Der transkulturelle philosophische Dialog bietet einer Kultur, die sich in einer bestimmten Sprache entwickelt hat, die Möglichkeit, ihre Grenzen zu erforschen und sich Wahrheiten gegenüber zu öffnen, die eine andere Kultur ihr bietet. Dem philosophischen Dialog zwischen Franzosen und Deutschen kommt in dieser Hinsicht eine paradigmatische Bedeutung zu. Beide Traditionen formulierten eine radikale Kritik des theoretischen Gebrauchs der Sprache. Sie waren aber gezwungen, ihre Theoriesprachen zu verwenden, ohne auf eine Übereinstimmung mit ihren Gesprächspartnern warten zu können. Der Widerstreit, der daraus entstand, konnte nur eine Lösung finden: die Anerkennung, dass die Logik der Rede und der Schrift die Logik der Wahrheit ist. Anzuerkennen war die Freiheit der philosophischen Urteilskraft des Menschen im Gebrauch der Sprache. Nur so kann man sich von den Pseudo-Gewissheiten des pragmatischen bzw. des konsensuellen Sollen befreien und die ethisch-politischen Sprachwahrheiten anerkennen. Die Neue Moderne hat sich freilich selbst verneint, weil jede Tradition unfähig war, die Falschheit ihrer eigenen pragmatischen Prämissen zu durchschauen. Der Widerstreit der Kulturen kann nur durch die Anerkennung der philosophischen Wahrheitslogik überwunden werden. Die Komplementarität der Wahrheiten kann nutzbar gemacht werden, wenn im transkulturellen Dialog ihr philosophischer Charakter respektiert und die kulturellen Wahrheiten mit Hilfe einer philosophischen Anthropologie beurteilt werden.