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Eine essayistische Annäherung an den großen Lyriker - Peter Waterhouse denkt nach Abschluss seiner Übersetzung und umfassenden Edition ausgewählter Texte Michael Hamburgers über die zentralen Motive in dessen Werk nach.

Produktbeschreibung
Eine essayistische Annäherung an den großen Lyriker - Peter Waterhouse denkt nach Abschluss seiner Übersetzung und umfassenden Edition ausgewählter Texte Michael Hamburgers über die zentralen Motive in dessen Werk nach.
Autorenporträt
Peter Waterhouse, geboren 1956 in Berlin, wuchs unter anderem in der Bundesrepublik und in Österreich auf. Nach dem Studium der Germanstik und Anglistik promovierte er 1984 mit einer Arbeit über Paul Celan. Er ist Schriftsteller und Übersetzer und lebt in Wien. 2007 wurde Peter Waterhouse mit dem "Erich-Fried-Preis" ausgezeichnet und 2011 mit dem "Nicolas-Born-Preis". 2012 erhielt er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis die höchste Kunstauszeichnung Österreichs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2006

Sprache hat das letzte Wort
Peter Waterhouse denkt Michael Hamburger deutsch weiter

Wie kein anderer hat sich hierzulande der österreichische Lyriker und Essayist Peter Waterhouse für den englischen Lyriker (und Essayisten) Michael Hamburger eingesetzt. Inzwischen sind unter der Regie des Übersetzers acht Bände mit Hamburgers Werken im Folio Verlag erschienen, darunter Traumgedichte, Baumgedichte und Todesgedichte. Nicht zuletzt wurde dort auch Hamburgers immer noch äußerst nützliche Studie über die moderne Lyrik unter dem Titel "Wahrheit und Poesie" wiederaufgelegt. Die Edition ist unspektakulär geblieben, etwas für Kritiker und die wenigen Lyrikliebhaber unserer Landstriche; aber man kann sie als den Boden einer anderen Wahrnehmung ansehen, Humus für ein anderes Sehen.

Nicht zu Unrecht ist hier die gärtnerische Metaphorik angebracht: kaum ein heutiger Dichter, der sich so nah den Pflanzen und Tieren fühlte, den Kreaturen überhaupt. Viele Gedichte Hamburgers sind Bulletins aus seinem wilden Garten, Verfallschroniken, Hoffnungsschimmer oder Erinnerungen an Wurzelwerk und Saatgut, die über nationale Grenzen hinweg ihren Weg in die Erde von Suffolk fanden. Aber Hamburger beschwört nicht, wie es vielleicht Wilhelm Lehmann getan hätte, einen magischen Naturzusammenhang, und nur selten erzählt er Bruchstücke einer Geschichte. Peter Waterhouse, der in diesem neuen Band mit Hamburgers Gedichten seine eigenen poetologischen Reflexionen vorlegt, wie sie sich an den Texten des Engländers entzünden, spricht gleich im Titel von einer negativen Position: Nichtanschauung. Dabei spürt er den unsichtbaren, kaum hörbaren Wortketten, den unterirdischen Suggestionen der Sprache nach, sozusagen ihren etymologischen Hexenringen. Es geht ihm aber nicht um Etymologie, sondern um das un- und vorbewußte Aufnehmen von Sprache, und für ein solches Bewußtwerden scheint die Lyrik eines Autors besonders geeignet, der in seine Sprache nicht als Muttersprache hineinwuchs. Hamburger war neun Jahre alt, als er 1933 mit seinen jüdischen Eltern nach Großbritannien emigrierte, wo er mit der Zeit zu einem bekannten Übersetzer und Lyriker heranreifte. Aber das "Zwischen den Sprachen" (so auch der Titel einer Essaysammlung) blieb sein Standort, an dem es keinen Stand gab. Sein Interpret Waterhouse, selbst zwischen den oder vielmehr mit zwei Sprachen aufgewachsen, kann dies besser als andere nachvollziehen. Kann jemand, der in einer Sprache lebt, etwa solche Sprünge machen wie den von "blossom" (Blüte) zu "Entblößung" oder "loss" (Verlust)? Um den Wintereisenhut in Hamburgers gleichnamigem Gedicht entdeckt er ein ganzes akustisches Feld, das eine Zeit des Davor, aber auch ein Zustand des "Ver-" prägt, sozusagen ein Leben im Präfix.

Waterhouse begreift Hamburgers Poesie als Schule einer Wahrnehmung, für die wir noch keinen Begriff haben. Sie beginnt mit einem Verlust, einem Abwerfen von Kategorien, einer Entblößung. Ohne daß dieses Wort fällt, bewegt sich Waterhouse mit seinen Interpretationen in einer mystischen Welt. Die Verhältnisse von Ich und Welt, von Subjekt, Objekt und Wahrnehmung sind Ichvergessenheiten nah, wie sie Meister Eckhart gepredigt hat. Annäherungen heißt immer auch, neue Worte zu erfinden, die das Andersartige ausdrücken sollen.

Das war nicht nur Heideggers Problem, es ist auch für Waterhouse eines. In Hamburgers Gedicht "Untrennbar", das zu den "Todesgedichten" gehört, macht er ein Sehen aus, das nicht mehr als einzelner Blick gilt, sondern in dem das ganze Feld sieht, denn Sehen sei Gesehenwerden. So kommen wir zum Traum, der vielleicht ein solches Feld ist, ein "Raum aus Seh". Manchmal hat man den Eindruck, daß sich der Text-Waterhouse verselbständigt, fortgetragen vom Schwung der eigenen Entdeckungen, denen gegenüber die lyrischen Texte bescheiden bei sich bleiben, bei alltäglichen Beobachtungen und schmerzhaften Erfahrungen. Aber das soll ja vorkommen, wenn englische Gedichte deutsch weitergedacht werden. Man wird bei der Lektüre jedenfalls aufmerksamer gegenüber der eigenen Sprache, ihrem unbewußten Wurzel- und ihrem schillernden Laubwerk.

Auf sehr problematisches Terrain wagt sich Waterhouse, nicht anders als Hamburger, wenn er dessen Gedicht über Eichmann einer ebensolchen Wahrnehmungsprobe unterzieht. 1964 hatte Hamburger zur Zeit des Jerusalemer Eichmann-Prozesses ein langes Gedicht geschrieben, in dem er die Gefangennahme und Verurteilung des Massenmörders ablehnte. "In einer kalten Jahreszeit" rief damals Empörung bei Lesern und Kritikern hervor, doch Waterhouse lädt uns ein, tiefer in das Gedicht zu schauen. Es ist eine Aussage der Alternativlosigkeit, wie er schreibt, eine Meditation über die Sprache, die diese Massenmorde ermöglichte und rechtfertigte, die einen "Schutzwall" bildete gegenüber aller Menschlichkeit. Eichmann und sein Apparat ermordeten auch Hamburgers Großmutter, die der Familie nicht in die Emigration gefolgt war.

In seinen späten Gedichten ist der Tod immer präsent, und das Gespräch mit den Toten gehört geradezu zur "Muse des Alters", wie ein Gedicht lautet. Der Wirklichkeit wird nach und nach ihre Haut abgezogen, ein Vorgang, mit dem der Mensch sich auf den Tod vorbereitet. Er ist auch bekannt als Vergessen: "Ich fing an, Amnesia, dich zu lieben." So sind viele Gedichte, wie präzis auch immer sie Naturphänomene, Blumen, Kräuter oder Bäume einfangen, Texte zum Verlernen dessen, was wir einst alles so gelernt haben; das Ende aller Kategorien ist in Sicht.

ELMAR SCHENKEL

Peter Waterhouse: "Die Nicht-Anschauung". Versuche über die Dichtung von Michael Hamburger. Mit Gedichten von Michael Hamburger. Mit einer Audio-CD, Gedichte, gelesen von M. Hamburger (englisch), Iain Galbraith (deutsch). Folio Verlag, Wien/Bozen 2005. 178 S., 22,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bemerkenswert erscheinen Elmar Schenkel die poetologischen Reflexionen über die Gedichte des englischen Lyrikers Michael Hamburger, die der österreichische Lyriker und Essayist Peter Waterhouse jetzt vorgelegt hat. Dessen Ausführungen über die Bedeutung der Wahrnehmung im poetischen Schaffen Hamburgers kann Schenkel nur beipflichten. Er spricht in diesem Zusammenhang von Hamburgers Poesie als "Schule einer Wahrnehmung, für die wir noch keinen Begriff haben". Am Anfang stehe der Verzicht auf vorgefertigte Sichtweisen und Kategorien. Schenkel attestiert Waterhouse, sich mit seinen Interpretationen der Lyrik Hamburgers in den Bahnen des Mystikers Meister Eckhart zu bewegen, der die Aufhebung der Trennung von Ich und Welt, Subjekt und Objekt anstrebte.

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