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Viele von uns nehmen die Nordsee nur aus einer sehr eingeschränkten Perspektive wahr: als strandkorbgesäumtes Urlaubsparadies oder als Schauplatz drohender ökologischer Katastrophen. Richard Pott erweitert diese Perspektive deutlich, indem er zeigt, daß und weshalb der Nordseeraum, in dem heute rund 165 Millionen Menschen leben, eine Besonderheit unter den europäischen Naturlandschaften darstellt. Hierzu zählt beispielsweise das rund 8000 Quadratkilometer große Wattenmeer. Eine durch das ungehinderte Zusammenspiel der Naturkräfte entstandene, gezeitenabhängige Urlandschaft der Nacheiszeit, die…mehr

Produktbeschreibung
Viele von uns nehmen die Nordsee nur aus einer sehr eingeschränkten Perspektive wahr: als strandkorbgesäumtes Urlaubsparadies oder als Schauplatz drohender ökologischer Katastrophen. Richard Pott erweitert diese Perspektive deutlich, indem er zeigt, daß und weshalb der Nordseeraum, in dem heute rund 165 Millionen Menschen leben, eine Besonderheit unter den europäischen Naturlandschaften darstellt.
Hierzu zählt beispielsweise das rund 8000 Quadratkilometer große Wattenmeer. Eine durch das ungehinderte Zusammenspiel der Naturkräfte entstandene, gezeitenabhängige Urlandschaft der Nacheiszeit, die es auf der Erde kein zweites Mal gibt. Auch die Beschreibung der verschiedenen Nordseeinseln, der unterschiedlichen Küstenmarschen und der jeweiligen Besiedlungsformen durch Menschen, Tiere und Pflanzen zeichnet das sehr differenzierte Bild eines großartigen Natur- und Kulturraumes, wobei natürlich auch auf die Besonderheiten der übrigen Anrainerstaaten, wie die Dänemarks, Norwegens oder Großbritanniens, eingegangen wird.
Daneben bleibt die zentrale Rolle des Tourismus und anderer Industriezweige, wie Fischerei und Schiffahrt, sowie ihre Bedeutung und Folgen für die Nordseeregion nicht unerwähnt. Wie auch die kritische Auseinandersetzung mit Fragen der Meeresverschmutzung, des Anstiegs des Meeresspiegels etc. ausführlich betrieben wird.
Alles in allem die beeindruckende Gesamtdarstellung eines einzigartigen Meeres.
Autorenporträt
Richard Pott, Biologe und Professor für Vegetationsgeographie und Landschaftsökologie, ist Direktor des Instituts für Geobotanik der Universität Hannover. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen der Biogeographie sowie der Vegetations- und Landschaftsgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2004

Kleines Schelfmeer am Rand des Weltozeans
Welt der Fischer und Touristen, der Gezeiten und des Windes: Richard Pott schreibt die Kultur- und Naturgeschichte der Nordsee
Wer von einem Urlaub an der Nordsee zurückkehrt, ist von ihr für alle Zeit begeistert oder für immer geheilt. Der eine nimmt das Bild farbenprächtiger Sonnenuntergänge über dem Watt mit nach Hause, der andere das von blaugefrorenen Kleinkindern in regennassen Strandkörben. Die Nordsee ist eine Landschaft der starken Eindrücke. Wer sich mit dem „Blanken Hans” nicht nur emotional, sondern intellektuell einlassen will, kann dies umfassend mit einem Buch des Biologen und Vegetationskundlers Richard Pott tun. Es sagt ihm, was er bei der Dünenwanderung sehen kann und worauf er im Watt tritt.
Der Direktor des Instituts für Geobotanik der Universität Hannover repräsentiert eindrucksvoll die Vernetzung – oder Wiedervereinigung – wissenschaftlicher Spezialdisziplinen. Er schildert sozusagen „ganzheitlich” den Nordseeraum als ein Gefüge, in dem Wind und Wetter, Wasser und Land, Tiere und Pflanzen, Bauern, Fischer und Touristen, Machthaber und Beherrschte, Gletscher und Flüsse, Sonne und Mond in faszinierender Dynamik zusammenspielen. Das beginnt bei der frühen Erdgeschichte und endet bei stromerzeugenden Windmühlen, Kreuzfahrtschiffen und der Pharologie, der Wissenschaft von Seezeichen und Leuchttürmen.
Wir erfahren, wie in Jahrmillionen der Meeresspiegel sich immer wieder hob und senkte, so dass noch vor zehntausend Jahren die britischen Inseln mit dem Kontinent verbunden waren und auf der Doggerbank (heute 15 m unter NN) Menschen lebten, wie erst vor dreitausend Jahren die heute der Küste vorgelagerten friesischen Inseln im Zusammenspiel von Flüssen, Gezeiten und Wind aufgebaut wurden, wie sie in unlängst vergangenen Jahrhunderten bei Sturmfluten geteilt wurden oder untergingen, neu entstanden, von West nach Ost wanderten und bis heute in Bewegung sind. Den Phasen und Formen dieser Wanderung folgten und folgen noch die wechselnden Vegetationstypen mit hochspezialisierten Pflanzen.
In diesem ständigen Hin und Her zwischen dem zur Ruhe gekommenen festen Marschland, dem vom Wind verfrachteten Sand der Strände, dem Wattenmeer mit seinen immer wechselnden Strömen und den Barriereinseln, an denen das Meer nagt, haben die Menschen seit frühesten Zeiten ihren dramatischen Kampf mit der See ausgefochten. Mit Deichbauten und Häfen eroberten sie, und von verheerenden Sturmfluten wurden sie vertrieben – bis zum nächsten Vorstoß im Ringen um Land zum Leben. Seit der ersten bezeugten Sturmflut im Jahr 1164 bis zur Januarflut von 1994 mit den höchsten jemals gemessenen Wellen von zehn Metern am Borkum-Riff hat sich einundzwanzig mal die Nordsee viel von dem zurückgeholt, was Menschen ihr abgewonnen hatten, oder sie hat doch große Schäden angerichtet. Dabei entstanden der Jadebusen und der Dollart, wurde die Leybuch bis zur Stadt Norden ausgedehnt, gingen Hunderte von Dörfern und Gehöften unter und starben an die 200 000 Menschen, die letzten 315 allein im Hamburger Stadtgebiet bei der Februarflut von 1962.
Das Wasser steigt
Orkanfluten gab es während der letzten Jahrzehnte in der Deutschen Bucht immer öfter. Am Pegel Norderney wurden in den fünfziger und sechziger Jahren zehn mal pro Jahr Wasserstände von mehr als zwei Metern über Normal Null gemessen, in den letzten zwei Jahrzehnten sechzehn mal. Von 1951 bis 1960 ereigneten sich 86 Sturmfluten, von 1961 bis 1970 waren es 121, von 1971 bis 1980 dann 116, und von 1981 bis 1990 insgesamt 176. Die Ursache, so Pott, sei die steigende Zahl der Orkanwirbel über dem Nordatlantik mit einem Kernluftdruck unter 950 Hektopascal. „Ob sich hier die wirkliche Klimaveränderung anbahnt, lässt sich statistisch noch nicht belegen”, schreibt er, wie er überhaupt bei diesem Thema zurückhaltend ist.
Doch erinnert er an die messbare, also unbestreitbare Tatsache, dass durch die Verbrennung fossiler Kohlenstoffe und das Abholzen von Wäldern in der Atmosphäre der „Anteil an Kohlendioxid (CO2) dermaßen erhöht (wurde), dass innerhalb des nächsten Jahrhunderts mit einer erdweiten Änderung des Klimas ... von deutlich mehr als einem Grad Celsius als Folge des Treibhauseffekts zu rechnen ist”. Der Meeresspiegel steigt gegenwärtig um 2,4 mm pro Jahr, in Zukunft wahrscheinlich mehr. Für die empfindliche Nordseeküste bedeutet das steigende Risiken und höheren Aufwand für den Küstenschutz.
Mit mehr als 100 000 Schiffsbewegungen im Jahr ist die südliche Nordsee die meistbefahrene Wasserstraße der Welt. Außerdem liegen unter dem Meeresgrund in den britischen und norwegischen Abschnitten zusammen 11000 Millionen Tonnen Erdöl und 3000 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Die Gefahr, dass davon Katastrophen ausgehen, ist sehr groß. Sie würden das Watt nachhaltig schädigen. Pott beschreibt bei einer fiktiven Wattwanderung die ungeheure Vielfalt des Lebendigen in diesem extremen Ökosystem, das auf Erden nicht seinesgleichen hat, aber äußerst empfindlich ist.
Leider zeigen sich bei dem schön gedruckten und vorzüglich bebilderten Buch auch die Nachteile der interdisziplinär vernetzten Darstellung aus einer Feder. So lässt Richard Pott den „Großen Kurfürsten” Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Jahre 1862 die Afrikanische Handelskompanie gründen. Gemeint ist 1682. Es wäre Sache eines Lektors gewesen, die Ziffernfolge zurecht zu rücken. Dass Emden dann seine größte Zeit hatte, „als 1683 unter Friedrich dem Großen der Sitz der Kurbrandenburgischen Admiralität hierher verlagert wurde”, ist wohl dem Autor zuzuschreiben.
Aber nehmen wir Pott als Biologen und Ökologen, und vertrauen wir darauf, dass er in der Frühgeschichte und Klimageschichte der Nordsee besser bewandert ist. Dann ist sein Buch eine anregende, streckenweise spannende Darstellung der gewaltigen Naturkräfte, eindrucksvollen Kulturleistungen und wachsenden Nutzungsinteressen in diesem kleinen Schelfmeer am Rande des Weltozeans.
CHRISTIAN SCHÜTZE
RICHARD POTT: Die Nordsee – eine Natur- und Kulturgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2003. 351 Seiten, 155 meist farbige Abbildungen, 34,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Etwas zu schnell dem Vorgängerbuch über die Ostsee hintergeschoben, vermutet Urich Baron im Fall des Nordsee-Buches von Richard Pott, das zwar von einem ausgewiesenen Spezialisten verfasst wurde, dessen Materialdecke ihm jedoch an einigen Stellen zu dünn erscheint. Außerdem sei es schlampig lektoriert, schimpft Baron: da wurden Kubikkilometer mit Kubikmetern ebenso verwechselt wie Milliarden und Millionen, außerdem enthalte das Buch zahlreiche historische Ungenauigkeiten. Trotzdem: das Buch habe auch seine guten Seiten. Die spannendsten Kapitel seien die über das Wattenmeer, das zwar nur einen kleineren Teil der Nordsee ausmache, aber durch den Wechsel der Gezeiten, das Spiel des Windes, die großen Flussmündungen von Rhein, Maas, Weser und so weiter mit Material und Nährstoffen versorgt würde und damit einen weltweit einzigartigen Naturraum bilde. Die Einleitung zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Nordsee findet Baron zwar etwas spröde, aber berechtigt. Immerhin sei das Buch reich illustriert.

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