Gegenstand der Untersuchung ist der Teil der preußischen Juristenausbildung in den Jahren 1849-1934, der unmittelbar Gegenstand staatlicher Regelung wurde, also der Zeitraum von der Zulassung des Jurastudenten zum ersten Staatsexamen über den juristischen Vorbereitungsdienst bis zum Assessorexamen. Da dieser Ausbildungsweg nicht nur für die gesamte preußische Justiz und Verwaltungselite obligatorisch war, sondern auch zahllose Vertreter anderer Berufsgruppen prägte, die ihrerseits die preußisch-deutsche Politik und Kultur maßgeblich mitbestimmten, handelt es sich dabei zwangsläufig nicht bloß um ein Kapitel preußischer Justizgeschichte. Vielmehr werden auch Aspekte allgemeinerer Art beleuchtet, etwa die schrittweise Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung, die Öffnung staatlicher Ämter für Frauen oder das jahrzehntelange Streben nach deutscher Rechts- und Staatseinheit bis hin zur nationalsozialistischen Gleichschaltung der Jahre 1933/34. Wie im großen wird Preußen im Laufe des Untersuchungszeitraums dabei zunehmend auch auf dem Gebiet der Juristenausbildung zum Vorbild der gesamtdeutschen Entwicklung, die sich mehr und mehr dem preußischen Modell anpaßt, damit aber auch gleichzeitig dessen bis heute wohlvertraute Probleme auf ganz Deutschland überträgt: Die Überfüllung der juristischen Berufe, den Kampf gegen überlange Ausbildungszeiten und überalterte Absolventen, die Konkurrenz zwischen universitärer Juristenausbildung und der durch private Repetitoren, das Bemühen um eine Objektivierung des Prüfungsverfahrens. Schließlich wird aber auch skizziert, wie die mittlerweile als selbstverständlich geltenden Bestandteile des juristischen Ausbildungs- und Examenswesens entstanden, wie sie sich in ihrer Anfangszeit bewährten und vor welche Schwierigkeiten sie Justizverwaltung, Juristische Fakultäten und angehende preußische Juristen zunächst stellten.
»Die Lektüre der Arbeit dürfte jedem Juristen, der die Wechselfälle der Juristenausbildung einmal über sich hat ergehen lassen müssen, schon deshalb viel Vergnügen bereiten, weil er seine eigenen Probleme hier auf Schritt und Tritt angesprochen findet. So war es ein glücklicher Gedanke, sich einmal anhand des reichen Archivmaterials, das erhalten geblieben ist, nicht nur mit dem äußeren Bild der Juristenausbildung in Preußen zu beschäftigen, sondern auch die dahinterstehenden Auseinandersetzungen ans Licht zu bringen. Wohltuend aber auch die sehr zurückhaltende Bewertung dieser Interna und der politisch-ideologischen Hintergründe einer Ausbildung, die wie wohl keine andere Ausdruck des sich wandelnden Staatsverständnisses war und ist.«
Gerd Kleinheyer, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 2/1999
Gerd Kleinheyer, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 2/1999