An einem Herbstabend des Jahres 1787 kommt Giacomo Casanova auf Einladung des Grafen Pachta nach Prag. Auch Mozart befindet sich in der Stadt an der Moldau. Er bereitet die Uraufführung der Oper aller Opern mit ihrer vollendet schwebenden Musik vor - "Don Giovanni". Aber die Arbeit stockt. Der Librettist Lorenzo da Ponte gibt dem Verführer vulgäre, bestenfalls grobe Züge, die Sängerinnen neiden einander jede Arie, und Mozart fehlt die Ruhe, seine Partitur zu beenden; überall wird er von Verehrerinnen verfolgt. Casanova aber bringt den Glanz aus einer großen alten Zeit in die Stadt, er versteht Feste zu feiern, er weiß, über welche Rafinesse und Wortgewandtheit ein wahrer Verführer verfügen müsste. Und er hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, diese Oper zur Vollendung zu bringen - auch wenn er dazu einige höchst irdische Intrigen einfädeln muss ...
Nach "Faustinas Küsse" und "Im Licht der Lagune" hat Ortheil nun das große Finale seiner erotischen Kunst- und Künstler-Trilogie geschrieben. In diesem Roman geht es um Musik und das, was die Musik allein zu gestalten vermag: um Liebe. In einem Wirbel von Geschichten schildert Ortheil, wie eine der bedeutendsten europäischen Opern entstanden ist. Überwältigend zart und klug wie Mozarts Musik entspinnt sich dieses Buch, und obwohl drei Männer das große Wort führen, halten andere darin die Hauptrolle besetzt und führen insgeheim Regie: die Frauen.
Nach "Faustinas Küsse" und "Im Licht der Lagune" hat Ortheil nun das große Finale seiner erotischen Kunst- und Künstler-Trilogie geschrieben. In diesem Roman geht es um Musik und das, was die Musik allein zu gestalten vermag: um Liebe. In einem Wirbel von Geschichten schildert Ortheil, wie eine der bedeutendsten europäischen Opern entstanden ist. Überwältigend zart und klug wie Mozarts Musik entspinnt sich dieses Buch, und obwohl drei Männer das große Wort führen, halten andere darin die Hauptrolle besetzt und führen insgeheim Regie: die Frauen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2000Der Finger des Bibliothekars
Hanns-Josef Ortheil feiert eine historische Nacht mit Don Juan
Kennen Sie den? Der Librettist Da Ponte und der Libertin Casanova treffen sich in der Kneipe. Sagt der eine: "Giacomo!" und der andere: "Lorenzo!" Darauf der erste: "Wie habe ich dich vermißt, mein Alter!" Der zweite: "Und ich dich, mein Sohn!" Die Pointe besteht darin, daß es sich um eine seriös gemeinte Gesprächsszene handelt. So nämlich dürfen wir uns die Begegnung der beiden weltläufigen Venezianer im Prag des Jahres 1787 vorstellen, wenn wir Hanns-Josef Ortheil folgen, dem Spezialisten für erotische Kunst- und Künstlerromane in historischer Aufführungspraxis. Nachdem er Goethes Dichten in Rom durch Faustinas Küsse versüßen und ein fiktives Malgenie im Licht der Lagune von Venedig schwimmen ließ, hat der Autor für seine Trilogie des achtzehnten Jahrhunderts nun ein Finale komponiert, das sich um Mozart und dessen Arbeit am "Don Giovanni" in der goldenen Moldaustadt dreht.
Sei es, daß Frau Musica den ausgebildeten Pianisten Ortheil zuverlässiger inspirieren konnte als ihre Schwesterkünste, sei es, daß auch beim Verfassen solcher Prosecco-Prosa für die gebildeten Stände erst die Übung den Meister macht: "Die Nacht des Don Juan" ist, sieht man vom prinzipiellen Peinlichkeitsrisiko nachempfundener Dialoge zwischen historischen Personen ab, unter den Rokoko-Eskapaden des Schriftstellers die charmanteste. Ortheil hat einen Tauchgang in Prager Archive unternommen, um möglichst viel darüber herauszufinden, wie tief der pensionierte Abenteurer Giacomo Casanova, damals Bibliothekar auf Schloß Dux und Ausflugsgast in der böhmischen Metropole, die Finger im Libretto des "Don Giovanni" hatte. Seine Kooperation mit Lorenzo Da Ponte kurz vor der Premiere, operngeschichtlich etwas ungenau überliefert, ist hier als Intrige kostümiert, die Mozarts ruhmreichen Textdichter alt aussehen läßt, den alt gewordenen Verführer hingegen auf der Höhe seiner vielfältigen Talente zeigt. Der Maestro selbst, dem Ortheil früher schon eine musikologische Studie widmete, erweist sich wieder einmal als dankbares Objekt für Künstlerpsychologie vom Feinsten: das ewige Kind mit Todesahnungen, der göttliche Genius mit Schreibhemmung, der liebenswürdige Leichtfuß mit Vaterneurose und Schwesterkomplex.
Das Männertrio, dessen vereinte Kräfte die Oper aller Opern zur Aufführungsreife bringt, umgibt der Autor mit einem Ensemble authentischer und erfundener Figuren, in deren Gefühlsverwirrungen, Verblendungen und Machenschaften das "dramma giocoso" gespiegelt wird, ohne daß es dabei zu platten Analogien käme. Eine Fantasiegestalt ist die schöne Anna Maria, Tochter des real existierenden Grafen Pachta, auf väterliche Anordnung im Damenstift auf dem Hradschin von den Verlockungen der Welt abgeschirmt. Während Casanova im Pachtaschen Palais logiert, erscheint der ahnungslosen jungen Gräfin die Traumgestalt eines Eroberers, halb ersehnt, halb gefürchtet, der als eine Art Potpourri aus den Eigenschaften Casanovas, Mozarts und Da Pontes ihre erotische Erweckung einleitet und uns zugleich Don Giovannis Nachtbesuch bei Donna Anna in Erinnerung ruft. Anna Maria wiederum erinnert Wolfgang Amadeus, dem sie zunächst inkognito begegnet, an seine heißgeliebte Schwester Maria Anna, was seiner Frau Constanze gar nicht schmeckt, hat sie doch schon eine handfeste Rivalin in der Sängerin Josepha Duschek, deren Landgut vor den Toren Prags dem Kompositeur als komfortable Zuflucht dient.
Natürlich darf der Kammerdiener nicht fehlen; hier heißt er Paolo, spielt das Horn zum Sterben schön und schlüpft nachts unter die Bettdecke der stimmbegabten Zofe Johanna, die indes, weil ihr Liebhaber so hartnäckig schweigt, für die wortreichen Avancen des Signor Da Ponte nicht ganz unempfänglich bleibt. Der Leiblibrettist des späten Mozart tritt bei Ortheil als vulgärer, triebhafter Schürzenjäger auf, dessen Mangel an Esprit und Verführungskultur auf den Opernhelden Don Giovanni abzufärben droht. Gerade noch rechtzeitig kann Casanova eingreifen: Er arrangiert ein venezianisches Maskenfest, bei dem er Johanna und Paolo benutzt, um durch einen Commedia-Coup den geschwätzigen Grobian Da Ponte aus der Stadt zu vertreiben. Nun hat er freie Bahn, das Werk und seine Inszenierung mit dem Raffinement des Bonvivants zu veredeln, die Darsteller in ihre Rollen hineinzuschmeicheln, dem "schlechten Schein" etwas "Lebendiges, Geistreiches" entgegenzusetzen. Er aber, der lendenlahme Lebenslüstling, dessen fleischliche Genüsse sich längst auf die des Gourmets beschränken, wird durch die eigene Drahtzieherei derart beflügelt, daß ihm daraus die Kraft erwächst, seine Memoiren in Angriff zu nehmen.
Mit diesem Cocktail aus Fakten und Fiktion, diesem bunten Geflecht aus Korrespondenzen und Ambivalenzen, unerwarteten Wendungen und kühnen Verdrehungen empfiehlt sich Hanns-Josef Ortheil als Librettoschreiber erster Güte. Schade nur, daß die Sprachmusik, die das opernreife Handlungsgerüst umspült, allzu flach und vordergründig dahinplätschert. Den größten Teil der Erzählzeit verbringen die Figuren damit, unter verschwenderischem Einsatz von Ausrufungs- und Fragezeichen zu reflektieren, was in ihnen oder um sie herum vorgeht. Immerzu wird irgend etwas erklärt, nichts bleibt im Dunkel oder im Dämmer der Mehrdeutigkeit; es ist, als sei eine Theaterbühne vom Anfang bis zum Ende des Stückes in ein und dasselbe, geheimnislose Licht getaucht. Lediglich dort, wo der Autor den Versuch macht, die Musik Mozarts zu beschreiben, fällt bisweilen ein Abglanz von deren sublimer Leuchtkraft auch auf die Romanprosa und verrät, welche literarischen Funken man aus dem Stoff hätte schlagen können. Von all den Plaudersätzen aber, die im Buch dem Meister in den Mund gelegt werden, wollen wir uns einen merken, der unser Mozartbild um eine reizende Facette bereichert: "Nach drei Gläsern Champagner rede ich in Triolen. Sie werden sich daran gewöhnen müssen."
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Hanns-Josef Ortheil: "Die Nacht des Don Juan". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 379 S., geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hanns-Josef Ortheil feiert eine historische Nacht mit Don Juan
Kennen Sie den? Der Librettist Da Ponte und der Libertin Casanova treffen sich in der Kneipe. Sagt der eine: "Giacomo!" und der andere: "Lorenzo!" Darauf der erste: "Wie habe ich dich vermißt, mein Alter!" Der zweite: "Und ich dich, mein Sohn!" Die Pointe besteht darin, daß es sich um eine seriös gemeinte Gesprächsszene handelt. So nämlich dürfen wir uns die Begegnung der beiden weltläufigen Venezianer im Prag des Jahres 1787 vorstellen, wenn wir Hanns-Josef Ortheil folgen, dem Spezialisten für erotische Kunst- und Künstlerromane in historischer Aufführungspraxis. Nachdem er Goethes Dichten in Rom durch Faustinas Küsse versüßen und ein fiktives Malgenie im Licht der Lagune von Venedig schwimmen ließ, hat der Autor für seine Trilogie des achtzehnten Jahrhunderts nun ein Finale komponiert, das sich um Mozart und dessen Arbeit am "Don Giovanni" in der goldenen Moldaustadt dreht.
Sei es, daß Frau Musica den ausgebildeten Pianisten Ortheil zuverlässiger inspirieren konnte als ihre Schwesterkünste, sei es, daß auch beim Verfassen solcher Prosecco-Prosa für die gebildeten Stände erst die Übung den Meister macht: "Die Nacht des Don Juan" ist, sieht man vom prinzipiellen Peinlichkeitsrisiko nachempfundener Dialoge zwischen historischen Personen ab, unter den Rokoko-Eskapaden des Schriftstellers die charmanteste. Ortheil hat einen Tauchgang in Prager Archive unternommen, um möglichst viel darüber herauszufinden, wie tief der pensionierte Abenteurer Giacomo Casanova, damals Bibliothekar auf Schloß Dux und Ausflugsgast in der böhmischen Metropole, die Finger im Libretto des "Don Giovanni" hatte. Seine Kooperation mit Lorenzo Da Ponte kurz vor der Premiere, operngeschichtlich etwas ungenau überliefert, ist hier als Intrige kostümiert, die Mozarts ruhmreichen Textdichter alt aussehen läßt, den alt gewordenen Verführer hingegen auf der Höhe seiner vielfältigen Talente zeigt. Der Maestro selbst, dem Ortheil früher schon eine musikologische Studie widmete, erweist sich wieder einmal als dankbares Objekt für Künstlerpsychologie vom Feinsten: das ewige Kind mit Todesahnungen, der göttliche Genius mit Schreibhemmung, der liebenswürdige Leichtfuß mit Vaterneurose und Schwesterkomplex.
Das Männertrio, dessen vereinte Kräfte die Oper aller Opern zur Aufführungsreife bringt, umgibt der Autor mit einem Ensemble authentischer und erfundener Figuren, in deren Gefühlsverwirrungen, Verblendungen und Machenschaften das "dramma giocoso" gespiegelt wird, ohne daß es dabei zu platten Analogien käme. Eine Fantasiegestalt ist die schöne Anna Maria, Tochter des real existierenden Grafen Pachta, auf väterliche Anordnung im Damenstift auf dem Hradschin von den Verlockungen der Welt abgeschirmt. Während Casanova im Pachtaschen Palais logiert, erscheint der ahnungslosen jungen Gräfin die Traumgestalt eines Eroberers, halb ersehnt, halb gefürchtet, der als eine Art Potpourri aus den Eigenschaften Casanovas, Mozarts und Da Pontes ihre erotische Erweckung einleitet und uns zugleich Don Giovannis Nachtbesuch bei Donna Anna in Erinnerung ruft. Anna Maria wiederum erinnert Wolfgang Amadeus, dem sie zunächst inkognito begegnet, an seine heißgeliebte Schwester Maria Anna, was seiner Frau Constanze gar nicht schmeckt, hat sie doch schon eine handfeste Rivalin in der Sängerin Josepha Duschek, deren Landgut vor den Toren Prags dem Kompositeur als komfortable Zuflucht dient.
Natürlich darf der Kammerdiener nicht fehlen; hier heißt er Paolo, spielt das Horn zum Sterben schön und schlüpft nachts unter die Bettdecke der stimmbegabten Zofe Johanna, die indes, weil ihr Liebhaber so hartnäckig schweigt, für die wortreichen Avancen des Signor Da Ponte nicht ganz unempfänglich bleibt. Der Leiblibrettist des späten Mozart tritt bei Ortheil als vulgärer, triebhafter Schürzenjäger auf, dessen Mangel an Esprit und Verführungskultur auf den Opernhelden Don Giovanni abzufärben droht. Gerade noch rechtzeitig kann Casanova eingreifen: Er arrangiert ein venezianisches Maskenfest, bei dem er Johanna und Paolo benutzt, um durch einen Commedia-Coup den geschwätzigen Grobian Da Ponte aus der Stadt zu vertreiben. Nun hat er freie Bahn, das Werk und seine Inszenierung mit dem Raffinement des Bonvivants zu veredeln, die Darsteller in ihre Rollen hineinzuschmeicheln, dem "schlechten Schein" etwas "Lebendiges, Geistreiches" entgegenzusetzen. Er aber, der lendenlahme Lebenslüstling, dessen fleischliche Genüsse sich längst auf die des Gourmets beschränken, wird durch die eigene Drahtzieherei derart beflügelt, daß ihm daraus die Kraft erwächst, seine Memoiren in Angriff zu nehmen.
Mit diesem Cocktail aus Fakten und Fiktion, diesem bunten Geflecht aus Korrespondenzen und Ambivalenzen, unerwarteten Wendungen und kühnen Verdrehungen empfiehlt sich Hanns-Josef Ortheil als Librettoschreiber erster Güte. Schade nur, daß die Sprachmusik, die das opernreife Handlungsgerüst umspült, allzu flach und vordergründig dahinplätschert. Den größten Teil der Erzählzeit verbringen die Figuren damit, unter verschwenderischem Einsatz von Ausrufungs- und Fragezeichen zu reflektieren, was in ihnen oder um sie herum vorgeht. Immerzu wird irgend etwas erklärt, nichts bleibt im Dunkel oder im Dämmer der Mehrdeutigkeit; es ist, als sei eine Theaterbühne vom Anfang bis zum Ende des Stückes in ein und dasselbe, geheimnislose Licht getaucht. Lediglich dort, wo der Autor den Versuch macht, die Musik Mozarts zu beschreiben, fällt bisweilen ein Abglanz von deren sublimer Leuchtkraft auch auf die Romanprosa und verrät, welche literarischen Funken man aus dem Stoff hätte schlagen können. Von all den Plaudersätzen aber, die im Buch dem Meister in den Mund gelegt werden, wollen wir uns einen merken, der unser Mozartbild um eine reizende Facette bereichert: "Nach drei Gläsern Champagner rede ich in Triolen. Sie werden sich daran gewöhnen müssen."
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Hanns-Josef Ortheil: "Die Nacht des Don Juan". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 379 S., geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Hanns-Josef Ortheil ist mit der 'Nacht des Don Juan' ein überaus spannender, intellektuell erotischer Unterhaltungsroman gelungen." Die Zeit