebende Zeitzeugen stützen können. McKay hingegen hatte nur Einsicht in die im Stadtarchiv Dresden lagernden Zeugnisse Überlebender der Bombennacht, genau wie in die „Harris Papers“ im Archiv des RAF-Museums
– Sir Arthurs archivierte schriftliche Hinterlassenschaften
– und in die Erinnerungen anderer Militärs. Auch Briefe von Kurt Vonnegut hat McKay hinzugezogen, der als kriegsgefangener US-Soldat die Bombardierung Dresdens überlebte und später durch den surrealen halb-biografischen Roman „Slaughterhouse-Five“ berühmt werden sollte.
McKay verwebt all dies zweifellos geschickt. Sein Buch allerdings als „Meisterwerk der narrativen Geschichtsschreibung“ zu bezeichnen, wie es der Verlag auf dem Umschlag tut, ist hoch gegriffen. Dafür changiert seine Sprache zu sehr zwischen blumig und reißerisch, eine Tatsache, die durch die über weite Strecken tollpatschige Übersetzung nicht gemildert wird. Apropos Umschlag: Der zeigt fliehende Zivilisten im März 1945 im brennenden – Danzig. Krieg ist Krieg, mag man sich im Verlag gedacht haben.
McKay gelingt es dennoch, die Nacht des Angriffs auf Dresden und die Tage davor anschaulich zu schildern: die Angst der Stadtbevölkerung vor der rasch näher rückenden Roten Armee, deren Offensive die Bombardierung Dresdens durch die RAF und die achte amerikanische Luftflotte angeblich unterstützen sollte; das Dröhnen der fast 800 Lancaster-Maschinen, deren siebenköpfige Besatzungen sich kaum weniger fürchteten als die Menschen am Boden; schließlich das Inferno des fast ungehinderten Angriffs in zwei Wellen, deren nachfolgender Feuersturm Tausende tötete und große Teil der Stadt verschlang, darunter auch die barocke Frauenkirche; am Tag danach dann der amerikanische Angriff.
McKay beschäftigt sich schließlich auch mit der Kontroverse unter den Alliierten, ob es ein legitimes Mittel gegen einen ruchlosen Gegner wie Nazideutschland sei, Großstädte wie Dresden mitsamt ihrer Bewohner in Schutt und Asche zu legen. Arthur Harris, „der Schlächter“, wie ihn seine Untergebenen nannten, fand das sehr wohl und änderte seine Meinung auch nach dem Krieg nicht. Wen der „Gordische Knoten dieses außergewöhnlichen moralischen Dilemmas“ (McKay) interessiert, sollte allerdings lieber die Bücher von Overy oder Taylor lesen.
Die Sprache des Briten
changiert zwischen
blumig und reißerisch
Sinclair McKay:
Die Nacht, als das Feuer kam. Dresden 1945. Aus dem Englischen von René Stein. Goldmann-Verlag, München 2020.
560 Seiten, 22 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Schutt und Asche: Das berühmte Foto vom Rathaus auf die zerstörte Stadt. Lange hatte es erbitterte Debatten über die Zahl der Toten gegeben. Vor einigen Jahren hat eine Historikerkommission die Zahl 25 000 ermittelt; diese wird vor allem von rechten Gruppen als viel zu niedrig angesehen. Foto: SZ Photo
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und das Inferno
Sinclair McKay erzählt die Bombardierung Dresdens
vor 75 Jahren nach. Sein Zugang hat aber Schwächen
VON CORD ASCHENBRENNER
Eigentlich ist in den vergangenen knapp zwanzig Jahren alles Wesentliche zur Geschichte der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg geschrieben worden. Als Maßstab gilt seit 2013 die umfassende Darstellung „The Bombing War“ („Der Bombenkrieg“) des englischen Historikers Richard Overy. Auch zwei deutsche Wissenschaftler, Rolf-Dieter Müller und Dietmar Süß, haben zu Recht gelobte Werke über den Krieg aus der Luft vorgelegt. Ebenso zu Recht ist das tendenziöse Buch „Der Brand“ des Historikers Jörg Friedrich umstritten. Und schließlich hat der Brite Frederick Taylor schon im Jahr 2004 eine nach wie vor gültige Fallstudie über die Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 und den darauffolgenden Tag verfasst. Damals legten erst 796 britische Lancaster-Bomber, dann 311 amerikanische B-17-Bomber die bis dahin vom Luftkrieg fast verschonte Großstadt Dresden in Trümmer. 25 000 Menschen starben.
Jetzt hat der britische Journalist Sinclair McKay ein weiteres Buch über die Zerstörung Dresdens vor 75 Jahren geschrieben. An sich ist das kein Anlass zum Tadel; Jahrestage sind im Verlagsgeschäft nun einmal ein Grund, Bücher zu veröffentlichen. Auch den Goldmann-Verlag hat dies bewogen, das erst in diesem Jahr erschienene Original sehr rasch (was man leider deutlich merkt) übersetzen zu lassen.
Britische Leser, an die sich das Buch ja in erster Linie richtet, werden mit dem Stichwort Dresden die bereits während des Krieges umstrittene Figur von „Bomber“ Harris verbinden: Sir Arthur Harris, Oberbefehlshaber des „Bomber Command“ der Royal Air Force (RAF) und Erfinder des Moral Bombing – nächtliche Flächenbombardements deutscher Städte, die den Widerstandsgeist, die Moral der Deutschen brechen sollten.
McKay beginnt mit Reminiszenzen an die architektonisch und kunsthistorisch überaus bedeutende Residenzstadt der sächsischen Kurfürsten und Könige, in der einst Caspar David Friedrich gelebt und gemalt hat und die Johann Gottfried Herder als erster das „deutsche Florenz“ nannte. Dresden war einerseits, wie der Autor hervorhebt, eine normale, von alliierten Angriffen allerdings weitgehend verschonte Großstadt unter dem allgegenwärtigen nationalsozialistischen Regime, dessen Griff auch Anfang 1945 nicht nachgelassen hatte, im Gegenteil.
Andererseits besaßen die Dresdner Bürger durch die Geschichte der Stadt, ihre Lage, ihre Kirchen, Paläste und Schatzkammern, ihre berühmten Porzellanmanufakturen, ihre Fabriken, die natürlich längst im Dienst des Krieges standen, ein bemerkenswertes Selbstwertgefühl, das auch Krieg und Nationalsozialismus noch nicht zermürbt hatten. Einer Stadt mit einem solchen kunsthistorischen und architektonischen Reichtum, vor dem Krieg in ganz Europa bekannt für ihre Schönheit und ein Anziehungspunkt für Gebildete und Kunstliebhaber, konnte nichts zustoßen, was viele Dresdner einander auch mit „demonstrativer Sorglosigkeit“ zeigten, wie McKay schreibt.
Man spekulierte darauf, wie der von den NS-Behörden zusammen mit seiner „arischen“ Ehefrau in ein Dresdner „Judenhaus“ gepferchte Romanistikprofessor Victor Klemperer in seinem später weltberühmten Tagebuch festhielt, dass das schöne alte Dresden bei Amerikanern und Engländern aus einstiger Verbundenheit eine Art irrationaler Zuneigung genieße und dadurch geschützt sei.
Allerdings hatte es im Herbst 1944 und im Januar 1945 bereits zwei amerikanische Angriffe mit einigen Hundert Opfern auf Dresden gegeben, nämlich auf das riesige Areal des Rangierbahnhofs. Doch die Menschen, unter ihnen viele Flüchtlinge aus dem Osten, hofften, dass es dabei bliebe. McKay lässt einige von ihnen zu Wort kommen, womit er sich an die bewährte Vorgehensweise britischer Historiker hält, Geschichte anhand von Augenzeugenberichten, Briefen und Tagebüchern lebendig und farbig zu erzählen.
Großmeister ihres Fachs wie der Militärhistoriker Antony Beevor, dessen Bücher über die Schlachten um Stalingrad und Berlin längst Klassiker sind, oder Frederick Taylor in seinem Buch über den Angriff auf Dresden haben Sinclair McKay allerdings etwas vorausgehabt: Sie haben sich auf noch lebende Zeitzeugen stützen können. McKay hingegen hatte nur Einsicht in die im Stadtarchiv Dresden lagernden Zeugnisse Überlebender der Bombennacht, genau wie in die „Harris Papers“ im Archiv des RAF-Museums
– Sir Arthurs archivierte schriftliche Hinterlassenschaften
– und in die Erinnerungen anderer Militärs. Auch Briefe von Kurt Vonnegut hat McKay hinzugezogen, der als kriegsgefangener US-Soldat die Bombardierung Dresdens überlebte und später durch den surrealen halb-biografischen Roman „Slaughterhouse-Five“ berühmt werden sollte.
McKay verwebt all dies zweifellos geschickt. Sein Buch allerdings als „Meisterwerk der narrativen Geschichtsschreibung“ zu bezeichnen, wie es der Verlag auf dem Umschlag tut, ist hoch gegriffen. Dafür changiert seine Sprache zu sehr zwischen blumig und reißerisch, eine Tatsache, die durch die über weite Strecken tollpatschige Übersetzung nicht gemildert wird. Apropos Umschlag: Der zeigt fliehende Zivilisten im März 1945 im brennenden – Danzig. Krieg ist Krieg, mag man sich im Verlag gedacht haben.
McKay gelingt es dennoch, die Nacht des Angriffs auf Dresden und die Tage davor anschaulich zu schildern: die Angst der Stadtbevölkerung vor der rasch näher rückenden Roten Armee, deren Offensive die Bombardierung Dresdens durch die RAF und die achte amerikanische Luftflotte angeblich unterstützen sollte; das Dröhnen der fast 800 Lancaster-Maschinen, deren siebenköpfige Besatzungen sich kaum weniger fürchteten als die Menschen am Boden; schließlich das Inferno des fast ungehinderten Angriffs in zwei Wellen, deren nachfolgender Feuersturm Tausende tötete und große Teil der Stadt verschlang, darunter auch die barocke Frauenkirche; am Tag danach dann der amerikanische Angriff.
McKay beschäftigt sich schließlich auch mit der Kontroverse unter den Alliierten, ob es ein legitimes Mittel gegen einen ruchlosen Gegner wie Nazideutschland sei, Großstädte wie Dresden mitsamt ihrer Bewohner in Schutt und Asche zu legen. Arthur Harris, „der Schlächter“, wie ihn seine Untergebenen nannten, fand das sehr wohl und änderte seine Meinung auch nach dem Krieg nicht. Wen der „Gordische Knoten dieses außergewöhnlichen moralischen Dilemmas“ (McKay) interessiert, sollte allerdings lieber die Bücher von Overy oder Taylor lesen.
Die Sprache des Briten
changiert zwischen
blumig und reißerisch
Sinclair McKay:
Die Nacht, als das Feuer kam. Dresden 1945. Aus dem Englischen von René Stein. Goldmann-Verlag, München 2020.
560 Seiten, 22 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Schutt und Asche: Das berühmte Foto vom Rathaus auf die zerstörte Stadt. Lange hatte es erbitterte Debatten über die Zahl der Toten gegeben. Vor einigen Jahren hat eine Historikerkommission die Zahl 25 000 ermittelt; diese wird vor allem von rechten Gruppen als viel zu niedrig angesehen. Foto: SZ Photo
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