Die Frage nach der neuen Sichtbarkeit des Todes und der Toten wird in diesem Band anhand von zahlreichen Beispielen aus Künsten und Medien diskutiert. Zu den elementaren Leitsätzen einer Beschreibung und Kritik der Moderne zählt die Behauptung, der Tod werde zunehmend verdrängt und ausgeschlossen. Gegen diese Behauptung lässt sich einwenden, der Tod selbst bleibe - aller Metaphysik zum Trotz - prinzipiell unvorstellbar, ungreifbar, opak. Der Tod kann also gar nicht verdrängt oder ausgeschlossen werden, ganz im Gegensatz zu den Sterbenden und Toten, die ab dem 19. Jahrhundert aus dem gesellschaftlichen Verkehr, den Praktiken und Inszenierungen eines symbolischen Tauschs, ins Niemandsland der Kliniken, Obduktionssäle, Leichenschauhäuser und exterritorialisierten Friedhöfe abgeschoben wurden. In seiner Studie über Nikolai Lesskow behauptete Walter Benjamin, es sei vielleicht der unbewusste "Hauptzweck" der bürgerlichen Gesellschaft gewesen, "den Leuten die Möglichkeit zu verschaffen, sich dem Anblick von Sterbenden zu entziehen". Seit einigen Jahren wird jedoch eine Revision dieser kulturkritischen Diagnosen geradezu erzwungen. Die Toten sind zurückgekehrt, nicht nur als Thema spiritueller, psychologischer oder philosophischer Diskurse, sondern in konkreter, sinnlicher, materieller Gestalt. Diese Rückkehr ereignet sich in den Künsten, in Literatur, Fotografien, Rauminstallationen und Ausstellungen; sie ereignet sich in Filmen und TV-Serien (wie "Six Feet Under", "CSI" oder "Crossing Jordan"), die das Publikum in allen forensischen Details über die konkrete Materialität der Toten aufklären; sichtbar wird sie auch in neu gestalteten Bestattungspraktiken oder in den öffentlichen Debatten um Sterbehilfe, Hospizbewegung, Transplantationsmedizin oder das biotechnologische Versprechen der Langlebigkeit - wenn nicht gar "Unsterblichkeit". Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt daher die Frage, ob sich gegenwärtig ein kulturelles System von Symbolen und Ritualen zu entwickeln beginnt, das zu einer neuen Sichtbarkeit des Todes und der Toten beiträgt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2007Die neuen Bestatter
Bestattungsunternehmer machen sich Sorgen. Nicht etwa, weil die Toten ausgingen. Die demographischen Zahlen ermuntern im Gegenteil zu den besten geschäftlichen Prognosen. Aber im größer werdenden Kundenkreis zeigt sich gleichzeitig eine Tendenz zu unaufwendigem Verschwinden. Damit solche "Entsorgungsmentalität" nicht den Ausschlag gibt, muss den Bestattern daran gelegen sein, ihr tristes Image abzulegen und vor allem ihre Produktpalette zu erweitern. Särge, Urnen und selbst aus Totenasche gepresste Diamanten dürften dafür nicht ausreichen. Es braucht den Schritt ins Leben, in dem wir vom Tod und also von möglichen Angeboten des vorausschauenden Bestatters umfangen sind.
In einem der Beiträge zu einem lesenswerten Sammelband über Praktiken der Bestattung, Darbietungen toter Körper und Tote in den neuen Medien kann man über Präsentationsformen von Bestattern nachlesen ("Die neue Sichtbarkeit des Todes". Herausgegeben von Thomas Macho und Kristin Marek. Wilhelm Fink Verlag, München 2007. 607 S., Abb., geb., 49,90 [Euro]). Offenheit und Weltzugewandtheit sind programmatische Stichworte für das Design des neuen Erscheinungsbilds (Antje Kahl). Der vor einiger Zeit ins Spiel gebrachte Grabstein mit eingelassenem Bildschirm - mittlerweile sogar patentiert - gehört zwar noch nicht zu den angebotenen Leistungen. Aber eigentlich zeigt er am besten, wie diese sich erweitern ließen.
Wobei es hauptsächlich um die Bilder geht, die auf dem Bildschirm zu sehen wären. Die Möglichkeiten reichten von der Fotoauswahl aus einem Katalog bis zu individuell gestalteten Filmschleifen. Interessant wird das insbesondere dann, wenn der Verstorbene sich bereits zu Lebzeiten darüber Gedanken macht. Man mag sich natürlich kaum vorstellen, was solche digitalisierten Gräber für Spaziergänge auf Friedhöfen bedeuten würden. Weshalb die Geschäftsidee des demnächst auf Sendung gehenden ersten deutschen "Trauerkanals", solche Kurzfilmnachrufe zehnmal durch den Äther zu schicken und dann digital abrufbar zu halten, die zwar blassere, aber wohl realistischere Version des Gedankens ist. Daneben will "Etos TV" übrigens mit Infotainment über Angebote zum Lebensabend und Berichten rund um Bestattungskultur aufwarten.
Die im Titel formulierte These des Bandes ist, dass das Sterben und die Toten heute neuen Formen von Sichtbarkeit unterworfen würden. Um das Neue an ihnen fassbar werden zu lassen, werden auch ältere Präsentationsweisen toter Körper in den Blick genommen: ob nun die Leiche des Papstes Formosus im postumen Verdammungsritual, das die Vernichtung der Erinnerung auch symbolisch am Leichnam vollziehen sollte (Olaf B. Raader), die zum Bild ihrer selbst gewordene mumifizierte heilige Catarina Virgi im Corpus-Domini-Kloster zu Bologna (Urte Krass) oder Hans Holbeins d. J. berühmtes Bild des begrabenen toten Christus und die von ihm angeregten modernen Ableitungen (Kristin Marek).
Der Übergang zu Bild und Kunst oder allgemeiner zum Medium ist dabei schnell gemacht. Im Hintergrund steht die "bildanthropologische" Vermutung, dass man sich die Ursprungsszene der bildenden Kunst als Bildwerdung des Toten vorstellen könne (Hans Belting). Während der Blick zurück aber auf die im Wortsinn repräsentativen toten Körper stößt, widmen sich zeitgenössische Künstler anonymen Toten. Einigen dieser Künstler sind nicht nur Interpretationen, sondern auch eindrucksvolle Fotostrecken in dem vorzüglich bebilderten Band gewidmet.
Die Arbeiten von Teresa Margolles führen dabei vor Augen, dass es nicht Abbilder sein müssen, die die Toten evozieren. Die ausgebildete Forensikerin bedient sich einer minimalistischen Ästhetik, die meist mit den Spuren toter Körper arbeitet, wie sie in gerichtsmedizinischen Untersuchungen von Todesopfern anfallen (Thomas Macho). Sehr viel direkter verfahren dagegen die Fotografien von Jeffrey Silverthorne und Sue Fox. Leicht auszuhalten sind sie nicht, und insbesondere Fox' Fotos von obduzierten Leichen machen dem Betrachter bewusst, wie sehr er auf ästhetische Abmilderungen und Auslassungen angewiesen ist, die ihm hier weitgehend verweigert werden (Helga Lutz).
Dem Tod rückt man damit freilich nicht näher. So wenig wie mit den Untoten der Horrorfilme, die die Gestorbenen filmgerecht auf Trab bringen (Arno Meteling). Andererseits sind mittlerweile Fernsehserien sehr erfolgreich, in denen forensische Beweisaufnahmen oder auch Bestattungspraktiken ("Six Feet Under") ausführlich in Szene gesetzt werden. Begnügen wir uns hier mit einigen Titeln der "Crime Scene Investigation"-Formate wie "Dem Täter auf der Spur", "Autopsie" oder "Crossing Jordan".
Und dann gibt es noch das virtuelle Terrain, auf dem viel und munter gestorben und übrigens auch "begraben" wird. Doch wenn der Avatar plötzlich aus dem Bild kippt oder zum Skelett wird, kommt an den Spieler immer noch die Frage "Continue Yes/No?" (Frank Furtwängler). Es ist die Frage, die abseits der Computerspiele das Leben für uns entscheidet und "der Tod" nicht beantwortet.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bestattungsunternehmer machen sich Sorgen. Nicht etwa, weil die Toten ausgingen. Die demographischen Zahlen ermuntern im Gegenteil zu den besten geschäftlichen Prognosen. Aber im größer werdenden Kundenkreis zeigt sich gleichzeitig eine Tendenz zu unaufwendigem Verschwinden. Damit solche "Entsorgungsmentalität" nicht den Ausschlag gibt, muss den Bestattern daran gelegen sein, ihr tristes Image abzulegen und vor allem ihre Produktpalette zu erweitern. Särge, Urnen und selbst aus Totenasche gepresste Diamanten dürften dafür nicht ausreichen. Es braucht den Schritt ins Leben, in dem wir vom Tod und also von möglichen Angeboten des vorausschauenden Bestatters umfangen sind.
In einem der Beiträge zu einem lesenswerten Sammelband über Praktiken der Bestattung, Darbietungen toter Körper und Tote in den neuen Medien kann man über Präsentationsformen von Bestattern nachlesen ("Die neue Sichtbarkeit des Todes". Herausgegeben von Thomas Macho und Kristin Marek. Wilhelm Fink Verlag, München 2007. 607 S., Abb., geb., 49,90 [Euro]). Offenheit und Weltzugewandtheit sind programmatische Stichworte für das Design des neuen Erscheinungsbilds (Antje Kahl). Der vor einiger Zeit ins Spiel gebrachte Grabstein mit eingelassenem Bildschirm - mittlerweile sogar patentiert - gehört zwar noch nicht zu den angebotenen Leistungen. Aber eigentlich zeigt er am besten, wie diese sich erweitern ließen.
Wobei es hauptsächlich um die Bilder geht, die auf dem Bildschirm zu sehen wären. Die Möglichkeiten reichten von der Fotoauswahl aus einem Katalog bis zu individuell gestalteten Filmschleifen. Interessant wird das insbesondere dann, wenn der Verstorbene sich bereits zu Lebzeiten darüber Gedanken macht. Man mag sich natürlich kaum vorstellen, was solche digitalisierten Gräber für Spaziergänge auf Friedhöfen bedeuten würden. Weshalb die Geschäftsidee des demnächst auf Sendung gehenden ersten deutschen "Trauerkanals", solche Kurzfilmnachrufe zehnmal durch den Äther zu schicken und dann digital abrufbar zu halten, die zwar blassere, aber wohl realistischere Version des Gedankens ist. Daneben will "Etos TV" übrigens mit Infotainment über Angebote zum Lebensabend und Berichten rund um Bestattungskultur aufwarten.
Die im Titel formulierte These des Bandes ist, dass das Sterben und die Toten heute neuen Formen von Sichtbarkeit unterworfen würden. Um das Neue an ihnen fassbar werden zu lassen, werden auch ältere Präsentationsweisen toter Körper in den Blick genommen: ob nun die Leiche des Papstes Formosus im postumen Verdammungsritual, das die Vernichtung der Erinnerung auch symbolisch am Leichnam vollziehen sollte (Olaf B. Raader), die zum Bild ihrer selbst gewordene mumifizierte heilige Catarina Virgi im Corpus-Domini-Kloster zu Bologna (Urte Krass) oder Hans Holbeins d. J. berühmtes Bild des begrabenen toten Christus und die von ihm angeregten modernen Ableitungen (Kristin Marek).
Der Übergang zu Bild und Kunst oder allgemeiner zum Medium ist dabei schnell gemacht. Im Hintergrund steht die "bildanthropologische" Vermutung, dass man sich die Ursprungsszene der bildenden Kunst als Bildwerdung des Toten vorstellen könne (Hans Belting). Während der Blick zurück aber auf die im Wortsinn repräsentativen toten Körper stößt, widmen sich zeitgenössische Künstler anonymen Toten. Einigen dieser Künstler sind nicht nur Interpretationen, sondern auch eindrucksvolle Fotostrecken in dem vorzüglich bebilderten Band gewidmet.
Die Arbeiten von Teresa Margolles führen dabei vor Augen, dass es nicht Abbilder sein müssen, die die Toten evozieren. Die ausgebildete Forensikerin bedient sich einer minimalistischen Ästhetik, die meist mit den Spuren toter Körper arbeitet, wie sie in gerichtsmedizinischen Untersuchungen von Todesopfern anfallen (Thomas Macho). Sehr viel direkter verfahren dagegen die Fotografien von Jeffrey Silverthorne und Sue Fox. Leicht auszuhalten sind sie nicht, und insbesondere Fox' Fotos von obduzierten Leichen machen dem Betrachter bewusst, wie sehr er auf ästhetische Abmilderungen und Auslassungen angewiesen ist, die ihm hier weitgehend verweigert werden (Helga Lutz).
Dem Tod rückt man damit freilich nicht näher. So wenig wie mit den Untoten der Horrorfilme, die die Gestorbenen filmgerecht auf Trab bringen (Arno Meteling). Andererseits sind mittlerweile Fernsehserien sehr erfolgreich, in denen forensische Beweisaufnahmen oder auch Bestattungspraktiken ("Six Feet Under") ausführlich in Szene gesetzt werden. Begnügen wir uns hier mit einigen Titeln der "Crime Scene Investigation"-Formate wie "Dem Täter auf der Spur", "Autopsie" oder "Crossing Jordan".
Und dann gibt es noch das virtuelle Terrain, auf dem viel und munter gestorben und übrigens auch "begraben" wird. Doch wenn der Avatar plötzlich aus dem Bild kippt oder zum Skelett wird, kommt an den Spieler immer noch die Frage "Continue Yes/No?" (Frank Furtwängler). Es ist die Frage, die abseits der Computerspiele das Leben für uns entscheidet und "der Tod" nicht beantwortet.
HELMUT MAYER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bemerkenswert scheint Rezensent Helmut Mayer dieser von Thomas Macho und Kristin Marek herausgegebene Sammelband über die "neue Sichtbarkeit des Todes". Er findet darin eine Vielzahl von Beiträgen, die sich mit den Thema vor allem im Bereich der Künste und Medien auseinandersetzen. Aber auch über neue Präsentationsformen von Bestattern hat er Erhellendes gelesen. Er hebt hervor, dass eine Reihe von Beiträgen auch ältere Präsentationsformen toter Körper behandelt, um vor diesem Hintergrund die neuen Formen begreifbar zu machen. Besonders eindringlich sind für ihn die Fotografien von Jeffrey Silverthorne und Sue Fox. Vor allem Fox' Fotos von obduzierten Leichen sind in seinen Augen schwer auszuhalten. Neben Beiträgen über die Untoten der Horrorfilme und allerlei Fernsehserien, in denen forensische Beweisaufnahmen oder auch Bestattungspraktiken ausführlich dargestellt werden, informiert der Band nach Auskunft des Rezensenten auch über Leben und Sterben in Computerspielen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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