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Produktdetails
  • Verlag: Verlag Antje Kunstmann
  • Artikelnr. des Verlages: 97264
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 381
  • Deutsch
  • Abmessung: 33mm x 145mm x 216mm
  • Gewicht: 586g
  • ISBN-13: 9783888972645
  • ISBN-10: 3888972647
  • Artikelnr.: 09371411
Autorenporträt
Kevin Bales wurde 1952 in den USA geboren und lehrt derzeit als Professor für Soziologie an der University of Surrey, England. Sein Buch "Die neue Sklaverei", das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, diente als Basis einer mehrteiligen Fernsehdokumentation. Im Frühjahr 2000 wurde Bales zusammen mit Ryszard Kapuscinski mit dem Premio Internazionale Viareggio ausgezeichnet. Bales, der u.a. im Komitee von Anti-Slavery International und der Arbeitsgruppe der UN über Formen zeitgenössischer Sklaverei arbeitet, gilt als der weltweit führende Experte zum Thema.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2001

Blick nach vorn ins Mittelalter
Sklaverei ist nicht etwa ein Begriff aus der Vergangenheit: Auch heute werden weltweit Millionen Menschen von anderen ausgebeutet
KEVIN BALES: Die neue Sklaverei, Antje Kunstmann Verlag, München 2001. 360 Seiten, 44 Mark.
Eigentlich sollte das Thema Sklaverei längst der Vergangenheit angehören. 1865 wurde in den USA ein Dekret erlassen, das die Freilassung aller Sklaven zum Inhalt hatte. Aber wie es mit politischen Dekreten so geht: Die Umsetzung war auch in den USA als ein langwieriger Prozess – der Lebensalltag der Betroffenen war noch über viele Jahre von Strukturen geprägt, die in der Gesellschaft festen Grund gewonnen hatten.
Jetzt legt der Amerikaner Kevin Bales ein Buch vor, das den Titel „Die neue Sklaverei” trägt – und das unseren Blick auf die gegenwärtige Situation von Menschen auf unserem Planeten lenkt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass „die vollkommene Beherrschung einer Person durch eine andere zum Zwecke wirtschaftlicher Ausbeutung” auch im 21. Jahrhundert noch ihren Lebensalltag bestimmt. Diese moderne Form der Sklaverei, die gegen das grundlegende Menschenrecht „Freiheit” so elementar verstößt, findet sich heute noch vielerorts.
Der Autor beschreibt Lebenssituationen von Menschen in Thailand, in Mauretanien, Brasilien, Indien und Pakistan – womit die Länderliste noch nicht erschöpfend umschrieben ist. Die Beispiele von Bales illustrieren auf eindringlichste Weise, in welchen wirtschaftlichen Abhängigkeiten Menschen heute leben – der Autor schätzt die Opfer der neuen Sklaverei auf rund 27 Millionen Menschen, von denen zwischen 15 und 20 Millionen in „Schuldknechtschaft” gehalten werden, vor allem im asiatischen Raum. Es ist wie ein verstörender Blick ins finsterste Mittelalter – und zugleich ein Blick in die Wirklichkeit unserer Tage.
Herkunft nebensächlich
Spielte früher die ethnische Herkunft der Sklaven eine bedeutende Rolle, so ist heute diese Frage der Herkunft der Sklaven völlig nebensächlich. Das einzige, was heute zählt, ist der materielle Vorteil, den das Halten von Menschen in dieser Form der Abhängigkeit und Unfreiheit erbringt. Die „Moral des Geldes” führt dazu, neue Formen der Versklavung zu praktizieren, wobei drei andere entscheidende Elemente auf Seiten der Betroffenen in diesen menschenunwürdigen Lebenssituationen hinzukommen: Die neuen Sklaven sind zumeist wehrlos, sie sind leichtgläubig, und sie leben zum größten Teil in unvorstellbarer Armut.
Bales macht die gegenwärtigen politisch-wirtschaftlichen Strukturen in den so genannten „reichen Ländern” und in den Entwicklungsländern mitverantwortlich für diese katastrophale Entwicklung. „Da die politischen Eliten in den Entwicklungsländern hauptsächlich an Wirtschaftswachstum interessiert sind, was nicht nur in ihrem kollektiven Eigeninteresse liegt, sondern auch von internationalen Bankenkonsortien gefordert wird, kümmert man sich kaum um die Sicherung des Lebensunterhaltes der Mehrheit. Inmitten der Verwerfungen, die ein rasanter sozialer Wandel mit sich bringt, ist eine der Optionen Sklaverei.”
Natürlich müssen wir uns in den reichen Ländern die Frage gefallen lassen, ob denn nach dem Kalten Krieg und dem Zerfall der kommunistischen Diktaturen in Europa eine Entwicklung eingetreten ist, die dieses gravierende humanitäre Problem völlig außer Acht lässt. Haben demokratische Parlamente, Wirtschaft und Regierungen sich dieser neuen Herausforderung gestellt – oder wird die neue Sklaverei als eine Entwicklung hingenommen, der man nicht Herr wird, weil immer wieder die in den jeweiligen Ländern herrschenden gesellschaftlichen Strukturen als so dominierend verstanden werden, dass ein Einwirken von außen als problematisch und vor allem als wenig hilfreich angesehen wird?
Die Komplexität der gegenwärtigen Herausforderungen zwischen Nord und Süd kann aber nicht vertagt werden, weil die Menschen heute leiden, heute ihrer Freiheit beraubt sind, heute ihren Anspruch auf menschenwürdiges Leben zwar selbst noch nicht einlösen können, aber morgen und übermorgen sich Gewaltpotenziale herausbilden werden, die eine politische Dimension erreichen können – von der heute aber kaum jemand öffentlich zu reden wagt.
Die Globalisierung ist ein herausragendes Phänomen des 21. Jahrhunderts. Die Globalisierung der Verantwortung für die Menschen auf diesem Erdball muss damit Hand in Hand gehen. Das kann man als frommes Postulat abtun. Aber wer heute diese moderne Sklaverei mit Wegschauen und Verschweigen quittiert, macht sich mitschuldig an zukünftigen Entwicklungen, von denen auch Europa und Amerika tangiert werden.
Das „Problem an den Wurzeln angehen” – so lautet die Antwort des Autors auf diese weltweite Herausforderung. Er weiß nur zu genau, dass dieses Fazit zugleich bedeutet, dass wir uns auf einen langfristigen Prozess einlassen müssen, dass jetzt Hilfe nötig ist, um die „Verdammten dieser Erde”, die „Ärmsten der Armen” und die „Hilflosesten unter den Hilfebedürftigen” materiell zu begleiten.
Die Würde des Menschen
Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen: Damit beginnt unsere Verfassung. Sie kennt die Sklaverei schon lange nicht mehr, aber sie spricht aus erst relativ kurz zurückliegender eigener Geschichte von der Verletzbarkeit der Würde des Menschen. Alles, was gegenwärtig getan werden kann, müssen wir heute tun, weil es morgen vielleicht zu spät ist. Ein Buch, das aufrüttelt und zum Handeln mahnt. Ein politisches Buch – ein provozierendes Buch. Zur Lektüre empfohlen, zum Handeln verpflichtend.
RITA
SÜSSMUTH
Die Rezensentin ist Bundestagsabgeordnete der CDU und Bundestagspräsidentin a. D.
Verkauft, versklavt, vergessen: Mit viel Glück werden Kinder, die als Fabrikarbeiter vegetieren, freigekauft.
Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2001

Gier, Gewalt, Korruption
Was kann gegen die moderne Sklaverei getan werden?

Kevin Bales: Die neue Sklaverei. Aus dem Englischen von Inge Leipold. Verlag Antje Kunstmann, München 2001. 384 Seiten, 44,- Mark.

Der englische Titel des 1999 zuerst in den Vereinigten Staaten erschienenen Buches lautete "Disposable People", was wörtlich übersetzt "verfügbare Leute" heißt. Im Wörterbuch des Unmenschen gab es dafür früher die Vokabel "Menschenmaterial". Es geht, in der Definition des Autors, um die "vollkommene Beherrschung einer Person durch eine andere zum Zwecke wirtschaftlicher Ausbeutung". Das nennt er moderne Sklaverei. Sie verbirgt sich hinter verschiedenen Masken, "bedient sich geschickter Anwälte und diverser Verschleierungstaktiken". Durchschaue man jedoch das Lügengespinst, "sieht man eine Person, die von einer anderen unter Anwendung von Gewalt beherrscht und jeglicher persönlichen Freiheit beraubt wird, damit dieser andere durch ihre Arbeit Geld scheffeln kann". Für die deutsche Ausgabe hat man daraufhin vernünftigerweise den ursprünglichen Untertitel zum Haupttitel gemacht.

Dem Amerikaner Kevin Bales ging es lange Zeit wie den meisten Bewohnern der westlichen Welt: Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß es heutzutage noch so etwas wie Sklaverei geben sollte. Zwar war ihm schon als Heranwachsendem in seiner amerikanischen Heimat nicht entgangen, daß es krasse Ungleichheiten in der Südstaaten-Gesellschaft gab, die er als "Nachwirkungen" der einst in den Vereinigten Staaten weit verbreiteten Sklaverei interpretierte. Doch sah er diese auch als junger Forscher später noch als bloße "Spuren" an, welche die Sklaverei hinterlassen hatte, "als zwar zählebige, doch nicht unausrottbare Probleme". Erst Anfang der achtziger Jahre wurde ihm während einer Veranstaltung der Organisation "Anti-Slavery International" in England bewußt: "Echte Sklaverei existiert tatsächlich noch." Danach wurde in Bales "das nagende Bedürfnis, mehr darüber zu erfahren, immer stärker". Mittlerweile gilt er international als der führende Sklaverei-Fachmann.

Das Buch führt den Leser in fünf Länder: nach Thailand, Mauretanien, Brasilien, Pakistan und Indien. Das heißt aber nicht, daß es anderswo keine Sklaverei mehr gibt. Sklaven leben heute in nahezu allen Ländern der Erde, "auch in den Vereinigten Staaten, Japan sowie in zahlreichen europäischen Ländern", wie Bales bemerkt. Nach seinen "vorsichtigen Schätzungen" beläuft sich die Zahl der Sklaven weltweit auf etwa 27 Millionen.

Ein Großteil davon, vermutlich etwa 15 bis 20 Millionen, arbeitet in Indien, Pakistan, Bangladesh und Nepal. "Ansonsten konzentriert sich Sklaverei" nach den Erkenntnissen der Forschung "auf Südostasien, Nord- und Westafrika und Teile Südamerikas". Die fünf Länder Thailand, Mauretanien, Brasilien, Pakistan und Indien wollte Bales nicht etwa besonders an den Pranger stellen, als er sie für seine Feldforschungen auswählte. Sie schienen ihm nur besonders geeignet für sein Vorhaben, die verschiedenen Formen der modernen Sklaverei mittels intensiver Befragung der Betroffenen möglichst drastisch und ausführlich darzustellen. Das ist ihm weitgehend gelungen. Und mehr noch. Der Leser erfährt nicht nur, wie Sklaverei heutzutage funktioniert, obwohl sie fast überall auf der Welt durch Verfassungen oder Gesetze abgeschafft ist und Verstöße gegen ihr Verbot mit Strafe bedroht werden. Er erhält auch, gewissermaßen nebenbei, einen tiefen Einblick in die sozialen und politischen Verhältnisse der untersuchten Länder.

"Zutiefst verstörend" hat Desmond Tutu, der frühere Erzbischof der anglikanischen Kirche in Südafrika, Bales' Buch genannt. Am meisten verstört hat Tutu darin wahrscheinlich das Kapitel über die thailändischen Sex-Sklavinnen. Dieser Bericht ist deshalb so erschreckend, weil das Geschäft mit der Prostitution in Thailand inzwischen einen gewaltigen Umfang angenommen hat und mit unglaublicher Brutalität betrieben wird. Es ist tief in der Gesellschaft verwurzelt, weit verzweigt und erfreut sich der staatlichen Protektion bis in höchste Kreise. Daher besteht auf absehbare Zeit kaum Aussicht, dem Übel beizukommen. In den anderen Beispiel-Ländern, in denen Bales geforscht hat, gibt es im Verhältnis zwischen den Sklaven und ihren Haltern wenigstens noch Anflüge von Menschlichkeit, etwa bei den Ziegelei-Arbeitern und ihren Chefs in Pakistan oder bei den in Schuldknechtschaft schuftenden Pflügern in Indien. In der thailändischen Sex-Industrie ist dagegen alles durch und durch inhuman.

Bales hat drei "Schlüsselfaktoren" gefunden, die seiner Ansicht nach dazu beigetragen haben, die neue Sklaverei hervorzubringen. Einen Hauptfaktor sieht er in der Bevölkerungsexplosion, welche die Arbeitsmärkte der Welt mit Millionen armer, wehrloser Menschen überschwemmt habe. Ein zweiter Faktor ist für ihn "der radikale Umbruch infolge der Globalisierung der Wirtschaft und der Modernisierung der Landwirtschaft, die arme Bauern um ihren Besitz brachte und für die Versklavung anfällig machte". Der dritte Faktor ist in den Augen des Autors "das Chaos von Gier, Gewalt und Korruption", das der wirtschaftliche Wandel in vielen Entwicklungsländern erzeugt, ein Wandel, "der gesellschaftliche Regeln und überlieferte Bindungen der Verantwortlichkeit außer Kraft setzte, die potentiellen Sklaven vielleicht Schutz gewährt hätten".

Beim Blick auf diese drei Faktoren wird klar, wie schwierig es ist, etwas gegen die neue Sklaverei zu unternehmen, geschweige denn, sie auszurotten. Das weiß auch der Verfasser, nicht zuletzt seit seiner Mitarbeit in den UN-Gremien, die sich - ziemlich unkoordiniert - mit dem Problem beschäftigen. Einige Hoffnung setzt er in die Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Kampf gegen die Sklaverei verschrieben haben, unter ihnen in erster Linie jene "Anti-Slavery International" (ASI), die ihn erst auf das Thema aufmerksam gemacht hat und deren wichtigster Mann er inzwischen geworden ist. Verglichen mit Amnesty International oder Greenpeace ist ASI jedoch eine winzige Organisation. Zu viele Menschen hängen immer noch dem Irrglauben an, Sklaverei sei im 19. Jahrhundert abgeschafft worden und existiere seitdem nicht mehr. Es bedarf also einer großen Anstrengung, hier einen Bewußtseinswandel einzuleiten. Bales' Buch könnte vielleicht dazu beitragen, wenn das Buch viele Leser findet.

KLAUS NATORP

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rita Süssmuth tritt mit der Rezension des Buches über moderne Sklaverei gleichzeitig leidenschaftlich für die Rechte derjenigen Menschen ein, die heute in Sklaverei leben. Sie empfiehlt die Studie nachdrücklich zur Lektüre und hofft, dass auch die Handlungsaufforderung, die sie enthält, beim Leser ankommt. Sie lobt den Autor für seine "eindringlichen" Beispiele von Sklaverei in vielen Ländern und stimmt ihm in der Einschätzung zu, dass die "politisch-wirtschaftlichen Strukturen", das Nord-Süd-Gefälle zwischen armen und reichen Ländern und die fortschreitende Globalisierung für diese "katastrophale Entwicklung" verantwortlich sind. Sie preist die Studie als "provozierendes Buch" und weist darauf hin, dass es "zum Handeln mahnt".

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