Produktdetails
- Beck'sche Reihe 493
- Verlag: Beck
- Deutsch
- Gewicht: 330g
- ISBN-13: 9783406340857
- ISBN-10: 3406340857
- Artikelnr.: 04620385
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.1995Die Stellvertreter
Greenpeace erteilt Staatsbürgerkunde / Von Konrad Adam
Die Heuchelei, heißt ein bekanntes Bonmot, sei die Verbeugung des Lasters vor der Tugend. Sie äußert sich im Euphemismus, der eigentlich modernen Form der Lüge. Man tauft die böse Tat auf einen guten Namen, spricht also nicht von Abfallwirtschaft, sondern von Entsorgungsstrategien, deklariert den Bauschutt als Füllmaterial für die Landgewinnung und unterläuft das Gesetz, das die Müllverbrennung durch die Müllverwertung ersetzen soll, einfach dadurch, daß man das Verbrennen als Verwerten ausgibt, als thermische Verwertung. Dann darf man tun, was eigentlich verboten ist, und wenn man es geschickt genug anstellt, wird man dafür vom Staat auch noch belohnt.
Über diese und ähnliche Formen der offiziösen Heuchelei kann man sich im "Wörterbuch des Müllhändlers" unterrichten, das als Appendix einem Bändchen mit dem Titel "Die Müll-Connection" beigegeben ist. Es ist als Greenpeace-Buch in der Beck'schen Reihe erschienen und scheint damit für eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Verlegern und Verbänden zu stehen.
Neben dem schon erwähnten sind in derselben Reihe eine Handvoll weiterer Titel erschienen: "Der Preis der Energie", ein Plädoyer für die ökologische Steuerreform; "Umweltpolitik in Europa", ein Leitfaden durch das Kompetenzenlabyrinth der Europäischen Gemeinschaft; "Die neue Offensive der Atomwirtschaft", eine kritische Bilanz des Versuchs, das ökologische Bewußtsein ökonomisch auszubeuten. Das ist nicht schwer, denn mit ihrem exorbitanten Energieverbrauch sind die Menschen der westlichen Zivilisation abhängig und erpreßbar geworden. Aus dieser selbstverschuldeten Notlage hat die marode Reaktorbauindustrie eine Chance gemacht, als Gesprächs- und Geschäftspartner wieder ernst genommen zu werden. Seit jedermann auf der Welt vom Ozonloch schwadroniert, preist sie die Kernenergie als letztes Mittel an, dem drohenden Klimakollaps zu entkommen. Daß sie in Wahrheit, um die eine Blöße zu decken, mehrere andere Blößen aufreißt, wird dabei allerdings beredt verschwiegen.
Der jüngste Titel der Greenpeace-Reihe heißt "Brent Spar und die Zukunft der Meere". Er enthält einen spannenden Bericht über die Umstände, die schließlich zum Rückzug des Ölproduzenten Shell, zur Blamage der britischen Regierung und zum Triumph der Umweltorganisation geführt haben. Was den Konzern am Ende zum Aufgeben zwang, war ein sehr einfaches Argument: Jeder Bürger, der heute ein paar Altreifen am Straßenrand ablädt oder seinen verrosteten Wagen in einem Baggersee verschwinden läßt, hat mit empfindlichen Strafen zu rechnen. In der Brent Spar-Affäre ging es um die Frage, ob das vom Staat dekretierte Recht für alle gilt oder nur für diejenigen, die keine Chance haben, sich rechtzeitig von allen Auflagen freizukaufen.
Gerechtigkeit zu üben gegen jedermann, gilt traditionell als die vornehmste Aufgabe einer Regierung. Wo sie sich entzieht und die Bürger den Eindruck gewinnen, daß andere Kräfte den ersten Staatszweck besser erfüllen als der Staat selbst, wachsen diesen anderen die Sympathien zu, die einmal dem Parlament, der Politik und den Parteien gegolten hatten. In der Rangfolge des öffentlichen Ansehens stehen die Ärzte und die Greenpeace-Aktivisten ganz weit oben, Politiker und Journalisten tief unten. Der Respekt, den Greenpeace und ähnliche Organisationen genießen, ist offenbar die Kehrseite der grassierenden Politikverdrossenheit.
Tatsächlich ist die Politik im Vergleich zu jenen beiden Mächten, die Tempo und Richtung der Entwicklung bestimmen, gegenüber Wissenschaft und Wirtschaft, ins Hintertreffen geraten. Was Helmut Schmidt als Kanzler mit der Bemerkung, er sei doch nicht der oberste Fischhändler der Nation, noch empört von sich gewiesen hatte, die Zumutung nämlich, Politik durch Handelsverträge zu ersetzen, ist für die meisten seiner Nachfolger selbstverständlich geworden. Sie unterwerfen sich mit Lust den Imperativen der Wirtschaft und reden von der Wissenschaft, als ob sie ihre Gouvernante sei. Wer das am leichtesten besorgt und am schnellsten über die Lippen bringt, wird mit dem Ehrentitel des Zukunftsministers belohnt.
Was daraus folgt, ist Politikversagen, und dies Versagen ist die Chance für Greenpeace. Seine Aktivisten besetzen den Raum, den die gewählten Politiker geräumt haben und in den sie nur noch dann zurückkehren, wenn ihnen andere vorausmarschiert sind. Als die Erregung über die geplante Versenkung der Ölplattform auf dem Höhepunkt war, verkündete die für die Umwelt zuständige Ministerin Angela Merkel, sie stehe auf seiten von Greenpeace; vorher nicht. Ihr haben sich dann innerhalb von Stunden die Vorsitzenden und Generalsekretäre fast aller politischen Parteien angeschlossen. Nachdem der Zug in Gang gekommen war, wollte niemand mehr abseits stehen.
Versucht man, aus alledem eine Zwischenbilanz zu ziehen, erkennt man einen Zerfallsprozeß. In das, was früher einheitlich als "Politik" beschrieben wurde, teilen sich heute zwei Gruppen: die einen, die sich für zuständig halten und reden, und die anderen, die entschlossen sind und handeln. Das läßt die einen, die gewählten Politiker, so langweilig erscheinen, die anderen, die NGOs, so interessant. Wer nach Gründen für die Politikverdrossenheit und für den ungebrochenen Greenpeace-Enthusiasmus sucht, findet sie hier.
Gerd Rosenkranz, Irene Meichsner, Manfred Kriener: "Die neue Offensive der Atomwirtschaft". Treibhauseffekt, Sicherheitsdiskussion, Markt im Osten. Ein Greenpeace-Buch. 352 S., Abb., br., 24,- DM.
Matthias Baerens, Ulrich von Arnswald: "Die Müll-Connection". Entsorger und ihre Geschäfte. Ein Greenpeace-Buch. 216 S., Abb., br., 14,80 DM.
Christian Hey: "Umweltpolitik in Europa". Fehler, Risiken, Chancen. Ein Greenpeace-Buch. 188 S., Abb., br., 19,80 DM.
Greenpeace e. V. (Hrsg.): "Der Preis der Energie". Plädoyer für eine ökologische Steuerreform. Mit Beiträgen von Hans-Peter Dürr, Peter Hennicke, Fritz Vorholz, Ernst Ulrich von Weizsäcker u. a. Ein Greenpeace-Buch. 230 S., br., 19,80 DM.
Jochen Vorfelder: "Brent Spar und die Zukunft der Meere". Der Greenpeace-Report. Ein Greenpeace-Buch. 220 S., Abb., br., 17,80 DM.
Alle Bücher sind in der Beck'schen Reihe, Verlag C. H. Beck, München 1992, 1993, 1994 und 1995 erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Greenpeace erteilt Staatsbürgerkunde / Von Konrad Adam
Die Heuchelei, heißt ein bekanntes Bonmot, sei die Verbeugung des Lasters vor der Tugend. Sie äußert sich im Euphemismus, der eigentlich modernen Form der Lüge. Man tauft die böse Tat auf einen guten Namen, spricht also nicht von Abfallwirtschaft, sondern von Entsorgungsstrategien, deklariert den Bauschutt als Füllmaterial für die Landgewinnung und unterläuft das Gesetz, das die Müllverbrennung durch die Müllverwertung ersetzen soll, einfach dadurch, daß man das Verbrennen als Verwerten ausgibt, als thermische Verwertung. Dann darf man tun, was eigentlich verboten ist, und wenn man es geschickt genug anstellt, wird man dafür vom Staat auch noch belohnt.
Über diese und ähnliche Formen der offiziösen Heuchelei kann man sich im "Wörterbuch des Müllhändlers" unterrichten, das als Appendix einem Bändchen mit dem Titel "Die Müll-Connection" beigegeben ist. Es ist als Greenpeace-Buch in der Beck'schen Reihe erschienen und scheint damit für eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Verlegern und Verbänden zu stehen.
Neben dem schon erwähnten sind in derselben Reihe eine Handvoll weiterer Titel erschienen: "Der Preis der Energie", ein Plädoyer für die ökologische Steuerreform; "Umweltpolitik in Europa", ein Leitfaden durch das Kompetenzenlabyrinth der Europäischen Gemeinschaft; "Die neue Offensive der Atomwirtschaft", eine kritische Bilanz des Versuchs, das ökologische Bewußtsein ökonomisch auszubeuten. Das ist nicht schwer, denn mit ihrem exorbitanten Energieverbrauch sind die Menschen der westlichen Zivilisation abhängig und erpreßbar geworden. Aus dieser selbstverschuldeten Notlage hat die marode Reaktorbauindustrie eine Chance gemacht, als Gesprächs- und Geschäftspartner wieder ernst genommen zu werden. Seit jedermann auf der Welt vom Ozonloch schwadroniert, preist sie die Kernenergie als letztes Mittel an, dem drohenden Klimakollaps zu entkommen. Daß sie in Wahrheit, um die eine Blöße zu decken, mehrere andere Blößen aufreißt, wird dabei allerdings beredt verschwiegen.
Der jüngste Titel der Greenpeace-Reihe heißt "Brent Spar und die Zukunft der Meere". Er enthält einen spannenden Bericht über die Umstände, die schließlich zum Rückzug des Ölproduzenten Shell, zur Blamage der britischen Regierung und zum Triumph der Umweltorganisation geführt haben. Was den Konzern am Ende zum Aufgeben zwang, war ein sehr einfaches Argument: Jeder Bürger, der heute ein paar Altreifen am Straßenrand ablädt oder seinen verrosteten Wagen in einem Baggersee verschwinden läßt, hat mit empfindlichen Strafen zu rechnen. In der Brent Spar-Affäre ging es um die Frage, ob das vom Staat dekretierte Recht für alle gilt oder nur für diejenigen, die keine Chance haben, sich rechtzeitig von allen Auflagen freizukaufen.
Gerechtigkeit zu üben gegen jedermann, gilt traditionell als die vornehmste Aufgabe einer Regierung. Wo sie sich entzieht und die Bürger den Eindruck gewinnen, daß andere Kräfte den ersten Staatszweck besser erfüllen als der Staat selbst, wachsen diesen anderen die Sympathien zu, die einmal dem Parlament, der Politik und den Parteien gegolten hatten. In der Rangfolge des öffentlichen Ansehens stehen die Ärzte und die Greenpeace-Aktivisten ganz weit oben, Politiker und Journalisten tief unten. Der Respekt, den Greenpeace und ähnliche Organisationen genießen, ist offenbar die Kehrseite der grassierenden Politikverdrossenheit.
Tatsächlich ist die Politik im Vergleich zu jenen beiden Mächten, die Tempo und Richtung der Entwicklung bestimmen, gegenüber Wissenschaft und Wirtschaft, ins Hintertreffen geraten. Was Helmut Schmidt als Kanzler mit der Bemerkung, er sei doch nicht der oberste Fischhändler der Nation, noch empört von sich gewiesen hatte, die Zumutung nämlich, Politik durch Handelsverträge zu ersetzen, ist für die meisten seiner Nachfolger selbstverständlich geworden. Sie unterwerfen sich mit Lust den Imperativen der Wirtschaft und reden von der Wissenschaft, als ob sie ihre Gouvernante sei. Wer das am leichtesten besorgt und am schnellsten über die Lippen bringt, wird mit dem Ehrentitel des Zukunftsministers belohnt.
Was daraus folgt, ist Politikversagen, und dies Versagen ist die Chance für Greenpeace. Seine Aktivisten besetzen den Raum, den die gewählten Politiker geräumt haben und in den sie nur noch dann zurückkehren, wenn ihnen andere vorausmarschiert sind. Als die Erregung über die geplante Versenkung der Ölplattform auf dem Höhepunkt war, verkündete die für die Umwelt zuständige Ministerin Angela Merkel, sie stehe auf seiten von Greenpeace; vorher nicht. Ihr haben sich dann innerhalb von Stunden die Vorsitzenden und Generalsekretäre fast aller politischen Parteien angeschlossen. Nachdem der Zug in Gang gekommen war, wollte niemand mehr abseits stehen.
Versucht man, aus alledem eine Zwischenbilanz zu ziehen, erkennt man einen Zerfallsprozeß. In das, was früher einheitlich als "Politik" beschrieben wurde, teilen sich heute zwei Gruppen: die einen, die sich für zuständig halten und reden, und die anderen, die entschlossen sind und handeln. Das läßt die einen, die gewählten Politiker, so langweilig erscheinen, die anderen, die NGOs, so interessant. Wer nach Gründen für die Politikverdrossenheit und für den ungebrochenen Greenpeace-Enthusiasmus sucht, findet sie hier.
Gerd Rosenkranz, Irene Meichsner, Manfred Kriener: "Die neue Offensive der Atomwirtschaft". Treibhauseffekt, Sicherheitsdiskussion, Markt im Osten. Ein Greenpeace-Buch. 352 S., Abb., br., 24,- DM.
Matthias Baerens, Ulrich von Arnswald: "Die Müll-Connection". Entsorger und ihre Geschäfte. Ein Greenpeace-Buch. 216 S., Abb., br., 14,80 DM.
Christian Hey: "Umweltpolitik in Europa". Fehler, Risiken, Chancen. Ein Greenpeace-Buch. 188 S., Abb., br., 19,80 DM.
Greenpeace e. V. (Hrsg.): "Der Preis der Energie". Plädoyer für eine ökologische Steuerreform. Mit Beiträgen von Hans-Peter Dürr, Peter Hennicke, Fritz Vorholz, Ernst Ulrich von Weizsäcker u. a. Ein Greenpeace-Buch. 230 S., br., 19,80 DM.
Jochen Vorfelder: "Brent Spar und die Zukunft der Meere". Der Greenpeace-Report. Ein Greenpeace-Buch. 220 S., Abb., br., 17,80 DM.
Alle Bücher sind in der Beck'schen Reihe, Verlag C. H. Beck, München 1992, 1993, 1994 und 1995 erschienen.
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