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Produktdetails
  • Verlag: Wissenmedia
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 375
  • Abmessung: 80mm
  • Gewicht: 717g
  • ISBN-13: 9783765302404
  • Artikelnr.: 24239304
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2017

Überstrahlt von einstiger Pracht
John Julius Norwich weiß, warum diese Insel so traumhaft und so traurig ist: In seiner
Geschichte Siziliens erzählt er von verpassten Gelegenheiten und unerfüllten Versprechungen
VON JOHAN SCHLOEMANN
Traumhaft und traurig ist Sizilien. Alle, die auf die Insel fahren, werden ja verlässlich bezaubert von Wein, Jasminduft, glitzernden Küsten. Das organisierte Verbrechen tut den Gästen nichts, die pittoreske Armut auch nicht, und sie staunen über ein einzigartiges, tolerantes Kultur-Amalgam: das byzantinisch-lateinisch-islamische Teamwork in der Palastkapelle von Palermo; die dorischen Säulen des heidnischen Athene-Tempels von 480 vor Christus, die seit der Spätantike bis heute den christlichen Dom von Syrakus tragen. Der beharrliche eigene Charakter der Sizilianer wird notgedrungen zum Schicksal verklärt, und dies scheint dann schon im sizilianischen Dialekt mitzuklingen – so etwa in der dramatischen Vorliebe für den fünfsilbigen Rhythmus Tam-ta-ta-tam-tam in den Ortsnamen: Caltanissetta, Roccavaldina, Donnafugata.
Sizilien zuletzt: Die vielen Flüchtlingsboote mit denen, die es aus Nordafrika herübergeschafft haben, sind kaum zu bewältigen. Die Bürgermeister rebellieren, Italiens Regierung klagt Europa an, und an diesem Donnerstag wird SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz einem Flüchtlingslager in Catania einen Wahlkampfbesuch abstatten. Der Wald Siziliens lodert immer wieder bedrohlich, weil die Mafia illegal Müll verbrennt. Und dann hat neulich auch noch Donald Trump das spektakulär am Ätna gelegene Theater von Taormina, einen Pilgerort für die Verehrer schöner Kulturlandschaften (und wegen des Aktfotografen Wilhelm von Gloeden einst auch für die Verehrer schöner Jünglingskörper), mit seiner Anwesenheit entehrt.
Der Engländer John Julius Norwich hingegen behauptet zum Schluss seines neuen Buches über die Insel: Die Geschichte Siziliens sei seit Ende des Zweiten Weltkriegs und der Erklärung zur autonomen Region innerhalb Italiens „relativ ereignislos“ verlaufen. Das sollte man diesem Gentleman, der auf die neunzig zugeht, aber schnell verzeihen. Denn erstens reicht seine Erzählung nun mal erklärtermaßen nur bis zur „Operation Husky“, der Invasion der Alliierten im Sommer 1943. Und zweitens erfährt man aus dem, was bis dahin in diesem Buch passiert, auch schon recht gut, warum Sizilien so traumhaft und so traurig ist.
Schon vor mehr als fünfzig Jahren hat Norwich, ein Spross der Oberklasse, für Sizilien so Feuer gefangen, dass er seinen Diplomatendienst fürs britische Außenministerium quittierte und lieber eine Geschichte des normannischen Königreichs in Süditalien und Sizilien verfasste. Jetzt, unzählige Reisen, kulturgeschichtliche Bücher und gut dreißig historische TV-Dokumentationen später, schenkt John Julius Norwich seiner alten Liebe noch eine Gesamtdarstellung. Jeder Tourist kann dieses Buch gut und gerne einpacken, zusammen mit Lampedusas „Leopard“, Goethes Italienischer Reise und den Reiseführern.
Norwich verschweigt es zwar nicht: In Sizilien lebt „der Schmerz infolge langer leidvoller Erfahrungen, verpasster Gelegenheiten und unerfüllter Versprechungen“. Aber der Autor hält auch auf eine sehr liebevolle, hemdsärmelige Art zu seinen Sizilianern, zu ihrer Hoffnung auf Schönheit, Wohlstand und Glück. Nicht, dass sie an aller Kriminalität, Korruption, inneren Rivalität und Modernitätsverweigerung selber ganz unschuldig gewesen wären; aber wesentlich schuld daran war schon die ständige Fremdherrschaft. Die eigentlich mit Sonne und Fruchtbarkeit gesegnete Insel war bis zum Anbruch der Neuzeit ein wichtiger Handelsplatz im Mittelmeer – an den Küsten, während jedoch im Hinterland die wechselnden Eroberer kaum einmal Reformen durchsetzten, ja nach dem Verfall der alten römischen Straßen noch nicht einmal ein ordentliches Verkehrsnetz bauten. Reich wurden meist nur die katholische Kirche und die Adelsfamilien, die sich weigerten, ihre Steuern zu zahlen, und nur dann einmal Geld an Könige oder Vizekönige abdrückten, wenn neue Adelstitel zu verkaufen waren.
Man muss vorsichtig sein, geschichtliche Weichenstellungen nicht als ewigen Fluch zu sehen. Aber natürlich gab es Langzeitwirkungen, von denen Norwich salopp und illusionslos berichtet. Gut 400 Jahre spanische Herrschaft seit Ende des 13. Jahrhunderts schnitten Sizilien von der aufblühenden Kultur der Renaissance ab, außerdem von der Universität Neapel, vom Handel mit den Arabern sowie von der Intelligenz und wirtschaftlichen Tüchtigkeit der jüdischen Minderheit, die von der Inquisition vertrieben wurde. Später unter den Bourbonen im Königreich Neapel, also bis ins 19. Jahrhundert, wurde die Verwaltung der Insel auch nicht entschlossener, auch wenn der Hof von Palermo vor der napoleonischen Zeit einen gewissen morbiden Theaterglanz entfaltete.
Im Westen Siziliens reicht das Elend bis zu den riesigen Landgütern der römischen Großgrundbesitzer zurück – sie schufen schon in der Antike „eine Struktur der Flächennutzung, die Siziliens Landwirtschaft für die nächsten 2000 Jahre ruinierte“. Und die Römer fingen in ihrer ersten Provinz schon mit dem Plündern von Kunstschätzen an, was Lateinschüler aus Ciceros Reden gegen den ausbeuterischen Statthalter Verres wissen. In Syrakus und anderen Städten an der Ostküste hingegen meint man bis heute noch den Einfluss der griechischen Stadtgründungen seit dem achten vorchristlichen Jahrhunderten zu spüren: bessere Verkehrswege, mehr Bürgerstolz, weniger Korruption. Und ebenfalls sehr nachhaltig wirkte die neue Arroganz des vereinigten Italien von 1861 an, die unter der Führung Piemonts den ohnehin schon als unregierbar geltenden Süden traf, obwohl der heroische Einigungszug unter Garibaldi in Marsala auf Sizilien begonnen hatte. Zur selben Zeit wird die Mafia erstmals auch namentlich greifbar.
Und doch liest man gern von all diesen Versäumnissen, Norwich erzählt süffig, und die hier und da unvermeidlich komplizierten dynastischen Details frischt er mit beherzten Urteilen auf. Vor allem wird Siziliens Geschichte auch in diesem Buch überstrahlt von der kulturellen und landschaftlichen Pracht – und von der einzigen wirklich goldenen Ära, dem innovativen und toleranten Königreich Sizilien unter den Normannen im 12. Jahrhundert sowie danach in der Zeit des sizilianischen Wunder-Staufers Friedrich II. Die Insel muss also tatsächlich fast 900 Jahre zurückgreifen, wenn sich – abgesehen vom Tourismus – grundlegend etwas bessern soll.
John Julius Norwich: Sizilien. Eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne. Aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Rita Seuß. Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 367 Seiten, 26 Euro, E-Book 19,99 Euro.
Römische Großgrundbesitzer
ruinierten die Landwirtschaft
für die nächsten 2000 Jahre
Weltmächte vor Traumkulisse: Im Mai diente Taormina als Bühne für den G-7-Gipfel.
Foto: Guido Bergmann/Reuters
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2017

Unterwerfung und Wiederauferstehung

Die Geschicke Siziliens sind nicht nur die seiner Könige: John Julius Norwich erzählt die Geschichte der größten Mittelmeerinsel, die nicht in der Gegenwart angekommen ist. So wenig wie sein Buch.

Ein Bild des rauchenden Ätna von dem Landschaftsmaler Jacob Philipp Hackert auf dem Umschlag, ein berühmtes Zitat aus Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman "Der Leopard" als Motto und Goethes Sentenz "Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele, hier ist erst der Schlüssel zu allem" als erster Satz: dieser klassische Dreiklang, der schon manches Buch über die größte Mittelmeerinsel schmückt, stimmt auch auf John Julius Norwich ein, der - so der Untertitel - hier nicht weniger als "eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne" vorlegt.

Die Geschichte Siziliens ist eine Geschichte der Eroberung und der Fremdherrschaft. Die Prägungen, Ablagerungen und Hinterlassenschaften der Invasoren begründen den großen Reichtum der Insel wie auch das Trauma ihrer Bewohner, die Unterwerfung ohnmächtig angenommen zu haben. Diese Ambivalenz ist, viel beschrieben und erörtert, zum Topos geworden, den schon die Gliederung ablesen lässt: "Die Griechen", "Die Karthager", "Römer, Barbaren, Byzantiner und Araber", "Die Normannen" sind die ersten vier, "Unter spanischer Herrschaft" und "Die Ankunft der Bourbonen" spätere Kapitel überschrieben. Wie die Eindringlinge hier verteilt sind, spiegelt Schwer- und Schwachpunkte der Darstellung.

Der Aufstieg von Syrakus zur politisch wie kulturell mächtigsten Stadt der Magna Grecia, die Athen zeitweise an Bedeutung übertrifft, und die Entwicklung von Palermo zum multiethnischen Gemeinwesen und Zentrum der Gelehrsamkeit, in dem - unter dem Normannen Roger II., dann unter dem Staufer Friedrich II. - die drei großen Kulturen der Christen, Juden und Muslime in Harmonie und Austausch leben, ergeben farbige Zeitbilder. Dagegen wird die Herrschaft der Araber (827 bis 1060), die Palermo erst zur Hauptstadt machen und durch die Einführung einer effizienten Verwaltung sowie den Anbau neuer Nutzpflanzen eine Blütezeit stiften, auf anderthalb Seiten abgefertigt.

Das Ende der Staufer in Italien, der Aufstand gegen die Franzosen, die Teilung des Königreichs, die fast vierhundertjährige Verbindung mit Spanien, die Sizilien ökonomisch und kulturell von Süditalien abschneidet: Norwich blättert, namen- und datenreich, eine Epoche nach der anderen auf, er schreibt flüssig, angelsächsisch journalistisch. Auf Anekdote und Porträt versteht er sich besser als auf Analyse und Prozess; strukturelle Kräfte nimmt er gar nicht erst in den Blick: Geschichte als eine Abfolge von Kriegen und Friedensabkommen, Verhandlungen und Verträgen, Hochzeiten und Erbfolgen, dynastischen Verbindungen und Abhängigkeiten, die von handelnden Personen, Königen und Päpsten zumal, gestaltet wird.

Das politische Gravitationszentrum verlagert sich nach Rom, Konstantinopel, Barcelona oder Neapel, die Insel verliert an Bedeutung, und Norwich hat bald kaum mehr als Stichworte für sie übrig: Recht- und Gesetzlosigkeit, Korruption, Aufruhr, "Piraterie und Revolution", rivalisierende Adelsfamilien, Blutrache und Banditentum, Städtefeindschaften. Kunst und Kultur kommen nur am Rande und auf den sechzehn Bildseiten vor: Tempel und Theater, Mosaiken und Dome, das anonyme Fresko "Triumph des Todes" und Antonello da Messina.

Der Friede von Utrecht ordnet 1713 die Machtverhältnisse neu: Sizilien wird Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen übertragen, der es 1720 für Sardinien tauscht. Die Insel wird österreichisch, Neapel wieder ein Königreich, und Carlo I., wie Karl III. hier noch heißt, baut es von 1735 an zu einer der prächtigsten Städte Europas aus. "Die Geschicke Siziliens sind auch die seiner Könige", schreibt Norwich: "Und da der König von Sizilien sich entschieden hatte, in Neapel zu leben, müssen wir jetzt Neapel ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken." Das Leben am dortigen Hof wird geschildert, Könige und Königinnen, Generäle und Gesandte werden charakterisiert, Morde und Hinrichtungen, Amouren und Ambitionen, Intrigen und Klatsch angeführt, William Hamilton und seine zweite Frau Emma, die Goethe in der "Italienischen Reise" als "Gipfel aller Natur- und Kunstfreude", "sehr schön und wohlgebaut" feiert, erhalten breiten, die Siege und Erfolge von Admiral Nelson noch mehr Raum.

Ähnlich detailliert verfolgt Norwich die Karriere Napoleons, der seinen Schwager Joachim Murat nach Neapel schickt. Dass die beiden Sizilien als Nebenschauplatz ansehen, bestimmt die Darstellung: Kulturelle und wirtschaftliche Faktoren (Weinhandel, Schwefelabbau) werden kurz erwähnt; wie das Königreich Neapel, Landadel und Kirche die Insel auspressen, Entwaldung und Landsterben bis heute folgenreiche Erosionsprozesse in Gang setzen, wird nicht berücksichtigt. "Die dunklen Ursprünge der Mafia" belässt Norwich ebendort: im Dunkeln. Entstehung und Organisation der "ehrenwerten Gesellschaft", die sich zwischen Großgrundbesitzern und kleinen Pächtern etabliert und vermittelt, werden nicht erklärt. Der erfolgreiche Kampf der Faschisten gegen die Cosa Nostra wird resümiert, ohne dass die fragwürdige Voraussetzung auch nur genannt würde: das Umgehen rechtsstaatlicher Prinzipien.

Der Untertitel "Eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne" ist eine Erfindung des deutschen Verlags. Im Original lautet er "A short History, from the Greeks to Cosa Nostra". Auf die Moderne aber kommt Norwich nicht zu sprechen und so auch nicht auf die Frage, die Joachim Fest in seinen Reisenotizen "Im Gegenlicht" (1988) behandelt hat: Ob und inwieweit die Moderne, "die alles einebnende Weltzivilisation", Sizilien erreicht und eingenommen habe. Die Darstellung bricht nach dem Zweiten Weltkrieg, der für Italien zuerst auf Sizilien zu Ende ging, ab. Für ein Buch, das zwar kein Reiseführer ist, doch immer wieder Reiseerlebnisse aufgreift, muss das verwundern.

Hackert, Tomasi di Lampedusa und Goethe erweisen sich als Lockvögel, die nicht fliegen. Denn keiner von ihnen wird als Zeuge aufgerufen: Hackert auch nicht als Repräsentant jener Künstler, die auf der Grand Tour über Neapel hinausgereist sind, Goethe nur mit dem Porträt von Lady Hamilton, das er in Caserta notierte, und Tomasi di Lampedusa so wenig wie der andere große Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderthälfte, Leonardo Sciascia, dessen "spannende Krimis" Norwich empfiehlt.

"Tatsächlich verlief die jüngste Geschichte Siziliens, abgesehen von den Ölfunden 1953, relativ ereignislos", behauptet der Autor im Epilog. Wirklich? Der Aufstieg der Mafia, ihre Kriegserklärung an den Staat, ihre Toten und ihr Terror, die Zerstörung Palermos durch Immobilienspekulation, das Ende des Schwefelabbaus, das Erdbeben 1968 im Belicetal, die fehlgeschlagene Industrialisierung, die Schließung des Fiat-Werks in Termini Imerese, Einfallstor für Flüchtlinge aus Afrika - das und anderes mehr belegen das Gegenteil. Doch der nächste Gemeinplatz folgt: "Trotz seiner leidvollen Geschichte bleibt Sizilien ein Juwel." Denn: "Nirgendwo sonst auf der Welt findet man auf so wenig Fläche eine solche Fülle von Bauwerken aus so vielen unterschiedlichen Zivilisationen." Darin ist Norwich zuzustimmen. Umso bedauerlicher, dass über diese Schätze in seinem Buch nicht mehr zu erfahren ist.

ANDREAS ROSSMANN.

John Julius Norwich: "Sizilien". Eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne.

Aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Rita Seuß. Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 368 S., Abb., geb., 26,- [Euro].

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