In diesem Roman geht es um Dinge wie Moral und Gerechtigkeit, die Unvollkommenheit des Lebens wie des Gesetzes, um das Wirken des Schicksals und die Macht der Liebe: In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts treffen zwei Männer im australischen Busch aufeinander. Einer der beiden ist ein Outlaw, der als einziger Überlebender seiner Bande am nächsten Morgen gehenkt werden soll, der andere ein Polizeioffizier, der die Hinrichtung überwachen soll. In dieser Nacht erzählen sie sich ihr Leben und es entsteht eine seltsam vertraute Beziehung zwischen dem Todgeweihten und dem Mann, der das Gesetz vertritt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.1998Das atmende Herz
Ziemlich heftig: David Malouf läßt ein Dampfbad der Gefühle ein
Die Nacht vor einer Hinrichtung. Der Gefangene, der Letzte der Bande von Gesetzlosen, wartet in seinem Verschlag auf den Morgen. Drei Soldaten sitzen am Feuer und vertreiben sich die Zeit mit Geschichten und Streiterei. Ein Offizier trifft aus der Stadt ein, um das Standgericht abzusegnen. David Maloufs Roman spielt um das Jahr 1827 in Australien, am Rande des damals erschlossenen Gebiets. Und wenn er auch in Rückblicken weit in die Vergangenheit seiner Figuren greift, so ist "Die Nachtwache am Curlow Creek" doch auf diesen Moment der Begegnung hin geschrieben.
Michael Adair, der Offizier, ist schon ein komischer Kauz. So sehen es jedenfalls die drei Soldaten. Statt sich zu ihnen ans Feuer zu setzen, verbringt er die Nacht in der stinkenden Hütte und unterzieht den Gefangenen einem Verhör, das sinnlos scheint, denn seine Komplizen sind doch schon alle tot. Es wird auch kein richtiges Verhör. Adair hat persönliche Motive. Der Gefangene ist ein Landsmann, Ire; und seine Wildheit erinnert Adair an seinen eigenen Adoptivbruder Fergus, der in Australien verschollen ist. Er könnte ihn sogar gekannt haben. Denn Dolan, der ehemalige Anführer der Bande, scheint Fergus mehr als ähnlich gewesen zu sein. Ob die beiden identisch sind, bleibt bis zum Ende ungewiß. Ebensowenig erfahren wir, ob Adair die Hinrichtung durchführt oder seinen Gefangenen laufenläßt, wie man es sich später in der Gegend erzählen wird.
Eine amerikanische Rezensentin hat ein altes Lied entdeckt, das "Die Nachtwache am Curlow Creek" inspiriert haben könnte. Es heißt "The Wild Colonial Boy" und handelt davon, wie ein gewisser Doolan oder Dolan von Irland nach Australien aufbricht und dort als edelmütiger Gesetzloser im Stile Robin Hoods Furore macht, bis drei Soldaten ihn stellen und erschießen. Ohne postmoderne Aufdringlichkeiten preist Malouf in diesem Buch das wilde Erzählen als Vermittler zwischen Leben und Literatur: "Diese jungen Männer waren nach der Unterbrechung durch rüdes Spiel und männliche Streitlust zum Geschichtenerzählen zurückgekehrt und damit zu einer beschaulicheren Version ihrer selbst, die, dachte Adair, sich in tiefer Nacht am Schein eines Feuers einstellte, um das im Schweben gehaltene Ich eines Mannes in das atmende Herz der Dinge zu führen."
David Malouf, Jahrgang 1934, zählt zu den bekanntesten Autoren der australischen Gegenwartsliteratur. Und wie viele Lyriker liebt er in der Prosa jene überlangen Sätze von sechzig, siebzig Wörtern und mehr, die andeuten und auswalzen, die absetzen und wieder anheben, bis die Worte zu einem hypnotischen Singsang verlaufen, an dessen Ende man sich nicht mehr erinnert, womit sie überhaupt begonnen haben. Adelheid Dormagen hat das Buch stimmungsvoll übersetzt. Nur die Umgangssprache klingt bei ihr oft zu elaboriert ("Einige Leute stimmte das freundlicher ihm gegenüber").
Man muß David Maloufs Stil nicht mögen. Aber man kommt doch kaum umhin, seine Eleganz zu bewundern. Eindeutige Schwächen zeigt dieses Buch nur bei seinen Versuchen, Einblicke in das Seelenleben der Figuren zu geben. Die Charakterzeichnungen, auf die sich der Autor sichtlich etwas zugute hält, sind eher opulente, nur selten nuancierte Gemälde. Die Vielzahl oft intimer Details kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier nur Skizzen, nicht Menschen Modell gestanden haben. Am Ende scheint es allein darum zu gehen, ob man Cowboy sein will oder Indianer. Denn nach diesen beiden Polen richten sich alle Gegensätze dieses Werks aus: Irland und Australien, sauber und schmutzig, zahm und wild, Wahrheit und Mythos, Reflexion und Leidenschaft, Mann und Mann.
Die Spannung zwischen den Protagonisten ist so stark, daß man bisweilen glaubt, in eine recht eigenwillige erotische Phantasie geraten zu sein. Und diese Erotik ist nicht von der knisternden, sondern entschieden von der dampfenden Art. Besonders gern kommt der ansonsten zartfühlende Erzähler auf die Ausdünstungen seiner Figuren zu sprechen. Spielte das Buch in der Gegenwart, wären die beiden wahrscheinlich in einem Aufzug steckengeblieben. Alles schwitzt in diesem Buch. Adair und sein Gefangener schwitzen in ihrer Hütte. Der Erzähler schwitzt über der Intensität seiner Schilderungen. Und auch der Leser möchte sich nach der Lektüre lieber ein frisches Hemd anziehen. MICHAEL ALLMAIER
David Malouf: "Die Nachtwache am Curlow Creek". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Adelheid Dormagen. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1997. 264 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ziemlich heftig: David Malouf läßt ein Dampfbad der Gefühle ein
Die Nacht vor einer Hinrichtung. Der Gefangene, der Letzte der Bande von Gesetzlosen, wartet in seinem Verschlag auf den Morgen. Drei Soldaten sitzen am Feuer und vertreiben sich die Zeit mit Geschichten und Streiterei. Ein Offizier trifft aus der Stadt ein, um das Standgericht abzusegnen. David Maloufs Roman spielt um das Jahr 1827 in Australien, am Rande des damals erschlossenen Gebiets. Und wenn er auch in Rückblicken weit in die Vergangenheit seiner Figuren greift, so ist "Die Nachtwache am Curlow Creek" doch auf diesen Moment der Begegnung hin geschrieben.
Michael Adair, der Offizier, ist schon ein komischer Kauz. So sehen es jedenfalls die drei Soldaten. Statt sich zu ihnen ans Feuer zu setzen, verbringt er die Nacht in der stinkenden Hütte und unterzieht den Gefangenen einem Verhör, das sinnlos scheint, denn seine Komplizen sind doch schon alle tot. Es wird auch kein richtiges Verhör. Adair hat persönliche Motive. Der Gefangene ist ein Landsmann, Ire; und seine Wildheit erinnert Adair an seinen eigenen Adoptivbruder Fergus, der in Australien verschollen ist. Er könnte ihn sogar gekannt haben. Denn Dolan, der ehemalige Anführer der Bande, scheint Fergus mehr als ähnlich gewesen zu sein. Ob die beiden identisch sind, bleibt bis zum Ende ungewiß. Ebensowenig erfahren wir, ob Adair die Hinrichtung durchführt oder seinen Gefangenen laufenläßt, wie man es sich später in der Gegend erzählen wird.
Eine amerikanische Rezensentin hat ein altes Lied entdeckt, das "Die Nachtwache am Curlow Creek" inspiriert haben könnte. Es heißt "The Wild Colonial Boy" und handelt davon, wie ein gewisser Doolan oder Dolan von Irland nach Australien aufbricht und dort als edelmütiger Gesetzloser im Stile Robin Hoods Furore macht, bis drei Soldaten ihn stellen und erschießen. Ohne postmoderne Aufdringlichkeiten preist Malouf in diesem Buch das wilde Erzählen als Vermittler zwischen Leben und Literatur: "Diese jungen Männer waren nach der Unterbrechung durch rüdes Spiel und männliche Streitlust zum Geschichtenerzählen zurückgekehrt und damit zu einer beschaulicheren Version ihrer selbst, die, dachte Adair, sich in tiefer Nacht am Schein eines Feuers einstellte, um das im Schweben gehaltene Ich eines Mannes in das atmende Herz der Dinge zu führen."
David Malouf, Jahrgang 1934, zählt zu den bekanntesten Autoren der australischen Gegenwartsliteratur. Und wie viele Lyriker liebt er in der Prosa jene überlangen Sätze von sechzig, siebzig Wörtern und mehr, die andeuten und auswalzen, die absetzen und wieder anheben, bis die Worte zu einem hypnotischen Singsang verlaufen, an dessen Ende man sich nicht mehr erinnert, womit sie überhaupt begonnen haben. Adelheid Dormagen hat das Buch stimmungsvoll übersetzt. Nur die Umgangssprache klingt bei ihr oft zu elaboriert ("Einige Leute stimmte das freundlicher ihm gegenüber").
Man muß David Maloufs Stil nicht mögen. Aber man kommt doch kaum umhin, seine Eleganz zu bewundern. Eindeutige Schwächen zeigt dieses Buch nur bei seinen Versuchen, Einblicke in das Seelenleben der Figuren zu geben. Die Charakterzeichnungen, auf die sich der Autor sichtlich etwas zugute hält, sind eher opulente, nur selten nuancierte Gemälde. Die Vielzahl oft intimer Details kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier nur Skizzen, nicht Menschen Modell gestanden haben. Am Ende scheint es allein darum zu gehen, ob man Cowboy sein will oder Indianer. Denn nach diesen beiden Polen richten sich alle Gegensätze dieses Werks aus: Irland und Australien, sauber und schmutzig, zahm und wild, Wahrheit und Mythos, Reflexion und Leidenschaft, Mann und Mann.
Die Spannung zwischen den Protagonisten ist so stark, daß man bisweilen glaubt, in eine recht eigenwillige erotische Phantasie geraten zu sein. Und diese Erotik ist nicht von der knisternden, sondern entschieden von der dampfenden Art. Besonders gern kommt der ansonsten zartfühlende Erzähler auf die Ausdünstungen seiner Figuren zu sprechen. Spielte das Buch in der Gegenwart, wären die beiden wahrscheinlich in einem Aufzug steckengeblieben. Alles schwitzt in diesem Buch. Adair und sein Gefangener schwitzen in ihrer Hütte. Der Erzähler schwitzt über der Intensität seiner Schilderungen. Und auch der Leser möchte sich nach der Lektüre lieber ein frisches Hemd anziehen. MICHAEL ALLMAIER
David Malouf: "Die Nachtwache am Curlow Creek". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Adelheid Dormagen. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1997. 264 S., geb., 39,80 DM.
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