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Produktdetails
  • Verlag: Wissenmedia
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 375
  • Abmessung: 80mm
  • Gewicht: 717g
  • ISBN-13: 9783765302404
  • Artikelnr.: 24239304
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2017

Unterwerfung und Wiederauferstehung

Die Geschicke Siziliens sind nicht nur die seiner Könige: John Julius Norwich erzählt die Geschichte der größten Mittelmeerinsel, die nicht in der Gegenwart angekommen ist. So wenig wie sein Buch.

Ein Bild des rauchenden Ätna von dem Landschaftsmaler Jacob Philipp Hackert auf dem Umschlag, ein berühmtes Zitat aus Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman "Der Leopard" als Motto und Goethes Sentenz "Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele, hier ist erst der Schlüssel zu allem" als erster Satz: dieser klassische Dreiklang, der schon manches Buch über die größte Mittelmeerinsel schmückt, stimmt auch auf John Julius Norwich ein, der - so der Untertitel - hier nicht weniger als "eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne" vorlegt.

Die Geschichte Siziliens ist eine Geschichte der Eroberung und der Fremdherrschaft. Die Prägungen, Ablagerungen und Hinterlassenschaften der Invasoren begründen den großen Reichtum der Insel wie auch das Trauma ihrer Bewohner, die Unterwerfung ohnmächtig angenommen zu haben. Diese Ambivalenz ist, viel beschrieben und erörtert, zum Topos geworden, den schon die Gliederung ablesen lässt: "Die Griechen", "Die Karthager", "Römer, Barbaren, Byzantiner und Araber", "Die Normannen" sind die ersten vier, "Unter spanischer Herrschaft" und "Die Ankunft der Bourbonen" spätere Kapitel überschrieben. Wie die Eindringlinge hier verteilt sind, spiegelt Schwer- und Schwachpunkte der Darstellung.

Der Aufstieg von Syrakus zur politisch wie kulturell mächtigsten Stadt der Magna Grecia, die Athen zeitweise an Bedeutung übertrifft, und die Entwicklung von Palermo zum multiethnischen Gemeinwesen und Zentrum der Gelehrsamkeit, in dem - unter dem Normannen Roger II., dann unter dem Staufer Friedrich II. - die drei großen Kulturen der Christen, Juden und Muslime in Harmonie und Austausch leben, ergeben farbige Zeitbilder. Dagegen wird die Herrschaft der Araber (827 bis 1060), die Palermo erst zur Hauptstadt machen und durch die Einführung einer effizienten Verwaltung sowie den Anbau neuer Nutzpflanzen eine Blütezeit stiften, auf anderthalb Seiten abgefertigt.

Das Ende der Staufer in Italien, der Aufstand gegen die Franzosen, die Teilung des Königreichs, die fast vierhundertjährige Verbindung mit Spanien, die Sizilien ökonomisch und kulturell von Süditalien abschneidet: Norwich blättert, namen- und datenreich, eine Epoche nach der anderen auf, er schreibt flüssig, angelsächsisch journalistisch. Auf Anekdote und Porträt versteht er sich besser als auf Analyse und Prozess; strukturelle Kräfte nimmt er gar nicht erst in den Blick: Geschichte als eine Abfolge von Kriegen und Friedensabkommen, Verhandlungen und Verträgen, Hochzeiten und Erbfolgen, dynastischen Verbindungen und Abhängigkeiten, die von handelnden Personen, Königen und Päpsten zumal, gestaltet wird.

Das politische Gravitationszentrum verlagert sich nach Rom, Konstantinopel, Barcelona oder Neapel, die Insel verliert an Bedeutung, und Norwich hat bald kaum mehr als Stichworte für sie übrig: Recht- und Gesetzlosigkeit, Korruption, Aufruhr, "Piraterie und Revolution", rivalisierende Adelsfamilien, Blutrache und Banditentum, Städtefeindschaften. Kunst und Kultur kommen nur am Rande und auf den sechzehn Bildseiten vor: Tempel und Theater, Mosaiken und Dome, das anonyme Fresko "Triumph des Todes" und Antonello da Messina.

Der Friede von Utrecht ordnet 1713 die Machtverhältnisse neu: Sizilien wird Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen übertragen, der es 1720 für Sardinien tauscht. Die Insel wird österreichisch, Neapel wieder ein Königreich, und Carlo I., wie Karl III. hier noch heißt, baut es von 1735 an zu einer der prächtigsten Städte Europas aus. "Die Geschicke Siziliens sind auch die seiner Könige", schreibt Norwich: "Und da der König von Sizilien sich entschieden hatte, in Neapel zu leben, müssen wir jetzt Neapel ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken." Das Leben am dortigen Hof wird geschildert, Könige und Königinnen, Generäle und Gesandte werden charakterisiert, Morde und Hinrichtungen, Amouren und Ambitionen, Intrigen und Klatsch angeführt, William Hamilton und seine zweite Frau Emma, die Goethe in der "Italienischen Reise" als "Gipfel aller Natur- und Kunstfreude", "sehr schön und wohlgebaut" feiert, erhalten breiten, die Siege und Erfolge von Admiral Nelson noch mehr Raum.

Ähnlich detailliert verfolgt Norwich die Karriere Napoleons, der seinen Schwager Joachim Murat nach Neapel schickt. Dass die beiden Sizilien als Nebenschauplatz ansehen, bestimmt die Darstellung: Kulturelle und wirtschaftliche Faktoren (Weinhandel, Schwefelabbau) werden kurz erwähnt; wie das Königreich Neapel, Landadel und Kirche die Insel auspressen, Entwaldung und Landsterben bis heute folgenreiche Erosionsprozesse in Gang setzen, wird nicht berücksichtigt. "Die dunklen Ursprünge der Mafia" belässt Norwich ebendort: im Dunkeln. Entstehung und Organisation der "ehrenwerten Gesellschaft", die sich zwischen Großgrundbesitzern und kleinen Pächtern etabliert und vermittelt, werden nicht erklärt. Der erfolgreiche Kampf der Faschisten gegen die Cosa Nostra wird resümiert, ohne dass die fragwürdige Voraussetzung auch nur genannt würde: das Umgehen rechtsstaatlicher Prinzipien.

Der Untertitel "Eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne" ist eine Erfindung des deutschen Verlags. Im Original lautet er "A short History, from the Greeks to Cosa Nostra". Auf die Moderne aber kommt Norwich nicht zu sprechen und so auch nicht auf die Frage, die Joachim Fest in seinen Reisenotizen "Im Gegenlicht" (1988) behandelt hat: Ob und inwieweit die Moderne, "die alles einebnende Weltzivilisation", Sizilien erreicht und eingenommen habe. Die Darstellung bricht nach dem Zweiten Weltkrieg, der für Italien zuerst auf Sizilien zu Ende ging, ab. Für ein Buch, das zwar kein Reiseführer ist, doch immer wieder Reiseerlebnisse aufgreift, muss das verwundern.

Hackert, Tomasi di Lampedusa und Goethe erweisen sich als Lockvögel, die nicht fliegen. Denn keiner von ihnen wird als Zeuge aufgerufen: Hackert auch nicht als Repräsentant jener Künstler, die auf der Grand Tour über Neapel hinausgereist sind, Goethe nur mit dem Porträt von Lady Hamilton, das er in Caserta notierte, und Tomasi di Lampedusa so wenig wie der andere große Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderthälfte, Leonardo Sciascia, dessen "spannende Krimis" Norwich empfiehlt.

"Tatsächlich verlief die jüngste Geschichte Siziliens, abgesehen von den Ölfunden 1953, relativ ereignislos", behauptet der Autor im Epilog. Wirklich? Der Aufstieg der Mafia, ihre Kriegserklärung an den Staat, ihre Toten und ihr Terror, die Zerstörung Palermos durch Immobilienspekulation, das Ende des Schwefelabbaus, das Erdbeben 1968 im Belicetal, die fehlgeschlagene Industrialisierung, die Schließung des Fiat-Werks in Termini Imerese, Einfallstor für Flüchtlinge aus Afrika - das und anderes mehr belegen das Gegenteil. Doch der nächste Gemeinplatz folgt: "Trotz seiner leidvollen Geschichte bleibt Sizilien ein Juwel." Denn: "Nirgendwo sonst auf der Welt findet man auf so wenig Fläche eine solche Fülle von Bauwerken aus so vielen unterschiedlichen Zivilisationen." Darin ist Norwich zuzustimmen. Umso bedauerlicher, dass über diese Schätze in seinem Buch nicht mehr zu erfahren ist.

ANDREAS ROSSMANN.

John Julius Norwich: "Sizilien". Eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne.

Aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Rita Seuß. Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 368 S., Abb., geb., 26,- [Euro].

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