Auf der Suche nach Dunkelheit in einer Welt des künstlichen Lichts
Die Nacht verschwindet. Über die ganze Erdkugel verteilt sich nachts gleißendes Licht von Straßenlaternen, Wohnhäusern, Tankstellen. Betrachtet man sich die nächtlichen Kontinente unseres Planeten auf Satellitenfotos, scheinen sie in Flammen zu stehen - so viel Licht strahlen sie aus. Das meiste davon ist reine Verschwendung. Unser lichtgesättigtes Zeitalter ermöglicht uns kaum noch die Vorstellung von einer Zeit, in der die Nacht wirklich dunkel war. Schon heute erleben rund zwei Drittel aller Amerikaner und Europäer keine wirkliche Nacht mehr oder wohnen in einer Region, die als lichtverschmutzt gilt. Dabei ist die natürliche Dunkelheit der Nacht unerlässlich für unsere Gesundheit und die aller Lebewesen.
Paul Bogard begibt sich - vom hellsten bis zum dunkelsten Punkt der Erde - auf eine faszinierende Suche nach natürlicher Dunkelheit in einer Welt, die durch zunehmende Elektrifizierung immer heller wird.
Die Nacht verschwindet. Über die ganze Erdkugel verteilt sich nachts gleißendes Licht von Straßenlaternen, Wohnhäusern, Tankstellen. Betrachtet man sich die nächtlichen Kontinente unseres Planeten auf Satellitenfotos, scheinen sie in Flammen zu stehen - so viel Licht strahlen sie aus. Das meiste davon ist reine Verschwendung. Unser lichtgesättigtes Zeitalter ermöglicht uns kaum noch die Vorstellung von einer Zeit, in der die Nacht wirklich dunkel war. Schon heute erleben rund zwei Drittel aller Amerikaner und Europäer keine wirkliche Nacht mehr oder wohnen in einer Region, die als lichtverschmutzt gilt. Dabei ist die natürliche Dunkelheit der Nacht unerlässlich für unsere Gesundheit und die aller Lebewesen.
Paul Bogard begibt sich - vom hellsten bis zum dunkelsten Punkt der Erde - auf eine faszinierende Suche nach natürlicher Dunkelheit in einer Welt, die durch zunehmende Elektrifizierung immer heller wird.
"Paul Bogards Plädoyer überzeugt: Der Lichtverschmutzung muss Einhalt geboten werden ..." Anne Kohlick, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2014Wo geht's hier zur Milchstraße?
Unsere Angst vor der Dunkelheit entbehrt zu großen Teilen rationaler Grundlagen: Paul Bogard plädiert gegen die Lichtverschmutzung und für ein neues Bewusstsein gegenüber der Dunkelheit.
Ein Lichtstrahl, heller als vierzig Milliarden Kerzen, schießt von der Spitze der schwarzen Pyramide des Luxor-Casinos in den Nachthimmel über Las Vegas. Abertausende Motten tanzen im Schein dieses stärksten künstlichen Lichts auf Erden. Um die Nachtfalter zu jagen, sind Fledermäuse und Vögel weite Strecken aus der Wüste geflogen: so weit, dass ihnen oft die Kraft fehlt für die Rückkehr in ihren natürlichen Lebensraum. Ihre Jungen verhungern. Ein ganzes Ökosystem gerät durcheinander, weil die Nacht nicht mehr dunkel ist - am wenigsten in Las Vegas, dem grellsten Ort der Welt.
Hier beginnt Paul Bogard, Professor für Englisch an der Wake Forest University in North Carolina, seine Reise durch die Nacht. Vom hellsten Ort führt sie ihn in die dunkelsten Gegenden der Vereinigten Staaten, zu Treffen mit Astronomen, Naturschützern, Lichtdesignern, Nachtarbeitern. Seine Erlebnisse und Begegnungen hat Bogard in einem sehr persönlich gehaltenen Buch festgehalten.
Bogard erzählt aus der Ich-Perspektive: wie er sich als Kind vor der Dunkelheit fürchtete und wie er sie als Teenager lieben lernte; wie er bei einer Reise nach Marokko in einer sternklaren Nacht glaubte, in einen Schneesturm geraten zu sein - ein Achtzehnjähriger, der sich fühlt, als stünde er mitten zwischen den Sternen. Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen, in denen Bogard beobachtet hat, wie die Nächte in seiner Heimat Minneapolis heller und heller wurden. Und nicht nur dort, sondern überall: "Betrachtet man sich die nächtlichen Kontinente unseres Planeten auf Fotos, die von einem Satelliten geschossen wurden, dann scheinen sie in Flammen zu stehen. Über die ganze Erdkugel verteilt sich das gleißende Licht von Straßenlaternen, Parkplätzen, Tankstellen, Shoppingcentern, Sportstadien, Bürohäusern, Wohnhäusern."
Das hat Konsequenzen - laut Bogard vor allem negative. Einen Großteil der künstlichen Beleuchtung hält er für überflüssig. Sie verschwende Energie, blende Menschen und strahle in den Nachthimmel, der deshalb in großen Städten kaum noch dunkel werde. "Schon heute erleben rund zwei Drittel aller Amerikaner und Europäer keine wirkliche Nacht, keine echte Dunkelheit mehr."
Um zu messen, wie lichtverschmutzt ein Ort ist, hat der Astronom John E. Bortle 2001 eine Skala entwickelt, die ohne optische Hilfsmittel anwendbar ist. Der hellste Nachthimmel entspricht auf der Bortle-Skala der Klasse 9, der dunkelste der Klasse 1. Sind wenige Sterne zu sehen und ist der Himmel gräulich verfärbt, macht das bestenfalls Klasse 6. Die Milchstraße ist erst bei geringerer Lichtverschmutzung zu erkennen. Darauf hat man nur noch auf dem Land eine Chance - doch auch von dort aus sind die Lichtkuppeln über den Ballungsgebieten immer deutlicher zu sehen. Bogard prognostiziert: "Acht von zehn heute in Amerika geborenen Kindern ... werden nie eine Nacht kennenlernen, die dunkel genug ist, um die Milchstraße zu sehen."
Doch das ist nicht die schlimmste Folge der künstlichen Beleuchtung, vor der Bogard warnt. "Jedes Geschöpf leidet unter dem Verlust der Nacht." Damit meint er Tiere - wie die Motten und Fledermäuse im Lichtstrahl der Luxorpyramide -, aber auch den Menschen. Nachdem sich unsere Spezies "über Millionen Jahre hinweg während heller Tage und dunkler Nächte entwickelt hat, wurde dieser uralte Rhythmus binnen nur eines runden Jahrhunderts durchbrochen". Da verwundert es nicht, dass die permanente Überflutung mit elektrischem Licht unseren Körper durcheinanderbringt.
Am schlimmsten sind Menschen betroffen, die nachts arbeiten müssen: Sie haben nicht nur mit Schlafstörungen zu kämpfen, sondern bekommen auch häufiger Magengeschwüre, Depressionen und Krebs. Die karzinogene Wirkung der Nachtarbeit hängt mit dem Hormon Melatonin zusammen, das der Körper nur im Dunkeln produzieren kann. Studien haben ergeben, dass melatoninreiches Blut Tumorwachstum bei Versuchstieren stoppen kann. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer nachts permanent elektrischem Licht ausgesetzt ist, der geht ein erhöhtes Risiko ein, an Krebs zu erkranken. Mondlicht, Kerzenlicht oder der Schein eines offenen Feuers behindern die Melatoninproduktion dagegen nicht.
Was sollten wir also tun? Die Nacht wieder schätzen lernen, sagt Bogard. "Die Geschichte der abendländischen Kultur ist angefüllt von Versuchen, Wildheit auszurotten - das Unbekannte, das Geheimnisvolle, das Dunkle." Das sei ein Fehler, dessen Tragweite wir noch nicht begriffen hätten.
In seinem Buch versucht Bogard, ein neues Bewusstsein für die Nacht zu schaffen. Hartnäckig widerlegt er Klischees, etwa, dass mehr öffentliche Beleuchtung für mehr Sicherheit bei Nacht sorge. Das Gegenteil sei der Fall: "Verbrecher lieben das Licht, weil es ihnen erlaubt, sich ihre Opfer auszusuchen, ihre Fluchtrouten zu planen und ihren Arbeitsbereich zu sehen." Unsere Angst vor der Dunkelheit entbehrt zu großen Teilen rationaler Grundlagen. "Die Tatsache, dass alljährlich vierzigtausend Amerikaner allein bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen, lehrt uns keine Furcht vor dem Autofahren, aber eine einzige Vergewaltigung oder ein einziger Mord dient uns als Bestätigungen unserer Ängste vor dem Dunkel der Nacht." Unserer begrenzten Sehfähigkeit im Dunkeln steht eben eine allzu ausgeprägte Phantasie gegenüber.
Die dürfe aber nicht der Grund sein, unsere Welt in der Nacht mit nutzlosem Licht zu überfluten. Paul Bogards Plädoyer überzeugt: Der Lichtverschmutzung muss Einhalt geboten werden, mit Gesetzen für öffentliche Beleuchtungen, mit Straßenlaternen, die per Bewegungsmelder an- und ausgehen, mit Lampen, die nur so stark leuchten, wie es nötig ist. Alle anderen müssen weg. Nur so kann der Blick auf die Milchstraße für zukünftige Generationen erhalten bleiben.
ANNE KOHLICK
Paul Bogard: "Die Nacht". Reise in eine verschwindende Welt. Aus dem Amerikanischen von Yvonne Badal. Karl Blessing Verlag, München 2014. 368 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unsere Angst vor der Dunkelheit entbehrt zu großen Teilen rationaler Grundlagen: Paul Bogard plädiert gegen die Lichtverschmutzung und für ein neues Bewusstsein gegenüber der Dunkelheit.
Ein Lichtstrahl, heller als vierzig Milliarden Kerzen, schießt von der Spitze der schwarzen Pyramide des Luxor-Casinos in den Nachthimmel über Las Vegas. Abertausende Motten tanzen im Schein dieses stärksten künstlichen Lichts auf Erden. Um die Nachtfalter zu jagen, sind Fledermäuse und Vögel weite Strecken aus der Wüste geflogen: so weit, dass ihnen oft die Kraft fehlt für die Rückkehr in ihren natürlichen Lebensraum. Ihre Jungen verhungern. Ein ganzes Ökosystem gerät durcheinander, weil die Nacht nicht mehr dunkel ist - am wenigsten in Las Vegas, dem grellsten Ort der Welt.
Hier beginnt Paul Bogard, Professor für Englisch an der Wake Forest University in North Carolina, seine Reise durch die Nacht. Vom hellsten Ort führt sie ihn in die dunkelsten Gegenden der Vereinigten Staaten, zu Treffen mit Astronomen, Naturschützern, Lichtdesignern, Nachtarbeitern. Seine Erlebnisse und Begegnungen hat Bogard in einem sehr persönlich gehaltenen Buch festgehalten.
Bogard erzählt aus der Ich-Perspektive: wie er sich als Kind vor der Dunkelheit fürchtete und wie er sie als Teenager lieben lernte; wie er bei einer Reise nach Marokko in einer sternklaren Nacht glaubte, in einen Schneesturm geraten zu sein - ein Achtzehnjähriger, der sich fühlt, als stünde er mitten zwischen den Sternen. Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen, in denen Bogard beobachtet hat, wie die Nächte in seiner Heimat Minneapolis heller und heller wurden. Und nicht nur dort, sondern überall: "Betrachtet man sich die nächtlichen Kontinente unseres Planeten auf Fotos, die von einem Satelliten geschossen wurden, dann scheinen sie in Flammen zu stehen. Über die ganze Erdkugel verteilt sich das gleißende Licht von Straßenlaternen, Parkplätzen, Tankstellen, Shoppingcentern, Sportstadien, Bürohäusern, Wohnhäusern."
Das hat Konsequenzen - laut Bogard vor allem negative. Einen Großteil der künstlichen Beleuchtung hält er für überflüssig. Sie verschwende Energie, blende Menschen und strahle in den Nachthimmel, der deshalb in großen Städten kaum noch dunkel werde. "Schon heute erleben rund zwei Drittel aller Amerikaner und Europäer keine wirkliche Nacht, keine echte Dunkelheit mehr."
Um zu messen, wie lichtverschmutzt ein Ort ist, hat der Astronom John E. Bortle 2001 eine Skala entwickelt, die ohne optische Hilfsmittel anwendbar ist. Der hellste Nachthimmel entspricht auf der Bortle-Skala der Klasse 9, der dunkelste der Klasse 1. Sind wenige Sterne zu sehen und ist der Himmel gräulich verfärbt, macht das bestenfalls Klasse 6. Die Milchstraße ist erst bei geringerer Lichtverschmutzung zu erkennen. Darauf hat man nur noch auf dem Land eine Chance - doch auch von dort aus sind die Lichtkuppeln über den Ballungsgebieten immer deutlicher zu sehen. Bogard prognostiziert: "Acht von zehn heute in Amerika geborenen Kindern ... werden nie eine Nacht kennenlernen, die dunkel genug ist, um die Milchstraße zu sehen."
Doch das ist nicht die schlimmste Folge der künstlichen Beleuchtung, vor der Bogard warnt. "Jedes Geschöpf leidet unter dem Verlust der Nacht." Damit meint er Tiere - wie die Motten und Fledermäuse im Lichtstrahl der Luxorpyramide -, aber auch den Menschen. Nachdem sich unsere Spezies "über Millionen Jahre hinweg während heller Tage und dunkler Nächte entwickelt hat, wurde dieser uralte Rhythmus binnen nur eines runden Jahrhunderts durchbrochen". Da verwundert es nicht, dass die permanente Überflutung mit elektrischem Licht unseren Körper durcheinanderbringt.
Am schlimmsten sind Menschen betroffen, die nachts arbeiten müssen: Sie haben nicht nur mit Schlafstörungen zu kämpfen, sondern bekommen auch häufiger Magengeschwüre, Depressionen und Krebs. Die karzinogene Wirkung der Nachtarbeit hängt mit dem Hormon Melatonin zusammen, das der Körper nur im Dunkeln produzieren kann. Studien haben ergeben, dass melatoninreiches Blut Tumorwachstum bei Versuchstieren stoppen kann. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer nachts permanent elektrischem Licht ausgesetzt ist, der geht ein erhöhtes Risiko ein, an Krebs zu erkranken. Mondlicht, Kerzenlicht oder der Schein eines offenen Feuers behindern die Melatoninproduktion dagegen nicht.
Was sollten wir also tun? Die Nacht wieder schätzen lernen, sagt Bogard. "Die Geschichte der abendländischen Kultur ist angefüllt von Versuchen, Wildheit auszurotten - das Unbekannte, das Geheimnisvolle, das Dunkle." Das sei ein Fehler, dessen Tragweite wir noch nicht begriffen hätten.
In seinem Buch versucht Bogard, ein neues Bewusstsein für die Nacht zu schaffen. Hartnäckig widerlegt er Klischees, etwa, dass mehr öffentliche Beleuchtung für mehr Sicherheit bei Nacht sorge. Das Gegenteil sei der Fall: "Verbrecher lieben das Licht, weil es ihnen erlaubt, sich ihre Opfer auszusuchen, ihre Fluchtrouten zu planen und ihren Arbeitsbereich zu sehen." Unsere Angst vor der Dunkelheit entbehrt zu großen Teilen rationaler Grundlagen. "Die Tatsache, dass alljährlich vierzigtausend Amerikaner allein bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen, lehrt uns keine Furcht vor dem Autofahren, aber eine einzige Vergewaltigung oder ein einziger Mord dient uns als Bestätigungen unserer Ängste vor dem Dunkel der Nacht." Unserer begrenzten Sehfähigkeit im Dunkeln steht eben eine allzu ausgeprägte Phantasie gegenüber.
Die dürfe aber nicht der Grund sein, unsere Welt in der Nacht mit nutzlosem Licht zu überfluten. Paul Bogards Plädoyer überzeugt: Der Lichtverschmutzung muss Einhalt geboten werden, mit Gesetzen für öffentliche Beleuchtungen, mit Straßenlaternen, die per Bewegungsmelder an- und ausgehen, mit Lampen, die nur so stark leuchten, wie es nötig ist. Alle anderen müssen weg. Nur so kann der Blick auf die Milchstraße für zukünftige Generationen erhalten bleiben.
ANNE KOHLICK
Paul Bogard: "Die Nacht". Reise in eine verschwindende Welt. Aus dem Amerikanischen von Yvonne Badal. Karl Blessing Verlag, München 2014. 368 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Paul Bogards Plädoyer hat Anne Kohlick überzeugt vom Wert der Dunkelheit. Was der Englisch-Professor hier unternimmt, ist für Kohlick zwar ein dezidiert subjektiver Versuch, nämlich anhand eigener Erlebnisse und Begegnungen, etwa mit Naturschützern und Lichtdesignern, das Licht von der Finsternis zu scheiden. Doch was künstliche Beleuchtung dem Menschen antut, vermag die Rezensentin dem Buch dennoch zu entnehmen. Mit Entsetzen erfährt sie vom Autor über das erhöhte Krebsrisiko bei Nachtarbeitern und das Ammenmärchen von der Sicherheit durch mehr Licht. Das Wort Lichtverschmutzung hat für Kohlick nach der Lektüre einen eindringlicheren Klang.
© Perlentaucher Medien GmbH
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