Nachts in der damals größten Stadt der Welt - und Augenzeuge, als die Revolution ausbricht. Ein Standardwerk der Paris-Literatur, der Großstadt- und der Revolutionsreportage.
Zwanzig Jahre lang hat der »Nächtliche Zuschauer« Rétif de la Bretonne damit zugebracht, nach Sonnenuntergang die damals größte Stadt der Welt zu erkunden: Paris. In einem an Tausendundeine Nacht erinnernden Rahmen präsentiert er die merkwürdigsten seiner Erlebnisse und Begegnungen den Lesern. Grabräuber - Bücherschmuggel in Gemüsegärten - Die bedrängte Frau - Der Geräderte - Fleißige Nichtstuer - Der Plakatabreißer - Das Geheimnis der Waschfrauen - Der nützliche Spion - Der Zeittotschläger - Die ersten Ballons - Tumult und Radau: Schon eine kleine Auswahl aus dem Inhaltsverzeichnis lässt erahnen, was für ein Schatz an Geschichten und Beobachtungen hier zusammengekommen ist.
Im Dezember 1788 erscheinen die ersten zwölf Bände dieses Riesenwerks, zwei weitere folgen im April 1789. Da spürt Rétif schon, wie sich in der Metropole neuer Stoff zu sammeln beginnt, Zündstoff für die Weltgeschichte. Er ist beim Ausbruch der Revolution selbst mit dabei. Von der Bastille kommt ihm eine Gruppe von Revolutionären mit den aufgespießten Köpfen des letzten Gouverneurs dieses Gefängnisses und des eben noch amtierenden Bürgermeisters von Paris entgegen. Er wird in den nächsten Jahren immer wieder Augenzeuge von Mord und Zerstörung, von Phasen des Glücks- und Freudentaumels, von Gräueltaten, Massakern, Hinrichtungen - und setzt sein Buch fort.
Zwanzig Jahre lang hat der »Nächtliche Zuschauer« Rétif de la Bretonne damit zugebracht, nach Sonnenuntergang die damals größte Stadt der Welt zu erkunden: Paris. In einem an Tausendundeine Nacht erinnernden Rahmen präsentiert er die merkwürdigsten seiner Erlebnisse und Begegnungen den Lesern. Grabräuber - Bücherschmuggel in Gemüsegärten - Die bedrängte Frau - Der Geräderte - Fleißige Nichtstuer - Der Plakatabreißer - Das Geheimnis der Waschfrauen - Der nützliche Spion - Der Zeittotschläger - Die ersten Ballons - Tumult und Radau: Schon eine kleine Auswahl aus dem Inhaltsverzeichnis lässt erahnen, was für ein Schatz an Geschichten und Beobachtungen hier zusammengekommen ist.
Im Dezember 1788 erscheinen die ersten zwölf Bände dieses Riesenwerks, zwei weitere folgen im April 1789. Da spürt Rétif schon, wie sich in der Metropole neuer Stoff zu sammeln beginnt, Zündstoff für die Weltgeschichte. Er ist beim Ausbruch der Revolution selbst mit dabei. Von der Bastille kommt ihm eine Gruppe von Revolutionären mit den aufgespießten Köpfen des letzten Gouverneurs dieses Gefängnisses und des eben noch amtierenden Bürgermeisters von Paris entgegen. Er wird in den nächsten Jahren immer wieder Augenzeuge von Mord und Zerstörung, von Phasen des Glücks- und Freudentaumels, von Gräueltaten, Massakern, Hinrichtungen - und setzt sein Buch fort.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2019Wo steckt sie bloß, die glückliche, süße Gleichheit?
Rétif de la Bretonnes legendäre Erkundung des vorrevolutionären Paris liest sich heute überraschend aktuell. Reinhard Kaiser hat das Meisterwerk auf seine brodelnde Essenz hin gekürzt und bewundernswert lässig übersetzt.
Gewalttätige Revolten prägen die französische Geschichte. Das hat auch damit zu tun, dass man in Frankreich seine Unzufriedenheit heute weniger durch institutionalisierte Kanäle ausdrücken kann als in Deutschland. Durch das föderale Prinzip bekommen die deutschen Bürger viel schneller politische Lösungen für ihre Probleme geboten. In Frankreich hat das Parlament weniger Macht, und so herrscht der Präsident manchmal wie ein Souverän. Das ist auch der Grund für das aktuelle Macron-Bashing. Anders gesagt: Man muss erst nach Paris gehen und dort die Revolution machen, um etwas zu erreichen.
1767 fasst der Romancier und selbsternannte Pornograph Nicolas Edmonde Rétif de la Bretonne einen Entschluss. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird er in "tausendundeiner Nacht" beobachtet haben, "was in den Straßen der Hauptstadt vor sich geht". Er wird sich ausschließlich ihrer dunklen Seite zugewendet haben, Hunderte von Spaziergängen durch das vorrevolutionäre und schließlich revolutionäre Paris unternehmen und davon Zeugnis ablegen. Nicht in einer philosophischen Abhandlung, sondern in einem riesigen Reportagewerk, das jetzt in einer bewundernswert lässigen Übersetzung von Reinhard Kaiser auf die brodelnde Essenz gekürzt erscheint: "Die Nächte von Paris".
"Unter all unseren Literaten bin ich vielleicht der Einzige, der das Volk kennt, denn ich mische mich ständig unter die Leute", schreibt Rétif mit dem revolutionären Elan eines Bauernsohns aus der Bourgogne. Er will der Posten sein, der über die geordneten Verhältnisse wacht. "Ich bin bis zu den untersten Klassen hinabgestiegen, um alle Missstände dort mit eigenen Augen zu sehen." Die Literaturwelt hat Rétif de la Bretonne vor allem als Reformer der Prostitution wahrgenommen (er plante Staatsbordelle) und als Erfinder des Schuhfetischismus (später als Rétifismus in die Psychologiegeschichte eingegangen). Immerhin schlug die Kunde vom frechen Franzosen durch zu Schiller und Goethe nach Jena, die sich entzückt zeigten.
Rétifs ebenfalls von Reinhard Kaiser übersetzte Autobiographie "Monsieur Nicolas oder Das enthüllte Menschenherz" legte zuletzt Zeugnis vom bewegten Leben des Erotomanen mit frühsozialistischem Ideenwerk ab. Dabei war der gelernte Drucker mehr als das. Seine Zeitgenossen nannten ihn neben "Voltaire der Kammerzofen" auch den "Rousseau der Gosse". Man könnte hinzufügen: Er war der Günter Wallraff des achtzehnten Jahrhunderts. Wäre er heute noch am Leben, würde er sich als kritischer Sympathisant unter die Gelbwesten mischen. In nächtlichen Spaziergängen dokumentierte Rétif das Elend der kleinen Leute - der Handwerker, der Kneipenbesitzer, der Krämer, der Wäscherinnen, aber auch der Lumpensammlerinnen und leichten Mädchen. Und er erzählte vom Zynismus der Reichen, deren Lebensstil in brüchigen Zeiten nicht anders als dekadent zu nennen war. Einmal berichten ihm zwei Dienstboten: "Wir kaufen jedes Jahr so viel ein, dass man drei Häuser von der Größe des unseren damit versorgen könnte, aber jedes Mal verderben zwei Drittel." Angesichts des grassierenden Hungers ist das ein Skandal im Paris jener Tage! "Es müsste ein Gesetz geben, das es den Stadtbewohnern verbietet, Vorräte anzulegen - unter Androhung einer Geldstrafe, die sich auf das Zehnfache des Wertes dieser Vorräte beläuft." Der politisierte Küchenmeister beendet seine Tirade mit einem Satz, der zum Leitmotiv der Revolution werden sollte: "Wo steckt sie bloß, die glückliche, süße Gleichheit unter den Menschen?"
Rétif prangert alles an, was schiefläuft im vorrevolutionären Paris. "Ich werde nicht aufhören zu fordern, dass man mehr solcher Leitungen anlegt", empört er sich über die fehlenden Dachrinnen. "Und dass man den Müll nicht in den Fluss kippt, sondern ihn aufs Land hinausschafft. Und dass man kein Stroh mehr verbrennt. Und dass die Straßen sauberer werden. Und dass die Stadt Straßenfeger einstellt. Und dass man nicht in sämtlichen Gemüsegärten rund um die Stadt sinnlose Neubauten errichtet und dass man die Anzahl der Mietkarossen, aber auch der Privatkarossen verringert."
Die Stadt Paris erscheint bei Rétif als vitales Mängelexemplar. Vor allem die Ungleichheit macht diese "sinnenfroheste Stadt der ganzen Welt" zu einer Stolperfalle für Flaneure. Die Revolution steht vor der Tür. Rétif erlebt das plötzliche Umkippen von allgemeiner Unzufriedenheit in sadistische Gewalt hautnah. Der Adel versucht hysterisch auf den König einzuwirken, der sich in Versailles verschanzt hält. Gleichzeitig marschieren mutige Marktfrauen von Paris aus vor die Tore des königlichen Anwesens. Den Sturm auf die Bastille erlebt Rétif aus der Perspektive eines Sympathisanten, der nach und nach vom Glauben abfällt: "Gegen halb vier verlasse ich mit noch schwerem Kopf das Haus und wanke wie ein Betrunkener über den Pont Notre-Dame. Das blendende Licht unter dem wolkenlosen Himmel machte mich mit der Zeit immer wacher. Ich atmete frei, als ich vor mir eine wild bewegte Menschenmenge erblickte. Überrascht war ich nicht. Ich nähere mich, und . . . O, was für ein schauerlicher Anblick! Zwei Köpfe - auf Piken gespießt!" Bei der Beinah-Lynchung eines unschuldigen Passanten schreibt Rétif später schon fast abgestumpft: "Die Masse fällt - aus Menschlichkeit - in ihre Brutalität zurück und will den jungen Mann hängen."
Alle Themen, die den politischen Diskurs in Frankreich seit der Aufklärung prägen und die bis in die revolutionäre Selbstinszenierung der Gelbwesten reichen, werden in diesem engagierten Buch zum Fanal. Die Französische Revolution brach bekanntlich aus wegen der hohen Brotpreise. Die Gewalteskalationen der "Gilets Jaunes" entzündeten sich knapp zweihundertdreißig Jahre später an einer Kraftstoffsteuer. Der Protest aus der "France Profonde" gegen Paris hat eine lange Tradition, von der diese literarische Wiederentdeckung Zeugnis ablegt. Ob er sich gegen die demokratischen Eliten richtet oder gegen weltfremde Aristokraten in ihrer Filterblase. Rétif de la Bretonne zu lesen stellt allgemeingültige Zusammenhänge zwischen Traditionsverlust, politischer Ohnmacht und Frustration her, zu denen dieses Buch die reine Anschauung liefert. Vor allem, wenn Frankreich heute einen politischen Reformkurs verteidigen muss, der zwischen extrem linken und extrem rechten Demokratieverächtern feststeckt.
Nachdem er voller Abscheu beobachtet hat, wie Finanzminister Foullon gelyncht wurde, lässt Rétif seinem Bericht eine ernsthafte Mahnung folgen: "Man glaube nicht, ich wollte die Tyrannen, die Unterdrücker beklagen! Dieser Gedanke liegt mir völlig fern! Wohl aber beklage ich den Menschen! Und nichts Menschliches ist mir fremd! Ich zeichne euch diese schaurigen Bilder noch einmal auf, liebe Mitbürger, um euch vor der Zukunft und den teuflischen Aufwieglern zu warnen!"
KATHARINA TEUTSCH.
Rétif de la Bretonne: "Die Nächte von Paris".
Hrsg. und aus dem Französischen von Reinhard Kaiser. Galiani Verlag, Berlin 2019. 528 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rétif de la Bretonnes legendäre Erkundung des vorrevolutionären Paris liest sich heute überraschend aktuell. Reinhard Kaiser hat das Meisterwerk auf seine brodelnde Essenz hin gekürzt und bewundernswert lässig übersetzt.
Gewalttätige Revolten prägen die französische Geschichte. Das hat auch damit zu tun, dass man in Frankreich seine Unzufriedenheit heute weniger durch institutionalisierte Kanäle ausdrücken kann als in Deutschland. Durch das föderale Prinzip bekommen die deutschen Bürger viel schneller politische Lösungen für ihre Probleme geboten. In Frankreich hat das Parlament weniger Macht, und so herrscht der Präsident manchmal wie ein Souverän. Das ist auch der Grund für das aktuelle Macron-Bashing. Anders gesagt: Man muss erst nach Paris gehen und dort die Revolution machen, um etwas zu erreichen.
1767 fasst der Romancier und selbsternannte Pornograph Nicolas Edmonde Rétif de la Bretonne einen Entschluss. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird er in "tausendundeiner Nacht" beobachtet haben, "was in den Straßen der Hauptstadt vor sich geht". Er wird sich ausschließlich ihrer dunklen Seite zugewendet haben, Hunderte von Spaziergängen durch das vorrevolutionäre und schließlich revolutionäre Paris unternehmen und davon Zeugnis ablegen. Nicht in einer philosophischen Abhandlung, sondern in einem riesigen Reportagewerk, das jetzt in einer bewundernswert lässigen Übersetzung von Reinhard Kaiser auf die brodelnde Essenz gekürzt erscheint: "Die Nächte von Paris".
"Unter all unseren Literaten bin ich vielleicht der Einzige, der das Volk kennt, denn ich mische mich ständig unter die Leute", schreibt Rétif mit dem revolutionären Elan eines Bauernsohns aus der Bourgogne. Er will der Posten sein, der über die geordneten Verhältnisse wacht. "Ich bin bis zu den untersten Klassen hinabgestiegen, um alle Missstände dort mit eigenen Augen zu sehen." Die Literaturwelt hat Rétif de la Bretonne vor allem als Reformer der Prostitution wahrgenommen (er plante Staatsbordelle) und als Erfinder des Schuhfetischismus (später als Rétifismus in die Psychologiegeschichte eingegangen). Immerhin schlug die Kunde vom frechen Franzosen durch zu Schiller und Goethe nach Jena, die sich entzückt zeigten.
Rétifs ebenfalls von Reinhard Kaiser übersetzte Autobiographie "Monsieur Nicolas oder Das enthüllte Menschenherz" legte zuletzt Zeugnis vom bewegten Leben des Erotomanen mit frühsozialistischem Ideenwerk ab. Dabei war der gelernte Drucker mehr als das. Seine Zeitgenossen nannten ihn neben "Voltaire der Kammerzofen" auch den "Rousseau der Gosse". Man könnte hinzufügen: Er war der Günter Wallraff des achtzehnten Jahrhunderts. Wäre er heute noch am Leben, würde er sich als kritischer Sympathisant unter die Gelbwesten mischen. In nächtlichen Spaziergängen dokumentierte Rétif das Elend der kleinen Leute - der Handwerker, der Kneipenbesitzer, der Krämer, der Wäscherinnen, aber auch der Lumpensammlerinnen und leichten Mädchen. Und er erzählte vom Zynismus der Reichen, deren Lebensstil in brüchigen Zeiten nicht anders als dekadent zu nennen war. Einmal berichten ihm zwei Dienstboten: "Wir kaufen jedes Jahr so viel ein, dass man drei Häuser von der Größe des unseren damit versorgen könnte, aber jedes Mal verderben zwei Drittel." Angesichts des grassierenden Hungers ist das ein Skandal im Paris jener Tage! "Es müsste ein Gesetz geben, das es den Stadtbewohnern verbietet, Vorräte anzulegen - unter Androhung einer Geldstrafe, die sich auf das Zehnfache des Wertes dieser Vorräte beläuft." Der politisierte Küchenmeister beendet seine Tirade mit einem Satz, der zum Leitmotiv der Revolution werden sollte: "Wo steckt sie bloß, die glückliche, süße Gleichheit unter den Menschen?"
Rétif prangert alles an, was schiefläuft im vorrevolutionären Paris. "Ich werde nicht aufhören zu fordern, dass man mehr solcher Leitungen anlegt", empört er sich über die fehlenden Dachrinnen. "Und dass man den Müll nicht in den Fluss kippt, sondern ihn aufs Land hinausschafft. Und dass man kein Stroh mehr verbrennt. Und dass die Straßen sauberer werden. Und dass die Stadt Straßenfeger einstellt. Und dass man nicht in sämtlichen Gemüsegärten rund um die Stadt sinnlose Neubauten errichtet und dass man die Anzahl der Mietkarossen, aber auch der Privatkarossen verringert."
Die Stadt Paris erscheint bei Rétif als vitales Mängelexemplar. Vor allem die Ungleichheit macht diese "sinnenfroheste Stadt der ganzen Welt" zu einer Stolperfalle für Flaneure. Die Revolution steht vor der Tür. Rétif erlebt das plötzliche Umkippen von allgemeiner Unzufriedenheit in sadistische Gewalt hautnah. Der Adel versucht hysterisch auf den König einzuwirken, der sich in Versailles verschanzt hält. Gleichzeitig marschieren mutige Marktfrauen von Paris aus vor die Tore des königlichen Anwesens. Den Sturm auf die Bastille erlebt Rétif aus der Perspektive eines Sympathisanten, der nach und nach vom Glauben abfällt: "Gegen halb vier verlasse ich mit noch schwerem Kopf das Haus und wanke wie ein Betrunkener über den Pont Notre-Dame. Das blendende Licht unter dem wolkenlosen Himmel machte mich mit der Zeit immer wacher. Ich atmete frei, als ich vor mir eine wild bewegte Menschenmenge erblickte. Überrascht war ich nicht. Ich nähere mich, und . . . O, was für ein schauerlicher Anblick! Zwei Köpfe - auf Piken gespießt!" Bei der Beinah-Lynchung eines unschuldigen Passanten schreibt Rétif später schon fast abgestumpft: "Die Masse fällt - aus Menschlichkeit - in ihre Brutalität zurück und will den jungen Mann hängen."
Alle Themen, die den politischen Diskurs in Frankreich seit der Aufklärung prägen und die bis in die revolutionäre Selbstinszenierung der Gelbwesten reichen, werden in diesem engagierten Buch zum Fanal. Die Französische Revolution brach bekanntlich aus wegen der hohen Brotpreise. Die Gewalteskalationen der "Gilets Jaunes" entzündeten sich knapp zweihundertdreißig Jahre später an einer Kraftstoffsteuer. Der Protest aus der "France Profonde" gegen Paris hat eine lange Tradition, von der diese literarische Wiederentdeckung Zeugnis ablegt. Ob er sich gegen die demokratischen Eliten richtet oder gegen weltfremde Aristokraten in ihrer Filterblase. Rétif de la Bretonne zu lesen stellt allgemeingültige Zusammenhänge zwischen Traditionsverlust, politischer Ohnmacht und Frustration her, zu denen dieses Buch die reine Anschauung liefert. Vor allem, wenn Frankreich heute einen politischen Reformkurs verteidigen muss, der zwischen extrem linken und extrem rechten Demokratieverächtern feststeckt.
Nachdem er voller Abscheu beobachtet hat, wie Finanzminister Foullon gelyncht wurde, lässt Rétif seinem Bericht eine ernsthafte Mahnung folgen: "Man glaube nicht, ich wollte die Tyrannen, die Unterdrücker beklagen! Dieser Gedanke liegt mir völlig fern! Wohl aber beklage ich den Menschen! Und nichts Menschliches ist mir fremd! Ich zeichne euch diese schaurigen Bilder noch einmal auf, liebe Mitbürger, um euch vor der Zukunft und den teuflischen Aufwieglern zu warnen!"
KATHARINA TEUTSCH.
Rétif de la Bretonne: "Die Nächte von Paris".
Hrsg. und aus dem Französischen von Reinhard Kaiser. Galiani Verlag, Berlin 2019. 528 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man liest das wie einen Abenteuerroman, zugleich als Soziogramm von Paris in der Zeit der Revolution (...) Kaisers Buch ist ein Muss für Paris-Kenner und die, die es noch werden wollen. Jörg Aufenanger Berliner Zeitung 20201121