Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.05.2005Der Name der Nase
Der meistporträtierte Mann seiner Epoche: Bernd Roeck und Andreas Tönnesmann zeigen, wie Federico da Montefeltro den Renaissance-Menschen erfand
Wer sich, auf der Straße von San Sepolcro kommend, das Tal des Metauro hinabfahrend, den Ort Urbania hinter sich lassend, der Stadt Urbino nähert - im Frühjahr mit seinen hohen Feldern bietet Umbrien die hinreißendsten Fahrradstrecken Italiens -, den erwartet, weit übers Land schauend, eine Doppelturmfassade mit übereinander gestaffelten Loggien, die Wehrhaftigkeit und Gefälligkeit verbindet, den Trotz der Burg mit der Freundlichkeit des luftigen Aussichtspunkts.
Sollte man sich vor der Fahrt über die Geschichte Urbinos unterrichtet und dafür einen Zwischenaufenthalt in Florenz genommen haben, dann hat man ein unvergesslich eindrückliches Bild des Erbauers dieser sonderbaren Kunstburg im Kopf: das nach links gerichtete Profil Federico da Montefeltros - kräftiges Kinn, schwere Lider, olivfarbene, von Warzen gezeichnete Haut, rotes Barett, und vor allem eine Hakennase von Rang, mit tiefer Kerbe auf Augenhöhe zwischen Stirn und Nasenwurzel.
Beide Bilder - die ziegelfarbige Doppelturmfassade und die einprägsame Hakennase im Quattrocento-Saal der Uffizien, die der feine Pinsel Piero della Francescas verewigt hat - sind Produkte einer zusammenhängenden kulturellen Strategie. Hakennase und weit im Land sichtbare Palastarchitektur sollen Unverwechselbarkeit, Großartigkeit, Ruhm durch Zeit und Raum tragen, sie sind die Eckpunkte einer Kunstpolitik, die auf der kleinen Bühne eines italienischen Renaissance-Staates die Muster der frühneuzeitlichen höfischen Kultur für ganz Europa vorspielte.
Das ist die These eines Buches, das der Historiker Bernd Roeck und der Kunsthistoriker Andreas Tönnesmann unter dem gut gelaunten Titel „Die Nase Italiens” publiziert haben. Es verbindet eine detaillierte Biographie des Montefeltro (1422 bis 1482) mit einer ausführlichen Beschreibung von dessen seit 1465 in riesenhaften Dimensionen anwachsender Palastanlage, gefällig wechselnd zwischen buntbewegter Ereignisgeschichte mit Schlachtenlärm, Giftmord und diplomatischen Intrigen und angeregter Betrachtung von verschwenderisch verzierten Zimmerfluchten mit ihren Marmorkaminen, Gemälden und Holzintarsien.
Es geht also um die realhistorischen Hintergründe großer Kunst und höchster kultureller Verfeinerung. Sichtlich fasziniert breiten die Autoren diese düsteren, ja blutigen Hintergründe aus. Die Montefeltro waren als ritterliche Landesherren im Norden des unfesten Kirchenstaates viel zu schwach, um auf sich selbst bestehen zu können. So arbeiteten sie als Kriegsunternehmer, als Condottieri. Sie unterhielten Söldnerheere, mit denen sie größeren und reicheren Herren dienten, dem Herzogtum Mailand, der Stadt Florenz, dem Papst, Venedig, dem König von Neapel. Damals formte sich in Italien ein erstes Staatensystem, ein Mobile sich gegenseitig in Schach haltender Mächte - ebenfalls als Generalprobe des neuzeitlichen gesamteuropäischen Gleichgewichts der Mächte. Wenn zwei sich verbündeten, dann fanden die anderen drei sich zusammen, um eine Störung der Balance zu verhindern.
Die kleinen Herrschaften konnten sich nur durch geschickte Bündnispolitik behaupten, und zwischen den italienischen Großmächten wuselten mehrere solcher halbsouveränen Söldnerfürsten, die aus dem ewigen Konflikt ihre Vorteile zogen und den Großmächten ihre blutige Kriegsarbeit abnahmen. Im Falle Federicos kam noch ein besonderer Umstand hinzu: Seine Abkunft war nicht legitim, er war die Frucht eines Seitensprungs seines Vaters und beerbte ihn, nachdem sein legitimer, aber beim Stadtvolk verhasster Stiefbruder in einer Palastrevolte ermordet worden war. Dass Federico dahinter steckte, mutmaßten damals viele - und der Papst verlieh ihm den begehrten, schon vom Vater getragenen Herzogstitel erst genau dreißig Jahre und einen Monat nach dem Mord, was, wie die Autoren feststellen, eine Verjährungsfrist bedeutet, die jenen Verdächten handgreiflichen Ausdruck gab.
Nach seinem Machtantritt in Urbino im Jahre 1444 entwickelte sich Federico zum gewieftesten Kriegsunternehmer Italiens. Stabile Verträge mit den Päpsten, dem König von Neapel und der 1454 gebildeten italienischen Liga - einer Art Sicherheitsbündnis für die Halbinsel - sicherten konstant hohe Einnahmen. Mit ihnen finanzierte der Signore von Urbino einen bis dahin beispiellosen höfischen Kunstaufwand, der sich an Modellen wie dem Papstpalast in Avignon und den bescheidener dimensionierten, aber fortschrittlicheren Bauten der gehassten Konkurrenzdynastie der Malatesta in Rimini orientierte.
Dieser Aufwand diente der Sicherung eines immer gefährdeten persönlichen Rufes, der Reputation der eigenen militärischen Firma, und wohl auch der Kaschierung des Legitimitätsmakels, von dem natürlich nicht gesprochen werden durfte. Die Verfasser schwelgen in Superlativen: Federico ließ die erste Treppe Europas errichten, die gemessenes zeremoniöses Schreiten ermöglichte; er kaufte Bücher für einen Etat, mit dem man sechs Palazzi hätte errichten können; die Erfindung des freistehenden Bücherregals (statt der Lesepulte mit angeketteten Folianten) geht auf die Bibliothek von Urbino zurück.
Federico mit seiner Nase wurde zum meistprorträtierten Mann seiner Epoche - während von Papst Pius II. zwei Bilder mit undeutlichen Zügen erhalten sind, ist uns die markante Physiognomie des Urbinaten in Dutzenden von erstrangigen Gemälden, Reliefs, Münzen, Miniaturen überliefert. Der Kriegsherr verbreitete rastlos sein Logo, seine wuchtig antikisierten Initiale prangten auf allen Gesimsen. Eine ausgedehnte Geschichtsschreibung diente seinem Ruhm bei der Nachwelt.
Denn Federico, der Haudegen, der seine Gesichtskerbe bei einem blutigen Duell, das ihn ein Auge kostete, erworben hatte und der sich mit seinen Gegnern laut brüllende Wortgefechte lieferte („Ich reiß dir das Gekröse raus - io te caveró la corada a te!”), hatte eine vorzügliche Bildung genossen und war ein gelehrter Kenner antiker Literatur und moderner zeitgenössischer Kunst. Es ist dieses Ineinander von Verfeinerung und Grausamkeit, von Mafia-Struktur in der materiellen Grundlage und girlandenhafter Feinheit höfischer Kultur, welches die Autoren sichtlich fesselt. Mit modernen sozialgeschichtlichen Methoden haben sie ein Renaissance-Buch fast nietzscheanischen Zuschnitts geschrieben. Wer heute nach Urbino fährt, sollte dieses Buch mitnehmen, aber auch den „Fürsten” von Machiavelli nicht vergessen.
Bernd Roeck, Andreas Tönnesmann
Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 240 Seiten, 24,50 Euro.
Federico da Montefeltro, porträtiert von Piero della Francesca (1465)
Foto: Archivo Iconografico, S.A./Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der meistporträtierte Mann seiner Epoche: Bernd Roeck und Andreas Tönnesmann zeigen, wie Federico da Montefeltro den Renaissance-Menschen erfand
Wer sich, auf der Straße von San Sepolcro kommend, das Tal des Metauro hinabfahrend, den Ort Urbania hinter sich lassend, der Stadt Urbino nähert - im Frühjahr mit seinen hohen Feldern bietet Umbrien die hinreißendsten Fahrradstrecken Italiens -, den erwartet, weit übers Land schauend, eine Doppelturmfassade mit übereinander gestaffelten Loggien, die Wehrhaftigkeit und Gefälligkeit verbindet, den Trotz der Burg mit der Freundlichkeit des luftigen Aussichtspunkts.
Sollte man sich vor der Fahrt über die Geschichte Urbinos unterrichtet und dafür einen Zwischenaufenthalt in Florenz genommen haben, dann hat man ein unvergesslich eindrückliches Bild des Erbauers dieser sonderbaren Kunstburg im Kopf: das nach links gerichtete Profil Federico da Montefeltros - kräftiges Kinn, schwere Lider, olivfarbene, von Warzen gezeichnete Haut, rotes Barett, und vor allem eine Hakennase von Rang, mit tiefer Kerbe auf Augenhöhe zwischen Stirn und Nasenwurzel.
Beide Bilder - die ziegelfarbige Doppelturmfassade und die einprägsame Hakennase im Quattrocento-Saal der Uffizien, die der feine Pinsel Piero della Francescas verewigt hat - sind Produkte einer zusammenhängenden kulturellen Strategie. Hakennase und weit im Land sichtbare Palastarchitektur sollen Unverwechselbarkeit, Großartigkeit, Ruhm durch Zeit und Raum tragen, sie sind die Eckpunkte einer Kunstpolitik, die auf der kleinen Bühne eines italienischen Renaissance-Staates die Muster der frühneuzeitlichen höfischen Kultur für ganz Europa vorspielte.
Das ist die These eines Buches, das der Historiker Bernd Roeck und der Kunsthistoriker Andreas Tönnesmann unter dem gut gelaunten Titel „Die Nase Italiens” publiziert haben. Es verbindet eine detaillierte Biographie des Montefeltro (1422 bis 1482) mit einer ausführlichen Beschreibung von dessen seit 1465 in riesenhaften Dimensionen anwachsender Palastanlage, gefällig wechselnd zwischen buntbewegter Ereignisgeschichte mit Schlachtenlärm, Giftmord und diplomatischen Intrigen und angeregter Betrachtung von verschwenderisch verzierten Zimmerfluchten mit ihren Marmorkaminen, Gemälden und Holzintarsien.
Es geht also um die realhistorischen Hintergründe großer Kunst und höchster kultureller Verfeinerung. Sichtlich fasziniert breiten die Autoren diese düsteren, ja blutigen Hintergründe aus. Die Montefeltro waren als ritterliche Landesherren im Norden des unfesten Kirchenstaates viel zu schwach, um auf sich selbst bestehen zu können. So arbeiteten sie als Kriegsunternehmer, als Condottieri. Sie unterhielten Söldnerheere, mit denen sie größeren und reicheren Herren dienten, dem Herzogtum Mailand, der Stadt Florenz, dem Papst, Venedig, dem König von Neapel. Damals formte sich in Italien ein erstes Staatensystem, ein Mobile sich gegenseitig in Schach haltender Mächte - ebenfalls als Generalprobe des neuzeitlichen gesamteuropäischen Gleichgewichts der Mächte. Wenn zwei sich verbündeten, dann fanden die anderen drei sich zusammen, um eine Störung der Balance zu verhindern.
Die kleinen Herrschaften konnten sich nur durch geschickte Bündnispolitik behaupten, und zwischen den italienischen Großmächten wuselten mehrere solcher halbsouveränen Söldnerfürsten, die aus dem ewigen Konflikt ihre Vorteile zogen und den Großmächten ihre blutige Kriegsarbeit abnahmen. Im Falle Federicos kam noch ein besonderer Umstand hinzu: Seine Abkunft war nicht legitim, er war die Frucht eines Seitensprungs seines Vaters und beerbte ihn, nachdem sein legitimer, aber beim Stadtvolk verhasster Stiefbruder in einer Palastrevolte ermordet worden war. Dass Federico dahinter steckte, mutmaßten damals viele - und der Papst verlieh ihm den begehrten, schon vom Vater getragenen Herzogstitel erst genau dreißig Jahre und einen Monat nach dem Mord, was, wie die Autoren feststellen, eine Verjährungsfrist bedeutet, die jenen Verdächten handgreiflichen Ausdruck gab.
Nach seinem Machtantritt in Urbino im Jahre 1444 entwickelte sich Federico zum gewieftesten Kriegsunternehmer Italiens. Stabile Verträge mit den Päpsten, dem König von Neapel und der 1454 gebildeten italienischen Liga - einer Art Sicherheitsbündnis für die Halbinsel - sicherten konstant hohe Einnahmen. Mit ihnen finanzierte der Signore von Urbino einen bis dahin beispiellosen höfischen Kunstaufwand, der sich an Modellen wie dem Papstpalast in Avignon und den bescheidener dimensionierten, aber fortschrittlicheren Bauten der gehassten Konkurrenzdynastie der Malatesta in Rimini orientierte.
Dieser Aufwand diente der Sicherung eines immer gefährdeten persönlichen Rufes, der Reputation der eigenen militärischen Firma, und wohl auch der Kaschierung des Legitimitätsmakels, von dem natürlich nicht gesprochen werden durfte. Die Verfasser schwelgen in Superlativen: Federico ließ die erste Treppe Europas errichten, die gemessenes zeremoniöses Schreiten ermöglichte; er kaufte Bücher für einen Etat, mit dem man sechs Palazzi hätte errichten können; die Erfindung des freistehenden Bücherregals (statt der Lesepulte mit angeketteten Folianten) geht auf die Bibliothek von Urbino zurück.
Federico mit seiner Nase wurde zum meistprorträtierten Mann seiner Epoche - während von Papst Pius II. zwei Bilder mit undeutlichen Zügen erhalten sind, ist uns die markante Physiognomie des Urbinaten in Dutzenden von erstrangigen Gemälden, Reliefs, Münzen, Miniaturen überliefert. Der Kriegsherr verbreitete rastlos sein Logo, seine wuchtig antikisierten Initiale prangten auf allen Gesimsen. Eine ausgedehnte Geschichtsschreibung diente seinem Ruhm bei der Nachwelt.
Denn Federico, der Haudegen, der seine Gesichtskerbe bei einem blutigen Duell, das ihn ein Auge kostete, erworben hatte und der sich mit seinen Gegnern laut brüllende Wortgefechte lieferte („Ich reiß dir das Gekröse raus - io te caveró la corada a te!”), hatte eine vorzügliche Bildung genossen und war ein gelehrter Kenner antiker Literatur und moderner zeitgenössischer Kunst. Es ist dieses Ineinander von Verfeinerung und Grausamkeit, von Mafia-Struktur in der materiellen Grundlage und girlandenhafter Feinheit höfischer Kultur, welches die Autoren sichtlich fesselt. Mit modernen sozialgeschichtlichen Methoden haben sie ein Renaissance-Buch fast nietzscheanischen Zuschnitts geschrieben. Wer heute nach Urbino fährt, sollte dieses Buch mitnehmen, aber auch den „Fürsten” von Machiavelli nicht vergessen.
Bernd Roeck, Andreas Tönnesmann
Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 240 Seiten, 24,50 Euro.
Federico da Montefeltro, porträtiert von Piero della Francesca (1465)
Foto: Archivo Iconografico, S.A./Corbis
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005Ein Unterteufel mit Stil
Federico da Montefeltro wird entzaubert / Von Andreas Kilb
Wenn man sich Urbino von Nordosten her nähert, wie es die Tagesbesucher tun, die von den Badeorten der Küste heraufkommen, sieht man zunächst ein Bergstädtchen wie andere auch. Erst wenn man um den Stadthügel herumgefahren ist zum Mercatale, dem Marktplatz, der heute ein Parkplatz ist, erscheint wie ein Wolkengebilde aus Stein über dem Talgrund der Herzogspalast. Der Palast ist der Signifikant, der das Zeichen Urbino lesbar macht, durch ihn wird das Städtchen auf dem Hügel zum Inbegriff der Renaissance, ihrer Ästhetik, ihrer Architektur, ihres way of life. Bräche die Fassade mit den schlanken Türmen und den Marmorbalkonen weg, bliebe von Urbino wenig mehr als das Geburtshaus Raffaels und die Universität.
Federico da Montefeltro (1422 bis 1482), der diesen Palast erbauen ließ, gilt nicht erst seit Jakob Burckhardt als Renaissancecharakter schlechthin. Die Legendenbildung um den päpstlichen Condottiere begann bereits kurz nach Federicos Tod, als ihn sein ehemaliger Bibliothekar Vespasiano da Bisticci als Musterbild der Tugend, Stärke und Bildung zeichnete. Das Idyll aus Burckhardts "Kultur der Renaissance in Italien", darin wir den Montefeltro vom Vorlesungssaal zum theologischen Fachgespräch ins Clarissenkloster und von dort zur Sportwiese pilgern sehen, wo er "die Leibesübungen der jungen Leute seines Hofes" beobachtet, stammt ebenso aus Bisticcis "Viten" wie die Aufzählung von Federicos Kriegstaten. Während auf Cesare Borgia und Lorenzo de' Medici, die beiden anderen großen Renaissancefürsten, der Schatten des Machiavellismus fällt, erscheint der Herzog von Urbino bei Burckhardt als das verkörperte Maßhalten im Krieg wie in der Kirche, bei Tisch wie im Bett.
Der Züricher Historiker Bernd Roeck und sein Kunsthistorikerkollege Andreas Tönnesmann zeigen nun in ihrer Monographie Federicos, daß dieses Idealporträt eine nachträgliche Konstruktion ist - nicht anders als der prachtvolle Palast, den Luciano Laurana von 1466 an für den Montefeltro auf die antiken Mauern von Urbino stellte. Überraschend kommt diese Einsicht nicht; um so interessanter ist die Art und Weise, wie Roeck und Tönnesmann zu ihr gelangen. Sie beginnen nicht mit historischer Quellenkritik, sondern mit dem Offensichtlichen, mit Piero della Francescas berühmtem Porträt von 1470. Es zeigt den Herzog im Profil vor einer Flußlandschaft, und es verbirgt ebenso viel, wie es enthüllt. Denn Federico war nach heutigen Maßstäben schwerbehindert, er hatte sein rechtes Auge und Teile seines Nasenbeins bei einem Turnierunfall verloren. Dem Maler aber gelingt es, die beschädigte Physiognomie zum Sprechen zu bringen, durch ihn wird der eingekerbte Riechkolben zur "Nase Italiens" und sein Träger zur Ikone eines ganzen Jahrhunderts. Und nicht anders, nämlich als Kunstprodukte, sind auch alle anderen Lebens- und Sterbezeugnisse zu betrachten, die der Herr von Urbino hinterließ; sie sind, wie Roeck und Tönnesmann in ihrer kurzweiligen Studie zeigen, "nur Passepartout dieses einen Bildes", Ergänzungen zu Pieros Musterporträt.
Als Federico da Montefeltro im Juni 1422 in Gubbio geboren wird, erscheint er als der Retter seines Hauses. Graf Guidantonio von Montefeltro, Lehnsherr des Papstes, ist mit zweiundvierzig Jahren immer noch kinderlos, so daß er seinen unehelichen Enkel als eigenen Sohn ausgibt. Fünf Jahre später wird jedoch ein ehelicher Thronfolger geboren, Oddantonio; Federico sinkt auf den Stand eines Nachrückers herab, bis der Stiefbruder im Juli 1444 ermordet wird. Für Roeck und Tönnesmann ist die Mitschuld ihres Helden an der Tat evident, schon deshalb, weil Federico anschließend genau dreißig Jahre warten mußte - die Frist der Klageverjährung nach Römischem Recht -, bis er vom Vatikan die bei den Montefeltro mittlerweile erbliche Herzogswürde erhielt. Und immerhin achtzehn Jahre harte kriegerische Kleinarbeit brauchte es, bis der Urbinate seinen Erzfeind Sigismondo Malatesta von Rimini besiegt und ins Exil vertrieben hatte. Erst danach konnte er darangehen, den Lohn seiner notorischen Condottiere-Tätigkeit in die klingende Münze des Nachruhms, sprich: in Statuen, Gemälde, Bücher, Tapisserien und in die erlesenen Gewölbe seiner herzöglichen Residenz, einzutauschen.
Dem "italienischen Mobile", dem politischen Gleichgewicht zwischen Mailand, Venedig, Florenz, Neapel/Sizilien und dem Papststaat, das sich im fünfzehnten Jahrhundert in immer neuen Doppel- und Tripelallianzen austarierte, widmen Roeck und Tönnesmann nur einen kleinen Teil ihrer Betrachtungen. Immerhin bekommt man eine Ahnung von der Bauernschläue, mit der sich der Montefeltro vier Jahrzehnte lang zwischen den italienischen Großmächten bewegte. Im Jahr 1479, als der florentinische Staat am Abgrund stand, vermittelte Federico, der Feldherr des Feindes, die Versöhnungsreise Lorenzos des Prächtigen nach Neapel, obwohl er zuvor den Osterputsch der Pazzi gegen die Medici unterstützt hatte. Drei Jahre später kämpfte er am Po für Ferrara gegen venezianische Truppen, bevor ihn die Malaria dahinraffte. Als Baldassare Castiglione, der Höfling seines Sohnes Guidobaldo, den Herzog von Urbino 1528 in der Vorrede zu seinem "Cortegiano" als "Licht Italiens" feierte, war Federico da Montefeltro längst zur Symbolfigur jener Machtbalance geworden, die mit den Invasionen der Franzosen nach 1494 und dem "Sacco di Roma" der Landsknechte Karls V. zerbrochen war.
Etwas von diesem fragilen Gleichgewicht steckt auch in den Sälen, Gängen und Treppenhäusern des Palastes zu Urbino. Bei Roeck und Tönnesmann kann man nachlesen, wie geschickt Federicos Architekt Laurana die neuen Gebäude in vorhandene Stadtstrukturen einpaßte, wie öffentliche von privaten Trakten, Räume der Repräsentation von solchen des Vergnügens getrennt wurden und wie im "studiolo", dem Studierzimmer des Herzogs, ein hinreißendes Ensemble inszenierter Gelehrsamkeit entstand. Durch den Palast und die höfische Kultur, die ihn erfüllte, schuf sich der Montefeltro ein dauerhafteres Denkmal als durch seine militärischen Erfolge. Während er als Büchersammler noch die Handschriften den Druckwerken vorzog, hatte er als Kunstmäzen die Zeichen der Zeit erkannt, in der sich eine neue Öffentlichkeit vom Kamingeplauder der Höfe absetzte.
Es galt nun, nicht mehr nur Städte und Provinzen, sondern auch Bildergalerien und Bibliotheken zu erobern, und Federico war ein Experte in der Kunst dieses Propagandakriegs. Nach seiner Erhebung zum Herzog gab er mehr als siebzig Porträts von sich in Auftrag, während Gelehrte wie Bisticci und Giovanni Santi, der Vater Raffaels, der geistigen Welt das Hohelied ihres Förderers sangen. So gelang es dem "Mörder und Usurpator" (Roeck/Tönnesmann), der ohne sein Mäzenatentum bloß "eine Art Unterteufel" im Inferno Italiens geblieben wäre, zur Lichtgestalt der Renaissance aufzusteigen. Den Schlußpunkt bei der Entstehung des Mythos setzte im neunzehnten Jahrhundert ein Archivar aus Florenz, der zentnerweise Aktenkonvolute aus Urbino einstampfen ließ, um Platz für neue Papiere zu schaffen. Roeck und Tönnesmann bewahren ihm ein liebevoll-ironisches Andenken: Durch seine Vernichtungstat hat er jene "Fülle des Undefinierbaren" bereichert, die unser Interesse an Geschichtserzählungen immer aufs neue weckt. Ein Zeugnis dieser Neugierde und der Mittel, sie zu stillen, ist das vorliegende Buch.
Bernd Roeck, Andreas Tönnesmann: "Die Nase Italiens". Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino. Wagenbach Verlag, Berlin 2005. 239 S., 50 Abb., geb., 24,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Federico da Montefeltro wird entzaubert / Von Andreas Kilb
Wenn man sich Urbino von Nordosten her nähert, wie es die Tagesbesucher tun, die von den Badeorten der Küste heraufkommen, sieht man zunächst ein Bergstädtchen wie andere auch. Erst wenn man um den Stadthügel herumgefahren ist zum Mercatale, dem Marktplatz, der heute ein Parkplatz ist, erscheint wie ein Wolkengebilde aus Stein über dem Talgrund der Herzogspalast. Der Palast ist der Signifikant, der das Zeichen Urbino lesbar macht, durch ihn wird das Städtchen auf dem Hügel zum Inbegriff der Renaissance, ihrer Ästhetik, ihrer Architektur, ihres way of life. Bräche die Fassade mit den schlanken Türmen und den Marmorbalkonen weg, bliebe von Urbino wenig mehr als das Geburtshaus Raffaels und die Universität.
Federico da Montefeltro (1422 bis 1482), der diesen Palast erbauen ließ, gilt nicht erst seit Jakob Burckhardt als Renaissancecharakter schlechthin. Die Legendenbildung um den päpstlichen Condottiere begann bereits kurz nach Federicos Tod, als ihn sein ehemaliger Bibliothekar Vespasiano da Bisticci als Musterbild der Tugend, Stärke und Bildung zeichnete. Das Idyll aus Burckhardts "Kultur der Renaissance in Italien", darin wir den Montefeltro vom Vorlesungssaal zum theologischen Fachgespräch ins Clarissenkloster und von dort zur Sportwiese pilgern sehen, wo er "die Leibesübungen der jungen Leute seines Hofes" beobachtet, stammt ebenso aus Bisticcis "Viten" wie die Aufzählung von Federicos Kriegstaten. Während auf Cesare Borgia und Lorenzo de' Medici, die beiden anderen großen Renaissancefürsten, der Schatten des Machiavellismus fällt, erscheint der Herzog von Urbino bei Burckhardt als das verkörperte Maßhalten im Krieg wie in der Kirche, bei Tisch wie im Bett.
Der Züricher Historiker Bernd Roeck und sein Kunsthistorikerkollege Andreas Tönnesmann zeigen nun in ihrer Monographie Federicos, daß dieses Idealporträt eine nachträgliche Konstruktion ist - nicht anders als der prachtvolle Palast, den Luciano Laurana von 1466 an für den Montefeltro auf die antiken Mauern von Urbino stellte. Überraschend kommt diese Einsicht nicht; um so interessanter ist die Art und Weise, wie Roeck und Tönnesmann zu ihr gelangen. Sie beginnen nicht mit historischer Quellenkritik, sondern mit dem Offensichtlichen, mit Piero della Francescas berühmtem Porträt von 1470. Es zeigt den Herzog im Profil vor einer Flußlandschaft, und es verbirgt ebenso viel, wie es enthüllt. Denn Federico war nach heutigen Maßstäben schwerbehindert, er hatte sein rechtes Auge und Teile seines Nasenbeins bei einem Turnierunfall verloren. Dem Maler aber gelingt es, die beschädigte Physiognomie zum Sprechen zu bringen, durch ihn wird der eingekerbte Riechkolben zur "Nase Italiens" und sein Träger zur Ikone eines ganzen Jahrhunderts. Und nicht anders, nämlich als Kunstprodukte, sind auch alle anderen Lebens- und Sterbezeugnisse zu betrachten, die der Herr von Urbino hinterließ; sie sind, wie Roeck und Tönnesmann in ihrer kurzweiligen Studie zeigen, "nur Passepartout dieses einen Bildes", Ergänzungen zu Pieros Musterporträt.
Als Federico da Montefeltro im Juni 1422 in Gubbio geboren wird, erscheint er als der Retter seines Hauses. Graf Guidantonio von Montefeltro, Lehnsherr des Papstes, ist mit zweiundvierzig Jahren immer noch kinderlos, so daß er seinen unehelichen Enkel als eigenen Sohn ausgibt. Fünf Jahre später wird jedoch ein ehelicher Thronfolger geboren, Oddantonio; Federico sinkt auf den Stand eines Nachrückers herab, bis der Stiefbruder im Juli 1444 ermordet wird. Für Roeck und Tönnesmann ist die Mitschuld ihres Helden an der Tat evident, schon deshalb, weil Federico anschließend genau dreißig Jahre warten mußte - die Frist der Klageverjährung nach Römischem Recht -, bis er vom Vatikan die bei den Montefeltro mittlerweile erbliche Herzogswürde erhielt. Und immerhin achtzehn Jahre harte kriegerische Kleinarbeit brauchte es, bis der Urbinate seinen Erzfeind Sigismondo Malatesta von Rimini besiegt und ins Exil vertrieben hatte. Erst danach konnte er darangehen, den Lohn seiner notorischen Condottiere-Tätigkeit in die klingende Münze des Nachruhms, sprich: in Statuen, Gemälde, Bücher, Tapisserien und in die erlesenen Gewölbe seiner herzöglichen Residenz, einzutauschen.
Dem "italienischen Mobile", dem politischen Gleichgewicht zwischen Mailand, Venedig, Florenz, Neapel/Sizilien und dem Papststaat, das sich im fünfzehnten Jahrhundert in immer neuen Doppel- und Tripelallianzen austarierte, widmen Roeck und Tönnesmann nur einen kleinen Teil ihrer Betrachtungen. Immerhin bekommt man eine Ahnung von der Bauernschläue, mit der sich der Montefeltro vier Jahrzehnte lang zwischen den italienischen Großmächten bewegte. Im Jahr 1479, als der florentinische Staat am Abgrund stand, vermittelte Federico, der Feldherr des Feindes, die Versöhnungsreise Lorenzos des Prächtigen nach Neapel, obwohl er zuvor den Osterputsch der Pazzi gegen die Medici unterstützt hatte. Drei Jahre später kämpfte er am Po für Ferrara gegen venezianische Truppen, bevor ihn die Malaria dahinraffte. Als Baldassare Castiglione, der Höfling seines Sohnes Guidobaldo, den Herzog von Urbino 1528 in der Vorrede zu seinem "Cortegiano" als "Licht Italiens" feierte, war Federico da Montefeltro längst zur Symbolfigur jener Machtbalance geworden, die mit den Invasionen der Franzosen nach 1494 und dem "Sacco di Roma" der Landsknechte Karls V. zerbrochen war.
Etwas von diesem fragilen Gleichgewicht steckt auch in den Sälen, Gängen und Treppenhäusern des Palastes zu Urbino. Bei Roeck und Tönnesmann kann man nachlesen, wie geschickt Federicos Architekt Laurana die neuen Gebäude in vorhandene Stadtstrukturen einpaßte, wie öffentliche von privaten Trakten, Räume der Repräsentation von solchen des Vergnügens getrennt wurden und wie im "studiolo", dem Studierzimmer des Herzogs, ein hinreißendes Ensemble inszenierter Gelehrsamkeit entstand. Durch den Palast und die höfische Kultur, die ihn erfüllte, schuf sich der Montefeltro ein dauerhafteres Denkmal als durch seine militärischen Erfolge. Während er als Büchersammler noch die Handschriften den Druckwerken vorzog, hatte er als Kunstmäzen die Zeichen der Zeit erkannt, in der sich eine neue Öffentlichkeit vom Kamingeplauder der Höfe absetzte.
Es galt nun, nicht mehr nur Städte und Provinzen, sondern auch Bildergalerien und Bibliotheken zu erobern, und Federico war ein Experte in der Kunst dieses Propagandakriegs. Nach seiner Erhebung zum Herzog gab er mehr als siebzig Porträts von sich in Auftrag, während Gelehrte wie Bisticci und Giovanni Santi, der Vater Raffaels, der geistigen Welt das Hohelied ihres Förderers sangen. So gelang es dem "Mörder und Usurpator" (Roeck/Tönnesmann), der ohne sein Mäzenatentum bloß "eine Art Unterteufel" im Inferno Italiens geblieben wäre, zur Lichtgestalt der Renaissance aufzusteigen. Den Schlußpunkt bei der Entstehung des Mythos setzte im neunzehnten Jahrhundert ein Archivar aus Florenz, der zentnerweise Aktenkonvolute aus Urbino einstampfen ließ, um Platz für neue Papiere zu schaffen. Roeck und Tönnesmann bewahren ihm ein liebevoll-ironisches Andenken: Durch seine Vernichtungstat hat er jene "Fülle des Undefinierbaren" bereichert, die unser Interesse an Geschichtserzählungen immer aufs neue weckt. Ein Zeugnis dieser Neugierde und der Mittel, sie zu stillen, ist das vorliegende Buch.
Bernd Roeck, Andreas Tönnesmann: "Die Nase Italiens". Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino. Wagenbach Verlag, Berlin 2005. 239 S., 50 Abb., geb., 24,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gustav Seibt ist durchweg hingerissen - von Umbrien im Frühling, der "Kunstburg" Federico da Montefeltros in Urbino und dem Buch von Bernd Roeck und Andreas Tönnesmann über den Mäzen und Kriegsherrn der Renaissance. Die beiden Autoren verknüpfen eine "detaillierte" Biografie des Montefeltro mit einer "ausführlichen" Darstellung des ständig erweiterten Anwesens. "Sichtlich fasziniert" beschreiben sie die realhistorischen und machtpolitischen Hintergründe für das Kunstinteresse des Herzogs, schreibt Seibt, der sich dieser Faszination selbst nicht erwehren kann. Letzlich zur Sicherung seines kompromisslosen Machtanspruchs hat Montefeltro unter anderem die erste Treppe Europas bauen lassen, die angemessenes Schreiten ermöglichte, oder das freistehende Bücherregal erfunden. Diese Verbindung von "Verfeinerung und Grausamkeit" "fesselt" den Rezensenten, und er preist die Autoren dafür, mit "modernen sozialwissenschaftlichen Methoden" ein Renaissance-Buch "fast nietzeanischen Zuschnitts" verfasst zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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