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Geschichte einer existenziellen Herausforderung für Davos, Graubünden und die Schweiz Peter Bollier Eine Publikation des Instituts für Kulturforschung Graubünden ikg, Reihe cultura alpina, Band 7 Mit Beginn der 1930er-Jahre setzte der Aufbau der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auch in der Schweiz ein. In der Funktion des hauptamtlichen Landesgruppenleiters schuf Wilhelm Gustloff, ein seit 1917 in Davos wohnhafter Bankkaufmann aus Schwerin, ein landesweites Netz von Stützpunkten und Ortsgruppen. Seine antidemokratischen und antisemitischen Umtriebe erregten zunehmend…mehr

Produktbeschreibung
Geschichte einer existenziellen Herausforderung für Davos, Graubünden und die Schweiz Peter Bollier Eine Publikation des Instituts für Kulturforschung Graubünden ikg, Reihe cultura alpina, Band 7 Mit Beginn der 1930er-Jahre setzte der Aufbau der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auch in der Schweiz ein. In der Funktion des hauptamtlichen Landesgruppenleiters schuf Wilhelm Gustloff, ein seit 1917 in Davos wohnhafter Bankkaufmann aus Schwerin, ein landesweites Netz von Stützpunkten und Ortsgruppen. Seine antidemokratischen und antisemitischen Umtriebe erregten zunehmend den Unmut schweizerischer Politiker, die auf ein Verbot nationalsozialistischer Organisationen drängten. Die angespannte Situation verschärfte sich im Februar 1936 mit der Ermordung Gustloffs durch den jüdischen Studenten David Frankfurter weiter. Der Bundesrat geriet ins Kreuzfeuer der Diplomatie und der Medien; die Bündner Justiz sah sich heftigen reichsdeutschen Druckversuchen ausgesetzt. Spätestens zum Zeitpunkt des Frankfurter-Prozesses im Dezember 1936 war die NSDAP zu einer existenziellen Herausforderung für die ganze Schweiz geworden. Der Autor Peter Bollier, geboren 1945 in Oberstammheim (Kanton Zürich), war bis zu seiner Pensionierung während 34 Jahren als Gymnasiallehrer an der Schweizerischen Alpinen Mittelschule Davos tätig. Seit den 1990er-Jahren forscht er zu verschiedenen Themen der Davoser und Bündner Geschichte. Institut für Kulturforschung Graubünden Reihe Cultura Alpina (7) Verlag Desertina ISBN 9-783-856374-907
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2017

Die NSDAP in der Schweiz
Als die Eidgenossen sich von Berlin bedroht fühlten und Richard von Weizsäcker die Hitler-Jugend in Bern führte

Als föderal aufgebauter, viersprachiger Kleinstaat verspürte die Schweiz in Krisenzeiten stets ein Unbehagen mit Blick auf die großen Nachbarn. Der Erste Weltkrieg hatte die Spannungen zwischen einer tendenziell deutschfreundlichen, alemannischen Deutschschweiz und einer proalliierten, romanischen Eidgenossenschaft verdeutlicht - ein Graben, der den Zusammenhalt des neutralen Landes gefährdete. Und so wurde die Gründung der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" nach Einschätzung von Peter Bollier, einem pensionierten Geschichtslehrer aus Davos, zu einer "existenziellen Herausforderung für Davos, Graubünden und die Schweiz". Diese thesenhafte Behauptung findet sich im Untertitel seiner Untersuchung zur "NSDAP unter dem Alpenfirn", die quellengestützt daherkommt, analytisch aber über weite Strecken lediglich dem "Murmeln der Quellen" lauscht.

Zweifellos hat es der Landesgruppenleiter der NSDAP in der Schweiz, der 1936 von einem jungen Juden in Davos ermordete Wilhelm Gustloff, ungewollt zum Märtyrer und ersten "Blutzeugen" der Partei im Ausland gebracht. Seine Beerdigung in Schwerin wurde als Staatsbegräbnis begangen. Unter den mehr als 30 000 Teilnehmern befand sich die gesamte NS-Prominenz. Propagandaminister Joseph Goebbels notierte am 14. Februar 1936 in sein Tagebuch: "Der Führer hält eine radikale, scharfe Rede gegen die Juden. Das ist mal gut so. Sie geht auch noch über alle Sender. Dafür sorge ich. Alles gut vorbereitet." Der Mythos Gustloff war geboren. Nach ihm wurde im Mai 1937 ein neu in Dienst gestellter KdF-Dampfer benannt, der wiederum am 30. Januar 1945 - mit Tausenden Flüchtlingen und Verwundeten an Bord - vor der Küste Pommerns von einem sowjetischen U-Boot versenkt werden sollte. Seither ist der Name Gustloff untrennbar mit der blutigsten Schifffahrtskatastrophe des Zweiten Weltkriegs verbunden.

Doch welchen Stellenwert hatte der Nationalsozialismus in der Schweiz bis 1945 tatsächlich? War die NSDAP mit geschätzt 5000 Mitgliedern (1935) wirklich eine Bedrohung für die helvetische Unabhängigkeit und Demokratie? Oder hat ihre bloße Existenz bei den Eidgenossen nicht vielmehr dazu geführt, nun erst recht die eigenen Reihen zu schließen und sich spätestens seit Entfesselung des Zweiten Weltkriegs dezidiert der geistigen wie physischen Landesverteidigung zu widmen, etwa im "Réduit" des Generals Henri Guisan in den Alpen?

Eine "existentielle Herausforderung" der Eidgenossenschaft durch die NSDAP in der Schweiz zu konstatieren scheint überzogen. Sicher, dem Nationalsozialismus war es in den frühen 1930er Jahren gelungen, Ortsgruppen und Stützpunkte in vielen größeren Städten der Schweiz einzurichten (Liste S. 355). Selbst die Hitler-Jugend war präsent, in Bern etwa unter dem HJ-Führer Richard von Weizsäcker, dem Sohn des deutschen Gesandten Ernst von Weizsäcker. In seinen Memoiren "Vier Zeiten" (1997) konnte (oder wollte) sich der nachmalige deutsche Bundespräsident an sein jugendliches Engagement nicht mehr erinnern, wohl aber sein Mitschüler Hanspeter Steinmann (Richard von Weizsäcker. Profile eines Mannes. Herausgeben von Werner Filmer und Heribert Schwan, erschienen 1984). Mit Blick auf solche NS-Aktivitäten wurde zwar ein generelles Verbot der NSDAP in der Schweiz von den Berner Bundesbehörden erwogen, aber angesichts zahlreicher Schweizer Staatsbürger im Deutschen Reich und der engen wirtschaftlichen Verflechtungen beider Staaten immer wieder verworfen.

Der gebürtige Schweriner Gustloff, seit 1917 infolge eines Lungenleidens in Davos ansässig, hatte von 1919 bis 1934 als Angestellter beim Physikalisch-Meteorologischen Observatorium gearbeitet. 1927 folgte der Beitritt zur NSDAP, gefolgt von seiner Frau Hedwig, der eigentlich treibenden Kraft, die Hitler wohl spätestens seit 1923 persönlich kannte. Dabei war Gustloff in der "Kampfzeit" in den eigenen Reihen nicht unumstritten, wurde doch vor Einrichtung einer NSDAP-Auslandsorganisation die Partei in der Schweiz vom Gau Baden aus betreut. Sein Widersacher vor 1933 war der von Gauleiter Robert Wagner für die Schweiz eingesetzte Vertrauensmann und spätere badische Landtagspräsident Herbert Kraft, ein ausgewiesener "NS-Randalierer".

Überhaupt spielte die Grenze entlang des Hochrheins von Basel bis Konstanz eine nicht unbedeutende Rolle für die Entwicklung der NSDAP in der Schweiz. Als Hitler am 29. Juli 1932 in der Radolfzeller "Mettnau-Kampfbahn" seine erste und einzige Rede am Bodensee - und zwar in unmittelbarer Sichtweite des Schweizer Ufers - hielt, wurde er von 5000 Schweizer Anhängern (unter den insgesamt rund 35 000 Teilnehmern) frenetisch bejubelt. Unmittelbar vor dem "Führer" hatte der Züricher Architekt Theodor Fischer, der Gründer der bald schon aufgelösten "Nationalsozialistischen Eidgenössischen Arbeiterpartei", gesprochen.

Schweizer NS-Sympathisanten wurden nach 1933 nicht in die NSDAP aufgenommen, vielmehr organisierten sie sich in den sogenannten Fronten. Die NSDAP in der Schweiz blieb ein zahlenmäßig überschaubares Sammelbecken von "Reichsdeutschen" (Bevölkerungsanteil 1930: 3,3 Prozent). Die im Juni 1933 gegründete NSDAP Liechtenstein wurde sogleich der Landesgruppe Schweiz unterstellt. In Liechtenstein lebten damals 455 Deutsche. Spätestens jetzt war Gustloff unangefochten das Gesicht der Partei in der Schweiz und in Liechtenstein. Im Gegenzug war er den schweizerischen Behörden Garant dafür, dass die NSDAP ein Zusammenschluss der "Reichsdeutschen" blieb.

Zentral (und für die Thematik zu ausführlich) wird die Ermordung Gustloffs und der anschließende Strafprozess abgehandelt. Das Verfahren gegen den jugoslawischen Staatsangehörigen David Frankfurter, der am 4. Februar 1936 den NSDAP-Landesgruppenleiter mit vier Pistolenschüssen zu Hause niedergestreckt hatte, wird bis ins letzte Detail beschrieben und die Rolle der kritischen Schweizer Presse herausgearbeitet. Der Berner "Bund" urteilte am 15. Februar 1936: "Eine ausländische Partei, deren Theorie einen wesentlichen Teil der Schweiz als Bestandteil des künftigen Reiches miterfasst, hat kein Recht auf Schweizerboden" - da war er eben, der eidgenössische Unabhängigkeitswille jenseits aller völkischen Ideologie. Das Kantonsgericht von Graubünden verurteilte Frankfurter zur Höchststrafe von 18 Jahren Haft. 1945 wurde er begnadigt, er wanderte nach Palästina aus und starb 1982 in Tel Aviv.

JÜRGEN KLÖCKLER.

Peter Bollier: Die NSDAP unter dem Alpenfirn. Geschichte einer existenziellen Herausforderung für Davos, Graubünden und die Schweiz. Desertina Verlag, Chur 2016. 384 S., 44,- Sfr.

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