"Eine Untersuchung über die Natur des Rechts ist mit Argwohn gegenüber ihrer Machbarkeit belastet, da die klassischen Philosophen gar keine Rechtsphilosophie kannten." Mit dieser Provokation beginnt Eric Voegelin diesen Essay, in dem er untersucht, ob und unter welchen Bedingungen man davon reden könne, dass das Recht ein Wesen habe, dass das Recht mithin ein Ding mit eigenem ontologischen Status sei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2012Gefrorene Seele
Der Ideengeschichtler Eric Voegelin gehört zu den dunklen Klassikern der politischen Theorie. Mit seiner Kritik des religiös entfremdeten Geistes der Moderne schrieb er sich in eine solitäre Position. Seine Verfallsdiagnosen wie die Rede von der "atrophischen Deformation eines dekapitierten Geistes" haben in ihrem Verzicht auf alle humanistische Wärme in der Diktion etwas kalt Bezwingendes. Sein Werk will diese gefrorene Seele öffnen. Es sucht nach dem Ausdruck von Transzendenz in gesellschaftlichen Ordnungen. Auch Voegelins Vorlesungen zur Natur des Rechts, die nun erstmals auf Deutsch vorliegen, sind von diesem Impuls bestimmt. Das Recht im höheren Sinn ist hier mehr als ein Aggregat von Regeln, dessen Essenz durch Rechtsvergleich oder formale Theorie erschließbar wäre. Voegelin verlagert die Wesensfrage ins Prozessuale: Der ganze Rechtssetzungsprozess mit seinen Akten, Anwälten und Lobbyisten sind Teil seiner Natur. Er gewinnt darüber seinen Ansatzpunkt für die Wesensfrage in der Ordnung der Gesellschaft, deren Sicherung das Recht dient und die er zwischen göttlicher Ordnung und menschlicher Artikulation verortet. Der Mensch macht das Recht, aber durch die Partizipationserfahrung an der wahren Ordnung des Seins steht es auch im Reflex des Göttlichen, der lex aeterna. Die Besonderheit dieser Grundlegung des Rechts liegt darin, wie sie das Recht gleichzeitig im Irdischen verwurzelt wie aufs Höchste orientiert und damit einen leeren Formalismus umschifft. Ihr nicht ohne rhetorischen Aufwand zu meisterndes Problem ist, das göttliche Licht ohne Rekurs auf eine Urerfahrung einzufangen. (Eric Voegelin: "Die Natur des Rechts". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012. 220 S., geb., 24,90 [Euro].) thom
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Ideengeschichtler Eric Voegelin gehört zu den dunklen Klassikern der politischen Theorie. Mit seiner Kritik des religiös entfremdeten Geistes der Moderne schrieb er sich in eine solitäre Position. Seine Verfallsdiagnosen wie die Rede von der "atrophischen Deformation eines dekapitierten Geistes" haben in ihrem Verzicht auf alle humanistische Wärme in der Diktion etwas kalt Bezwingendes. Sein Werk will diese gefrorene Seele öffnen. Es sucht nach dem Ausdruck von Transzendenz in gesellschaftlichen Ordnungen. Auch Voegelins Vorlesungen zur Natur des Rechts, die nun erstmals auf Deutsch vorliegen, sind von diesem Impuls bestimmt. Das Recht im höheren Sinn ist hier mehr als ein Aggregat von Regeln, dessen Essenz durch Rechtsvergleich oder formale Theorie erschließbar wäre. Voegelin verlagert die Wesensfrage ins Prozessuale: Der ganze Rechtssetzungsprozess mit seinen Akten, Anwälten und Lobbyisten sind Teil seiner Natur. Er gewinnt darüber seinen Ansatzpunkt für die Wesensfrage in der Ordnung der Gesellschaft, deren Sicherung das Recht dient und die er zwischen göttlicher Ordnung und menschlicher Artikulation verortet. Der Mensch macht das Recht, aber durch die Partizipationserfahrung an der wahren Ordnung des Seins steht es auch im Reflex des Göttlichen, der lex aeterna. Die Besonderheit dieser Grundlegung des Rechts liegt darin, wie sie das Recht gleichzeitig im Irdischen verwurzelt wie aufs Höchste orientiert und damit einen leeren Formalismus umschifft. Ihr nicht ohne rhetorischen Aufwand zu meisterndes Problem ist, das göttliche Licht ohne Rekurs auf eine Urerfahrung einzufangen. (Eric Voegelin: "Die Natur des Rechts". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012. 220 S., geb., 24,90 [Euro].) thom
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