Dass menschenrechtliche Prinzipien universal sein sollen, ist ein Gebot der Vernunft, das uns die Aufklärung auferlegt hat. Indes, wie sind die Erfordernisse dieses Universalismus zu erfüllen in der jeweiligen konkreten Weltlage? Das vermag uns nur eine politische Vernunft zu sagen, welche sich - anders als Kants praktische Vernunft - in Zeithorizonten bewegt. Aber eben diese Vernunft verliert heute rasch Terrain an antiuniversalistische Theorien, die kulturelle Sonderrechte propagieren und verfälschte Vergangenheiten produzieren. Dabei gerät die gute Gesinnung zum Maßstab des Handelns und die Entrüstung zum Mittel geistiger Auseinandersetzung.Um zu ermessen, was hierbei auf dem Spiel steht, verlangt Egon Flaig geistesgeschichtliche Rückbesinnung. Er fragt zum einen, welche Diskurse eine antiuniversalistische Einstellung legitimiert und vorangetrieben haben; und er erörtert zum anderen, weshalb die politische Vernunft auf historische Verankerung angewiesen ist. Denn allein aus einem kulturellen Gedächtnis heraus, das sich der Aufklärung verpflichtet weiß, gewinnen wir die Orientierung für politisches Handeln im Geiste eines emanzipatorischen Universalsmus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.2017Ein Ruheständler fordert Opferbereitschaft
Paranoia als politische Tugend: Egon Flaig will die Aufklärung retten und dreht zu diesem Zweck die Gebetsmühle der Gegenaufklärung. Was am Ende dabei herauskommt, ist mehr als abgeschmackt.
Als der Althistoriker Egon Flaig sich noch der Wissenschaft hingab, hat er die Idee von Platons "Politeia", aus vermeintlicher Weisheit Befehle abzuleiten, als "Ende der Politik" kritisiert. Nun aber meint er, "evidente Wahrheiten" erkennen und aus ihnen eine Fundamentalkritik der politischen Gegenwart ableiten zu können. Das Motiv dazu ist die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel, die Flaig als "neochristliche Propaganda des Verzichts auf Selbstbehauptung", "öffentlich widerrufenen Amtseid" und "Staatsstreich" geißelt.
Um der seiner Schrift den Titel gebenden "Niederlage der politischen Vernunft" abzuhelfen, veranstaltet er ein weitschweifiges Tribunal gegen Foucault, Systemtheorie, Frankfurter Schule, Multikulturalismus, Ethnologie und Postkolonialismus. Aber immer, wenn Flaig seine argumentativen Schwächen spürt, flüchtet er sich in Polemik nach dem Muster, Lévi-Strauss "Schwachsinnslogik" zu bescheinigen, oder vernebelt mit pseudo-tiefsinnigem Jargon wie dem "Eschatolithikum gähnender Immerselbigkeit". Frantz Fanon soll ein Rassist wie Hitler gewesen sein, verantwortlich für den islamischen Fundamentalismus, den Staatszerfall in afrikanischen Staaten und die "arabischen Vergewaltiger", die Flaig durch ihren "kulturellen und religiösen Hintergrund" motiviert sieht.
Angesichts solch kruder Thesen verwundert kaum, dass der Sozialphilosoph Charles Taylor in eine Reihe mit dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg gestellt wird, weil er kulturellen Minderheiten Sonderrechte zugestanden sehen möchte, um erlittenes Unrecht auszugleichen. Es ist ein intellektueller Offenbarungseid, dass Flaig solche humanitären Wiedergutmachungsversuche mit mörderisch-expansiver Lebensraumideologie gleichsetzt.
Zur Kritik an vermeintlichen Fehlentwicklungen amalgamiert der Autor eine klischeehafte Dekadenzkritik aus Arnold Gehlens Warnung vor überfordernder "Hypermoral", Ferdinand Tönnies' Hochschätzung einer zum Ertragen von Verlusten fähigen Gemeinschaft und Carl Schmitts antiliberalen Stereotypen, die Flaig vollständig übernimmt, von der Feindschaft als politischer Tatsache bis zur erforderlichen Opferbereitschaft.
In Anlehnung an Werner Sombarts Stilisierung opferbereiter Helden gegenüber materialistischen Händlern wird gepriesen, dass "die Todesbereiten" ein spezifisches Gut anböten, welches "auf dem Markt sonst nicht zu haben" sei. Das sei erforderlich, weil die politische Freiheit sich "im Krieg mit dem theokratischen Feind" befinde und sich "zuvorderst eines inneren Feindes erwehren" müsse, "nämlich der Vereinseitigung der individuellen Freiheit", welche Flaig dem alle anderen Güter überragenden "Ziel der Perfektionierung des Menschen" untergeordnet sehen möchte.
Das ist nicht nur eine totalitäre Phantasie, sondern sie ist auch unpolitisch, insofern das historische Ziel erfunden wird, es bedürfe einer Weltrepublik mit Volksentscheiden. Politik wird also nicht als ergebnisoffen, sondern als vorherbestimmt gedacht, denn für Flaig ist "die Furcht vor dem Fremden niemals unbegründet". Mit diesem Ausgang in die selbstverschuldete Unmündigkeit kann er Paranoia als politische Tugend ausgeben und die Irrationalität, dass Islamfeindlichkeit vor allem in Gebieten mit wenig Muslimen auftritt, als Ausdruck einer berechtigten Sorge informierter Zeitgenossen beschönigen.
Den Volkswillen will Flaig aber nur dann gelten lassen, wenn er ihm passt, und das gilt nicht für die Abneigung der postheroischen Gesellschaft gegenüber Opfern. Dies als pathologische Geschichtsvergessenheit zu kritisieren ist umso abwegiger, als es nur Flaigs Gnade der späten Geburt ist, die ihn zum Bellizisten macht, während die kriegserfahrene Generation noch um den Sinn der bundesrepublikanischen Friedenssehnsucht wusste. Dass der Pensionär Flaig erneute Opferbereitschaft fordert, ihren Vollzug aber einer jungen Generation abverlangen muss, ist abgeschmackt.
Zur Verschleierung seiner ideologischen Glaubensbekenntnisse dient Flaig das klassische Muster der Verschwörungstheorie gegen alle Andersdenkenden in Politik, Wirtschaft, Recht, Medien, Wissenschaft und Religion. So denunziert er die seriöse Forschung zur intergenerationellen Weitergabe von Traumata als abwegig, "die kirchlichen Funktionäre" als Lügner, die Jurisprudenz als "Gegner der Demokratie", die "multinationalen Milliardäre" des "globalen Neoliberalismus" als Verbündete der "Schlepper und Schleuser der Migrationsströme" und die Massenmedien als "Pflichtlügen" verbreitenden "Widersacher der Meinungsfreiheit".
So entspricht seine Kritik an mangelnder politischer Kontrollierbarkeit der Medien und an Verfassungsgerichten als "Nomokratie neuen Typs" dem russischen, polnischen, ungarischen und türkischen Neoautoritarismus. Und wenn er über "die Kosten jener Attentate in Frankreich und Belgien" klagt, "an denen Angela Merkels unkontrollierte Gäste mitwirkten", hat sich Flaig mit dieser durch keinerlei Fakten über Herkunft und Motivation der Terroristen gedeckten doppelten Verleumdung der Flüchtlinge und der Bundeskanzlerin der rechtsradikalen Propaganda angeschlossen.
Zwar hat die Bundesrepublik schon viele irrlichternde Intellektuelle ausgehalten; ein unaufrichtiger Täuschungsversuch ist es aber, dass Flaig für seine Weltanschauung einen wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch erhebt, obwohl er mit seinem Satz, "der hysterische Dauerton" erzeuge "die komplementäre Paranoia", nichts besser beschreibt als sein eigenes Vorgehen. Frei nach Adorno muss man daher sagen: Die vermeintliche Niederlage der politischen Vernunft ist diejenige von Flaigs eigener. Denn wer die Aufklärung retten möchte, darf keine Gegenaufklärung betreiben.
KARSTEN FISCHER
Egon Flaig: "Die Niederlage der politischen Vernunft". Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen.
Zu Klampen Verlag, Springe 2017.
416 S., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paranoia als politische Tugend: Egon Flaig will die Aufklärung retten und dreht zu diesem Zweck die Gebetsmühle der Gegenaufklärung. Was am Ende dabei herauskommt, ist mehr als abgeschmackt.
Als der Althistoriker Egon Flaig sich noch der Wissenschaft hingab, hat er die Idee von Platons "Politeia", aus vermeintlicher Weisheit Befehle abzuleiten, als "Ende der Politik" kritisiert. Nun aber meint er, "evidente Wahrheiten" erkennen und aus ihnen eine Fundamentalkritik der politischen Gegenwart ableiten zu können. Das Motiv dazu ist die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel, die Flaig als "neochristliche Propaganda des Verzichts auf Selbstbehauptung", "öffentlich widerrufenen Amtseid" und "Staatsstreich" geißelt.
Um der seiner Schrift den Titel gebenden "Niederlage der politischen Vernunft" abzuhelfen, veranstaltet er ein weitschweifiges Tribunal gegen Foucault, Systemtheorie, Frankfurter Schule, Multikulturalismus, Ethnologie und Postkolonialismus. Aber immer, wenn Flaig seine argumentativen Schwächen spürt, flüchtet er sich in Polemik nach dem Muster, Lévi-Strauss "Schwachsinnslogik" zu bescheinigen, oder vernebelt mit pseudo-tiefsinnigem Jargon wie dem "Eschatolithikum gähnender Immerselbigkeit". Frantz Fanon soll ein Rassist wie Hitler gewesen sein, verantwortlich für den islamischen Fundamentalismus, den Staatszerfall in afrikanischen Staaten und die "arabischen Vergewaltiger", die Flaig durch ihren "kulturellen und religiösen Hintergrund" motiviert sieht.
Angesichts solch kruder Thesen verwundert kaum, dass der Sozialphilosoph Charles Taylor in eine Reihe mit dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg gestellt wird, weil er kulturellen Minderheiten Sonderrechte zugestanden sehen möchte, um erlittenes Unrecht auszugleichen. Es ist ein intellektueller Offenbarungseid, dass Flaig solche humanitären Wiedergutmachungsversuche mit mörderisch-expansiver Lebensraumideologie gleichsetzt.
Zur Kritik an vermeintlichen Fehlentwicklungen amalgamiert der Autor eine klischeehafte Dekadenzkritik aus Arnold Gehlens Warnung vor überfordernder "Hypermoral", Ferdinand Tönnies' Hochschätzung einer zum Ertragen von Verlusten fähigen Gemeinschaft und Carl Schmitts antiliberalen Stereotypen, die Flaig vollständig übernimmt, von der Feindschaft als politischer Tatsache bis zur erforderlichen Opferbereitschaft.
In Anlehnung an Werner Sombarts Stilisierung opferbereiter Helden gegenüber materialistischen Händlern wird gepriesen, dass "die Todesbereiten" ein spezifisches Gut anböten, welches "auf dem Markt sonst nicht zu haben" sei. Das sei erforderlich, weil die politische Freiheit sich "im Krieg mit dem theokratischen Feind" befinde und sich "zuvorderst eines inneren Feindes erwehren" müsse, "nämlich der Vereinseitigung der individuellen Freiheit", welche Flaig dem alle anderen Güter überragenden "Ziel der Perfektionierung des Menschen" untergeordnet sehen möchte.
Das ist nicht nur eine totalitäre Phantasie, sondern sie ist auch unpolitisch, insofern das historische Ziel erfunden wird, es bedürfe einer Weltrepublik mit Volksentscheiden. Politik wird also nicht als ergebnisoffen, sondern als vorherbestimmt gedacht, denn für Flaig ist "die Furcht vor dem Fremden niemals unbegründet". Mit diesem Ausgang in die selbstverschuldete Unmündigkeit kann er Paranoia als politische Tugend ausgeben und die Irrationalität, dass Islamfeindlichkeit vor allem in Gebieten mit wenig Muslimen auftritt, als Ausdruck einer berechtigten Sorge informierter Zeitgenossen beschönigen.
Den Volkswillen will Flaig aber nur dann gelten lassen, wenn er ihm passt, und das gilt nicht für die Abneigung der postheroischen Gesellschaft gegenüber Opfern. Dies als pathologische Geschichtsvergessenheit zu kritisieren ist umso abwegiger, als es nur Flaigs Gnade der späten Geburt ist, die ihn zum Bellizisten macht, während die kriegserfahrene Generation noch um den Sinn der bundesrepublikanischen Friedenssehnsucht wusste. Dass der Pensionär Flaig erneute Opferbereitschaft fordert, ihren Vollzug aber einer jungen Generation abverlangen muss, ist abgeschmackt.
Zur Verschleierung seiner ideologischen Glaubensbekenntnisse dient Flaig das klassische Muster der Verschwörungstheorie gegen alle Andersdenkenden in Politik, Wirtschaft, Recht, Medien, Wissenschaft und Religion. So denunziert er die seriöse Forschung zur intergenerationellen Weitergabe von Traumata als abwegig, "die kirchlichen Funktionäre" als Lügner, die Jurisprudenz als "Gegner der Demokratie", die "multinationalen Milliardäre" des "globalen Neoliberalismus" als Verbündete der "Schlepper und Schleuser der Migrationsströme" und die Massenmedien als "Pflichtlügen" verbreitenden "Widersacher der Meinungsfreiheit".
So entspricht seine Kritik an mangelnder politischer Kontrollierbarkeit der Medien und an Verfassungsgerichten als "Nomokratie neuen Typs" dem russischen, polnischen, ungarischen und türkischen Neoautoritarismus. Und wenn er über "die Kosten jener Attentate in Frankreich und Belgien" klagt, "an denen Angela Merkels unkontrollierte Gäste mitwirkten", hat sich Flaig mit dieser durch keinerlei Fakten über Herkunft und Motivation der Terroristen gedeckten doppelten Verleumdung der Flüchtlinge und der Bundeskanzlerin der rechtsradikalen Propaganda angeschlossen.
Zwar hat die Bundesrepublik schon viele irrlichternde Intellektuelle ausgehalten; ein unaufrichtiger Täuschungsversuch ist es aber, dass Flaig für seine Weltanschauung einen wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch erhebt, obwohl er mit seinem Satz, "der hysterische Dauerton" erzeuge "die komplementäre Paranoia", nichts besser beschreibt als sein eigenes Vorgehen. Frei nach Adorno muss man daher sagen: Die vermeintliche Niederlage der politischen Vernunft ist diejenige von Flaigs eigener. Denn wer die Aufklärung retten möchte, darf keine Gegenaufklärung betreiben.
KARSTEN FISCHER
Egon Flaig: "Die Niederlage der politischen Vernunft". Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen.
Zu Klampen Verlag, Springe 2017.
416 S., geb., 24,80 [Euro].
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»...höchst notwendige Verteidigung der Errungenschaften der Aufklärung.« Rolf Löchel in: literaturkritik.de, 7. Juni 2017