Eigentlich ist die Nachtigall ein unscheinbarer kleiner, brauner Vogel. Von Aussehen, Gewicht, Verhalten absoluter Durchschnitt. Doch wenn die Männchen in lauen Frühlingsnächten zu singen anfangen, dann schlagen die Herzen der Verliebten ebenso höher wie die der Ornithologen. Denn der Gesang der Nachtigall ist alles andere als Durchschnitt und stellt in seiner Komplexität mit sage und schreibe zweihundert verschiedenen Strophentypen den anderer Singvögel komplett in den Schatten. Doch was singt die Nachtigall eigentlich und warum? Und was sahen Generationen von Dichtern und Komponisten in ihrem Gesang? Die Biologin Silke Kipper beforscht die Nachtigall seit mehr als zwanzig Jahren, sie hat unzählige Frühlingsnächte lauschend in Berliner Parks verbracht und geht in ihrem Buch dem Nachtigallengesang und unserer Faszination daran auf den Grund.
Ein kenntnisreiches und doch leichtfüßiges Porträt des wohl beliebtesten Singvogels, seines Gesangs, und zugleich ein fundierter Einblick in die Nachtigallforschung und -rezeption.
Ein kenntnisreiches und doch leichtfüßiges Porträt des wohl beliebtesten Singvogels, seines Gesangs, und zugleich ein fundierter Einblick in die Nachtigallforschung und -rezeption.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke empfiehlt Liebhabern der Nachtigall das Buch der Biologin Silke Kipper. Über Verhalten und Gesang des Fliegenschnäppers lernt der Leser hier allerhand, versichert Spanke. Dass die Autorin ihr umfangreiches Wissen zudem witzig und ohne Längen zu vermitteln weiß, macht die Sache für Spanke noch besser. Mit überkommenen "moralischen Vorstellungen" zur Monogamie der Nachtigall räumt die Autorin allerdings auf, warnt Spanke.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2022Laut wie eine Holzfräse
Silke Kipper porträtiert die Nachtigall
Dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo: Quio tr rrrrrrr itz. Lü lü lü lü ly ly ly ly li li li li. Quio didl li lülyli. Und, haben Sie gleich erkannt, worum es sich hier handelt? Dem Naturforscher Johann Matthäus Bechstein zufolge klingt so "Das Lied der Nachtigall". Eine, das wird man sagen dürfen, gewagte Transkription. Immer wieder haben Vogelfreunde versucht, die Laute der Nachtigall in eine passende Buchstabenfolge zu überführen, immer wieder haftete den Bestrebungen etwas Halbgares an.
Die Biologin Silke Kipper hat nun ein Buch über die in Sagen und Literatur prominent vertretene Art aus der Familie der Fliegenschnäpper vorgelegt. Wer sich über deren Zugverhalten, Lernfähigkeit, kulturellen Status und Gesangstalent in möglichst kurzweiliger und streckenweise sehr witziger Form informieren will, wird keine bessere Quelle finden. Seit zwanzig Jahren forscht Kipper über diesen, man darf es nicht verschweigen, in mancher Hinsicht durchschnittlichen Singvogel: Die Nachtigall ist intensiver gefärbt als der Fitis, aber bei weitem nicht so prächtig wie der Gimpel. Sie erreicht das Brutgebiet nach dem Hausrotschwanz, aber früher als der Mauersegler. Sie ist seltener als die Amsel, verglichen mit der Zippammer jedoch allgegenwärtig.
Auch die Zahl "außerehelicher" Nachkommen pro Nest liegt bei ihr im mittleren Bereich. Vor dreißig Jahren haben Wissenschaftler mit klaren moralischen Vorstellungen der Nachtigall noch eine "monogame Saisonehe" unterstellt, tatsächlich sehen die Verhältnisse laut Kipper allerdings anders aus: "Eine Untersuchung der Verwandtschaft von 65 potenziellen Vätern und über hundert Küken ergab, dass etwa jedes fünfte Küken nicht von seinem sozialen Vater, also dem Fütterer am Nest, gezeugt worden war."
Dass der unscheinbare Vogel so beliebt ist, verdankt sich natürlich seinem Gesang, der mit bis zu neunzig Dezibel die Lautstärke einer Holzfräse erreichen kann und aus etwa hundertachtzig Strophentypen besteht. Jede Strophe setzt sich wiederum aus vier Teilen zusammen. Den Anfang machen leise Schmatzgeräusche. Anschließend werden kräftigere Elemente in kontrastierenden Tonlagen dargeboten, die zum Herzstück überleiten, bei dem die Nachtigall zackig-kraftvolle Schläge abfeuert. Zum Schluss spendiert sie den Zuhörern noch eine einzelne hochfrequente Komponente. Übrigens trägt der Vogel seine Strophen "jedes Mal auf dieselbe Art und Weise vor". Er verfügt, mit anderen Worten, über eine enorme Palette, bringt diese aber stereotyp zu Gehör.
Kipper hat zahllose Nachtigallen in Berlin aufgenommen und deren digital generierte Klangbilder analysiert. Ein erhobener Befund ist etwa, dass mehr Ordnung in der Gesangssequenz mit einer stärkeren Beteiligung bei der Versorgung der Jungen korreliert. Von solchen Erkenntnissen konnte Johann Matthäus Bechstein beim Verfassen seiner Dada-Transkription nur träumen. KAI SPANKE
Silke Kipper: "Die Nachtigall". Ein legendärer Vogel und sein Gesang.
Insel Verlag, Berlin 2022. 176 S., Abb., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Silke Kipper porträtiert die Nachtigall
Dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo: Quio tr rrrrrrr itz. Lü lü lü lü ly ly ly ly li li li li. Quio didl li lülyli. Und, haben Sie gleich erkannt, worum es sich hier handelt? Dem Naturforscher Johann Matthäus Bechstein zufolge klingt so "Das Lied der Nachtigall". Eine, das wird man sagen dürfen, gewagte Transkription. Immer wieder haben Vogelfreunde versucht, die Laute der Nachtigall in eine passende Buchstabenfolge zu überführen, immer wieder haftete den Bestrebungen etwas Halbgares an.
Die Biologin Silke Kipper hat nun ein Buch über die in Sagen und Literatur prominent vertretene Art aus der Familie der Fliegenschnäpper vorgelegt. Wer sich über deren Zugverhalten, Lernfähigkeit, kulturellen Status und Gesangstalent in möglichst kurzweiliger und streckenweise sehr witziger Form informieren will, wird keine bessere Quelle finden. Seit zwanzig Jahren forscht Kipper über diesen, man darf es nicht verschweigen, in mancher Hinsicht durchschnittlichen Singvogel: Die Nachtigall ist intensiver gefärbt als der Fitis, aber bei weitem nicht so prächtig wie der Gimpel. Sie erreicht das Brutgebiet nach dem Hausrotschwanz, aber früher als der Mauersegler. Sie ist seltener als die Amsel, verglichen mit der Zippammer jedoch allgegenwärtig.
Auch die Zahl "außerehelicher" Nachkommen pro Nest liegt bei ihr im mittleren Bereich. Vor dreißig Jahren haben Wissenschaftler mit klaren moralischen Vorstellungen der Nachtigall noch eine "monogame Saisonehe" unterstellt, tatsächlich sehen die Verhältnisse laut Kipper allerdings anders aus: "Eine Untersuchung der Verwandtschaft von 65 potenziellen Vätern und über hundert Küken ergab, dass etwa jedes fünfte Küken nicht von seinem sozialen Vater, also dem Fütterer am Nest, gezeugt worden war."
Dass der unscheinbare Vogel so beliebt ist, verdankt sich natürlich seinem Gesang, der mit bis zu neunzig Dezibel die Lautstärke einer Holzfräse erreichen kann und aus etwa hundertachtzig Strophentypen besteht. Jede Strophe setzt sich wiederum aus vier Teilen zusammen. Den Anfang machen leise Schmatzgeräusche. Anschließend werden kräftigere Elemente in kontrastierenden Tonlagen dargeboten, die zum Herzstück überleiten, bei dem die Nachtigall zackig-kraftvolle Schläge abfeuert. Zum Schluss spendiert sie den Zuhörern noch eine einzelne hochfrequente Komponente. Übrigens trägt der Vogel seine Strophen "jedes Mal auf dieselbe Art und Weise vor". Er verfügt, mit anderen Worten, über eine enorme Palette, bringt diese aber stereotyp zu Gehör.
Kipper hat zahllose Nachtigallen in Berlin aufgenommen und deren digital generierte Klangbilder analysiert. Ein erhobener Befund ist etwa, dass mehr Ordnung in der Gesangssequenz mit einer stärkeren Beteiligung bei der Versorgung der Jungen korreliert. Von solchen Erkenntnissen konnte Johann Matthäus Bechstein beim Verfassen seiner Dada-Transkription nur träumen. KAI SPANKE
Silke Kipper: "Die Nachtigall". Ein legendärer Vogel und sein Gesang.
Insel Verlag, Berlin 2022. 176 S., Abb., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Wer sich über das Zugverhalten, Lernfähigkeit, kulturellen Status und Gesangstalent [der Nachtigall] in möglichst kurzweiliger und streckenweise sehr witziger Form informieren will, wird keine bessere Quelle finden.« Kai Spanke Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220909