Er setzt alles auf eine Karte, der Hundebesitzer, der auf der Rennbahn sein Geld verwettet, um eine teure OP zahlen zu können. Sie will es allen zeigen, die junge Frau, und sich vom Flüchtlingsschiff in die erste Liga hochboxen. Clemens Meyers Geschichten spielen in der stillen Wohnung, in der Lagerhalle und am Fluss. Seine Helden sind dem Leben ausgesetzt, es sind die Heimatlosen und Träumer, die die nächtliche Stadt durchstreifen. Meyer trifft die Töne unserer Zeit: In seinen rauen, präzisen und zarten Sätzen erzählt er von großen Illusionen, von Sehnsucht und Einsamkeit.
»Ich will Geschichten schreiben, die leuchten.«
Clemens Meyer
»Ich will Geschichten schreiben, die leuchten.«
Clemens Meyer
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2008Wie er es gemacht hat
Clemens Meyer im Foyer des HR-Sendesaals Frankfurt
Wie sich das Einzelne und das Ganze zueinander verhalten, beschäftigt Künstler seit je. Was die 15 Texte miteinander zu tun haben, die Clemens Meyer zwischen Januar 2006 und September 2007 zu seinem neuen Erzählungsband zusammenfügte, wurde ihrem Autor erst allmählich klar. Die Geschichten, die er in "Die Nacht, die Lichter" versammelt hat, erschienen ihm zwar von Anfang an durchaus als selbständige Texte, zur gleichen Zeit aber auch als "Kosmos, der zusammengehört". Während des Schreibens folgte Meyer daher den Form-Hinweisen, die das, was er schrieb, ihm gab. Er wusste: "Die müssen zusammen funktionieren, da muss sich was kreuzen." Nach Frankfurt war der 1977 geborene Leipziger Schriftsteller gekommen, um für das bei S. Fischer erschienene Buch Werbung zu machen. Gerade hat es ihm den Preis der Leipziger Buchmesse eingetragen, mit Beteiligung des Hessischen Rundfunks ist es mittlerweile auch zu einem Hörbuch geworden. Im völlig überfüllten Foyer des HR-Sendesaals an der Frankfurter Bertramstraße ließ Meyer sich von hr2-Moderator Alf Mentzer aus diesem Anlass auch Äußerungen zu seinem Schreiben entlocken. Dabei findet er das nicht ganz ungefährlich: "Wenn man beginnt, seine eigene Ästhetik auseinanderzuklamüsern, geht sie kaputt."
Trotzdem erklärte er seinen Zuhörern zuvorkommend einige der Leitmotive von "Die Nacht, die Lichter" und berichtete von seinen ersten Lektüre-Erfahrungen. Die seien geprägt gewesen von der "klassischen Abenteuerweltliteratur" - James Fenimore Cooper, Robert Louis Stevenson und Karl May, Friedrich Gerstäcker und B. Traven, später Hemingway und Chandler, schließlich Camus. Um einen Leser in einen Schreiber zu verwandeln, müssten Texte allerdings mehr sein als nur gut gemacht. Sie müssten etwas auslösen, etwas müsse passieren, sei das nun Lachen, Weinen, das Gefühl, auf eine Reise geschickt oder auch nur das Wissen, gut unterhalten zu werden. Texte, die ihre Leser auf diese Weise packen, wirken für Meyer "im Unterbewusstsein und im Unbewussten". Nur eines funktioniere, wolle man Schriftsteller werden, ganz gewiss nicht: "Wenn man sich hinsetzt, um zu lernen, dann wird das nichts."
Er selbst schreibe langsam, poliere "wie ein Wahnsinniger" und achte während des Schreibens darauf, die Dramaturgie des Textes nicht aus den Augen zu verlieren: "Wo führt es hin, wo ist es gerade?" Von einigen der Kategorien, die die Kritiker entwickelt haben, um das Verhalten der unglücklichen Außenseiter aus "Die Nacht, die Lichter" zu beschreiben, hält er wenig. Ihm gehe es nicht um Selbstbetrüger. "Es geht um den Glauben an etwas." Seinen Figuren habe er ihre Illusionen lassen wollen, zum Beispiel dem arbeitslosen Trinker in "Warten auf Südamerika", dem ein alter Freund plötzlich Briefe aus Kuba zu schicken scheint. "Am Ende kommen die Briefe nicht mehr, und er fängt an, die Geschichte im Kopf weiterzudenken. Er hat dadurch eine Hoffnung bekommen, ein Licht, und das ist doch das Entscheidende. Er wird das für immer in seinem Kopf behalten." Wie sein Held glaubt Meyer selbst vor allem an die erhellende Macht von Faktur und Fiktion. "Für mich ist die Kunst das erste - Story, Plot und Stil." Wenn seine Texte so viel transportierten, dass die Leute sagten, er sei ein gesellschaftskritischer Schreiber, habe er allerdings auch nichts dagegen. Eine bestimmte Form gesellschaftlicher Relevanz erwarte er von seinen Geschichten schließlich auch selbst: "Dass sie im Hier und Jetzt spielen."
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Clemens Meyer im Foyer des HR-Sendesaals Frankfurt
Wie sich das Einzelne und das Ganze zueinander verhalten, beschäftigt Künstler seit je. Was die 15 Texte miteinander zu tun haben, die Clemens Meyer zwischen Januar 2006 und September 2007 zu seinem neuen Erzählungsband zusammenfügte, wurde ihrem Autor erst allmählich klar. Die Geschichten, die er in "Die Nacht, die Lichter" versammelt hat, erschienen ihm zwar von Anfang an durchaus als selbständige Texte, zur gleichen Zeit aber auch als "Kosmos, der zusammengehört". Während des Schreibens folgte Meyer daher den Form-Hinweisen, die das, was er schrieb, ihm gab. Er wusste: "Die müssen zusammen funktionieren, da muss sich was kreuzen." Nach Frankfurt war der 1977 geborene Leipziger Schriftsteller gekommen, um für das bei S. Fischer erschienene Buch Werbung zu machen. Gerade hat es ihm den Preis der Leipziger Buchmesse eingetragen, mit Beteiligung des Hessischen Rundfunks ist es mittlerweile auch zu einem Hörbuch geworden. Im völlig überfüllten Foyer des HR-Sendesaals an der Frankfurter Bertramstraße ließ Meyer sich von hr2-Moderator Alf Mentzer aus diesem Anlass auch Äußerungen zu seinem Schreiben entlocken. Dabei findet er das nicht ganz ungefährlich: "Wenn man beginnt, seine eigene Ästhetik auseinanderzuklamüsern, geht sie kaputt."
Trotzdem erklärte er seinen Zuhörern zuvorkommend einige der Leitmotive von "Die Nacht, die Lichter" und berichtete von seinen ersten Lektüre-Erfahrungen. Die seien geprägt gewesen von der "klassischen Abenteuerweltliteratur" - James Fenimore Cooper, Robert Louis Stevenson und Karl May, Friedrich Gerstäcker und B. Traven, später Hemingway und Chandler, schließlich Camus. Um einen Leser in einen Schreiber zu verwandeln, müssten Texte allerdings mehr sein als nur gut gemacht. Sie müssten etwas auslösen, etwas müsse passieren, sei das nun Lachen, Weinen, das Gefühl, auf eine Reise geschickt oder auch nur das Wissen, gut unterhalten zu werden. Texte, die ihre Leser auf diese Weise packen, wirken für Meyer "im Unterbewusstsein und im Unbewussten". Nur eines funktioniere, wolle man Schriftsteller werden, ganz gewiss nicht: "Wenn man sich hinsetzt, um zu lernen, dann wird das nichts."
Er selbst schreibe langsam, poliere "wie ein Wahnsinniger" und achte während des Schreibens darauf, die Dramaturgie des Textes nicht aus den Augen zu verlieren: "Wo führt es hin, wo ist es gerade?" Von einigen der Kategorien, die die Kritiker entwickelt haben, um das Verhalten der unglücklichen Außenseiter aus "Die Nacht, die Lichter" zu beschreiben, hält er wenig. Ihm gehe es nicht um Selbstbetrüger. "Es geht um den Glauben an etwas." Seinen Figuren habe er ihre Illusionen lassen wollen, zum Beispiel dem arbeitslosen Trinker in "Warten auf Südamerika", dem ein alter Freund plötzlich Briefe aus Kuba zu schicken scheint. "Am Ende kommen die Briefe nicht mehr, und er fängt an, die Geschichte im Kopf weiterzudenken. Er hat dadurch eine Hoffnung bekommen, ein Licht, und das ist doch das Entscheidende. Er wird das für immer in seinem Kopf behalten." Wie sein Held glaubt Meyer selbst vor allem an die erhellende Macht von Faktur und Fiktion. "Für mich ist die Kunst das erste - Story, Plot und Stil." Wenn seine Texte so viel transportierten, dass die Leute sagten, er sei ein gesellschaftskritischer Schreiber, habe er allerdings auch nichts dagegen. Eine bestimmte Form gesellschaftlicher Relevanz erwarte er von seinen Geschichten schließlich auch selbst: "Dass sie im Hier und Jetzt spielen."
FLORIAN BALKE
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ina Hartwig geht im Aufmacher der Literaturbeilage ausführlich der Frage nach, ob Clemens Meyer mit den neuen Stories an seinen Debüterfolg anschließen kann und ob die Abwehrhaltung mancher ihrer Kollegen vielleicht im Milieu der "Abstürzenden" zu suchen ist, aus dem der Autor berichtet. Dabei vermutet sie auch ein Missverständnis am Werk, denn die Meyer'sche Dramaturgie der aufflackernden Hoffnung und Desillusion sei gerade nicht philosophisch oder gesellschaftlicher Natur, sondern psychologisch und existenziell, wie es das nicht zu erklärende und von vorne herein hoffnungsferne Grundgefühl der Geschichten beweist, das an den Protagonisten nagt. Man mag sich zwar über die fast repräsentative Auswahl der abstürzenden Figuren wundern, und die Erzählungen sind auch nicht immer von gleich bleibender Qualität, räumt die Rezensentin ein, trotzdem sieht sie einen "phantastischen, geradezu humanen Sinn für die Scham der Sprachlosen" verwirklicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Solche Erzähler braucht das Land!", ruft Rezensent Martin Lüdke begeistert über Clemens Meyers neuen Erzählband aus, dessen Geschichten er als "dicht und realitätsgesättigt" feiert. Auch ist der Blick dieses Autors auf die "einfachen Verhältnisse", über die er schreibt, aus Sicht des Rezensenten nicht durch Larmoyanz getrübt, sein Ton ohne jede Anflüge sozialkritischer Empörung, worin für Lüdke ein Hauptreiz dieser Texte besteht, die ihn aber auch durch ihre erzählerische Ökonomie bestechen. Auch die Art, wie Meyer mit der Schilderung individueller Schicksale aufs große Ganze unserer gegenwärtigen Verhältnisse zielt, beeindruckt den Rezensenten sehr, für den jeder Satz von Clemens Meyer "wie ein Sprengsatz in den Hohlformen der politischen Rhetorik" erscheint. Zwar seien nicht alle dieser fünfzehn Erzählungen "gleichermaßen gelungen". Trotzdem hat Meyer für Lüdke mit diesem Buch die schwere Hürde zum Zweitling nach seinem gefeierten Erstling "Als wir träumten" mit Grandezza genommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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