Produktdetails
- Verlag: Verlag Antje Kunstmann
- Artikelnr. des Verlages: 97264
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 381
- Deutsch
- Abmessung: 33mm x 145mm x 216mm
- Gewicht: 586g
- ISBN-13: 9783888972645
- ISBN-10: 3888972647
- Artikelnr.: 09371411
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2001Gier, Gewalt, Korruption
Was kann gegen die moderne Sklaverei getan werden?
Kevin Bales: Die neue Sklaverei. Aus dem Englischen von Inge Leipold. Verlag Antje Kunstmann, München 2001. 384 Seiten, 44,- Mark.
Der englische Titel des 1999 zuerst in den Vereinigten Staaten erschienenen Buches lautete "Disposable People", was wörtlich übersetzt "verfügbare Leute" heißt. Im Wörterbuch des Unmenschen gab es dafür früher die Vokabel "Menschenmaterial". Es geht, in der Definition des Autors, um die "vollkommene Beherrschung einer Person durch eine andere zum Zwecke wirtschaftlicher Ausbeutung". Das nennt er moderne Sklaverei. Sie verbirgt sich hinter verschiedenen Masken, "bedient sich geschickter Anwälte und diverser Verschleierungstaktiken". Durchschaue man jedoch das Lügengespinst, "sieht man eine Person, die von einer anderen unter Anwendung von Gewalt beherrscht und jeglicher persönlichen Freiheit beraubt wird, damit dieser andere durch ihre Arbeit Geld scheffeln kann". Für die deutsche Ausgabe hat man daraufhin vernünftigerweise den ursprünglichen Untertitel zum Haupttitel gemacht.
Dem Amerikaner Kevin Bales ging es lange Zeit wie den meisten Bewohnern der westlichen Welt: Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß es heutzutage noch so etwas wie Sklaverei geben sollte. Zwar war ihm schon als Heranwachsendem in seiner amerikanischen Heimat nicht entgangen, daß es krasse Ungleichheiten in der Südstaaten-Gesellschaft gab, die er als "Nachwirkungen" der einst in den Vereinigten Staaten weit verbreiteten Sklaverei interpretierte. Doch sah er diese auch als junger Forscher später noch als bloße "Spuren" an, welche die Sklaverei hinterlassen hatte, "als zwar zählebige, doch nicht unausrottbare Probleme". Erst Anfang der achtziger Jahre wurde ihm während einer Veranstaltung der Organisation "Anti-Slavery International" in England bewußt: "Echte Sklaverei existiert tatsächlich noch." Danach wurde in Bales "das nagende Bedürfnis, mehr darüber zu erfahren, immer stärker". Mittlerweile gilt er international als der führende Sklaverei-Fachmann.
Das Buch führt den Leser in fünf Länder: nach Thailand, Mauretanien, Brasilien, Pakistan und Indien. Das heißt aber nicht, daß es anderswo keine Sklaverei mehr gibt. Sklaven leben heute in nahezu allen Ländern der Erde, "auch in den Vereinigten Staaten, Japan sowie in zahlreichen europäischen Ländern", wie Bales bemerkt. Nach seinen "vorsichtigen Schätzungen" beläuft sich die Zahl der Sklaven weltweit auf etwa 27 Millionen.
Ein Großteil davon, vermutlich etwa 15 bis 20 Millionen, arbeitet in Indien, Pakistan, Bangladesh und Nepal. "Ansonsten konzentriert sich Sklaverei" nach den Erkenntnissen der Forschung "auf Südostasien, Nord- und Westafrika und Teile Südamerikas". Die fünf Länder Thailand, Mauretanien, Brasilien, Pakistan und Indien wollte Bales nicht etwa besonders an den Pranger stellen, als er sie für seine Feldforschungen auswählte. Sie schienen ihm nur besonders geeignet für sein Vorhaben, die verschiedenen Formen der modernen Sklaverei mittels intensiver Befragung der Betroffenen möglichst drastisch und ausführlich darzustellen. Das ist ihm weitgehend gelungen. Und mehr noch. Der Leser erfährt nicht nur, wie Sklaverei heutzutage funktioniert, obwohl sie fast überall auf der Welt durch Verfassungen oder Gesetze abgeschafft ist und Verstöße gegen ihr Verbot mit Strafe bedroht werden. Er erhält auch, gewissermaßen nebenbei, einen tiefen Einblick in die sozialen und politischen Verhältnisse der untersuchten Länder.
"Zutiefst verstörend" hat Desmond Tutu, der frühere Erzbischof der anglikanischen Kirche in Südafrika, Bales' Buch genannt. Am meisten verstört hat Tutu darin wahrscheinlich das Kapitel über die thailändischen Sex-Sklavinnen. Dieser Bericht ist deshalb so erschreckend, weil das Geschäft mit der Prostitution in Thailand inzwischen einen gewaltigen Umfang angenommen hat und mit unglaublicher Brutalität betrieben wird. Es ist tief in der Gesellschaft verwurzelt, weit verzweigt und erfreut sich der staatlichen Protektion bis in höchste Kreise. Daher besteht auf absehbare Zeit kaum Aussicht, dem Übel beizukommen. In den anderen Beispiel-Ländern, in denen Bales geforscht hat, gibt es im Verhältnis zwischen den Sklaven und ihren Haltern wenigstens noch Anflüge von Menschlichkeit, etwa bei den Ziegelei-Arbeitern und ihren Chefs in Pakistan oder bei den in Schuldknechtschaft schuftenden Pflügern in Indien. In der thailändischen Sex-Industrie ist dagegen alles durch und durch inhuman.
Bales hat drei "Schlüsselfaktoren" gefunden, die seiner Ansicht nach dazu beigetragen haben, die neue Sklaverei hervorzubringen. Einen Hauptfaktor sieht er in der Bevölkerungsexplosion, welche die Arbeitsmärkte der Welt mit Millionen armer, wehrloser Menschen überschwemmt habe. Ein zweiter Faktor ist für ihn "der radikale Umbruch infolge der Globalisierung der Wirtschaft und der Modernisierung der Landwirtschaft, die arme Bauern um ihren Besitz brachte und für die Versklavung anfällig machte". Der dritte Faktor ist in den Augen des Autors "das Chaos von Gier, Gewalt und Korruption", das der wirtschaftliche Wandel in vielen Entwicklungsländern erzeugt, ein Wandel, "der gesellschaftliche Regeln und überlieferte Bindungen der Verantwortlichkeit außer Kraft setzte, die potentiellen Sklaven vielleicht Schutz gewährt hätten".
Beim Blick auf diese drei Faktoren wird klar, wie schwierig es ist, etwas gegen die neue Sklaverei zu unternehmen, geschweige denn, sie auszurotten. Das weiß auch der Verfasser, nicht zuletzt seit seiner Mitarbeit in den UN-Gremien, die sich - ziemlich unkoordiniert - mit dem Problem beschäftigen. Einige Hoffnung setzt er in die Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Kampf gegen die Sklaverei verschrieben haben, unter ihnen in erster Linie jene "Anti-Slavery International" (ASI), die ihn erst auf das Thema aufmerksam gemacht hat und deren wichtigster Mann er inzwischen geworden ist. Verglichen mit Amnesty International oder Greenpeace ist ASI jedoch eine winzige Organisation. Zu viele Menschen hängen immer noch dem Irrglauben an, Sklaverei sei im 19. Jahrhundert abgeschafft worden und existiere seitdem nicht mehr. Es bedarf also einer großen Anstrengung, hier einen Bewußtseinswandel einzuleiten. Bales' Buch könnte vielleicht dazu beitragen, wenn das Buch viele Leser findet.
KLAUS NATORP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was kann gegen die moderne Sklaverei getan werden?
Kevin Bales: Die neue Sklaverei. Aus dem Englischen von Inge Leipold. Verlag Antje Kunstmann, München 2001. 384 Seiten, 44,- Mark.
Der englische Titel des 1999 zuerst in den Vereinigten Staaten erschienenen Buches lautete "Disposable People", was wörtlich übersetzt "verfügbare Leute" heißt. Im Wörterbuch des Unmenschen gab es dafür früher die Vokabel "Menschenmaterial". Es geht, in der Definition des Autors, um die "vollkommene Beherrschung einer Person durch eine andere zum Zwecke wirtschaftlicher Ausbeutung". Das nennt er moderne Sklaverei. Sie verbirgt sich hinter verschiedenen Masken, "bedient sich geschickter Anwälte und diverser Verschleierungstaktiken". Durchschaue man jedoch das Lügengespinst, "sieht man eine Person, die von einer anderen unter Anwendung von Gewalt beherrscht und jeglicher persönlichen Freiheit beraubt wird, damit dieser andere durch ihre Arbeit Geld scheffeln kann". Für die deutsche Ausgabe hat man daraufhin vernünftigerweise den ursprünglichen Untertitel zum Haupttitel gemacht.
Dem Amerikaner Kevin Bales ging es lange Zeit wie den meisten Bewohnern der westlichen Welt: Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß es heutzutage noch so etwas wie Sklaverei geben sollte. Zwar war ihm schon als Heranwachsendem in seiner amerikanischen Heimat nicht entgangen, daß es krasse Ungleichheiten in der Südstaaten-Gesellschaft gab, die er als "Nachwirkungen" der einst in den Vereinigten Staaten weit verbreiteten Sklaverei interpretierte. Doch sah er diese auch als junger Forscher später noch als bloße "Spuren" an, welche die Sklaverei hinterlassen hatte, "als zwar zählebige, doch nicht unausrottbare Probleme". Erst Anfang der achtziger Jahre wurde ihm während einer Veranstaltung der Organisation "Anti-Slavery International" in England bewußt: "Echte Sklaverei existiert tatsächlich noch." Danach wurde in Bales "das nagende Bedürfnis, mehr darüber zu erfahren, immer stärker". Mittlerweile gilt er international als der führende Sklaverei-Fachmann.
Das Buch führt den Leser in fünf Länder: nach Thailand, Mauretanien, Brasilien, Pakistan und Indien. Das heißt aber nicht, daß es anderswo keine Sklaverei mehr gibt. Sklaven leben heute in nahezu allen Ländern der Erde, "auch in den Vereinigten Staaten, Japan sowie in zahlreichen europäischen Ländern", wie Bales bemerkt. Nach seinen "vorsichtigen Schätzungen" beläuft sich die Zahl der Sklaven weltweit auf etwa 27 Millionen.
Ein Großteil davon, vermutlich etwa 15 bis 20 Millionen, arbeitet in Indien, Pakistan, Bangladesh und Nepal. "Ansonsten konzentriert sich Sklaverei" nach den Erkenntnissen der Forschung "auf Südostasien, Nord- und Westafrika und Teile Südamerikas". Die fünf Länder Thailand, Mauretanien, Brasilien, Pakistan und Indien wollte Bales nicht etwa besonders an den Pranger stellen, als er sie für seine Feldforschungen auswählte. Sie schienen ihm nur besonders geeignet für sein Vorhaben, die verschiedenen Formen der modernen Sklaverei mittels intensiver Befragung der Betroffenen möglichst drastisch und ausführlich darzustellen. Das ist ihm weitgehend gelungen. Und mehr noch. Der Leser erfährt nicht nur, wie Sklaverei heutzutage funktioniert, obwohl sie fast überall auf der Welt durch Verfassungen oder Gesetze abgeschafft ist und Verstöße gegen ihr Verbot mit Strafe bedroht werden. Er erhält auch, gewissermaßen nebenbei, einen tiefen Einblick in die sozialen und politischen Verhältnisse der untersuchten Länder.
"Zutiefst verstörend" hat Desmond Tutu, der frühere Erzbischof der anglikanischen Kirche in Südafrika, Bales' Buch genannt. Am meisten verstört hat Tutu darin wahrscheinlich das Kapitel über die thailändischen Sex-Sklavinnen. Dieser Bericht ist deshalb so erschreckend, weil das Geschäft mit der Prostitution in Thailand inzwischen einen gewaltigen Umfang angenommen hat und mit unglaublicher Brutalität betrieben wird. Es ist tief in der Gesellschaft verwurzelt, weit verzweigt und erfreut sich der staatlichen Protektion bis in höchste Kreise. Daher besteht auf absehbare Zeit kaum Aussicht, dem Übel beizukommen. In den anderen Beispiel-Ländern, in denen Bales geforscht hat, gibt es im Verhältnis zwischen den Sklaven und ihren Haltern wenigstens noch Anflüge von Menschlichkeit, etwa bei den Ziegelei-Arbeitern und ihren Chefs in Pakistan oder bei den in Schuldknechtschaft schuftenden Pflügern in Indien. In der thailändischen Sex-Industrie ist dagegen alles durch und durch inhuman.
Bales hat drei "Schlüsselfaktoren" gefunden, die seiner Ansicht nach dazu beigetragen haben, die neue Sklaverei hervorzubringen. Einen Hauptfaktor sieht er in der Bevölkerungsexplosion, welche die Arbeitsmärkte der Welt mit Millionen armer, wehrloser Menschen überschwemmt habe. Ein zweiter Faktor ist für ihn "der radikale Umbruch infolge der Globalisierung der Wirtschaft und der Modernisierung der Landwirtschaft, die arme Bauern um ihren Besitz brachte und für die Versklavung anfällig machte". Der dritte Faktor ist in den Augen des Autors "das Chaos von Gier, Gewalt und Korruption", das der wirtschaftliche Wandel in vielen Entwicklungsländern erzeugt, ein Wandel, "der gesellschaftliche Regeln und überlieferte Bindungen der Verantwortlichkeit außer Kraft setzte, die potentiellen Sklaven vielleicht Schutz gewährt hätten".
Beim Blick auf diese drei Faktoren wird klar, wie schwierig es ist, etwas gegen die neue Sklaverei zu unternehmen, geschweige denn, sie auszurotten. Das weiß auch der Verfasser, nicht zuletzt seit seiner Mitarbeit in den UN-Gremien, die sich - ziemlich unkoordiniert - mit dem Problem beschäftigen. Einige Hoffnung setzt er in die Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Kampf gegen die Sklaverei verschrieben haben, unter ihnen in erster Linie jene "Anti-Slavery International" (ASI), die ihn erst auf das Thema aufmerksam gemacht hat und deren wichtigster Mann er inzwischen geworden ist. Verglichen mit Amnesty International oder Greenpeace ist ASI jedoch eine winzige Organisation. Zu viele Menschen hängen immer noch dem Irrglauben an, Sklaverei sei im 19. Jahrhundert abgeschafft worden und existiere seitdem nicht mehr. Es bedarf also einer großen Anstrengung, hier einen Bewußtseinswandel einzuleiten. Bales' Buch könnte vielleicht dazu beitragen, wenn das Buch viele Leser findet.
KLAUS NATORP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rita Süssmuth tritt mit der Rezension des Buches über moderne Sklaverei gleichzeitig leidenschaftlich für die Rechte derjenigen Menschen ein, die heute in Sklaverei leben. Sie empfiehlt die Studie nachdrücklich zur Lektüre und hofft, dass auch die Handlungsaufforderung, die sie enthält, beim Leser ankommt. Sie lobt den Autor für seine "eindringlichen" Beispiele von Sklaverei in vielen Ländern und stimmt ihm in der Einschätzung zu, dass die "politisch-wirtschaftlichen Strukturen", das Nord-Süd-Gefälle zwischen armen und reichen Ländern und die fortschreitende Globalisierung für diese "katastrophale Entwicklung" verantwortlich sind. Sie preist die Studie als "provozierendes Buch" und weist darauf hin, dass es "zum Handeln mahnt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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