Unter dem Begriff 'nakba' ("Katastrophe") erinnern Palästinenser an die Geschehnisse im Kontext des ersten arabisch-israelischen Kriegs 1948, unmittelbar nach der Staatsgründung Israels. Die nakba gilt auch aufgrund des damals entstandenen, bis heute nicht gelösten Flüchtlingsproblems als palästinensisches Trauma und einschneidende Zäsur in der Geschichte der Palästinenser. Seit nunmehr 60 Jahren werden Erinnerungen an die nakba nicht nur von politischen Deutungseliten, sondern auch in der Literatur, Populär- und Alltagskultur immer wieder reproduziert. Palästinensische Darstellungen und Deutungen des Geschehens stehen dabei einem so wahrgenommenen israelischen (Sieger-)Gedächtnis gegenüber, sind aber keineswegs homogen. Anhand von Interviews mit palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien und Analysen eines breiten Spektrums schriftlicher Quellen (historiografische Darstellungen, Politiker- und Gedenkreden, Prosa und Lyrik, Predigten, Zeitungen und Zeitschriftenartikel, Websites) zeigt dieses Buch mittels eines erinnerungstheoretischen Forschungsansatzes die Formen und Funktionen von nakba-Erinnerungen auf. Das Buch beleuchtet nicht nur die Topoi, Motive, Deutungsmuster und -ressourcen der nakba-Erinnerungen als Kriegsgeschehen und als Verlust von 'Heimat', sondern macht auch ihre Brüche und Differenzen deutlich, die auf einer unterschiedlichen institutionellen Einbettung und politischen Zugehörigkeiten der Trägergruppen der Erinnerung (z.B. bei der Deutung der Rolle der arabischen Armeen und des palästinensischen Widerstands) basieren sowie auf unterschiedlichen generationellen Zugehörigkeiten und lokal geprägten Deutungsschemata in Konstruktionen palästinensischer Identität. In den Blick genommen werden die verschiedenen Narrativisierungsmodi der Medien, in denen nakba-Narrative verbreitet werden, aber auch Wandlungen durch die Transnationalisierung palästinensischer Erinnerungsprozesse aufgrund der geografischen Fragmentierung der Palästinenser und grenzüberschreitender Kontakte. Das Buch zeigt, wie stark nakba-Narrative beeinflusst sind von Gegenwartsdeutungen und Vergleichshorizonten, die vielfach zu Überblendungen führen, die sich etwa bei den Interviews in 'Zeitsprüngen' und 'Erinnerungsketten' äußern. So werden auch die Implikationen der nakba-Darstellungen und -Deutungen für die Gegenwart und prospektierte Zukunft analysiert, wenn etwa die nakba als Wahrnehmungsprisma für die Haltungen, Handlungen und Aussagen des 'Anderen' im aktuellen Konflikt dient. Ein Ausblick am Ende des Buches wirft die Frage nach Erinnern und Koexistenz im israelisch-palästinensischen Kontext auf und skizziert die Problematik einer mangelhaften Anerkennung des Leids der 'Anderen' in den Debatten sowie israelische und palästinensische Versuche eines bridging narratives.
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"Die Abhandlung nimmt nun dankenswerterweise die verschiedenen Inhalte palästinensischer Nakba-Erinnerungen und ihre Dynamik, Formen und Funktionen in den Blick. Es geht der Autorin um die Untersuchung und Darstellung der Pluralität, Konstruktivität und Dynamik palästinensischer Erzählungen von der Nakba. Im Zentrum ihres Interesses stehen die Narrativierungen des Geschehens in Form von Plotstrukturen, Topisierungen und bestimmte Perspektivierungen der so konstruierten Berichte.
Als Material dient Damir-Geilsdorf ein hinreichend breites Spektrum an historiographischen Quellen unterschiedlicher Verfasser und Textgattungen: Politiker- und Gedenkreden, Prosa und Lyrik, Predigten, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Websites etc. Ergänzt wurde dieses schriftliche Quellenmaterial durch 38 qualitative Interviews mit Palästinensern verschiedener ideologischer Ausrichtung. (...)
m Anschluss an die beiden souverän präsentierten Hauptteile folgt noch ein sehr wichtiges fünftes Kapitel. In diesem konzisen Abschnitt kommt die Autorin auf die zahlreichen, überaus identitätsstiftenden Erinnerungen zu sprechen, die sich um Opfer- und Niederlagentopoi gruppieren. Damir-Geilsdorf systematisiert die Narrative, indem sie aus dem Fluss der narrativen Versatzstücke drei Erzählstränge isoliert: 1. eschatologische Deutungsmuster (Stichwort: der religiöser Krieg wird zur göttlichen Prüfung), 2. Revolutionäre Figuren (Stichwort: die PLO-Rhetorik stilisiert die Flüchtlinge zu 'Helden der Rückkehr', und 3. Martyriumskonzepte. Die Narrative der Nakba fungieren - dies führt uns die Autorin klar vor Augen - als Wahrnehmungsprisma und Deutungsmuster nachfolgender Ereignisse. Für die Palästinenser sind sie zugleich Referenzpunkt und Vergleichshorizont, sowohl für den Krieg von 1948 wie auch für die Geschehnisse während der beiden Intifadas.
Eine sehr gute Zusammenfassung, in der die divergierenden Deutungsmuster und Erinnerungsinteressen der unterschiedlichen Trägergruppen von Erinnerung noch einmal angeführt werden, und ein (vielleicht ein wenig zu lang geratener) Ausblick runden diese gelungene Abhandlung ab."
Stephan Conermann
In: Sehepunkte. 10 (2010) Nr. 7/8.
http://www.sehepunkte.de/2010/07/18651.html (6. September 2010)
Als Material dient Damir-Geilsdorf ein hinreichend breites Spektrum an historiographischen Quellen unterschiedlicher Verfasser und Textgattungen: Politiker- und Gedenkreden, Prosa und Lyrik, Predigten, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Websites etc. Ergänzt wurde dieses schriftliche Quellenmaterial durch 38 qualitative Interviews mit Palästinensern verschiedener ideologischer Ausrichtung. (...)
m Anschluss an die beiden souverän präsentierten Hauptteile folgt noch ein sehr wichtiges fünftes Kapitel. In diesem konzisen Abschnitt kommt die Autorin auf die zahlreichen, überaus identitätsstiftenden Erinnerungen zu sprechen, die sich um Opfer- und Niederlagentopoi gruppieren. Damir-Geilsdorf systematisiert die Narrative, indem sie aus dem Fluss der narrativen Versatzstücke drei Erzählstränge isoliert: 1. eschatologische Deutungsmuster (Stichwort: der religiöser Krieg wird zur göttlichen Prüfung), 2. Revolutionäre Figuren (Stichwort: die PLO-Rhetorik stilisiert die Flüchtlinge zu 'Helden der Rückkehr', und 3. Martyriumskonzepte. Die Narrative der Nakba fungieren - dies führt uns die Autorin klar vor Augen - als Wahrnehmungsprisma und Deutungsmuster nachfolgender Ereignisse. Für die Palästinenser sind sie zugleich Referenzpunkt und Vergleichshorizont, sowohl für den Krieg von 1948 wie auch für die Geschehnisse während der beiden Intifadas.
Eine sehr gute Zusammenfassung, in der die divergierenden Deutungsmuster und Erinnerungsinteressen der unterschiedlichen Trägergruppen von Erinnerung noch einmal angeführt werden, und ein (vielleicht ein wenig zu lang geratener) Ausblick runden diese gelungene Abhandlung ab."
Stephan Conermann
In: Sehepunkte. 10 (2010) Nr. 7/8.
http://www.sehepunkte.de/2010/07/18651.html (6. September 2010)