Deutschland ist aus seiner Behaglichkeit gerissen worden. Die «Flüchtlingskrise» hat die Grundprobleme unserer Gesellschaft sichtbar gemacht und gezeigt, dass das alte Deutschland unwiderruflich vergangen ist.
Herfried und Marina Münkler betten die aktuelle Situation - jenseits der Aufgeregtheiten der Tagespolitik - in den historischen Zusammenhang ein und weisen darauf hin, dass Wanderungs- und Fluchtbewegungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Deutschland hat sich immer wieder - mit neuen Menschen - neu aufgestellt. Das wird auch heute nicht ohne Brüche und Probleme abgehen: Mächtige, oft divergierende Kräfte werden in der deutschen Gesellschaft freigesetzt. Wie können sie beherrscht werden, was muss man tun, damit wir ihnen nicht wehrlos gegenüberstehen? Herfried und Marina Münkler benennen die Risiken und Gefahren präzise und realistisch; gleichzeitig zeigen sie aber auch die großen Chancen auf, die sich uns bieten.
Die neuen Deutschen - das sind wir. Nur wenn wir die Grundfragen klären, in welchem Land wir leben wollen, wie es sich verändern soll und wie nicht, kann dieser größte Umbruch seit der Wiedervereinigung gelingen.
Herfried und Marina Münkler betten die aktuelle Situation - jenseits der Aufgeregtheiten der Tagespolitik - in den historischen Zusammenhang ein und weisen darauf hin, dass Wanderungs- und Fluchtbewegungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Deutschland hat sich immer wieder - mit neuen Menschen - neu aufgestellt. Das wird auch heute nicht ohne Brüche und Probleme abgehen: Mächtige, oft divergierende Kräfte werden in der deutschen Gesellschaft freigesetzt. Wie können sie beherrscht werden, was muss man tun, damit wir ihnen nicht wehrlos gegenüberstehen? Herfried und Marina Münkler benennen die Risiken und Gefahren präzise und realistisch; gleichzeitig zeigen sie aber auch die großen Chancen auf, die sich uns bieten.
Die neuen Deutschen - das sind wir. Nur wenn wir die Grundfragen klären, in welchem Land wir leben wollen, wie es sich verändern soll und wie nicht, kann dieser größte Umbruch seit der Wiedervereinigung gelingen.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Pragmatismus ist nun mal nicht ohne eine gehörige Portion ungemütlichen Realismus zu haben, glaubt Rezensent Jan Feddersen, und auch Herfried und Marina Münkler scheinen das so zu sehen. Ihre politische Streitschrift zu Migration und Integration ist durchaus nicht ohne Optimismus, aber keine Erbauungsschrift, sondern vor allem auf eines angelegt, befindet Feddersen: aufs Gelingen. Mit klugen Thesen, praktischen Vorschlägen und realistischen Lösungsansätzen liefern sie seiner Ansicht nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Debatte, sondern ermutigen und treiben zum Handeln an. Da kann Feddersen nur applaudieren - und anpacken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2016Nun sag, wie hast du's mit der Integration?
Herfried und Marina Münkler suchen die neue deutsche Identität und können sie auch nicht finden
Das Ehepaar Herfried und Marina Münkler gehört dank der Allgegenwart des Ehemannes, des zur Zeit wohl bekanntesten deutschen Politologen, zu den medial führenden Intellektuellen in der Bundesrepublik. Davon auch selbst überzeugt zu sein, ist gewiss die Voraussetzung dafür, ein Buch mit dem Titel "Die neuen Deutschen" zu verfassen. Geht es doch allem Anschein nach um den Anspruch, ein altes Volk neu zu bestimmen. Als rechtfertigender Anlass für diese riesige Aufgabe ist die Zuwanderung von etwa einer Million Fremder willkommen, "die sich irgendwie mit den Alteingesessenen arrangieren werden", und es dabei mit einer deutschen Gesellschaft zu tun bekommen, die sich "neu definieren und eine veränderte Identität entwickeln muss".
Auch eine umfangreiche Darstellung kann Fehler im Sinne von fehlendem Scharfblick enthalten. Zwei aufeinanderfolgende Sätze auf Seite 12 lassen nichts Gutes auf den folgenden 320 Seiten erwarten: "Und immer [...] taucht offen oder insgeheim die Frage auf, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, sich all das zu ersparen, indem man Anfang September die Grenzen geschlossen und dafür gesorgt hätte, dass die Flüchtlinge irgendwo auf der Balkanroute gestoppt oder am Übersetzen auf die griechischen Inseln gehindert worden wären. Abgesehen davon, dass dies zu einer humanitären Katastrophe geführt hätte, wären so mit Sicherheit alle Erfolge zunichtegemacht worden, die die Europäer im zurückliegenden Jahrzehnt bei der Befriedung des mittleren Balkans erzielt haben."
So gewichtig diese Aussage daherkommt, so widersprüchlich ist sie und damit in der Summe falsch. Denn wären die Flüchtlinge "am Übersetzen auf die griechischen Inseln gehindert worden", so hätte es auf dem Balkan all die Turbulenzen nicht gegeben, die Mazedonien, Serbien und Kroatien mehr oder weniger ins Schlingern gebracht haben. Auch eine "humanitäre Katastrophe" wäre nicht eingetreten, wenn die Flüchtlinge "am Übersetzen" - also nicht lediglich daran, an der griechischen Küste an Land zu gehen - "gehindert worden wären". Wäre hingegen das Durchwinken die einzige Garantie zur Vermeidung einer "humanitären Katastrophe" gewesen, dann hätten schon die ständigen Forderungen der Bundeskanzlerin, das Schlepperwesen zu bekämpfen, gegen humanitäre Grundregeln verstoßen. Und erst recht passt der Befund nicht zu dem von Berlin beförderten europäisch-türkischen Vertrag, der gerade das "Übersetzen" verhindern soll.
Der Knackpunkt war ein anderer als die Sorge um die Stabilität auf dem Balkan. Das ganze Frühjahr über wusste die Bundesregierung, dass ein anschwellender Flüchtlingsstrom zu erwarten sei. Am 19. August 2015 wurde schließlich amtlich die Zahl 800000 prognostiziert - als ginge es um einen Sturm mit Windstärke 20. Doch nirgends machte "Die Macht in der Mitte" (so Münklers Buchtitel von 2015) Anstalten, "die neuen Aufgaben Deutschlands in Europa" (so der anspruchsvolle Untertitel) wahrzunehmen und als Primus inter Pares sowohl für sich wie für die betroffenen EU- und Schengenstaaten Abwehrmaßnahmen zu treffen. Wer das Wort Abwehr gegenüber Menschen schrecklich findet, behilft sich seither mit der nebelhaften "Reduzierung der Zahlen" oder mit dem Wort "Obergrenze". Das Autorenpaar selbst schreibt in anderem Zusammenhang vom "kontinuierlichen Abfluss von Menschen".
Das Buch ist zu umfangreich und der Zeitdruck bei Verfassern und Gegenlesern war wohl zu groß, um nicht selbstformulierte Fallen und energische Schritte mitten in diese hinein zu enthalten. Weil die Münklers überzeugt sind, dass "kontinuierliche Zuwanderung als Ausgleich für eine defizitäre biologische Reproduktion" eine "historische Regel" sei, führen sie als Beleg die großen Städte in Mesopotamien und im Niltal an, die über dreitausend Jahre "stets auf Zuzug aus dem sie umgebenden Land angewiesen waren". Dies mag so sein, beweist aber nicht die Sinnhaftigkeit eines Zuzugs aus dreitausend Kilometer Entfernung in einem anderen, gar einem weltgeschichtlich einst und dereinst vielleicht wieder einmal konkurrierenden Kulturkreis.
Eine andere Stelle: "Die europäischen Regierungen sahen sich nicht imstande, in den Syrienkrieg, der geopolitisch betrachtet, ihr Problem war, eigenständig und ohne US-amerikanische Führung zu intervenieren." Was wäre gelöst gewesen, wenn sich die Europäer zu einer "Intervention" - mit welchen Mitteln, für welche (Bürger-)Kriegspartei, mit welchem Ziel? - "imstande" gesehen hätten? Eine halbe Seite weiter: "Angesichts dieses durchaus nachvollziehbaren Verzichts auf eine Intervention gab es eine erhöhte Verpflichtung der Europäer, den Flüchtlingen humanitär zu helfen." Dies mag verstehen, wer will. Hätten die Europäer eingegriffen, hätten sie den Krieg zumindest zunächst befeuert und damit viele Zivilisten zur Flucht veranlasst - welches Land hätte diese dann aufnehmen müssen, sozusagen weil es seinerseits auf eine Intervention verzichtet hatte? Müssten nicht nach dem Verursacherprinzip vielmehr all die Länder auch die Flüchtlinge aufnehmen, die sie militärisch verursacht haben? Die dem Humanismus verpflichteten europäischen Länder wären damit nicht aus ihren menschenrechtlichen Aufgaben entlassen, aber die Begründung wäre nicht so verquer.
Als Essenz des Buches sind wahrscheinlich die insgesamt elf "Imperative" einer mal "klugen", mal "vorausschauenden", mal "erfolgversprechenden", am häufigsten jedoch "erfolgsorientierten Integrationspolitik" gedacht. Sie umfassen - keineswegs völlig neue, nicht einmal wirklich handfeste - Empfehlungen zum Sprachunterricht sowie zum Umgang des Staates, der Wirtschaft und schließlich der Zivilgesellschaft mit den Neuankömmlingen.
Bei all dem aber lassen sie offen, was "Integration" heißen soll: Ist das Ziel erreicht, wenn eine Aufenthaltsgenehmigung und eines Tages eine Staatsbürgerschaftsurkunde vorliegen und ein Arbeitsplatz nachgewiesen wird? Gehört dazu nicht auch eine Haltung, eine persönliche Werteordnung in Vereinbarkeit mit der landesüblichen? Da sich das Verfasserehepaar nicht den Begriff der Leitkultur - weder in einer deutschen noch in einer europäischen Deutung - zu eigen machen will, erscheint Integration wie ein Marathonlauf, bei dem es gleichgültig ist, wo man am Ende angekommen ist.
Dass dies weder als Prognose noch als Zielbestimmung ausreicht, wird nach 283 Seiten nicht nur dem Leser, sondern offenbar auch Herfried und Marina Münkler klar. Daher verwenden sie die letzten sieben Seiten darauf, wie man "aus Fremden ,Deutsche'" macht, machen könnte oder gar sollte. Da werden plötzlich "fünf Merkmale des Deutschseins" aufgeführt. Das "erste Identitätsmerkmal" umfasst "Bereitschaft zur Selbstsorge" und "Leistungswillen in Bezug auf die Gesellschaft"; als zweites folgt "das Vertrauen, das er gegenüber der Gemeinschaft hat, ihm im Notfall beizuspringen". Als drittes wird genannt "die Überzeugung, dass religiöser Glaube und seine Ausübung eine Privatangelegenheit sind", als viertes "dass die Entscheidung für eine bestimmte Lebensform und die Wahl des Lebenspartners in das individuelle Ermessen eines jeden Einzelnen fällt".
"Der fünfte und entscheidende Identitätsmarker der Deutschen soll und muss das Bekenntnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sein." Von der Sympathie zur deutschen Kultur, dem Verzicht auf öffentlich bekundeten Hass oder dem Wohlfühlen in der Europäischen Union war da noch gar nicht die Rede. Hätten die Verfasser die fünf Punkte in die Mitte ihres Textes gesetzt und auf hundertfünfzig Seiten die Wege aufgezeigt, wie die - beiderseitige - Integration zumindest der Integrationswilligen bis zur Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit vonstattengehen könnte, dann hätte es ein lesenswertes, sogar für Sachkenner und Fachleute nützliches Buch werden können.
GEORG PAUL HEFTY
Herfried Münkler/Marina Münkler: Die neuen Deutschen: Ein Land vor seiner Zukunft. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016. 336 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Herfried und Marina Münkler suchen die neue deutsche Identität und können sie auch nicht finden
Das Ehepaar Herfried und Marina Münkler gehört dank der Allgegenwart des Ehemannes, des zur Zeit wohl bekanntesten deutschen Politologen, zu den medial führenden Intellektuellen in der Bundesrepublik. Davon auch selbst überzeugt zu sein, ist gewiss die Voraussetzung dafür, ein Buch mit dem Titel "Die neuen Deutschen" zu verfassen. Geht es doch allem Anschein nach um den Anspruch, ein altes Volk neu zu bestimmen. Als rechtfertigender Anlass für diese riesige Aufgabe ist die Zuwanderung von etwa einer Million Fremder willkommen, "die sich irgendwie mit den Alteingesessenen arrangieren werden", und es dabei mit einer deutschen Gesellschaft zu tun bekommen, die sich "neu definieren und eine veränderte Identität entwickeln muss".
Auch eine umfangreiche Darstellung kann Fehler im Sinne von fehlendem Scharfblick enthalten. Zwei aufeinanderfolgende Sätze auf Seite 12 lassen nichts Gutes auf den folgenden 320 Seiten erwarten: "Und immer [...] taucht offen oder insgeheim die Frage auf, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, sich all das zu ersparen, indem man Anfang September die Grenzen geschlossen und dafür gesorgt hätte, dass die Flüchtlinge irgendwo auf der Balkanroute gestoppt oder am Übersetzen auf die griechischen Inseln gehindert worden wären. Abgesehen davon, dass dies zu einer humanitären Katastrophe geführt hätte, wären so mit Sicherheit alle Erfolge zunichtegemacht worden, die die Europäer im zurückliegenden Jahrzehnt bei der Befriedung des mittleren Balkans erzielt haben."
So gewichtig diese Aussage daherkommt, so widersprüchlich ist sie und damit in der Summe falsch. Denn wären die Flüchtlinge "am Übersetzen auf die griechischen Inseln gehindert worden", so hätte es auf dem Balkan all die Turbulenzen nicht gegeben, die Mazedonien, Serbien und Kroatien mehr oder weniger ins Schlingern gebracht haben. Auch eine "humanitäre Katastrophe" wäre nicht eingetreten, wenn die Flüchtlinge "am Übersetzen" - also nicht lediglich daran, an der griechischen Küste an Land zu gehen - "gehindert worden wären". Wäre hingegen das Durchwinken die einzige Garantie zur Vermeidung einer "humanitären Katastrophe" gewesen, dann hätten schon die ständigen Forderungen der Bundeskanzlerin, das Schlepperwesen zu bekämpfen, gegen humanitäre Grundregeln verstoßen. Und erst recht passt der Befund nicht zu dem von Berlin beförderten europäisch-türkischen Vertrag, der gerade das "Übersetzen" verhindern soll.
Der Knackpunkt war ein anderer als die Sorge um die Stabilität auf dem Balkan. Das ganze Frühjahr über wusste die Bundesregierung, dass ein anschwellender Flüchtlingsstrom zu erwarten sei. Am 19. August 2015 wurde schließlich amtlich die Zahl 800000 prognostiziert - als ginge es um einen Sturm mit Windstärke 20. Doch nirgends machte "Die Macht in der Mitte" (so Münklers Buchtitel von 2015) Anstalten, "die neuen Aufgaben Deutschlands in Europa" (so der anspruchsvolle Untertitel) wahrzunehmen und als Primus inter Pares sowohl für sich wie für die betroffenen EU- und Schengenstaaten Abwehrmaßnahmen zu treffen. Wer das Wort Abwehr gegenüber Menschen schrecklich findet, behilft sich seither mit der nebelhaften "Reduzierung der Zahlen" oder mit dem Wort "Obergrenze". Das Autorenpaar selbst schreibt in anderem Zusammenhang vom "kontinuierlichen Abfluss von Menschen".
Das Buch ist zu umfangreich und der Zeitdruck bei Verfassern und Gegenlesern war wohl zu groß, um nicht selbstformulierte Fallen und energische Schritte mitten in diese hinein zu enthalten. Weil die Münklers überzeugt sind, dass "kontinuierliche Zuwanderung als Ausgleich für eine defizitäre biologische Reproduktion" eine "historische Regel" sei, führen sie als Beleg die großen Städte in Mesopotamien und im Niltal an, die über dreitausend Jahre "stets auf Zuzug aus dem sie umgebenden Land angewiesen waren". Dies mag so sein, beweist aber nicht die Sinnhaftigkeit eines Zuzugs aus dreitausend Kilometer Entfernung in einem anderen, gar einem weltgeschichtlich einst und dereinst vielleicht wieder einmal konkurrierenden Kulturkreis.
Eine andere Stelle: "Die europäischen Regierungen sahen sich nicht imstande, in den Syrienkrieg, der geopolitisch betrachtet, ihr Problem war, eigenständig und ohne US-amerikanische Führung zu intervenieren." Was wäre gelöst gewesen, wenn sich die Europäer zu einer "Intervention" - mit welchen Mitteln, für welche (Bürger-)Kriegspartei, mit welchem Ziel? - "imstande" gesehen hätten? Eine halbe Seite weiter: "Angesichts dieses durchaus nachvollziehbaren Verzichts auf eine Intervention gab es eine erhöhte Verpflichtung der Europäer, den Flüchtlingen humanitär zu helfen." Dies mag verstehen, wer will. Hätten die Europäer eingegriffen, hätten sie den Krieg zumindest zunächst befeuert und damit viele Zivilisten zur Flucht veranlasst - welches Land hätte diese dann aufnehmen müssen, sozusagen weil es seinerseits auf eine Intervention verzichtet hatte? Müssten nicht nach dem Verursacherprinzip vielmehr all die Länder auch die Flüchtlinge aufnehmen, die sie militärisch verursacht haben? Die dem Humanismus verpflichteten europäischen Länder wären damit nicht aus ihren menschenrechtlichen Aufgaben entlassen, aber die Begründung wäre nicht so verquer.
Als Essenz des Buches sind wahrscheinlich die insgesamt elf "Imperative" einer mal "klugen", mal "vorausschauenden", mal "erfolgversprechenden", am häufigsten jedoch "erfolgsorientierten Integrationspolitik" gedacht. Sie umfassen - keineswegs völlig neue, nicht einmal wirklich handfeste - Empfehlungen zum Sprachunterricht sowie zum Umgang des Staates, der Wirtschaft und schließlich der Zivilgesellschaft mit den Neuankömmlingen.
Bei all dem aber lassen sie offen, was "Integration" heißen soll: Ist das Ziel erreicht, wenn eine Aufenthaltsgenehmigung und eines Tages eine Staatsbürgerschaftsurkunde vorliegen und ein Arbeitsplatz nachgewiesen wird? Gehört dazu nicht auch eine Haltung, eine persönliche Werteordnung in Vereinbarkeit mit der landesüblichen? Da sich das Verfasserehepaar nicht den Begriff der Leitkultur - weder in einer deutschen noch in einer europäischen Deutung - zu eigen machen will, erscheint Integration wie ein Marathonlauf, bei dem es gleichgültig ist, wo man am Ende angekommen ist.
Dass dies weder als Prognose noch als Zielbestimmung ausreicht, wird nach 283 Seiten nicht nur dem Leser, sondern offenbar auch Herfried und Marina Münkler klar. Daher verwenden sie die letzten sieben Seiten darauf, wie man "aus Fremden ,Deutsche'" macht, machen könnte oder gar sollte. Da werden plötzlich "fünf Merkmale des Deutschseins" aufgeführt. Das "erste Identitätsmerkmal" umfasst "Bereitschaft zur Selbstsorge" und "Leistungswillen in Bezug auf die Gesellschaft"; als zweites folgt "das Vertrauen, das er gegenüber der Gemeinschaft hat, ihm im Notfall beizuspringen". Als drittes wird genannt "die Überzeugung, dass religiöser Glaube und seine Ausübung eine Privatangelegenheit sind", als viertes "dass die Entscheidung für eine bestimmte Lebensform und die Wahl des Lebenspartners in das individuelle Ermessen eines jeden Einzelnen fällt".
"Der fünfte und entscheidende Identitätsmarker der Deutschen soll und muss das Bekenntnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sein." Von der Sympathie zur deutschen Kultur, dem Verzicht auf öffentlich bekundeten Hass oder dem Wohlfühlen in der Europäischen Union war da noch gar nicht die Rede. Hätten die Verfasser die fünf Punkte in die Mitte ihres Textes gesetzt und auf hundertfünfzig Seiten die Wege aufgezeigt, wie die - beiderseitige - Integration zumindest der Integrationswilligen bis zur Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit vonstattengehen könnte, dann hätte es ein lesenswertes, sogar für Sachkenner und Fachleute nützliches Buch werden können.
GEORG PAUL HEFTY
Herfried Münkler/Marina Münkler: Die neuen Deutschen: Ein Land vor seiner Zukunft. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016. 336 S., 19,95 [Euro].
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Dieses Buch leistet, was eigentlich die Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre. Der Spiegel